TE UVS Wien 2002/12/03 03/P/36/9688/2002

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Veröffentlicht am 03.12.2002
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Spruch

Der Unabhängige Verwaltungssenat Wien hat durch die Vorsitzende Dr Rotter, den Berichter Mag Fritz und den Beisitzer Dr Maukner über die Berufung des Herrn Franz W, gegen das Straferkenntnis der Bundespolizeidirektion Wien, Bezirkspolizeikommissariat Simmering, vom 27.2.2002, Zl S 191 217/SG/99/Kro, betreffend Übertretung der Straßenverkehrsordnung 1960, entschieden:

Gemäß § 66 Abs 4 AVG wird der Berufung Folge gegeben, das angefochtene Straferkenntnis behoben und das Verfahren gemäß § 45 Abs 1 Z 2 VStG eingestellt.

Gemäß § 65 VStG wird dem Berufungswerber kein Beitrag zu den Kosten des Berufungsverfahrens auferlegt.

Text

Nach Lage der Akten des erstinstanzlichen Verwaltungsstrafverfahrens (siehe Anzeige der Bundespolizeidirektion Wien, Bezirkspolizeikommissariat Simmering, vom 22.12.1999) wurde der Berufungswerber (Bw) am 22.12.1999 um 22:30 Uhr in Wien, R-Ring zu einer Lenker- und Fahrzeugkontrolle angehalten. Bei der Anhaltung habe dieser keinen Führerschein vorweisen können. Weiters hätten folgende Symptome einer Beeinträchtigung durch Alkoholeinwirkung wahrgenommen werden können: Alkoholgeruch aus dem Mund, unsicherer Gang, lallende Aussprache und gerötete Augenbindehäute. Aufgrund dieser Symptome sei der Bw aufgefordert worden, sich einer Atemluft-Alkoholuntersuchung mittels Alkomaten zu unterziehen. Nach Zustimmung sei die Atemalkoholuntersuchung in Wien, S-gasse, durchgeführt worden (Messergebnisse: 1. bis 3. und 5. Messung: Blaszeit jeweils zu kurz, 4. Messung: 22.12.1999, 22:51 Uhr, 0,99 mg/l Atemalkoholgehalt). Während der Messungen habe der Bw angegeben, dass er aufgrund einer Asthma-Erkrankung nicht in der Lage sei, den Alkomat-Test ordnungsgemäß durchzuführen. Der Bw sei über die weitere Vorgangsweise aufgeklärt worden, wobei nach dessen Zustimmung zur amtsärztlichen Untersuchung der ?Äskulap" (Amtsarzt) am 22.12.1999 um 23:00 Uhr angefordert worden sei. Am 22.12.1999 um 23:55 Uhr habe der Bw die amtsärztliche Untersuchung ? trotz Aufklärung über die daraus resultierenden Folgen ? verweigert und das Wachzimmer verlassen. Abschließend wird dann in der Anzeige nochmals darauf hingewiesen, dass sich der Bw zunächst bereit erklärt habe, sich einer amtsärztlichen Untersuchung zu unterziehen. Nach längerem Warten habe er dann gesagt, er verweigere die Untersuchung und gehe nach Hause (laut Anzeige habe der Bw folgende Tat zu verantworten: Verweigerung der Vorführung zur amtsärztlichen Untersuchung, gemäß § 5/5/2 iVm 99/1 lit b StVO).

Mit Schreiben der Bundespolizeidirektion Wien, Bezirkspolizeikommissariat Simmering, vom 17.1.2000, wurde der Bw aufgefordert, sich zu der ? in der beiliegenden Anzeige vom 22.12.1999 umschriebenen ? Tat zu rechtfertigen. Diese Aufforderung zur Rechtfertigung (samt Beilage) wurde dem Bw am 1.2.2002 neuerlich zugestellt. Der Bw hat darauf jedoch nicht reagiert.

