Der Berufung hinsichtlich Spruchpunkt 1) des angefochtenen Straferkenntnisses wird
gemäß §66 Abs4 des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 (AVG) Folge
gegeben und das angefochtene Straferkenntnis aufgehoben.
Das Verwaltungsstrafverfahren wird hinsichtlich dieses Spruchpunktes
1) gemäß §45
Abs1 Z 1 des Verwaltungsstrafgesetzes 1991 (VStG) eingestellt.
Vorweg wird darauf hingewiesen, dass sich die gegenständliche Berufungsentscheidung
lediglich auf Spruchpunkt 1) ? Übertretung nach der Straßenverkehrsordnung 1960 ?
bezieht. Hinsichtlich des Spruchpunktes 2) ist auf Grund der Geschäftsverteilung des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land NÖ ein Einzelmitglied zur Entscheidung
berufen und ist eine gesonderte Berufungsentscheidung bereits ergangen.
Mit dem angefochtenen Straferkenntnis wurde dem Berufungswerber unter Spruchpunkt
1) zur Last gelegt, er habe als Fahrzeuglenker am **.**.**** gegen 14,00 Uhr im Ortsgebiet
von G*****, KG K*****, auf der S***** von Nr** bis zur W**** Nr**, ein Fahrrad und somit ein Fahrzeug gelenkt, obwohl er sich in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustande
befunden habe. (Der Alkoholgehalt der Atemluft habe mehr als 0,8 mg/l betragen).
Wegen Übertretung gemäß §5 Abs1, §99 Abs1 lit a StVO 1960 wurde in Spruchpunkt 1)
über den Berufungswerber gemäß §99 Abs1 lit a StVO 1960 eine Geldstrafe in der Höhe
von S 26000,-- (Ersatzfreiheitsstrafe 504 Stunden) verhängt.
In der fristgerecht erhobenen Berufung wurde im Wesentlichen ausgeführt, der Berufungswerber habe das Fahrrad seiner Tante geschoben und im alkoholisierten
Zustand auf einer unbebauten Fläche abgestellt. Er habe jedenfalls das Fahrrad nicht
gelenkt. Weiters beantragte er, auf das Strafausmaß Rücksicht zu nehmen, da er nur über
geringfügiges Einkommen verfüge und den Haushalt seiner Mutter mitfinanzieren müsse.
Sinngemäß wurde die Aufhebung des angefochtenen Straferkenntnisses
und die Einstellung des Verfahrens begehrt.
Auf Grund dieser Berufung hat der Unabhängige Verwaltungssenat im Land NÖ am
**.**.**** am Sitz des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land NÖ in St. Pölten eine
öffentliche mündliche Verhandlung durchgeführt.
Auf Grund der Verhandlungsausschreibung entschuldigte sich die als Zeugin geladene
Frau A*** B*** (Tante des Berufungswerbers) und teilte mit, dass sie
sich der Aussage
gegen ihren Neffen entschlage.
Die Verhandlung hatte im Wesentlichen folgendes Ergebnis:
Nach Angaben zu seinen persönlichen Verhältnissen erklärte der Berufungswerber:
?Am **.**.**** bin ich an dem Haus, in dem meine Tante wohnt, vorbeigegangen. Das bei
diesem Haus stehende Fahrrad habe ich zunächst irrtümlicherweise als das Fahrrad meiner
Mutter angenommen und habe ich daher dieses mitgenommen. Ich bin jedoch mit diesem Fahrrad nicht gefahren, sondern habe dieses nur geschoben. Unterwegs habe ich erkannt,
dass es nicht das Fahrrad meiner Mutter ist und habe es anschließend bei einem der Häuser
auf ein Grundstück geschoben und dort zurückgelassen. Ich bin dann
weiter zu Fuß nach
Hause gegangen.
Ich betone nochmals, dass ich das Fahrrad nur geschoben habe und nicht damit gefahren bin.
Richtig ist auch, dass ich wegen dieses Vorfalles bei der Gendarmerie einen Alkotest
durchgeführt habe und dieser positiv ausgefallen ist.?
Die Zeugin A**** H**** (Schwester des Berufungswerbers) machte nach Belehrung ebenfalls
von ihrem Entschlagungsrecht als Zeugin Gebrauch.
