Der Unabhängige Verwaltungssenat in Tirol entscheidet durch sein Mitglied Dr. Alfred Stöbich über die Berufung des Herrn T. H., 6151 Schönberg, vertreten durch die Rechtsanwälte Dr. E. J. und Dr. G. Z., 6020 Innsbruck, gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Innsbruck vom 13.12.1999, Zahl VST-130357/99, wie folgt:
Gemäß § 66 Abs 4 AVG iVm §§ 24, 51, 51c und 51e VStG wird
der Berufung in Bezug auf die Spruchpunkte 1), 3) und 4) Folge gegeben, das angefochtene Straferkenntnis behoben und das Verwaltungsstrafverfahren gemäß § 45 Abs 1 Z 1 VStG eingestellt sowie
die Berufung in Bezug auf das Faktum 2) als unbegründet abgewiesen.
Gemäß § 64 Abs 1 und 2 VStG hat der Berufungswerber einen Beitrag zu den Kosten des Berufungsverfahrens in Höhe von 20 % der verhängten Strafe, das sind im gegenständlichen Fall S 200,-- (EUR 14,54), zu bezahlen.
Der Spruch des angefochtenen Straferkenntnisses wird in Bezug auf das Faktum 2) insoweit präzisiert, als es anstelle des Wortes ?dort? heißen muss: ?bei der Ausfahrt Schönberg auf der A 13 in Fahrtrichtung Süden beim Wechsel von der Videospur auf die rechte Mautspur unmittelbar vor dem Mauthäuschen?.
Der Spruch des angefochtenen Straferkenntnisses wird auch insoweit richtig gestellt, als das Kennzeichen des vom Berufungswerber gelenkten Fahrzeuges IL-XY lautet.
Mit dem angefochtenen Straferkenntnis wurde dem Berufungswerber Folgendes vorgeworfen:
?Sie haben am 25.6.1999 um 13.20 Uhr den KKW, Kennzeichen IL-XY, gelenkt
1) und in Schönberg, auf der A 13, in Fahrtrichtung Süden die durch Straßenverkehrszeichen in diesem Bereich zulässige Höchstgeschwindigkeit von 10 km/h um 40 km/h überschritten,
2) und dort die Sperrfläche befahren,
3) und ein Fahrzeug überholt, wodurch andere Verkehrsteilnehmer behindert/gefährdet wurden,
4) und auf der B 183, in Fahrtrichtung taleinwärts bis ca. 50 Meter nach dem Haus Mieders Nr. XY die durch Straßenverkehrszeichen in diesem Bereich zulässige Höchstgeschwindigkeit von 70 km/h um 40 km/h überschritten.
Dadurch haben Sie folgende Vorschriften verletzt:
1.
§ 52 lit a Z 10a StVO iVm § 99 Abs 2c StVO
2.
3.
4.
§ 52 lit a Z 10a StVO iVm § 99 Abs 2c StVO?
Auf Grund dieser Verwaltungsübertretung wurden über den Berufungswerber gemäß § 99 Abs 3 lit a StVO Geldstrafen verhängt, nämlich
zu 1) S 1.650,--,
zu 2) S 1.000,--,
zu 3) S 1.500,--,
zu 4) S 1.200,--.
Gleichzeitig wurden Ersatzfreiheitsstrafen festgesetzt und Verfahrenskostenbeiträge vorgeschrieben.
Dagegen wurde innerhalb offener Frist Berufung erhoben. In dieser wird zunächst darauf hingewiesen, dass die Behörde die Einkommens-, Vermögens- und familiären Verhältnisse nicht ermittelt habe.
Zudem seien Verfahrensvorschriften gröblich verletzt worden. Das Straferkenntnis sei mit Rechtswidrigkeit belastet, als dem Berufungswerber vorgeworfen werde, ein Fahrzeug mit dem Kennzeichen IL-XY gelenkt zu haben. Die seinerzeit einschreitenden Beamten seien offensichtlich auf Grund ihrer - den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit völliger außer Acht lassenden - Amtshandlung derart verwirrt gewesen, dass sie das im Straferkenntnis angeführte Kennzeichen notiert hätten, welches jedoch tatsächlich zum Fahrzeug von G. D. gehöre, der seinerseits aber erst später zur Amtshandlung hinzugestoßen sei.