Mit dem nunmehr vor dem Unabhängigen Verwaltungssenat Wien angefochtenen Straferkenntnis der Erstbehörde vom 27.2.2002 wurde der Bw schuldig erkannt, er habe am 22.12.1999 um 23:55 Uhr in Wien, S-gasse, im Wachzimmer als Lenker des KKW mit dem Kennzeichen W-36 sich geweigert, zum Zweck der Feststellung des Grades der Beeinträchtigung durch Alkohol bei einem in der Bundespolizeidirektion tätigen Arzt, sich Blut abnehmen zu lassen, da die Durchführung einer Atemalkoholuntersuchung aufgrund des von ihm behaupteten Asthma nicht möglich gewesen sei, obwohl vermutet habe werden können, dass er sich in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand befunden habe. Der Bw habe dadurch § 5 Abs 5 Z 2 Straßenverkehrsordnung 1960 (StVO 1960) iVm § 99 Abs 1 lit b StVO 1960 verletzt. Wegen dieser Verwaltungsübertretung wurde über den Bw gemäß § 99 Abs 1 lit b StVO 1960 eine Geldstrafe in der Höhe von ? 2.180,-- (Ersatzfreiheitsstrafe: sechs Wochen) verhängt. Gleichzeitig wurden die vom Bw zu ersetzenden Verfahrenskosten mit ? 218,-- bestimmt. Zur Begründung dieses Straferkenntnisses führte die Erstbehörde aus, der Sachverhalt sei aufgrund eigener dienstlicher Wahrnehmung des Meldungslegers erwiesen. Der Bw habe keine Stellungnahme erstattet. Mildernd sei kein Umstand gewesen; erschwerend seien mehrere verwaltungsstrafrechtliche Vormerkungen gewesen.

In seiner gegen dieses Straferkenntnis innerhalb offener Frist erhobenen Berufung (vom 11.3.2002) brachte der Bw vor, er habe schon eine Stellungnahme geschickt, die die Behörde wahrscheinlich nicht erhalten habe (der Brief sei offenbar am Postweg verloren gegangen). Er wolle sich nochmals rechtfertigen, weil ihm die Strafe zu hoch sei und er diesmal wirklich unschuldig sei. Er habe zwar das Kfz ohne Lenkberechtigung gelenkt, er habe sich aber nicht in einem alkoholisierten Zustand befunden und auch keinen Alkotest verweigert. Er sei zu diesem Zeitpunkt sehr verkühlt gewesen (er habe aber kein Asthma gehabt, sondern Bronchitis und erhöhtes Fieber). Er habe fast eine Stunde auf den Amtsarzt gewartet, wobei ihm der Beamte gesagt habe, es könne noch zwei bis drei Stunden dauern. Da es ihm wegen seiner schweren Grippe nicht gut gegangen sei, habe er daraufhin das Wachzimmer verlassen. Seine Gattin könne seine Grippe mit Fieber und schwerem Reizhusten bestätigen. Er sei garantiert nicht alkoholisiert gewesen.

Diese Berufung wurde samt erstinstanzlichem Verwaltungsstrafakt dem Unabhängigen Verwaltungssenat Wien am 8.11.2002 mit dem Bemerken vorgelegt, dass der Akt im Vollzug verreiht gewesen sei und erst am 6.11.2002 aufgefunden habe werden können.

Der Unabhängige Verwaltungssenat Wien hat erwogen:

Die Absätze 2 bis 6 des § 5 StVO 1960 idF BGBl I Nr 92/1998 lauten wie folgt:

?(2) Organe des amtsärztlichen Dienstes oder besonders geschulte und von der Behörde hiezu ermächtigte Organe der Straßenaufsicht sind berechtigt, jederzeit die Atemluft von Personen, die ein Fahrzeug lenken, in Betrieb nehmen oder zu lenken oder in Betrieb zu nehmen versuchen, auf Alkoholgehalt zu untersuchen. Sie sind außerdem berechtigt, die Atemluft von Personen, die verdächtig sind, in einem vermutlich durch Alkohol beeinträchtigten Zustand

1.

ein Fahrzeug gelenkt zu haben oder

2.

als Fußgänger einen Verkehrsunfall verursacht zu haben, auf Alkoholgehalt zu untersuchen. Wer zu einer Untersuchung der Atemluft aufgefordert wird, hat sich dieser zu unterziehen.

(3) Die Untersuchung der Atemluft auf Alkoholgehalt ist mit einem Gerät vorzunehmen, das den Alkoholgehalt der Atemluft misst und entsprechend anzeigt (Alkomat).

(4) Die Organe der Straßenaufsicht sind berechtigt, Personen, deren Atemluft auf Alkoholgehalt untersucht werden soll (Abs 2) zum Zweck der Feststellung des Atemalkoholgehaltes zur nächstgelegenen Dienststelle, bei der sich ein Atemalkoholmessgerät befindet, zu bringen, sofern vermutet werden kann, dass sie sich in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand befinden oder zur Zeit des Lenkens befunden haben.

