Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Salzburg erlässt durch das Einzelmitglied Mag. Thomas Thaller über die Berufung von Frau E in F, vertreten durch Rechtsanwalt Mag. K in S, gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft St. Johann/Pg. vom 29.10.2001, Zahl 30406/369-2361-2001, folgendes Erkenntnis:
Gemäß § 66 Abs 4 AVG iVm § 24 VStG wird der Berufung Folge gegeben und das angefochtene Straferkenntnis einschließlich des Kostenausspruches aufgehoben. Das Verwaltungsstrafverfahren wird gemäß § 45 Abs 1 Z 3 VStG eingestellt.
Begründung:
Mit dem angefochtenen Straferkenntnis wird der Beschuldigten vorgeworfen, sie habe am 15.2.2001 gegen 17.30 Uhr den PKW mit dem Kennzeichen S bei Wagrain, auf der B163 Wagrainer Bundesstraße in Fahrtrichtung Flachau gelenkt und habe dabei ca. 1 km nach dem Ortsende von Wagrain
1.
in einer unübersichtlichen Rechtskurve und
2.
trotz Gegenverkehr, obwohl andere Straßenbenützer, insbesondere entgegenkommende dabei behindert oder gefährdet wurden, ein mehrspuriges Kraftfahrzeug überholt.
Die Beschuldigte habe dadurch nachstehende Übertretungen begangen und wurden folgende Strafen über sie verhängt:
zu 1.:
Übertretung nach § 16 Abs 2 lit b Straßenverkehrsordnung
Geldstrafe gemäß § 99 Abs 3 lit a Straßenverkehrsordnung in Höhe
von S 2.000,--
(Ersatzfreiheitsstrafe: 48 Stunden)
zu 2.:
Übertretung gemäß § 16 Abs 1 lit a Straßenverkehrsordnung
Geldstrafe gemäß § 99 Abs 3 lit a Straßenverkehrsordnung in Höhe
von S 2.000,--
(Ersatzfreiheitsstrafe: 48 Stunden)
Gegen dieses Straferkenntnis hat die Beschuldigte fristgerecht eine Berufung eingebracht. Sie führt darin an, dass sie sich keiner Schuld bewusst sei und sich an eine solche Gefahrensituation, wie er Zeuge beschreibt, nicht erinnern könne. Weiters möchte sie mitteilen, dass sie seit über 25 Jahren kein Verkehrsdelikt begangen habe und sich immer an die Straßenverkehrsordnung bzw. Geschwindigkeitsbeschränkungen halte.
Am 22.1.2002 fand in der Sache eine öffentliche mündliche Berufungsverhandlung statt, in der der Privatanzeiger Herr Mag. F als Zeuge einvernommen wurde.
Der Zeuge Mag. F gab an, damals gerade auf der Wagrainer Bundesstraße von St. Johann/Pg. kommend Richtung Flachau gefahren zu sein. Es sei damals schon dämmrig gewesen. Es habe damals reger Verkehr geherrscht. Ca. 1 km nach Ortsende von Wagrain sei er selbst von einem grauen Ford überholt worden. Das Fahrzeug habe sich unmittelbar vor seinem Fahrzeug eingereiht, davor sei ein Kastenwagen gefahren. Sie seien dann etwa noch eine halbe Minute mit ca. 70 bis 80 km/h Geschwindigkeit gefahren und habe der Ford dann nach links ca. 1 m über die Fahrbahnmitte auf den Gegenfahrstreifen gewechselt. Er habe angenommen, dass er den Kastenwagen überholen wollte. In diesem Bereich habe sich eine langgezogene Rechtskurve befunden und habe man auch auf Grund des vor ihnen fahrenden Kastenwagens keine Sicht auf den Gegenverkehr gehabt. Er habe dann wahrgenommen, wie ein Fahrzeug entgegen gekommen sei und dieses auf das Straßenbankett ausgewichen sei. Der vor ihm fahrende Ford sei dann sofort wieder hinter dem Kastenwagen auf dem rechten Fahrstreifen eingeschwenkt. Er habe diese Situation als höchst gefährlich empfunden und habe er in weiterer Folge das Kennzeichen notiert. Sie seien dann noch eine Zeit lang gefahren und habe dann der Ford schlussendlich den vor ihm fahrenden Kastenwagen überholt. Bei diesem Überholvorgang sei ihm nichts gefährliches aufgefallen.