In Bezug auf den Vorwurf, dass der Berufungswerber mit einem anderen behördlichen Kennzeichen aus dem im Straferkenntnis angeführten ihm vorgeworfenen Taten begangen haben solle, sei Verfolgungsverjährung eingetreten.
Die Begründung des angefochtenen Straferkenntnisses bestehe lediglich aus Stehsätzen und sei als Scheinbegründung anzusehen.
Der Sachverhalt sei gänzlich falsch ermittelt worden.
Die zulässige Höchstgeschwindigkeit sei nie überschritten worden. Der Vorwurf einer Überschreitung der Geschwindigkeitsbegrenzung um 40 km/h sei nicht nur falsch sondern beruhe letztlich auf einer reinen Schätzung der einschreitenden Beamten. Selbst einem geschulten Beamten sei es nicht möglich, ohne jegliche Hilfsmittel eine Geschwindigkeitsüberschreitung im angegebenen Ausmaß festzustellen.
Der Vernehmung als Zeugen sei der Vorzug gegenüber einem schriftlichen Bericht zu geben. Der Eindruck über die Geschwindigkeit eines fahrenden Kraftzeuges hänge insgesamt von einer Vielzahl von optischen und akustischen Komponenten ab. In den Verwaltungsakten würden jedoch keine Hinweise auf all diese Umstände finden und hätte die Behörde nicht ohne weitere Ermittlungen davon ausgehen dürfen, dass die Meldungsleger die Geschwindigkeit zuverlässig einschätzen hätten können, dass die Geschwindigkeitsüberschreitung als erwiesene Tatsache angenommen werden könne.
Im fraglichen Bereich bestehe überhaupt keine Sperrfläche und treffe daher der Vorwurf des Befahrens der Sperrfläche nicht zu. Auch treffe der Vorwurf des unerlaubten Überholens nicht zu. Richtig sei vielmehr, dass der Berufungswerber durch den Lenker des Zivilstreifenfahrzeuges und dessen verkehrswidriges Verhalten zu einem Auslenken genötigt worden sei und sei dadurch der Berufungswerber selbst gefährdet worden.
Es sei insgesamt ein ordentliches Ermittlungsverfahren unterblieben und wurde daher die Aufnahme mehrerer Beweise beantragt.
Vorauszuschicken ist, dass der hier in Rede stehende Vorfall bzw. das nach dem Anhalten des Berufungswerbers erfolgte Einschreiten zweier Beamter der Bundespolizeidirektion Innsbruck bereits Gegenstand eines umfassenden Verfahrens vor dem Unabhängiger Verwaltungssenat in Tirol war, wobei zu prüfen war, inwieweit eine Richtlinienverletzung durch die beiden Polizeibeamten erfolgt ist oder nicht. Mit Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates in Tirol vom 19.6.2000, Zahl 1999/11/100, wurde das Beschwerdevorbringen des Herrn T. H. (welcher im gegenständlichen Verfahren Berufungswerber ist) und des P. D. (welcher damals Beifahrer des Berufungswerbers war), die Polizeibeamten Rev.Inp. R. und Rev.Insp. H., beide Bundespolizeidirektion Innsbruck, hätten am 25.6.1999 gegenüber T. H. und P. D. rechtswidrig unmittelbare verwaltungsbehördliche Befehls- und Zwangsgewalt ausgeübt, abgewiesen. Weiters wurde festgestellt, dass durch die beiden vorgenannten Beamten bei ihrem Einschreiten am 25.6.1999 gegen T. H. und P. D. keine Richtlinie verletzt worden ist.
Der Berufungswerber nahm gemeinsam mit seinem Rechtsvertreter an sämtlichen in diesem Beschwerdeverfahren durchgeführten Verhandlungen, darunter auch an der Durchführung eines Lokalaugenscheines im Bereich der Autobahnausfahrt Stubaital (Fahrtrichtung Süden) teil.
Seitens der Berufungsbehörde wurde Einsicht genommen in den Akt der Bezirkshauptmannschaft Innsbruck betreffend das gegenständliche Verwaltungsstrafverfahren sowie in den Akt des Unabhängigen Verwaltungssenates in Tirol betreffend die Maßnahmebeschwerde.