(4a) Die Organe der Straßenaufsicht sind weiters berechtigt, Personen, bei denen eine Untersuchung gemäß Abs 2 aus Gründen, die in der Person des Probanden gelegen sind, nicht möglich war und die verdächtig sind, sich in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand zu befinden, zu einem im öffentlichen Sanitätsdienst stehenden, bei einer Bundespolizeibehörde tätigen oder bei einer öffentlichen Krankenanstalt diensthabenden Arzt zur Blutabnahme zum Zweck der Bestimmung des Blutalkoholgehaltes zu bringen.

(5) Die Organe der Straßenaufsicht sind weiters berechtigt, Personen, von denen vermutet werden kann, dass sie sich in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand befinden, zum Zweck der Feststellung des Grades der Beeinträchtigung durch Alkohol zu einem im öffentlichen Sanitätsdienst stehenden oder bei einer Bundespolizeibehörde tätigen Arzt oder zum diensthabenden Arzt einer öffentlichen Krankenanstalt zu bringen, sofern eine Untersuchung gemäß Abs 2

1. keinen den gesetzlichen Grenzwert gemäß Abs 1 erreichenden Alkoholgehalt ergeben hat oder

2. aus in der Person des Probanden gelegenen Gründen nicht möglich war.

Wer zum Zweck der Feststellung des Grades der Beeinträchtigung durch Alkohol zu einem Arzt gebracht wird, hat sich einer Untersuchung durch diesen zu unterziehen.

(6) (Verfassungsbestimmung) An Personen, die gemäß Abs 4a zu einem Arzt gebracht werden, ist eine Blutabnahme zum Zweck der Bestimmung des Blutalkoholgehaltes vorzunehmen; die Betroffenen haben diese Blutabnahme vornehmen zu lassen."

Gemäß § 99 Abs 1 StVO 1960 idF BGBl I Nr 32/2002 begeht eine Verwaltungsübertretung und ist mit einer Geldstrafe von ? 1.162,-- bis ? 5.813,--, im Falle ihrer Uneinbringlichkeit mit Arrest von zwei

bis sechs Wochen, zu bestrafen,

a) wer ein Fahrzeug lenkt oder in Betrieb nimmt, obwohl der Alkoholgehalt seines Blutes 1,6 g/l (1,6 Promille) oder mehr oder der Alkoholgehalt seiner Atemluft 0,8 mg/l oder mehr beträgt,

b) wer sich bei Vorliegen der in § 5 bezeichneten Voraussetzungen weigert, seine Atemluft auf Alkoholgehalt untersuchen oder sich vorführen zu lassen, oder sich bei Vorliegen der bezeichneten Voraussetzungen nicht der ärztlichen Untersuchung unterzieht,

c) (Verfassungsbestimmung) wer sich bei Vorliegen der im § 5 bezeichneten Voraussetzungen weigert, sich Blut abnehmen zu lassen.

Im Abs 4a des § 5 StVO 1960 wird die Vorführberechtigung der Straßenaufsichtsorgane zu einem bestimmten Arzt zur Blutabnahme zum Zwecke der Bestimmung des Blutalkoholgehaltes geregelt, im Abs 5 die Vorführberechtigung zur klinischen Untersuchung zum Zwecke der Feststellung des Grades der Beeinträchtigung durch Alkohol. Die korrespondierenden Verpflichtungen der zu diesen Ärzten gebrachten Personen sind im Abs 6 bzw im Abs 5 des § 5 StVO 1960 festgelegt (siehe dazu Messiner, StVO, 10. Auflage, S 170, Anm 16 zu § 5 StVO 1960). Wer also unter den im § 5 Abs 5 StVO 1960 genannten Voraussetzungen zum Arzt gebracht wurde, hat sich einer Untersuchung durch diesen zu unterziehen, widrigenfalls er eine Verwaltungsübertretung gemäß § 5 Abs 5 leg cit begeht und dafür gemäß § 99 Abs 1 lit b (dritter Fall) StVO 1960 zu bestrafen ist.

