Der Unabhängige Verwaltungssenat in Tirol entscheidet durch sein Mitglied Dr. Alfred Stöbich über die Berufung des Herrn K., vertreten durch den Rechtsanwalt Dr. B., gegen das Straferkenntnis der Bundespolizeidirektion Innsbruck vom 22.05.2001, Zahl S 9096/00, nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung wie folgt:
Gemäß § 66 Abs4 AVG iVm §§ 24, 51, 51c und 51e VStG wird der Berufung teilweise Folge gegeben, als die verhängte Strafe von S 3.000,-- (EUR 218,02) auf S 1.500,-- (EUR 109,01) herabgesetzt wird.
Gemäß § 64 Abs1 VStG wird der Beitrag zu den Kosten des erstinstanzlichen Verwaltungsstrafverfahrens mit S 150,-- (EUR 10,90) neu bestimmt.
Der Spruch des angefochtenen Straferkenntnisses wird dahingehen berichtigt, als nach der Wortfolge ?obwohl Ihr Verhalten? die Wortfolge ?am Unfallort? eingefügt wird.
Mit dem angefochtenen Straferkenntnis wurde dem Berufungswerber angelastet, er habe am 30.10.2000 um 10:40 Uhr als Lenker des PKW mit dem Kennzeichen C. (D) in Innsbruck auf der Südbahnstraße vor dem Haus Salurner Straße 1 nicht sofort angehalten, obwohl sein Verhalten mit einem Verkehrsunfall mit Sachschaden in ursächlichem Zusammenhang gestanden sei.
Dadurch habe der Berufungswerber eine Verwaltungsübertretung nach § 4 Abs1 lita StVO begangen und wurde über ihn gemäß § 99 Abs3 litb StVO eine Geldstrafe von S 3.000,-- (EUR 218,02) verhängt sowie ein Verfahrenskostenbeitrag von S 300,-- (EUR 21,80) festgesetzt.
Dagegen erhob der Berufungswerber innerhalb offener Frist Berufung und führte begründend aus, es sei ihm nicht möglich gewesen, den Anstoß zu bemerken. Beim Fahrzeug des Berufungswerbers handle es sich um ein kompakt und massiv gebautes Fahrzeug der Marke Mercedes 320 E, und sei dieses Fahrzeug mit einem ?Distanzcontroller? ausgerüstet, welcher einwandfrei funktioniere, jedoch beim gegenständlichen Vorfall nicht ?angeschlagen? habe. Er habe sich auf die Sensoren völlig verlassen können.
Aus den vorliegenden Lichtbildern gehe ebenso eindeutig hervor, dass der Berufungswerber die Berührung mit dem Gegenfahrzeug nicht bemerkt habe, sei doch bei seinem Fahrzeug lediglich eine kaum sichtbare Beschädigung, nämlich eine ca 10,4 cm große Staubspur, erkennbar gewesen. Daraus ergebe sich, dass die Aufbaugeschwindigkeit (gemeint wohl: Anprallgeschwindigkeit) so gering gewesen sei, dass es durchaus auch technisch möglich sei, den Zusammenstoß nicht zu bemerken. Insofern könne es auch technisch möglich sein, dass überhaupt keine Berührung stattgefunden habe. Aus dem Schreiben des Gendarmeriepostens Neustift vom 30.10.2000 ergebe sich nicht eindeutig, ob tatsächlich eine Berührung zwischen den beiden Fahrzeugen stattgefunden habe. Aus dem Erhebungsbericht der Gendarmerie ergebe sich, dass am Fahrzeug des Berufungswerbers weder Kratzer noch irgendwelche Schleifspuren ersichtlich gewesen seien. Mit der angeblichen Beschädigung am Fahrzeug des Herrn P. habe sich die Erstbehörde hingegen nicht ausreichend auseinandergesetzt. Auch das angebliche Hupen sei vom Berufungswerber nicht gehört worden. Im Zweifel müsse daher davon ausgegangen werden, dass eben nicht gehupt worden sei. Das Verfahren sei insofern mangelhaft geblieben, als die Behörde I. Instanz nicht ein entsprechendes Sachverständigengutachten ?aus dem technischen Wesen? eingeholt habe. Schließlich habe sich der Berufungswerber, nachdem er von dritter Seite vom ?Mißgeschick? gehört habe, sich umgehend selbst bei der Gendarmerie gemeldet und sei dadurch seiner Anhaltepflicht nachgekommen. Zu diesem Zeitpunkt habe er nicht gewußt, mit welchem Fahrzeug er Berührung gehabt habe. Durch sein Verhalten habe er dem Gesetz jedenfalls vollständig Genüge getan.
Deshalb sei auch die über den Berufungswerber verhängte Strafe völlig überhöht.