Der Zeuge Insp. R**** W**** schilderte sein damaliges Einschreiten. Er wusste nicht mehr, ob
der Berufungswerber damals erwähnte, ob er mit dem Fahrrad gefahren
ist oder dieses nur
geschoben hat.
Die Zeugin H**** habe gegenüber dem Gendarmeriebeamten aber angegeben, dass sie zum Vorfallszeitpunkt bei Frau B*** (Tante des Berufungswerbers und Eigentümerin des Fahrrades)
gewesen sei und gesehen habe, wie der Berufungswerber mit dem Fahrrad wegfuhr.
In weiterer Folge sei beim Berufungswerber ein Alkotest vorgenommen worden, der positiv
ausgefallen sei.
Im Schlusswort verwies der Berufungswerber auf sein bisheriges Vorbringen.
Der Unabhängige Verwaltungssenat im Land NÖ hat erwogen:
Auf Grund des durchgeführten Verfahren, insbesondere der öffentlichen mündlichen
Verhandlung steht folgender Sachverhalt fest:
Auf Grund einer telefonischen Anzeige durch Frau A*** B*** erfolgten am **.**.**** nach
13,45 Uhr Ermittlungen durch den Gendarmerieposten G***** bei W*** gegen den Berufungswerber. Dies deswegen, da der Berufungswerber, der sich bei Frau B***
aufgehalten hatte, ohne ihre Zustimmung ihr Fahrrad nahm und sich
damit in Richtung
seines Wohnhauses bewegte.
Bei den Ermittlungen wurde das vom Berufungswerber auf einem Grundstück abgelegte
Fahrrad gefunden. Wegen des Verdachts des Lenkens dieses Fahrrades in einem durch
Alkohol beeinträchtigten Zustand wurde der Berufungswerber einer Untersuchung der Atemluft auf Alkoholgehalt unterzogen. Diese Untersuchung war positiv.
Es konnte nicht einwandfrei festgestellt werden, ob der Berufungswerber das Fahrrad der Frau A*** B*** von ihrem Haus bis zum späteren Fundort auf einem unbebautem
Grundstück nur geschoben hat oder ob er mit diesem Fahrrad als Lenker gefahren ist.
Diese Feststellungen beruhen auf folgender Beweiswürdigung:
Die Tatsache, dass Gendarmerieerhebungen gegen den Berufungswerber im
Zusammenhang mit dem Abhandenkommen des Fahrrades der Frau B*** am **.**.**** in
den Nachmittagstunden durchgeführt wurden, ergibt sich einwandfrei aus der Aktenlage
und der Verantwortung des Berufungswerbers sowie der Aussage des Zeugen Insp. R****
W****. Auf den gleichen Beweismitteln beruhen die Feststellungen
über die Vornahme des Alkotest und dessen positives Ergebnis.
Hingegen waren einwandfreie Feststellungen darüber, ob der Berufungswerber das Fahrrad vom Haus der Frau B*** bis zum späteren Auffindungsort (einem unbebauten Grundstück) nur geschoben hat oder ob er damit als Lenker gefahren ist, nicht möglich.
Dies deswegen, da der Berufungswerber behauptet, er habe das Fahrrad nur geschoben
aber nicht gelenkt. Beweismittel für die Tatsache des Lenkens stehen nicht zur Verfügung.
Die einschreitenden Gendarmeriebeamten kamen erst zum Tatort, als der
Berufungswerber das Fahrrad bereits auf einem unbebauten Grundstück abgelegt hatte
und konnten daher keine eigenen Wahrnehmungen über das Schieben bzw. Lenken des Fahrrades durch den Berufungswerber machen.
Die Zeuginnen A*** B*** und A*** H***** haben im Berufungsverfahren von ihrem
gesetzlichen Entschlagungsrecht Gebrauch gemacht. Die Zeuginnen B*** und H*****
hatten laut Anzeige den Vorfall beobachtet. Laut Aussage des Anzeigelegers in der Berufungsverhandlung hatte die Zeugin H***** auch gegenüber den erhebenden Beamten
angegeben, dass sie zum Vorfallszeitpunkt bei Frau B*** gewesen sei
und gesehen habe,
wie der Berufungswerber mit dem Fahrrad wegfuhr.
Die Verwertung dieser Angabe der Zeugin H***** im Zuge der Sachverhaltsermittlung
durch die Gendarmerie ist der Berufungsbehörde verwehrt.
