Der Unabhängige Verwaltungssenat für die Steiermark hat durch das Senatsmitglied Dr. Helmut Pollak über die Berufung des Herrn F H, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. T M, W, gegen das Straferkenntnis der Bundespolizeidirektion Leoben vom 10.9.2001, Zl.: S 506/01, wie folgt entschieden:
Gemäß § 66 Abs 4 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 (im Folgenden AVG) in Verbindung mit § 24 Verwaltungsstrafgesetz 1991 (im Folgenden VStG) wird der Berufung Folge gegeben, das angefochtene Straferkenntnis behoben und das Strafverfahren gemäß § 45 Abs 1 Z 1 VStG eingestellt.
Mit dem angeführten Straferkenntnis der Behörde erster Instanz ist Herr F H in seiner Eigenschaft als verantwortlicher Absender und somit als zur Vertretung nach außen hin Berufener der S & M GesmbH mit Sitz in N wegen einer Übertretung des GGBG mit einer Geldstrafe in der Höhe von ? 726,73 bestraft worden. Eine dem Kennzeichen nach näher bestimmte Beförderungseinheit wurde an einem genau angegebenen Tatort und Tatzeitpunkt kontrolliert und war diese Beförderungseinheit zum Zeitpunkt der Kontrolle mit einem 25 l Kanister Gefahrgut der Klasse 5.2 Ziffer 9 b ADR, UN Nr. 3109 beladen (organisches Peroxid Type F, flüssig, tert-Butylhydroperoxid) beladen. Im Zuge der Kontrolle konnte festgestellt werden, dass jener Kanister lediglich mit einem Gefahrzettel nach Muster 5.2 versehen war. Wegen der nicht vorhandenen Bezettelung mit einem Gefahrzettel nach Muster 8 ist gestützt auf RN 2559 Abs 4 ADR iVm § 7 Abs 3 Z 1 GGBG gemäß § 27 Abs 1 Z 2 leg. cit. die angeführten Geldstrafe ausgesprochen worden. Binnen offener Frist erhob der Berufungswerber dagegen das Rechtsmittel der Berufung und führte verfahrenswesentlich aus, dass der Transportierte Kanister nicht mit einem Gefahrzettel nach Muster 8 hätte versehen werden müssen, da das transportierte Gut anhand des Auszuges aus dem Sicherheitsdatenblatt, vorgelegt mit der Eingabe vom 9.5.2001, lediglich reizend sei und es sich somit nicht um einen stark ätzenden oder ätzenden Stoff im Sinne der RN 2800 ADR handle. Die Berufung ist berechtigt. Gemäß § 51 Abs 1 VStG steht dem Beschuldigten stets das Recht der Berufung an den Unabhängigen Verwaltungssenat jenes Landes zu, in dem die Behörde, die den Bescheid erlassen hat, ihren Sitz hat; somit ergibt sich die Zuständigkeit des Unabhängigen Verwaltungssenates für die Steiermark für die Erlassung der gegenständlichen Entscheidung. Da im angefochtenen Bescheid weder eine primäre Freiheitsstrafe noch eine ? 2.000,--übersteigende Geldstrafe verhängt wurde, war gemäß § 51c VStG die Zuständigkeit des Einzelmitgliedes gegeben. Von der Anberaumung einer öffentlich, mündlichen Berufungsverhandlung im Sinne des § 51e VStG konnte abgesehen werden, da schon aufgrund des unbestrittenen Inhaltes des erstinstanzlichen Aktes der Berufungswerber die ihm zur Last gelegte Verwaltungsübertretung im Bezug auf die Klassifizierung des transportierten Gefahrgutes nicht begangen haben kann. Aufgrund des Inhaltes des Aktes werden nachstehende Feststellungen getroffen: Herr H O lenkte am 27.1.2001 um 01.40 Uhr die Beförderungseinheit und wurde auf der S 6 auf Höhe Strkm 79,900 in Fahrtrichtung Bruck/Mur angehalten. Zum Kontrollzeitpunkt war die Beförderungseinheit mit 58 Stück Sammelgut beladen, darunter Versandtstücke mit Ladeliste Nr. 2015485 der Absender S & M GesmbH mit Sitz in N 26,8 kg Gefahrgut der Klasse 5 Ziffer 9 b, UN Nr. 3109, organisches Peroxid, Type F, flüssig (tert-Butylhydroperoxid). Die Kontrollorgane der Bundespolizeidirektion L konnten auf jenem Kanister lediglich einen Gefahrzettel nach Muster 5.2 vorfinden. In weiterer Folge ist das Ermittlungsverfahren eingeleitet worden und wurde der Absender, die S & M GesmbH mit Sitz in N (Amtsgericht: N HRB, 3821) aufgefordert, bekannt zu geben, wer als Verantwortlicher des Absenders im hier vorliegenden Fall in Frage komme. Der Gefahrgutbeauftragte der angeführten GesmbH teilte mit Schreiben vom 2.3.2001 mit, dass der Berufungswerber als Verantwortlicher des Absenders in seiner Eigenschaft als Leiter der Abteilung Verpackungsentwicklung in Frage kommt. Schon in diesem Schreiben ist angeführt, dass gemäß RN 2559 Abs 4 nur dann der Gefahrzettel im Sinne Muster Nr. 8 an der Verpackung anzubringen ist, wenn der Stoff stark ätzend oder ätzend im Sinne der RN 2800 Abs 3 ADR ist. Dies treffe jedoch im hier vorliegenden Fall deshalb nicht zu, da der Inhalt des Kanisters nicht als ätzend, sondern als reizend einzustufen ist. Mit Schriftsatz vom 9.5.2001 ist ein Auszug des Sicherheitsdatenblattes vom Vertreter des Berufungswerbers übermittelt worden. Dem kann auf Seite 1 unter Punkt 3. (mögliche Gefahren) entnommen werden, dass als besondere Gefahrenhinweise für Mensch und Umwelt folgende Kennbuchstaben und Gefahrenbezeichnungen anzubringen sind: XI reizend O brandfördernd R 41 Gefahr ernster Augenschäden
Auf Seite 4 des Sicherheitsdatenblattes ist unter Punkt 11. angeführt (Angaben zur Toxikologie):
Reizwirkung an der Haut/Bewertung: nicht reizend
Reizwirkung am Auge/Bewertung: reizend
Gemäß RN 2559 Abs 4 ADR sind die Versandstücke mit einem Zettel nach Muster 8 zu versehen, wenn ein Stoff gemäß den Kriterien der Klasse 8 (siehe RN 2800 Abs 8) stark ätzend oder ätzend ist, wenn dies in RN 2551 (zusätzliche Gefahrzettel) angegeben oder in den zugelassenen Beförderungsbedingungen vorgeschrieben ist. Gemäß RN 2550 Abs 8 ADR wird die Klassifizierung organischer Peroxide, Zubereitungen oder Gemische organischer Peroxide, die nicht in RN 2551 genannt sind, sowie ihre Zuordnung zu einer Sammelbezeichnung von der zuständigen Behörde des Ursprungslandes vorgenommen. Ist das Ursprungsland kein Vertragsstaat des ADR, so müssen die Klassifizierung und die Beförderungsbedingungen von der zuständigen Behörde des ersten von der Sendung berührten Vertragstaates des ADR anerkannt werden.