Beweis wurde aufgenommen in der mündlichen Verhandlung vom 02.10.2001 durch die zeugenschaftliche Einvernahme der Frau N. sowie des Herrn M.. Ebenso galt der erstinstanzliche Akt als verlesen. Der Berufungswerber ließ sich bei dieser Verhandlung durch seinen Rechtsfreund vertreten. Aufgrund der vorliegenden Beweisergebnisse konnte von einer ausreichenden Klärung des relevanten Sachverhaltes ausgegangen werden.
Der Berufung kommt teilweise Berechtigung zu.
Für die gegenständliche Entscheidung lässt sich folgender Sachverhalt als erwiesen feststellen:
Am 30.10.2000 um ca. 10:40 Uhr lenkte der Berufungswerber mit geringfügiger Geschwindigkeit den PKW der Marke Mercedes 320 E mit dem Kennzeichen C. (D) von einem Parkplatz auf der Südbahnstraße vor dem Haus Salurner Straße 1, 6020 Innsbruck, nachdem ein in Richtung Süden im Fließverkehr fahrendes weißes Geländefahrzeug das Ausparken ermöglichend angehalten hatte, rückwärts auf die Fahrbahn, in der Absicht, nach dem Ausparkmanöver die Fahrt in Richtung Süden fortzusetzen. Dabei kollidierte das Fahrzeug des Berufungswerbers im Bereich der linken hinteren Stoßstangenecke mit der Fahrertüre des Fahrzeuges der Unfallbeteiligten N., welche ihr Fahrzeug auf der gegenüberliegenden Fahrbahnhälfte in Richtung Norden aufgrund der Ampelregelung hinter zwei weiteren Fahrzeugen anhalten mußte. Als diese den Ausparkvorgang des Berufungswerbers bemerkte, machte sie eine Handbewegung, welche dem Berufungswerber aufgrund des begrenzten Platzangebotes sinngemäß die Frage zum Ausdruck bringen sollte, was denn dieses Fahrmanöver bedeute. Ein Blickkontakt zwischen den Unfallbeteiligten kam nicht zustande. Ein Hupsignal erteilte die Beteiligte P.
frühestens zum Zeitpunkt des Zusammenstoßes. Ob auch vom weißen Geländefahrzeug ein Hupsignal ausging, ist nicht mit ausreichender Sicherheit feststellbar. Hinter dem Fahrzeug der Unfallbeteiligten P. stand Herr H. mit seinem Fahrzeug und beobachtete den Unfallhergang. Durch den Zusammenstoß bewegte sich das unfallbeteiligte Fahrzeug der Frau P. sichtbar. An diesem Fahrzeug, Marke Fiat Uno mit dem amtlichen Kennzeichen I. (A), kam es aufgrund des Zusammenstoßes zu einer leichten, mit der Hand greifbaren Eindellung im Bereich der Fahrertüre. An der Stoßstange des Fahrzeuges des Berufungswerbers war lediglich eine 10,4 cm große Spur in der ansonsten das Fahrzeug bedeckenden Staubschicht feststellbar. Unfallursächliche Material- oder Abreibspuren waren nicht ersichtlich. Das Fahrzeug des Berufungswerbers war mit einem Distanzkontroll-System im hinteren Stoßstangenbereich ausgestattet, welches je nach Distanz zu einem vorhandenen Hindernis dem Lenker ein akustisches Signal vermittelt. Hinsichtlich der tatsächlichen Funktionstüchtigkeit des Sensorensystems zum Zeitpunkt des Zusammenstoßes lassen sich keine Feststellungen treffen.
Nach der Kollision setzte der Berufungswerber seine Fahrt ohne Unterbrechung in Richtung Süden fort. Etwa 500 Meter weiter mußte der Berufungswerber bei einer Ampel anzuhalten und wurde während dieser Zeit vom Lenker des weißen Geländefahrzeuges auf den Zusammenstoß aufmerksam gemacht. In der Folge erstattete der Berufungswerber beim Gendarmerieposten Neustift i.St. gegen 11:15 Uhr Selbstanzeige.
