TE UVS Niederösterreich 2002/08/06 Senat-BL-01-0071

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Veröffentlicht am 06.08.2002
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Spruch

Der Berufung wird gemäß § 66 Abs 4 AVG iVm § 24 VStG, jeweils in der derzeit geltenden Fassung, Folge gegeben und der angefochtene Bescheid aufgehoben.

Text

Mit dem angefochtenen Bescheid sprach die Bezirkshauptmannschaft X den Verfall einer wegen Übertretung des Fremdengesetzes eingehobenen vorläufigen Sicherheit in der Höhe von ATS 2.500,-- aus. Begründend führt die Behörde aus, der Fremde hätte im Inland keine Abgabestelle und habe sich durch die Ausreise aus dem Bundesgebiet der Strafverfolgung entzogen. Es wurde kein Verwaltungsstrafverfahren eingeleitet, außer der Erlassung des angefochtenen Bescheides sind keine behördlichen Aktivitäten aktenkundig.

 

Der Fremde hat gegen den Verfallsbescheid rechtzeitig berufen.

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat im Land NÖ hat erwogen:

 

Die Berufungsbehörde hat gemäß § 66 Abs 4 AVG, sofern die Berufung nicht als unzulässig oder verspätet zurückzuweisen ist, immer in der Sache selbst zu entscheiden. Sie ist berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung ihre Anschauung an die Stelle jener der Unterbehörde zu setzen und demgemäß den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern.

 

Besteht begründeter Verdacht, dass sich der Beschuldigte der Strafverfolgung oder dem Vollzug der Strafe entziehen werde, so kann ihm die Behörde gemäß § 37 Abs 1 VStG durch Bescheid ua auftragen, einen angemessenen Betrag als Sicherheit zu erlegen. Ebenso kann die Behörde vorgehen, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, dass die Strafverfolgung oder der Vollzug der Strafe aus Gründen, die in der Person des Beschuldigten liegen, unmöglich oder wesentlich erschwert sein werde. Die Sicherheit kann nach Abs 5 für verfallen erklärt werden, sobald sich die Strafverfolgung des Beschuldigten oder der Vollzug der Strafe als unmöglich erweist.

 

Gemäß § 37a Abs 1 VStG kann die Behörde besonders geschulte Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes ermächtigen, eine vorläufige Sicherheit bis zum Betrag von ? 180,-- festzusetzen und einzuheben. Die Ermächtigung kann sich nach Abs. 2 Z 2 darauf beziehen, dass das Organ von Personen, die auf frischer Tat betreten werden und bei denen eine Strafverfolgung oder der Strafvollzug offenbar unmöglich oder wesentlich erschwert sein wird, die vorläufige Sicherheit einhebt. Die vorläufige Sicherheit wird nach Abs 5 ua frei, wenn nicht binnen sechs Monaten gemäß § 37 Abs 5 der Verfall ausgesprochen wird.

 

Die Sicherheit kann nach § 37 Abs 5 VStG für verfallen erklärt werden, sobald sich die Strafverfolgung des Beschuldigten oder der Vollzug der Strafe als unmöglich erweist.

 

Vorweggenommen sei, dass sich die folgenden rechtlichen Ausführungen auf Fallkonstellationen beziehen, wo der Verfall gegen Beschuldigte bzw. Verdächtige ausgesprochen wurde, die ? wie im gegenständlichen Verfahren ? keinen Wohnsitz in Österreich haben.