Auf der Grundlage dessen ergibt sich für das gegenständliche Berufungsverfahren betreffend vier Übertretungen der StVO Folgendes:
Rev.Insp. R. und Rev.Insp. H. waren am 25.6.1999 gegen
13.15 Uhr ca. 10 bis 15 m vor der Mautstelle bei der Brennerbahnausfahrt Richtung Stubaital, Fahrtrichtung Süden, mit der Durchführung einer Amtshandlung beschäftigt. Gerade, als die beiden Beamten in das Zivilstreifenfahrzeug eingestiegen sind, näherte sich von links, nämlich von jener Fahrspur, wo sich auch die Videospur befindet, das Fahrzeug des Berufungswerbers der rechten Fahrspur und zwängte sich vor dem Zivilstreifenfahrzeug in die Mautspur hinein. Dabei wurde die unmittelbar vor dem Mauthäuschen für die rechte Fahrspur befindliche Sperrfläche vom Berufungswerber überfahren.
Als sich der Berufungswerber mit seinem Fahrzeug auf Höhe des Zivilstreifenfahrzeuges befunden hat, hat der Beifahrer des Berufungswerbers bei geöffneter Seitenscheibe mit ausgestrecktem Arm in der Hand einen schwarzen Gegenstand (Handy) haltend in Richtung des Zivilstreifenfahrzeuges und den darin befindlichen Polizeibeamten gezeigt, wobei einer der beiden Polizeibeamten glaubte, eine Waffe zu erkennen.
Auf Grund eines zum damaligen Zeitpunkt aktuellen Fahndungsersuchens bezüglich zweier Personen in Verbindung mit der vermeintlichen Bedrohung durch eine Faustfeuerwaffe wurde seitens der Polizeibeamten die Verfolgung aufgenommen. Dazu muss jedoch erst der Schranken bei der Mautstelle geöffnet werden. Der Berufungswerber hatte sein Fahrzeug nach dem Passieren der Mautstelle sofort stark beschleunigt. Zunächst war das Fahrzeug des Berufungswerbers für die beiden Polizeibeamten außer Sichtweite und konnte erst nach einer Strecke von 250 bis 300 m wieder gesehen werden. Nach einer Fahrstrecke von 600 m wurde auf Höhe des Elternhauses des P. D. auf das Fahrzeug des Berufungswerbers aufgeschlossen. Ca. 100 Meter weiter kam es zur Anhaltung. Im Anschluss daran kam es zu jener Amtshandlung, welcher Gegenstand der Richtlinienbeschwerde war.
Im Zuge dieses Beschwerdeverfahrens wurde von der Bundespolizeidirektion Innsbruck auch ein Bericht vom 26.2.2000 verfasst, welchem insgesamt 8 Lichtbilder des Ereignisortes ?Mautstelle Schönberg - Ausfahrt Stubaital? angeschlossen sind.
An Hand dieser Lichtbilder ergibt sich eindeutig und unzweifelhaft, dass sich vor dem Mauthäuschen auf der rechten Fahrspur im Anschluss an die davor befindliche, durch Leitschienen abgesicherte Fläche, eine dreiecksförmige Sperrfläche befindet. Gleiches ist auch anlässlich der Durchführung eines Lokalaugenscheines im Beschwerdeverfahren festgestellt worden.
Für die im Verwaltungsstrafverfahren angelasteten Übertretungen ergibt sich daher Folgendes:
1) Zu den Geschwindigkeitsüberschreitungen:
Die beiden im gegenständlichen Fall zur Anzeige gebrachten Geschwindigkeitsüberschreitungen gründen sich auf Schätzungen. Um Ungenauigkeiten, die mit Schätzungen verbunden sind, auszugleichen, müssten bestimmte Mindestvoraussetzungen eingehalten werden. In Bezug auf die Feststellung einer Geschwindigkeit durch Nachfahren bedeutet dies, dass die Beobachtungsstrecke (Mess-, Verfolgungs- oder Nachfahrstrecke) eine bestimmte - von der Geschwindigkeit abhängige - Mindestlänge (von mehreren 100 m) haben muss und die Geschwindigkeit in dieser Zeit ständig kontrolliert werden muss und sie hat jedenfalls so lang zu sein, dass kleinere Schwankungen im Abstand beider Fahrzeuge während der Messzeit ausgeglichen werden können. Seitens des Rechtsprechung wird in diesem Zusammenhang auch immer auf die Einhaltung eines gleichbleibenden Abstandes (über eine längere Strecke) hingewiesen.