Wer

sich bei Vorliegen der im § 5 StVO 1960 bezeichneten Voraussetzungen weigert, sich ? zum Arzt ? vorführen zu lassen, begeht eine Verwaltungsübertretung gemäß § 99 Abs 1 lit b (zweiter Fall) StVO 1960 (vgl zur Abgrenzung der beiden Verwaltungsübertretungen zB das Erkenntnis des VwGH vom 20.12.1993, Zl 93/02/0187).

In der dem gegenständlichen Verfahren zugrunde liegenden Anzeige wird dem Bw (im ?Betreff") die Verweigerung der Vorführung zur amtsärztlichen Untersuchung zur Last gelegt (Übertretung gemäß § 5 Abs 5 Z 2 iVm § 99 Abs 1 lit b StVO 1960). (Anmerkung: Unter Zugrundelegung des Geschehensablaufes, wie er in der Anzeige festgehalten worden ist, wäre eine solche Tatanlastung auch richtig). So heißt es in der Anzeige, der Bw habe während der Messungen mit dem Alkomat erklärt, asthmakrank zu sein und daher den Alkomattest nicht durchführen zu können. Der Bw habe zunächst einer amtsärztlichen Untersuchung zugestimmt (und sei am 22.12.1999 um 23:00 Uhr der Amtsarzt angefordert worden). Um 23:55 Uhr habe der Bw die amtsärztliche Untersuchung verweigert und das Wachzimmer verlassen. Unter Bezugnahme darauf, dass die für die Durchführung einer klinischen Untersuchung im Sinne des § 5 Abs 5 StVO 1960 in Betracht kommenden Ärzte nicht jederzeit zur Verfügung stehen, hat der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 27.6.1990, Zl 89/03/0240, ausgesprochen, dass zwischen der Aufforderung zur Vorführung und dem Zeitpunkt der klinischen Untersuchung eine Wartezeit von ca 70 Minuten jedenfalls noch zumutbar ist. In der Anzeige (im ?Betreff") wurde dem Bw die Verweigerung der Vorführung zur amtsärztlichen Untersuchung angelastet. Dies wäre ausgehend von der Sachverhaltsschilderung laut Anzeige insoferne zutreffend, als sich der Bw nicht einmal eine Stunde nach Verständigung des Polizeiamtsarztes aus dem Wachzimmer entfernt hatte, dh bevor er mit dem Arzt in Verbindung gebracht worden war. Dementsprechend wäre als verletzte Norm § 99 Abs 1 lit b StVO 1960 anzuführen gewesen. Der Fall des § 5 Abs 5 StVO 1960 setzt die Verweigerung der Untersuchung nach erfolgter Vorführung voraus, wozu es nach der Schilderung in der Anzeige aber nicht gekommen ist (weil der Bw eben das Wachzimmer schon verlassen hatte; vgl zum Ganzen auch das Erkenntnis des VwGH vom 20.12.1993, Zl 93/02/0187).

Anzumerken ist, dass die Anzeige der Bundespolizeidirektion Wien vom 22.12.1999 den alle Tatbestandselemente umfassenden Vorwurf einer Verwaltungsübertretung nach § 99 Abs 1 lit b (zweiter Fall) StVO 1960 enthalten hat. Am 18.1.2000 wurde eine Aufforderung zur Rechtfertigung (die Anzeige war angeschlossen) an den Bw an dessen Adresse in Wien, R-Ring abgefertigt. In einem Aktenvermerk vom 14.3.2000 ist festgehalten worden, dass bei Bearbeitung eines anderen Aktes in Erfahrung habe gebracht werden können, dass der Bw nicht an dieser Adresse aufhältig und wohnhaft sei, sondern bei dessen Mutter in Wien, O-Straße aufhältig und wohnhaft sei. Eine an diese Anschrift gerichtete Aufforderung zur Rechtfertigung vom 14.3.2000 wurde an die Erstbehörde mit dem Vermerk ?Empfänger verzogen" retourniert. Das Zurkenntnisbringen einer Anzeige, in der die Tat hinsichtlich aller, der späteren Bestrafung zugrunde liegenden Sachverhaltselemente eindeutig umschrieben ist, verbunden mit der Aufforderung zur Rechtfertigung, stellt eine den Eintritt der Verjährung unterberechende Verfolgungshandlung im Sinne des § 32 Abs 2 VStG dar (vgl zB das Erkenntnis des VwGH vom 23.2.1990, Zl 85/18/0185).