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat im Land NÖ hat sich mit der Frage der Unmöglichkeit der Strafverfolgung und des Strafvollzuges z. B. im Bescheid Senat-**-**-*** vom **.*.**** ausführlich auseinandergesetzt und ist dabei zu dem Ergebnis gelangt, diese Frage könne ?auch objektiv ex ante, also in objektivierter Weise im Zeitpunkt des Verfallsausspruchs geklärt werden. Ist daher ? wie etwa im gegenständlichen Falle - aufgrund der rechtlichen Rahmenbedingungen gewiss, dass die Durchführung eines Strafverfahrens (bis hin zur Erlassung des Straferkenntnisses) oder die Vollstreckung der Strafe (nötigenfalls unter Ausübung staatlichen Zwangs) nicht in Betracht kommen wird, so steht dem Verfallsausspruch nichts im Wege. Regelmäßig wird daher - unabhängig von im konkreten Verfahren gesetzten behördlichen Aktivitäten - bereits nach Klärung der Rechtshilfefrage vom Nachweis der Unmöglichkeit iSd § 37 Abs 5 VStG ausgegangen werden können.?

 

Diese ?ex ante? - Prüfung läuft nach Ansicht des erkennenden Mitgliedes im Endeffekt auf eine Prognose hinaus. Ist der Behörde die Anschrift des Adressaten des Verfallsbescheides bekannt und hat sie keinerlei Strafverfolgungshandlungen gesetzt, dann kann zwar als gesichert angenommen werden, dass ? wenn kein Rechtshilfeabkommen besteht ? die Strafverfolgung wesentlich erschwert sein wird, sie hat sich jedoch (noch) nicht als unmöglich erwiesen (die Frage der Unmöglichkeit des Vollzuges der Strafe stellt sich noch nicht, solange nicht einmal ein Strafverfahren anhängig ist).

 

§ 37 Abs 5 VStG basiert auf der Novelle BGBl Nr 176/1983 und trat an die Stelle des § 37 Abs 3 VStG 1950. Der erste Satz dieser (historischen) Bestimmung lautete:

?Die Sicherheit verfällt, wenn sich der Beschuldigte der Verfolgung oder dem Vollzug der Strafe entzieht oder einer den Verfall androhenden, zu eigenen Handen zugestellten Ladung der Behörde unentschuldigt keine Folge leistet.?

Dazu Hauer-Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens, 5 Auflage, Seite 948 Anm. 8: ?Während früher (Anm.: vor der Novelle BGBl Nr 176/1983) die Sicherheit nach § 37 Abs 3 verfiel, wenn sich der Besch der Verfolgung o dem Vollzug der Strafe entzog o einer den Verfall androhenden, zu eigenen Handen zugestellten Ladung der Beh unentschuldigt keine Folge leistete, kann nunmehr die Sicherheit nur dann für verfallen erklärt werden, wenn sich die Strafverfolgung des Besch oder der Vollzug der Strafe als unmöglich erweist, also etwa, wenn dem Beschuldigten keine Ladung zugestellt werden kann.?

 

Gemeinsam ist den beiden Verfallsbestimmungen (§ 37 Abs 3 VStG 1950 bzw § 37 Abs 5 VStG), dass sie jeweils den Beschuldigten ansprechen.

 

Beschuldigter ist gemäß § 32 Abs 1 VStG die im Verdacht einer Verwaltungsübertretung stehende Person von dem Zeitpunkt der ersten von der Behörde gegen sie gerichteten Verfolgungshandlung bis zum Abschluss der Strafsache. Absatz 2 definiert als Verfolgungshandlung jede von einer Behörde gegen eine bestimmte Person als Beschuldigten gerichtete Amtshandlung (Ladung, Vorführungsbefehl, Vernehmung, Ersuchen um Vernehmung, Auftrag zur Ausforschung, Strafverfügung u dgl), und zwar auch dann, wenn die Behörde zu dieser Amtshandlung nicht zuständig war, die Amtshandlung ihr Ziel nicht erreicht oder der Beschuldigte davon keine Kenntnis erlangt hat.

 

Außer Streit gestellt werden kann, dass der Verfall längstens binnen sechs Monaten auszusprechen ist, wobei die Frist für die Verfallserklärung ? anlassfallbezogen ? ab der Einhebung des Geldbetrages zu berechnen ist (vgl VwGH vom 8.7.1992, Zl 91/03/0181).