Der im Berufungsverfahren von der Beschuldigten beigezogene Rechtsvertreter monierte die Tatortangabe ?1 km nach Ortsende von Wagrain? als unzutreffend und somit nicht ausreichend konkretisiert und brachte vor, dass die Beschuldigte beim angezeigten Vorgang nicht überholt habe, sondern sich nur Sicht zum Überholen verschaffen habe wollen.
Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Salzburg stellt hiezu gemäß § 51c VStG durch ein Einzelmitglied fest:
Im vorliegenden Fall wurde der Beschuldigten vorgeworfen, zur näher angeführten Tatzeit auf der B 163 Wagrainer Bundesstraße Fahrtrichtung Flachau ca. 1 km nach Ortsende von Wagrain ein mehrspuriges Kraftfahrzeug in einer unübersichtlichen Rechtskurve und trotz Gegenverkehr überholt zu haben. Sie stützt sich dabei auf die Privatanzeige des Herrn Mag. F Das durchgeführte Ermittlungsverfahren (die zeugenschaftliche Einvernahme von Herrn Mag. F) ergab allerdings, dass sich das angezeigte Fahrmanöver tatsächlich über einen halben Kilometer weiter ereignet habe muss und dass dabei noch kein Fahrzeug überholt worden ist. Nach Angabe des Zeugen habe das Fahrzeug der Beschuldigten sich etwa 1 m über die Fahrbahnmitte auf den Gegenfahrstreifen begeben und sei dann, als dort ein Fahrzeug entgegen kam, sofort wieder auf den rechten Fahrstreifen zurückgewechselt.
Ein Überholvorgang im Sinne des § 2 Z 29 StVO beginnt, wenn der Überholer seinen Fahrstreifen verlässt und sich mit höherer Geschwindigkeit als der zu Überholende dessen Höhe nähert. Der Wechsel eines Fahrstreifens zum Zweck des Überholens ist bereits ein Überholversuch, hingegen gilt das Ausschwenken mit dem Fahrzeug nach links über die Fahrbahnmitte in der Absicht, einen Überblick über die Überholmöglichkeiten zu gewinnen, noch nicht als überholen (Dittrich - Stolzlechner, Straßenverkehrsordnung I, Randzahl 70 zu § 2 StVO).
Auf Grund der vorliegenden Aussage des Anzeigers kann im gegebenen Fall - unbeschadet der zusätzlich hervorgekommenen Tatortdiskrepanz - nicht mit ausreichender Sicherheit angenommen werden, ob es sich bei dem von ihm festgehaltenen Fahrmanöver der Beschuldigten bereits um den Beginn des Überholvorganges oder - wie der Beschuldigtenvertreter in der Berufungsverhandlung vorbrachte - nur um ein Ausschwenken mit dem Fahrzeug nach links über die Fahrbahnmitte in der Absicht, einen Überblick über die Überholmöglichkeiten zu gewinnen, gehandelt hat. Dies vor allem deshalb da nach Angabe des Zeugen das Fahrzeug der Beschuldigten nur zum Teil (1 m) nach links über die Fahrbahnmitte ragte und dann sofort wieder auf den rechten Fahrstreifen einschwenkte. Es musst daher im Zweifel für die Beschuldigte angenommen werden, dass es sich bei dem Ausschwenken noch nicht um ein ?Überholen? im Sinne des § 2 Z 29 iVm § 16 StVO gehandelt hat. Insofern scheidet eine Bestrafung wegen Übertretungen der §§ 16 Abs 1 lit a bzw. 16 Abs 1 lit b StVO schon aus diesem Grunde aus. Es wäre hinsichtlich des vom Zeugen geschilderten Fahrverhaltens der Beschuldigten allenfalls eine Übertretung des § 11 Abs 1 StVO (Wechsel des Fahrstreifen, ohne sich davon überzeugt zu haben, dass dies ohne Gefährdung oder Behinderung anderer Straßenbenützer möglich ist) zu prüfen gewesen, zumal nach ständiger Judikatur ein Wechsel des Fahrstreifens immer dann vorliegt, wenn ein Fahrzeug auf einer Straße seine Bewegung so ändert, dass es dadurch ganz oder auch teilweise auf einen anderen Fahrstreifen gerät (siehe Dittrich - Stolzlechner, Straßenverkehrsordnung I, Randzahl 12 zu § 11 StVO). Eine solche Übertretung wurde der Beschuldigten aber nicht vorgeworfen, sodass das Straferkenntnis zu beheben und das Verwaltungsstrafverfahren wegen eingetretener Verfolgungsverjährung einzustellen war.