TE UVS Tirol 2002/01/22 2001/16/123-4

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Veröffentlicht am 22.01.2002
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Spruch

Der Unabhängige Verwaltungssenat in Tirol entscheidet durch sein Mitglied Dr. Christoph Lehne über die Berufung des Herrn A. H., Imst, vertreten durch Rechtsanwälte Dr. Walter L., Dr. Wilfried L., Landeck, gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Imst vom 10.09.2001, Zahl VK-476-2001, nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung am 22.01.2002, wie folgt:

 

Gemäß § 66 Abs 4 AVG iVm §§ 24, 51, 51c und 51e VStG wird der Berufung Folge gegeben, das Straferkenntnis behoben und das Verwaltungsstrafverfahren gemäß § 45 Abs 1 Z 1 VStG eingestellt.

Text

Mit dem angefochtenen Straferkenntnis wurde dem Berufungswerber zur Last gelegt, er habe am 02.06.2001, um 02.45 Uhr, den dem Kennzeichen nach bestimmten PKW auf der Brennbichler Straße, vom Parkplatz des Lokales ?Time? kommend in Richtung Stadtgebiet, Strkm 0,700 gelenkt, obwohl er sich in einem durch Alkohol (0,47 mg/l Atemalkoholgehalt) beeinträchtigten Zustand befunden habe. Wegen einer Verwaltungsübertretung nach § 5 Abs 1 StVO wurde über ihn eine Geldstrafe von 726,73 Euro (10.000,-- S), Ersatzarrest von 10 Tagen verhängt. Die Verfahrenskosten wurden mit 72,67 Euro (1.000,-- S) bestimmt. In der dagegen fristgerecht erhobenen Berufung wurde auf die erhebliche Differenz zwischen den beiden Messungen hingewiesen und als solches schon das Ergebnis als nicht verwertbar angesehen. Weiters wurde vorgebracht, dass das Haftmittel ?Fitty-Dent? kurz vor Verlassen des Lokales Time eingenommen worden wäre und zu einer Verfälschung des Atemluftalkoholgehaltes geführt habe. Das Gutachten des amtsärztlichen Sachverständigen der Bezirkshauptmannschaft Imst zu dieser Frage sei nicht richtig und widerspreche auch der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungssenates. Im Zuge des Berufungsverfahrens wurde zunächst ein schriftliches Gutachten des gerichtsmedizinisch ausgebildeten Amtssachverständigen des Amtes der Tiroler Landesregierung eingeholt. Dieser Amtssachverständige hat den Berufungswerber persönlich untersucht, insbesondere die Anzahl der Prothesen des Berufungswerbers. Er hat auf Grund dieser Untersuchung und des Akteninhaltes folgendes Gutachten erstattet:

 

?Von den in Österreich frei erhältlichen

5 Zahnprothesenhaftmitteln enthalten zwei Ethylalkohol, eines von diesen ist das Produkt mit dem Handelsnamen ?Fitty-Dent?, welches als Haftkleber beschrieben ist. Zur Frage der Verfälschung von Alkomat-Ergebnissen durch Zahnprothesenhaftmittel wurde von einer Arbeitsgruppe aus Innsbruck in der Zeitschrift Rechtsmedizin, Organ der Deutschen Gesellschaft für Rechtsmedizin, Band 6 Heft 1 1995, publiziert und die Ergebnisse einer diesbezüglichen Versuchsreihe vorgestellt.

 

Die Anwendung dieses gegenständlichen Prothesenhaftklebers führte im experimentellen Ansatz unter Verwendung optimal angepasster Total- und Teilprothesensimulatoren bei alkoholnüchternen Personen zu fiktiven Atemalkoholkonzentrationen bei Messungen mittels Alkomat, Äthanol konnte bis über eine Stunde nach Anwendung des Haftmittels in der Atemluft nachgewiesen werden.