Im vorliegenden Fall war das Fahrzeug des Berufungswerbers (nach dem Passieren der Mautstelle) vorerst außer Sichtweite der Polizeibeamten und erfolgte bis zum Anhalten jedenfalls ein Aufholvorgang durch das Zivilstreifenfahrzeug, sodass ein zuverlässiges Feststellen der Geschwindigkeit des vom Berufungswerber gelenkten Fahrzeuges nicht möglich war.
In ähnlicher Weise mangelt es in Bezug auf die Feststellung der Geschwindigkeit unmittelbar vor dem Passieren der Mautstelle an der Einhaltung der für eine zuverlässige Geschwindigkeitsschätzung erforderlichen Mindestvoraussetzungen. In diesem Fall ist die Beobachtungsstrecke jedenfalls als zu kurz anzusehen. Der subjektive Eindruck der beiden Polizeibeamten, dass der Berufungswerber in diesem Bereich ?zu schnell? unterwegs war, reicht für eine Bestrafung nicht aus.
2) Zur Missachtung des Überholverbotes:
Auch hier liegen keine ausreichenden Beweisergebnisse vor. Vielmehr ist davon auszugehen, dass der Berufungswerber nicht überholt sondern einen Spurwechsel von der Videospur, (wobei eine Berechtigung zum Passieren der Mautstelle auf dieser Spur offensichtlich nicht gegeben war,) auf die rechte Mautspur vorgenommen hat.
3) Zum Befahren der Sperrfläche:
Wie bereits oben ausgeführt, ergibt sich allein an Hand der Lichtbilder, dass unmittelbar vor der Mautspur eine Sperrfläche besteht. Auf Grundlage der Anzeige iVm den Angaben der Meldungsleger im Zuge des Beschwerdeverfahrens ergibt sich, dass sich der Berufungswerber mit seinem Fahrzeug unmittelbar vor dem Zivilstreifenfahrzeug in die Mautspur hineinzwängte und dabei die Sperrfläche überfahren hat. Es ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass die Meldungsleger diesbezüglich falsche Angaben gemacht hätten. Immerhin gab auch M. P. als Zeuge im Beschwerdeverfahren in diesem Zusammenhang an, dass sich der rote Kleinwagen (der vom Berufungswerber gelenkt wurde) sich ?offensichtlich vor dem Zivilstreifenfahrzeug in die äußerst rechte Fahrspur vor der Mautstelle hineindrängen wollte.?
Der diesbezüglich maßgebende Sachverhalt ist daher als ausreichend geklärt anzusehen und war daher die Aufnahme weiterer Beweise entbehrlich. Insbesondere war die Durchführung eines (weiteren) Lokalaugenscheines nicht erforderlich, da anhand der Lichtbilder das Vorhandensein der Sperrfläche eindeutig erkennbar ist.
Gemäß § 9 Abs 1 StVO dürfen unter anderem Sperrflächen nicht befahren werden. Dagegen hat der Berufungswerber eindeutig verstoßen und wurde daher diesbezüglich der Schuldvorwurf zu Recht erhoben.
Der Berufungsbehörde war es auch nicht verwehrt, das irrtümlich falsch angeführte Kennzeichen durch das richtige Kennzeichen zu ersetzen.
In Bezug auf die Strafhöhe ist festzuhalten, dass die vom Berufungswerber missachtete Norm im hohen Ausmaß der Verkehrssicherheit dient. Diesem Interesse hat der Berufungswerber gerade in diesem Fall in einem erheblichen Ausmaß zuwidergehandelt. In subjektiver Hinsicht ist zumindest grob fahrlässiges Verhalten anzunehmen. Bereits diese Umstände reichen aus, um die von der Erstbehörde verhängte Geldstrafe nicht als unangemessen hoch anzusehen. Selbst der Milderungsgrund der Unbescholtenheit und ungünstige wirtschaftliche Verhältnisse ließen eine Herabsetzung nicht als gerechtfertigt erscheinen.
Der Berufung war daher in diesem Punkte ein Erfolg verwehrt. In Bezug auf die übrigen Übertretungen können die Taten nicht als eindeutig erwiesen angesehen werden. Es war daher wie im Spruch ausgeführt zu entscheiden.