Die Feststellungen gründen sich im Wesentlichen auf die Angaben im Akt , sowie auf die Angaben der Unfallbeteiligten K. und N. als auch des Zeugen M.. Insbesondere ist als erwiesen anzusehen, dass es gegenständlich tatsächlich zu einer Kollision gekommen ist. Nicht widerspruchsfrei waren die Angaben über den jeweiligen Zeitpunkt der Hupsignale, insbesondere spricht die Handbewegung der Unfallbeteiligten P. gegen ein Hupen ihrerseits schon vor dem Zusammenstoß. Hingegen ist als erwiesen anzusehen, dass zumindest ab dem Zeitpunkt des Zusammenstoßes wahrnehmbare Hupsignale erteilt wurden. Dies ergibt sich aus den übereinstimmenden zeugenschaftlichen Aussagen der Frau P. als auch des Herrn H.. Insofern konnte aber den Angaben des Berufungswerbers, wonach es zu keinem Hupsignal gekommen sei, nicht gefolgt werden. Der Umfang der Unfallschäden ist eindeutig aus dem sich im Akt befindlichen Bildmaterial ersichtlich. Aufgrund der vorliegenden Beweisergebnisse ergab sich eine ausreichende Klärung des entscheidungswesentlichen Sachverhaltes und war insofern insbesondere die Aufnahme eines Sachverständigengutachtens entbehrlich. Unwesentlich ist die Beantwortung der Frage, ob der Berufungswerber den Zusammenstoß in seinem Fahrzeug etwa aufgrund eines Berührungsruckes tatsächlich bemerken konnte bzw. ob das Distanzkontroll-System tatsächlich funktionierte.
Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist nämlich Voraussetzung für die im § 4 Abs1 lita StVO normierte Anhaltepflicht als objektives Tatbestandsmerkmal der Eintritt wenigstens eines Sachschadens und in subjektiver Hinsicht das Wissen oder fahrlässige Nichtwissen vom Eintritt eines derartigen Schadens, wobei der Tatbestand schon dann gegeben ist, wenn dem Täter objektive Umstände wie etwa ein Anstoßgeräusch oder eine ruckartige Anstoßerschütterung bei gehöriger Aufmerksamkeit zu Bewusstsein hätten kommen müssen, aus denen er die Möglichkeit eines Verkehrsunfalles mit wenigstens einer Sachbeschädigung zu erkennen vermocht hätte (vgl ua das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 22. November 1983, Zl 82/03/0166). Es reicht sohin die Schuldform der Fahrlässigkeit aus.
Im konkreten Fall mußte dem Beschwerdeführer grundsätzlich bewußt sein, daß ein Ausparkmanöver mit einem Pkw von einem Parkplatz neben der Fahrbahn im Retourgang zwecks Eingliederung in den fließenden Verkehr zweifellos ein riskantes Fahrmanöver darstellt, bei welchem die dringende Gefahr besteht, dass es zu einer Kollision mit auf der Fahrbahn befindlichen Fahrzeugen kommen kann.
Bei gehöriger Aufmerksamkeit hätten dem Berufungswerber die Hupsignale unmittelbar vor dem Weiterfahren nach dem Ausparkvorgang als objektive Umstände im obigen Sinn, aus welchen eine erfolgte Sachbeschädigung auch zu erkennen gewesen wäre, zu Bewußtsein kommen müssen.
Sollte sich der Berufungswerber allein auf das ?Anschlagen? des eingebauten Sensors verlassen haben, wäre ihm dies - selbst bei Funktionstüchtigkeit des Sensorensystems - als nicht gehörige Aufmerksamkeit anzulasten. Allein durch das Vorhandensein eines Distanzkontroll-Systems wird der Lenker eines Fahrzeuges nicht von seiner Verpflichtung befreit, bei rückseitigem Ausparken den Verkehrsraum hinter dem Fahrzeug ausreichend zu beobachten.
Umso mehr muß dies gelten, wenn das Sensorensystem, wie der Berufungswerber behauptet, nicht angeschlagen hat. Wenn der Berufungswerber in seinen Ausführungen den Ausdruck ?anschlagen? verwendet, kann dies auch unter Berücksichtigung der Angaben des Berufungswerbers, er hätte das Distanzkontroll-System über der Hutablage visuell beobachtet, nur so verstanden werden, dass dem Lenker durch das Distanzkontroll-System ein akustisches und visuelles Signal vermittelt wird, wie dies auch üblich ist.
Es ist amtsbekannt, dass ein Distanzkontroll-System nicht erst unmittelbar vor einer Berührung mit einem Hindernis ein Signal gibt, sondern dem Lenker die jeweilige Distanz durch mit Pausen unterbrochenen Signaltöne vermittelt wird, wobei die Dauer der Pausen jeweils vom Abstand zum Hindernis abhängig ist. Dabei gilt, je geringer der Abstand, desto kürzer die Pausen zwischen den Signalzeichen. Erst bei unmittelbar bevorstehender Kontaktmöglichkeit mit einem Hindernis im Abstand weniger Zentimeter hinter dem Fahrzeug geht der mit Pausen unterbrochene akustische Signalton in ein ununterbrochenes Signalzeichen über.