Einzelmessungen ergaben Werte über 0,6 mg/l, die wegen hoher Probendifferenz bei der in Österreich vorgeschriebenen Doppelmessung nicht verwertbar waren. Verwertbare Messungen, also Doppelmessungen, ergaben Anzeigen bis zu 0,22 mg/l. Durch Prothesenlockerungen konnten deutlichen Anstiege der Ethanolkonzentrationen in der Atemluft produziert werden, die bis über eine Stunde nach Anwendung des Präparates anhielten. In der Praxis muss daher bei der Verwendung ethanolhaltiger Zahnprothesenhaftmittel mit einer relevanten Verfälschung der mittels Alkomat gemessenen Atemluftalkoholkonzentrationswerte gerechnet werden.

 

Feststeht somit, dass eine Verfälschung des Atemluftalkoholgehaltes durch Prothesenhaftmittel jedenfalls dann nicht auszuschließen ist, wenn dieses Prothesenhaftmittel tatsächlich angewendet und auch in breitflächiger Ausdehnung aufgetragen wird, wie das dann notwendig ist, wenn der Prothesensitz nicht optimal ist. Nach dem eigenen Untersuchungsbefund des Alois H. vom 27.11.2001 ist festzuhalten, dass Herr H. tatsächlich Träger einer Oberkiefervollprothese ist, bei welcher im Falle der Notwendigkeit Prothesenhaftmittel breitflächig aufgetragen werden muss. Zusätzlich trägt Herr H. im Unterkiefer eine Zahnspange mit zwei Kunstzähnen, womit der erste Schneidezahn links unten und der 7. Zahn rechts unten ersetzt werden. Diese Zahnspange benötigt keinerlei Prothesenhaftmittel. Im amtsärztlichen Gutachten vom 23.08.2001 wurde offensichtlich davon ausgegangen, dass lediglich diese Zahnspange im Sinne einer Teilprothese von Herrn H. getragen wird. In diesem Falle würden jene Ausführungen, wie sie Eingangs zur Frage der Verfälschung von Alkomatmessergebnissen gemacht wurden, nicht zutreffen.

 

Auffällig ist im gegenständlichen Falle, dass Alois H. insgesamt 11 Blasversuche mit Alkotest durchführte, wobei allerdings die einzelnen Messergebnisse, außer den zwei als gültig erkannten, im Akt nicht aufscheinen. Es ist daher so nicht zu entscheiden, aus welchen Gründen die übrigen neun Blasversuche zu keinem Messergebnis oder zu keinem wertbaren Messergebnis führten. Möglich ist wohl, dass zu große Probendifferenzen die Ursache der Nichtverwertbarkeit der Messergebnisse waren. Auch die zwei ausgeworfenen Messergebnisse von 03.04 Uhr mit 0,52 mg/l und 03.13 Uhr mit 0,47 mg/l weisen eine Differenz im Grenzbereich auf, wobei noch dazu beachtet werden muss, dass die Zeitdistanz zwischen beiden Messungen nahezu 10 Minuten beträgt, in welcher auf Grund der bekannten Bedingungen der Alkoholkinetik vergleichbare Messwerte überhaupt nicht mehr erwartet werden könnten. Der Schluss liegt somit nahe, dass zu große Probendifferenzen in den Messergebnissen die Ursache dafür waren, dass diese verwertbaren Doppelmessergebnisse erzielt werden konnten. Dies würde natürlich die Verantwortung des Alois H. sehr stützen, kurz vor dem inkriminierten Ereignis das Prothesenhaftmittel der Marke ?Fitty-Dent? angewendet zu haben.

