TE UVS Tirol 2001/04/23 2001/12/036-2

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Veröffentlicht am 23.04.2001
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Spruch

Der Unabhängige Verwaltungssenat in Tirol entscheidet durch den Stellvertretenden Vorsitzenden Dr. Siegfried Denk über die Berufung des Herrn M.S., vertreten durch, gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Reutte vom 31.01.2001, Zahl 3c-ST-41206/00, wie folgt:

Gemäß § 66 Abs 4 AVG iVm §§ 24, 51, 51c und 51e Abs 2 Z 1 VStG wird der Berufung Folge gegeben, das bekämpfte Straferkenntnis behoben und das Verwaltungsstrafverfahren gemäß § 45 Abs 1 Z 1 VStG eingestellt.

Text

Mit dem bekämpften Straferkenntnis wurde der Berufungswerber für schuldig erkannt, er habe am 22.07.2000 um 17.22 Uhr im Gemeindegebiet von Elmen auf der B 198 bei Straßenkilometer 52,610 den Personenkraftwagen mit dem amtlichen Kennzeichen XX gelenkt, und habe im dortigen Bereich ein Fahrzeug überholt, obwohl für ihn nicht einwandfrei erkennbar gewesen sei, ob er sein Fahrzeug nach dem Überholvorgang in den Verkehr wieder einordnen werde können, ohne andere Straßenbenützer zu gefährden oder zu behindern, da der Lenker des im Zuge des Überholmanövers entgegenkommenden Fahrzeuges zum Abbremsen gezwungen worden sei.

 

Er habe dadurch eine Verwaltungsübertretung nach § 16 Abs 1 lit c StVO begangen, weshalb über ihn gemäß § 99 Abs 3 lit a StVO eine Geldstrafe in der Höhe von S 2.500,--, Ersatzarreststrafe 36 Stunden, verhängt wurde.

 

In der rechtzeitig gegen dieses Straferkenntnis erhobenen Berufung wurde Folgendes ausgeführt:

 

1. Die Erstinstanz hat die beantragten Zeugeneinvernahmen ohne nähere Begründung nicht durchgeführt. Wären diese Zeugen befragt worden, so hätte sich ergeben,

 

a) dass zu Beginn des Überholmanövers aufgrund der gegebenen Sichtweiten keine Gefahr für andere Straßenbenützer erkennbar und daher aus dieser Sicht das gefahrlose Wiedereinordnen ohne weiteres möglich war und

 

b) dass auch tatsächlich keine Behinderung eines entgegenkommenden Fahrzeuges vorhanden war.

 

Infolge Nichtaufnahme der angebotenen verfahrensrelevanten Beweise (Zeugen) ist das angefochtene Straferkenntnis rechtswidrig.

 

2. Unabhängig davon liegen auch in rechtlicher Hinsicht die Voraussetzungen für eine Bestrafung nach § 16 Abs 1 lit c StVO nicht vor. Die Entscheidung über die Zulässigkeit des Überholmanövers aus der Sicht des § 16 Abs 1 lit c StVO setzt grundsätzlich die Feststellung jener Umstände voraus, die für die Länge der für den geplanten Überholvorgang benötigten Strecke von Bedeutung sind, das sind in erster Linie die Geschwindigkeiten des Überholenden und des zu überholenden Fahrzeuges, bei mehreren zu überholenden Fahrzeugen deren Anzahl und Tiefenabstand.

 

Ferner sind Feststellungen über die dem Lenker des überholenden Fahrzeuges zur Zeit des Beginnes des Überholvorganges zur Verfügung stehenden Sichtstrecke erforderlich. Schließlich sind noch Feststellungen über das Vorhandensein allfälliger bereits im Zeitpunkt des Beginnes des Überholmanövers dem Lenker erkennbare Hindernisse zu treffen, die unter Berücksichtigung der erforderlichen Überholstrecke einem gefahrlosen Wiedereinordnen in den Verkehr entgegenstehen können (VwGH 12.03.1986, 85/03/0152).

 

Aufgrund dieser Kriterien ist es unumgänglich, ein kfz-technisches Sachverständigengutachten zur Feststellung jener Umstände einzuholen, was die Bezirkshauptmannschaft Reutte ebenfalls ohne weitere Begründung unterlassen hat, was wiederum die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Straferkenntnisses zur Folge hat.