Der Berufungswerber hätte auch den Bereich hinter seinem Fahrzeug und somit den Abstand zum unfallbeteiligten Fahrzeug durch visuelle Beobachtung überprüfen müssen. Diesfalls hätte er aber auch erkennen müssen, dass das Distanzkontroll-System aufgrund der Annäherung zum unfallbeteiligten Fahrzeug bereits vor dem Anprall ?anschlagen? hätte müssen. Insofern hätte der Berufungswerber erkennen müssen, dass er sich nicht auf das Funktionieren des Sensorensystems und diesbezüglich auf ein ausreichendes Platzangebot hinter seinem Fahrzeug verlassen konnte.
Der Beschwerdeführer wäre also aufgrund der gegebenen Situation verpflichtet gewesen, das Geschehen - insbesondere durch Beobachten des Verkehrsraumes hinter seinem Fahrzeug - sorgfältig zu beobachten und hätte zumindest die akute Gefahr einer Kollision mit dem Fahrzeug der unfallbeteiligten Frau P. zu erkennen vermocht.
Wie bereits ausgeführt, ist das subjektive Tatbestandselement der Wissens oder des fahrlässigen Nichtwissen vom Eintritt eines Schadens dann gegeben, wenn dem Täter objektive Umstände bei gehöriger Aufmerksamkeit zu Bewußtsein hätten kommen müssen, aus denen er die Möglichkeit eines Verkehrsunfalles mit wenigstens einer Sachbeschädigung zu erkennen vermocht hätte. Diese Umstände sind im konkreten Fall gegeben. Die Möglichkeit eines Verkehrsunfalles hätte der Berufungswerber selbst dann erkennen müssen, wenn der eigentlichen Anstoß für den Berufungswerber nicht hörbar oder spürbar war, musste der Berufungswerber doch die kurze Distanz zum unfallbeteiligten Fahrzeug ebenso wie die mehrfachen Hupsignale wahrnehmen. Es kommt auch nicht darauf an, ob diese Hupsignale vom Fahrzeug der Unfallbeteiligten oder vom weißen Geländefahrzeug ausgingen. Der Berufungswerber hätte sich im konkreten Fall aufgrund der objektiven Umstände vor dem Weiterfahren dahingehend vergewissern müssen, dass mit dem gegenständlichen Ausparken nicht ein Verkehrsunfall zumindest mit Sachschaden in ursächlichem Zusammenhang gestanden hat. Dass er dies aber unterlassen hat, ist ihm als fahrlässiges Verschulden anzulasten.
Dass es zu einem Anprall und einer Beschädigung des von Frau N. gelenkten Fahrzeuges gekommen ist, ist durch die Aussagen der Zeugen P. und H. in Verbindung mit den Lichtbildern, welche vom Verkehrsunfallkommando angefertigt wurden, hinreichend dokumentiert. Dazu bedurfte es nicht der Aufnahme weiterer Beweise. Ob der Berufungswerber positive Kenntnis vom Eintritt einer Beschädigung hatte, ist nicht entscheidend und war daher auch die Einholung eines kfztechnischen Sachverständigengutachtens entbehrlich.
Zur Strafbemessung:
Gemäß § 19 Abs1 VStG ist Grundlage für die Bemessung der Strafe stets das Ausmaß der mit der Tat verbundenen Schädigung oder Gefährdung derjenigen Interessen, deren Schutz die Strafdrohung dient, und der Umstand, inwieweit die Tat sonst nachteilige Folgen nach sich gezogen hat. Gemäß Abs2 legcit sind überdies im ordentlichen Verfahren die nach dem Zweck der Strafdrohung in Betracht kommenden Erschwerungs- und Milderungsgründe, soweit sie nicht schon die Strafdrohung bestimmen, gegeneinander abzuwägen. Auf das Ausmaß des Verschuldens ist besonders Bedacht zu nehmen. Unter Berücksichtigung der Eigenart des Verwaltungsstrafrechtes sind die §§ 32 bis 35 des Strafgesetzbuches sinngemäß anzuwenden. Des weiteren sind die Einkommens-, Vermögens- und Familienverhältnisse des Beschuldigten bei der Bemessung von Geldstrafen zu berücksichtigen.
Als Verschuldensgrad war Fahrlässigkeit anzunehmen. Dem Beschwerdeführer war zugute zu halten, dass er von sich aus, wenngleich verspätet, am Gendarmerieposten Neustift eine Unfallmeldung erstattet hat. Mildernd war die bisherige Unbescholtenheit des Berufungswerbers, erschwerend nichts zu werten. Unter Zugrundelegung durchschnittlicher Einkommens-, Vermögens- und Familienverhältnisse des Berufungswerbers konnte somit die Geldstrafe auf S 1.500,-- herabgesetzt werden.
Es war daher wie im Spruch ausgeführt zu entscheiden.