 

Wesentliche Voraussetzung für den Verfallsausspruchs ist, dass sich die Strafverfolgung des Beschuldigten oder der Vollzug der Strafe als unmöglich erweist. Anders als bei der Einhebung einer vorläufigen Sicherheit vom Betretenen, die auch dann möglich ist, wenn die Strafverfolgung oder der Strafvollzug wesentlich erschwert sein wird, ist der Ausspruch des Verfalls der vorläufigen Sicherheit aber erst zulässig ist, sobald sich die Strafverfolgung des Beschuldigten (nicht des Betretenen!) oder der Strafvollzug als unmöglich erweist, nach dem klaren Wortlaut des Gesetzes also erst, sobald die Unmöglichkeit der Strafverfolgung bzw. des Strafvollzuges feststeht, eine Prognose reicht nicht aus. Solange also Verfolgungshandlungen (zB Zustellungen) erfolgreich sind, steht die Unmöglichkeit der Strafverfolgung nicht fest.

 

Die ? vor allem auf der grammatikalischen Interpretation der Wortfolge ?sobald sich die Strafverfolgung des Beschuldigten oder der Vollzug der Strafe als unmöglich erweist? in § 37 Abs 5 VStG basierende ? Rechtsmeinung, dass der Ausspruch des Verfalls der vorläufigen Sicherheit keinesfalls zulässig ist, wenn die Strafverfolgung noch gar nicht versucht wurde, wird durch die oben zitierte Anmerkung im ?Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens?, insbesondere aber auch durch die Erläuterungen zur Verwaltungsverfahrensnovelle 2001, BGBl I Nr 137, gestützt, die zu § 37 a Abs 5 VStG ausführen: ?Die in Abs. 5 geregelte Verfallsfrist von drei Monaten wird auf sechs Monate angehoben und somit jener für Sicherheiten nach § 37 Abs 4 VStG angeglichen. Damit wird einem Anliegen der Praxis entsprochen, da die derzeitige Frist vor allem im Hinblick auf die überdurchschnittlich langen Zustellvorgänge im Ausland als zu kurz bemessen angesehen wird.? Der Gesetzgeber nahm also Zustellvorgänge im Rahmen eines Verwaltungsstrafverfahren als Selbstverständlichkeit an, andernfalls keine Notwendigkeit für die Verlängerung der Frist bestanden hätte. Ob die vom Gesetzgeber vorgenommene Anhebung tatsächlich ausreicht, um ?einem Anliegen der Praxis? zu entsprechen, wird sich erst erweisen müssen.

 

Zur gegenständlichen Problematik liegt bis dato keine höchstgerichtliche Judikatur vor. Der im Rechtsinformationssystem des Bundes veröffentlichten Rechtsprechung der unabhängigen Verwaltungssenate der Länder (Oberösterreich, Salzburg und Steiermark) ist gemeinsam, dass es für den Ausspruch des Verfalls einer vorläufig eingehobenen Sicherheit notwendig ist, dass die Behörde konkrete Schritte der Strafverfolgung gesetzt hat.

 

Im gegenständlichen Verfahren hatte die Behörde außer der Erlassung des angefochtenen Bescheides keine Aktivitäten gesetzt, insbesondere ? trotz Kenntnis einer offenkundig zustellfähigen Adresse des Berufungswerbers ? nicht einmal versucht, ein Verwaltungsstrafverfahren einzuleiten. Es ist aktenkundig, dass der Verfallsbescheid dem Berufungswerber problemlos zugestellt wurde. Es kann daher nicht davon die Rede sein, dass sich die Strafverfolgung als unmöglich erwiesen hat. Überdies war der Berufungswerber noch gar nicht Beschuldigter, sodass der Verfallsbescheid jedenfalls rechtswidrig war.

 

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden

Quelle: Unabhängige Verwaltungssenate UVS, http://www.wien.gv.at/uvs/index.html
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