Gemäß RN 2551 A (organische Peroxide, für die keine
Temperaturkontrolle erforderlich ist) Z 9 b ADR fällt
tert-Butylhydroperoxid mit einer Konzentration von < =72 % bei
einem Anteil von > = 28 % Wasser unter Gefahrgut der Klasse 5.2
und ist gemäß RN 2559 ein zusätzlicher Gefahrzettel nach Muster 8
anzubringen. Gemäß RN 2800 Abs 3 ADR werden ätzende Stoffe der
Klasse 8 wie folgt unterteilt: a)... b) ... c) ... d) ... e) ...
f) ... g) Stoffe, Lösungen oder Gemische, die 1. nicht den Kriterien
der Richtlinie 67/548/EWG, des Rates der Europäischen Gemeinschaften vom 27.6.1967 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedsstaaten der Europäischen Gemeinschaften für die Einstufung, Verpackung und Kennzeichnung gefährlicher Stoffe, veröffentlicht im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaft Nr.: L 196 vom 16.8.1967, Seite 1 oder 88/379/EWG, des Rates der Europäischen Gemeinschaften vom 7.6.1988 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedsstaaten der Europäischen Gemeinschaften für die Einstufung, Verpackung und Kennzeichnung gefährlicher Zubereitungen, veröffentlicht im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Nr.: L 187 vom 16.7.1988, Seite 14 in ihrer geltenden Fassung entsprechen und daher nach diesen Richtlinien in der geltenden Fassung nicht als ätzend eingestuft sind und 2. nicht ätzend auf Stahl oder Aluminium wirken´, können als nicht zur Klasse 8 gehörige Stoffe angesehen werden. Gemäß RN 2800 Abs 5 ADR kann aufgrund der Kriterien des Abs 3 auch festgestellt werden, ob eine namentlich genannte Lösung oder ein namentlich genanntes Gemisch bzw. eine Lösung oder ein Gemisch, das einen namentlich genannten Stoff enthält, so beschaffen ist, dass diese Lösung oder dieses Gemisch nicht den Vorschriften dieser Klasse unterliegt. Grundsätzlich ist auszuführen, dass das transportierte Gut, Kemler-Zahl 539, UN Nr. 3109, organisches Peroxid, Typ F, flüssig neben dem Gefahrzettel nach Muster 5.2 auch einen Gefahrzettel nach Muster 8 aufzuweisen gehabt hätte, wenn nicht anhand des Sicherheitsdatenblattes eindeutig festgelegt ist, dass das transportierte Gefahrgut der Klasse 5.2 Ziffer 9 b ADR (der Transport erfolgte nach ADR Novelle 1999) mit der Handelsbezeichnung Parmetol T 94, welcher 22 w-% C E von 100 tert-Butylhydroperoxid und 0,8 - 1,2 w-% T 3-Iod-2-propinylbutylcarbamat enthält neben anderen Gefahren lediglich reizend und nicht ätzend, geschweige denn stark ätzend im Sinne RN 2800 Abs 8 ADR ist. Daraus resultiert, dass eine Anbringung des Gefahrzettels nach Muster 8 aufgrund einer besonderen Klassifizierung anhand der Bestimmung der RN 2800 Abs 5 ADR hier vorliegend entbehrlich ist. Zum Zeitpunkt der Durchführung der Kontrolle an Ort und Stelle war dies jedoch durch die Organe der Bundespolizeidirektion L nicht feststellbar, da erst nach Übersendung des Sicherheitsdatenblattes bzw. Vorlage desselbigen im erstinstanzlichen Verfahren die genaue chemische Analyse des transportierten Produktes transparent gemacht wurde. Eben diese Möglichkeit der Durchführung einer solchen Analyse ist den Einsatzkräften der Bundespolizeidirektion bzw. den Organen der öffentlichen Sicherheit im Regelfall nicht beigestellt. Zusammenfassend hat der Verantwortliche des Absenders die ihm zur Last gelegte Verwaltungsübertretung nicht begangen und war das Verfahren gegen seine Person einzustellen.