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat in Tirol hat erwogen:

 

Beim Unabhängigen Verwaltungssenat in Tirol behängen zwei Verwaltungsstrafverfahren, wovon eines gegen Herrn A.M. (Zahl 2001/12/022) und eines gegen Herrn M.S. (Zahl 2001/12/036 - das gegenständliche Verfahren -) eingeleitet worden ist. Da im Verwaltungsstrafverfahren gegen Herrn A.M. am 11.04.2001 eine mündliche Verhandlung durchgeführt worden ist, in der der Berufungswerber M.S. als Zeuge vernommen worden ist, werden die in diesem Verfahren gewonnenen Ergebnisse dem gegenständlichen Verwaltungsverfahrens zugrunde gelegt. Dies ist auch deshalb möglich, da beide Berufungswerber den Überholvorgang in einem Zuge hintereinander durchgeführt haben, wobei der Motorradfahrer A.M. hinter dem PKW-Fahrer M.S. nachgefahren ist. Der im Verfahren gegen Herrn A.M. beigezogene Amtssachverständige gab im gegenständlichen Verfahren an, dass das Gutachten im Akt 2001/12/022, erstellt in der mündlichen Verhandlung am 11.04.2001, zur Gänze und ohne Einschränkungen übernommen werden kann.

 

Aufgrund der Verantwortung des Berufungswerbers und der Aussagen der vernommenen Zeugen erstellte der Amtssachverständige Folgendes Gutachten:

 

Eine exakte mathematische Berechnung des Überholvorganges ist nicht möglich, da wesentlichen Prämissen fehlen. Die Aktenlage und die heutige Verhandlung ergaben eindeutig, dass der Überholbeginn nicht bekannt und exakt fixiert ist. Der Meldungsleger Abt.Insp. H. konnte nicht zweifelsfrei den Überholbeginn des Beschuldigtenfahrzeuges angeben. Er konnte zwar ausführen, dass bei km 52,6 und danach das Beschuldigtenfahrzeug in etwa auf gleicher Höhe des überholten Fahrzeuges war, ein Rückschluss auf den exakten Überholbeginn war jedoch nicht möglich. Weiters wurde in der Verhandlung und aufgrund der Aktenlage nicht geklärt, wie hoch die Geschwindigkeit des überholten Fahrzeuges war. Wenn man aber davon ausgeht, dass das überholte Fahrzeug eine Geschwindigkeit von 80 km/h gefahren ist, kann man von einem kompletten Überholweg von ca. 240 m ausgehen. Da aber der Meldungsleger den Überholvorgang nicht zur Gänze, sondern nur möglicherweise in seinem letzten Drittel beobachtet hatte, kann sachverständig davon ausgegangen werden, dass der Überholvorgang doch eine erhebliche Meteranzahl vor dem Sichtweitenende geendet hat. Das heißt also, es ist nicht bekannt, wann der Überholvorgang gestartet worden ist. Das heißt, es ist auch nicht bekannt, wieviel Überholsichtweite zu Beginn dem Überholer zur Verfügung gestanden hat. Auf der Handskizze ist ein Überholbeginn bei km 52,6 angegeben, das Überholende ist bei km 52,690 fixiert (korrigierter Wert aufgrund der Aussage des Abt.Insp. H.). Bei einer Geschwindigkeit von 80 km/h ist es mathematisch und auch praktisch unmöglich, einen anderen PKW gefahrlos zu überholen. Ein derartiger Überholvorgang würde eine Strecke von 240 m ausmachen. Die beigeschlossene Handskizze im Akt ist auch nach korrigiertem Wert sachlich und mathematisch unrichtig. Was der Inspektor richtigerweise gesehen hat, war der Überholvorgang selbst. Er hat ihn aber nur in seinem letzten Drittel beobachten können. Es ist auch nicht sichergestellt, wann der Überholvorgang exakt geendet hat. Eine Gefährdung bei diesem Überholvorgang ist mathematisch nicht nachvollziehbar. Ob ein entgegenkommendes Fahrzeug, das ca noch eine Reststrecke von 100 bis 150 m herankommt, muss noch keine Gefährdung des überholenden Fahrzeuges bedeuten. Eine Abbremsung an sich wäre noch keine Gefährdung.

 

Bei einer Geschwindigkeit von 80 km/h ist eine Überholsichtweite von ca 400 m notwendig. Dies wäre bei einer Geschwindigkeit des Gegenverkehrs von 100 km/h. Tatsächlich hat die Restsichtweite ca 150 m betragen. Das würde aber bedeuten, dass bei Auftauchen des Gegenverkehrs im ungünstigsten Moment eine massive Gefährdung des Überholers nicht eingetreten wäre. Geht man von einer Überholsichtweite von 350 m aus, so wäre der Überholvorgang nicht besonders gefährlich. Man muss aber feststellen, dass der Berufungswerber vor dem Beginn des Überholvorganges aufgrund seiner Überholsichtweite abschätzen konnte, dass auch bei einem Gegenverkehr mit 100 km/h der Überholvorgang als solches nicht gefährlich war. Das heißt also, dass der Berufungswerber erkennen konnte, dass er nach dem Überholvorgang sich wieder ordnungsgemäß einordnen hat können. Geht man davon aus, dass das entgegenkommende Fahrzeug ein PKW gewesen ist und dass der Beamte gesehen hat, wie dieses Fahrzeug abgebremst worden ist (Rücklicht), so kann das auch daraus resultieren, dass dieser entgegenkommende PKW unter Umständen viel zu schnell gefahren ist.

