Der Unabhängige Verwaltungssenat in Tirol entscheidet durch sein Mitglied Dr. Alois Huber über die Berufung des Herrn J. gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Kufstein vom 21.2.2000, Zahl IIa-530/97, wie folgt:
Gemäß § 66 Abs4 AVG iVm § 24 VStG wird der Berufung Folge gegeben, das erstinstanzliche Straferkenntnis behoben und das Verwaltungsstrafverfahren gemäß § 45 Abs1 Z2 VStG eingestellt.
Mit dem erstinstanzlichen Straferkenntnis wurde dem Beschuldigten spruchgemäß nachstehender Sachverhalt zur Last gelegt:
?Sie haben am 22.6.1997 in der Zeit gegen 16.30 Uhr in S. am ?Z.?, im Festzelt der Tiroler Kaiserjäger, Ortsgruppe S., vorerst im Zelt beim Tanzboden und anschließend an der Theke in der sogenannten Bar mit dem Ihnen unbekannten Festzeltbesucher H. eine wörtliche und tätliche Auseinandersetzung gehabt und haben durch dieses ungebührliche Verhalten, das einen groben Verstoß gegen die in der Öffentlichkeit zu beachtenden allgemein anerkannten Grundsätze der Schicklichkeit darstellt, den öffentlichen Anstand verletzt.?
Dem Beschuldigten wurde eine Verwaltungsübertretung nach § 13 iVm § 11 des Tiroler Landespolizeigesetzes, LGBl Nr 60/1976 idF LGBl Nr 4/1993 zur Last gelegt und wurde über ihn eine Geldstrafe in der Höhe von S 400,-- verhängt.
Gegen dieses Straferkenntnis hat der Beschuldigte fristgerecht berufen.
Dieser Berufung kommt schon aus folgenden Gründen Berechtigung zu:
Der gerichtlichen Strafanzeige des Gendarmeriepostens S. vom 24.7.1997 an den Bezirksanwalt beim Bezirksgericht S. zu GZ P- 2578/97 ist zu entnehmen, dass der Beschuldigte und H. am 22.6.1997 um 16.30 Uhr während eines Zeltfestes am ?Z.? in S. in einen Streit geraten sind und dabei zuerst H. mit seiner rechten Hand gegen die rechte Gesichtsseite des Beschuldigte geschlagen habe, wodurch eine Schwellung der Wange entstanden sei. Etwas später habe der Beschuldigte dem H. einen kräftigen Faustschlag auf den Mund versetzt, wodurch der Zahnersatz am Oberkiefer - es hätten zwei Zähne gefehlt - beschädigt worden sei. Außerdem seien am Unterkiefer 4 echte Zähne gelockert worden, die gezogen hätten werden müssen und sei an der Innenseite der Oberlippe eine 1 cm lange Rissquetschwunde ersichtlich gewesen.
Diese Verletzungen sind durch die im erstinstanzlichen Akt erliegende medizinische Verletzungsanzeige objektiviert.
Die erwähnte Anzeige erging auch an die Bezirkshauptmannschaft Schwaz.
Mit Verfügung der Bezirkshauptmannschaft Schwaz (offenbar nach § 29a VStG) wurde das Strafverfahren gegen den Beschuldigten an die Bezirkshauptmannschaft Kufstein abgetreten, welche mit 22.10.1997 zu Zahl IIa-530/97 gegen den Beschuldigten eine Strafverfügung wegen diesem Vorfall erließ, wobei dem Beschuldigten eine Anstandsverletzung im Sinne des § 11 des Tiroler Landespolizeigesetzes zur Last gelegt worden ist und über ihn eine Geldstrafe in der Höhe von S 400,-- verhängt worden ist.
Gegen diese Strafverfügung hat der Beschuldigte Einspruch erhoben.
Dem erstinstanzlichen Akt ist weiters zu entnehmen, dass der Bezirkshauptmannschaft Kufstein auf ihre Anfrage hin mit 4.2.1998 vom Bezirksanwalt beim Bezirksgericht Schwaz mitgeteilt worden ist, dass das Strafverfahren gegen J. wegen § 83 StGB (vorsätzliche Körperverletzung) am 10.11.1997 gemäß § 90 StPO aus dem Grunde des § 42 StGB (mangelnde Strafwürdigkeit) nach Durchführung eines außergerichtlichen Tatausgleiches, zurückgelegt worden ist.
Somit liegt klar auf der Hand, dass der gegenständlichen Vorfall den gerichtlichen Straftatbestand der vorsätzlichen Körperverletzung erfüllt hat und die Tat lediglich auf Grund des § 42 StGB (mangelnde Strafwürdigkeit der Tat - geringe Schuld des Täters und Folgen der Tat ausgeglichen) nicht zu einer Bestrafung geführt hat.
Im Tiroler Landespolizeigesetz ist keine ausdrückliche gesetzliche Subsidiarität normiert, wonach keine Verwaltungsübertretung vorliegt, wenn ein gerichtlicher Straftatbestand erfüllt wird.
Dessen ungeachtet gibt Art4 des 7. Zusatzprotokolles zur Menschenrechtskonvention mit Z1 vor, dass niemand wegen einer strafbaren Handlung, wegen der er bereits nach dem Gesetz und dem Strafverfahrensrecht eines Staates rechtskräftig verurteilt oder freigesprochen worden ist, in einem Strafverfahren desselben Staates erneut vor Gericht gestellt oder bestraft werden darf.
Diese Bestimmung stellt Verfassungsrecht im materiellen Sinne dar und ist nach der einschlägigen Rechtsprechung auch im Verhältnis zwischen gerichtlichem Straftatbestand und verwaltungsstrafrechtlicher Bestrafung anzuwenden.
Dabei ist offensichtlich, dass dem Beschuldigten im angefochtenen Straferkenntnis derselbe Lebenssachverhalt wie im gerichtlichen Strafverfahren angelastet worden ist, sodass dasselbe Verhalten vorliegt.
Schon auf Grund dieses Umstandes war daher der Berufung Folge zu geben.