Eine strafrechtliche Verurteilung auf der Grundlage von Aussagen, die nahe Angehörige
des Angeklagten vor der Gendarmerie gemacht haben und die in der Hauptverhandlung
verlesen wurden, nachdem die Angehörigen erklärt hatten, ihre Aussage zu verweigern,
verstößt gegen Artikel 6 MRK (EGMR **.**.**** ? Nr ****** - Fall U***** gegen Österreich,
*****). Wenngleich dieser Spruch sich auf ein strafgerichtliches Verfahren bezieht, so ist er
mit Rücksicht auf die umfassende Geltung der Menschenrechtskonvention auch für den Bereich des Verwaltungsstrafrechtes im vorliegenden Fall heranzuziehen. Dazu kommt
noch, dass nur eine Angabe in der Anzeige über die Aussage der Zeugin H*****
gegenüber den Gendarmeriebeamten vorliegt und nicht einmal eine
förmliche
Niederschrift.
Wenngleich vom Verwaltungsgerichtshof in seiner Entscheidung vom *.*.****, Sammlung
**** das Verwerten einer Aussage einer Person, die später von ihrem
Entschlagungsrecht
Gebrauch macht, als grundsätzlich zulässig angesehen wird, muss doch schon wegen des Ranges des Menschenrechtskonvention im Stufenbau der Rechtsordnung (Verfassungsrang) für den vorliegenden Fall auf die angeführte Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte zurückgegriffen werden.
Auch die ebenfalls in der Anzeige enthaltene Angabe, der Berufungswerber habe bei einer
weiteren Befragung im Dienstfahrzeug doch zugegeben, das Fahrrad gelenkt zu haben,
wobei ihm auch eine Anzeige bei Gericht wegen Diebstahls für den Fall in Aussicht gestellt
wurde, dass er nicht bekannt gibt, wo sich das Fahrrad befindet, ist für sich allein kein
hinreichend taugliches Beweismittel dafür, um die leugnende Verantwortung des Berufungswerbers zu widerlegen. Dies deswegen, da unter ?Angaben des Verdächtigen?
in der Anzeige keine diesbezüglichen Ausführungen enthalten sind und keine Niederschrift
mit dem Berufungswerber anlässlich der Anzeigeerstattung vorliegt. In der Berufungsverhandlung selbst konnte sich der Anzeigeleger als Zeuge nicht mehr daran
erinnern, ob der Berufungswerber selbst bei den Erhebungen eine Aussage dahingehend
gemacht hat, ob er mit dem Rad gefahren ist oder dieses nur geschoben hat.
Zusammenfassend ergibt sich, dass Feststellungen darüber, ob der Berufungswerber mit
dem Fahrrad der Frau B*** am **.**.**** am Tatort als Lenker gefahren ist oder dieses nur
geschoben hat, nicht mit der im Verwaltungsstrafverfahren
erforderlichen zweifelsfreien
Sicherheit getroffen werden können.
In rechtlicher Hinsicht wird ausgeführt:
Gemäß §5 Abs1 StVO 1960 darf, wer sich in einem durch Alkohol oder Suchtgift
beeinträchtigten Zustand befindet, ein Fahrzeug weder Lenken noch in Betrieb nehmen.
Bei einem Alkoholgehalt des Blutes von 0,8 g/l (0,8 Promille) oder darüber oder bei einem Alkoholgehalt der Atemluft von 0,4 mg/l oder darüber gilt der Zustand einer Person
jedenfalls als vom Alkohol beeinträchtigt. Übertretungen dieser Bestimmung sind gemäß §99 Abs1 lit a StVO 1960 als Verwaltungsübertretung mit Geldstrafe von S 16000,-- bis
S 80000,--, im Falle ihrer Uneinbringlichkeit mit Arrest von 2 bis 6 Wochen zu bestrafen.
Wie in den Feststellungen und der Beweiswürdigung ausführlich dargelegt, konnte die Behauptung des Berufungswerber, er habe das Fahrrad am Tag der Tat am Tatort nur
geschoben und sei damit nicht gefahren, nicht widerlegt werden. Die ihm zur Last gelegte
Tat konnte somit nicht mit der für eine Bestrafung im Verwaltungsstrafverfahren
erforderlichen Sicherheit erwiesen werden.
Es war daher das angefochtene Straferkenntnis zu beheben und gleichzeitig das Strafverfahren gegen den Berufungswerber einzustellen.