 

Die Frage, inwieweit die Anwendung des gegenständlichen Prothesenhaftklebers die Alkomatmesswerte verfälschen kann, ist nicht zu beantworten, da im Einzelfall vielfältige verschiedene Faktoren dafür ausschlaggebend sind, angefangen von der Menge des verwendeten Mittels, vom Prothesensitz, von der Intensität der Lockerungsmöglichkeit und natürlich auch vom zusätzlichen Alkoholgenuss. Die Ausführungen in der oben zitierten experimentellen Arbeit zur Frage der Beeinflussbarkeit von Alkomatmesswerten, bei welcher verwertbare Messergebnisse bei alkoholnüchternen Personen bis zu 0,22 mg/l erzielt wurden, heißt nicht, dass ein erzieltes Alkomatmessergebnis einfach um diesen Wert zu reduzieren sei und dann den effektiven Alkoholgehalt aus der Lungenluft zu erfassen, sondern zeigt, dass ganz erhebliche Verfälschungsmöglichkeiten unquantifizierbarer Art durch ethanolhaltige Produkte möglich sind und daher ein unter diesen Bedingungen erzielter Alkomatmesswert gutachterlich keine Aussagekraft haben kann. Es verbleibt letztlich als Frage der Beweiswürdigung, ob davon ausgegangen wird, dass Alois H. das Prothesenhaftmittel verwendet hat oder nicht; von der Klärung dieser Vorfrage wird es abhängen, ob die dokumentierten Messwerte letztlich verwertbar sind oder nicht.

 

In Beachtung obiger Ausführungen kann natürlich von hier aus den Ausführungen in der gutachterlichen Stellungnahme des Amtsarztes vom 23.08.2001 nicht beigetreten werden.

 

Nach der bisherigen Trinkverantwortung hat Alois H. im Zeitraum 01.06.2001 21.00 Uhr bis 02.06.2001 02.30 Uhr insgesamt drei kleine Bier getrunken bei einem Körpergewicht von 95 kg. Mit dem in drei kleinen Bieren enthaltenen Alkohol konnte Alois H. bei Berücksichtigung eines mäßigen Resorptionsverlustes bei diesem Körpergewicht einen theoretischen Blutalkoholgehalt von 0,43 Promille anresorbieren. Bei Berücksichtigung von Alkoholabbau und Alkoholausscheidung ab Trinkbeginn wäre das Blut zum Zeitpunkt der Anhaltung alkoholfrei gewesen, wenn davon ausgegangen wird, dass diese drei kleinen Bier gleichmäßig über den genannten Zeitraum verteilt konsumiert worden sind.

 

Zusammenfassend ist das Prothesenhaftmittel ?Fitty-Dent? auch bei Einhaltung der Wartefrist von mehr als 15 Minuten grundsätzlich geeignet, den Messwert einer Alkomatmessung zu verfälschen. Der Verfälschungsgrad ist rechnerisch nicht zu quantifizieren. Der Berufungswerber trägt im Unterkiefer eine Zahnspange mit zwei Ersatzzähnen, im Oberkiefer jedoch eine Vollprothese. Nach der angeführten mengenmäßigen und zeitlichen Trinkverantwortung wäre das Blut des Berufungswerbers zum Zeitpunkt der Anhaltung praktisch alkoholfrei gewesen.?

 

Im Zuge des Berufungsverfahrens wurde auch noch der Meldungsleger einvernommen sowie der Berufungswerber. Auf Grund des Ermittlungsverfahrens kann nicht mit der erforderlichen Sicherheit ausgeschlossen werden, dass der Berufungswerber das Prothesenhaftmittel ?Fitty-Dent? um ca. 02.30 Uhr genommen hat. Die Einnahme dieses Mittels führt zu einer gänzlichen Verfälschung des Messwertes der Alkomatmessung. Es wird auf die gleichartige Entscheidung des Verwaltungssenates im Verfahren UVS-1998/6/23-7 vom 01.06.1999 verwiesen. Auf Grund des Gutachtens und der Ergebnisse der Berufungsverhandlung war das Verwaltungsstrafverfahren einzustellen.

Schlagworte
Fitty-Dent, Prothesenhaftklebers, fiktiven, Atemalkoholkonzentrationen, Verfälschung, Atemluftalkoholkonzentrationswerte
Quelle: Unabhängige Verwaltungssenate UVS, http://www.wien.gv.at/uvs/index.html
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