 

Weiters ist hervorzuheben, dass die Beobachtungsfülle (Messung des Berufungswerbers, Feststellen des Abbremsens des überholten PKWs und Feststellen des Abbremsens des entgegenkommenden PKWs, Feststellen des Abstandes des PKWs und des Motorradfahrers) unwahrscheinlich ist.

 

Der diensthabende Beamte hat den Berufungswerber auf eine Entfernung von 137 m mit einer Geschwindigkeit von 105 km/h gemessen. Diesen gesamten Vorgang hat er also in 5 Sekunden beobachten müssen. Nach 5 Sekunden waren alle beteiligten Fahrzeuge an ihm vorbei. Die Fülle von Tatbeständen in 5 Sekunden festzustellen, bedarf nicht nur einer sehr hohen Aufmerksamkeit, sondern es ist auch anzunehmen, dass Vorkommnisse falsch bewertet werden können.

 

Zusammenfassend kann also gesagt werden, dass man dem Berufungswerber nicht vorwerfen kann, dass für ihn nicht einwandfrei erkennbar war, ob er sein Fahrzeug nach dem Überholvorgang in den Verkehr wieder einordnen werde können, ohne dass er andere Straßenbenützer gefährdet oder behindert. Die Beobachtungen des Meldungslegers können nicht dazu dienen, den Schuldvorwurf im bekämpften Straferkenntnis aufrecht zu erhalten.

 

Auf die Fragen des Rechtsvertreters gebe ich Folgendes an:

Die Darstellungen des Überholvorganges durch die Zeugen und durch den Beschuldigten sind mathematisch nachvollziehbar und deuten auf einen ordnungsgemäßen Überholvorgang hin.

 

Gemäß § 16 Abs 1 lit c StVO darf der Lenker eines Fahrzeuges nicht überholen, wenn er nicht einwandfrei erkennen kann, dass er sein Fahrzeug nach dem Überholvorgang in den Verkehr einordnen kann, ohne andere Straßenbenützer zu gefährden oder zu behindern. In seiner Entscheidung vom 12.03.1986, 85/03/0192, führt der Verwaltungsgerichtshof dazu Folgendes aus:

 

Die Entscheidung über die Zulässigkeit des Überholmanövers aus der Sicht des § 16 Abs 1 lit c StVO setzt grundsätzlich die Feststellung jener Umstände voraus, die für die Länge der für den geplanten Überholvorgang benötigten Strecke von Bedeutung sind, das sind in erster Linie die Geschwindigkeiten des überholenden und des zu überholenden Fahrzeuges, bei mehreren zu überholenden Fahrzeugen deren Anzahl und Tiefenabstand. Ferner sind Feststellungen über die dem Lenker des überholenden Fahrzeuges zur Zeit des Beginnes des Überholvorganges zur Verfügung stehenden Sichtstrecke erforderlich. Schließlich sind noch Feststellungen über das Vorhandensein allfälliger bereits im Zeitpunkt des Beginnes des Überholmanövers dem Lenker erkennbarer Hindernisse zu treffen, die unter Berücksichtigung der erforderlichen Überholstrecke einem gefahrlosen Wiedereinordnen in den Verkehr entgegenstehen könnten.

 

Aus dem Gutachten ergibt sich, dass man dem Berufungswerber nicht vorwerfen kann, dass für ihn nicht einwandfrei erkennbar war, ob er sein Fahrzeug nach dem Überholvorgang in den Verkehr wieder einordnen werde können, ohne dass er andere Straßenbenützer gefährdet oder behindert. Die Beobachtungen des Meldungslegers können nicht dazu dienen, den Schuldvorwurf im bekämpften Straferkenntnis aufrecht zu erhalten. Die Darstellungen des Überholvorganges durch die Zeugen und durch den Beschuldigten sind mathematisch nachvollziehbar und deuten auf einen ordnungsgemäßen Überholvorgang hin.

Schlagworte
Länge, Überholvorgang, Amtssachverständiger
Quelle: Unabhängige Verwaltungssenate UVS, http://www.wien.gv.at/uvs/index.html
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