Aus dem Spruch des erstinstanzlichen Straferkenntnisses ergibt sich, dass die Behörde erster Instanz dem Bw zur Last gelegt hat, er habe am 22.12.1999 um 23:55 Uhr auf dem Wachzimmer in Wien, S-gasse als Lenker des KKW mit dem Kennzeichen W-36 sich geweigert, zum Zweck der Feststellung des Grades der Beeinträchtigung durch Alkohol bei einem in der Bundespolizeidirektion tätigen Arzt sich Blut abnehmen zu lassen, da die Durchführung einer Atemalkoholuntersuchung aufgrund des von ihm behaupteten Asthma nicht möglich gewesen sei, obwohl vermutet habe werden können, dass er sich in einem durch Alkohol beeinträchtigen Zustand befunden habe. Die Subsumtion dieses zur Last gelegten Verhaltens unter ?§ 5/5/2 iVm § 99 (1)b StVO 1960" ist rechtlich verfehlt, da die Nichtbefolgung der Aufforderung,

sich Blut abnehmen zu lassen, unter den im § 5 Abs 6 iVm Abs 4a geregelten Voraussetzungen als Verwaltungsübertretung gemäß § 5 Abs 6 StVO 1960 zu ahnden und gemäß § 99 Abs 1 lit c StVO 1960 zu bestrafen ist.

Gemäß § 66 Abs 4 AVG in Verbindung mit § 24 VStG hat die Berufungsbehörde, sofern die Berufung nicht als unzulässig oder verspätet zurückzuweisen ist, immer in der Sache selbst zu entscheiden. Sie ist berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung (§ 60) ihre Anschauung an die Stelle jener der Unterbehörde zu setzen und demgemäß den

angefochtenen Bescheid (unter Bedachtnahme auf das im Verwaltungsstrafverfahren geltende Verbot der reformatio in peius) nach jeder Richtung abzuändern. "Sache" im Sinne dieser Gesetzesstelle ist immer die Angelegenheit, die den Inhalt des Spruches des Bescheides der Unterbehörde gebildet hat. Dies bedeutet für den Bereich des Verwaltungsstrafverfahrens, dass die Berufungsbehörde trotz ihrer Berechtigung, den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern, doch auf die Ahndung der dem Beschuldigten im Strafverfahren erster Instanz zur Last gelegten Tat beschränkt bleibt, sodass sie ihn nicht für eine Tat schuldig sprechen darf, die ihm im Verfahren vor der ersten Instanz gar nicht zur Last gelegt worden ist. Hingegen ist es grundsätzlich nicht rechtswidrig, wenn die Berufungsbehörde das Verhalten des Beschuldigten einem anderen Tatbestand (Tatbild) unterstellt als die Behörde erster Instanz, sofern es sich um ein und dasselbe Verhalten des Täters handelt, also Identität der Tat vorliegt. In diesem Rahmen ist die Berufungsbehörde auch zu sonstigen Modifikationen und Präzisierungen des Spruches der Behörde erster Instanz berechtigt. Nachträgliche Auswechslungen der Tat sind jedenfalls unzulässig (vgl das Erkenntnis des VwGH vom 22.1.2002, Zl 99/09/0050, und die dort zitierte Vorjudikatur). Im angefochtenen Straferkenntnis vom 27.2.2002 wurde dem Bw (nach der Tatumschreibung) eine Verwaltungsübertretung nach § 99 Abs 1 lit c in Verbindung mit § 5 Abs 6 StVO 1960 zur Last gelegt, wobei weder in der Anzeige noch in der Aufforderung zur Rechtfertigung vom Vorwurf an den Bw, er habe sich trotz Vorliegens der im § 5 bezeichneten Voraussetzungen geweigert, sich Blut abnehmen zu lassen, die Rede gewesen ist. Die Verweigerung der Blutabnahme und die Verweigerung der Vorführung zum Arzt (bzw die Verweigerung einer ärztlichen Untersuchung) stellen zwei verschiedene Tatbestände dar, die durch zu unterscheidende Verhaltensweisen des Täters verwirklicht werden (als Strafsanktionsnorm ist in dem einen Fall § 99 Abs 1 lit b

StVO 1960, im anderen Fall § 99 Abs 1 lit c StVO 1960 heranzuziehen). Es wurde also dem Bw im angefochtenen Straferkenntnis nicht der Sachverhalt, wie er aus der dem gegenständlichen Verfahren zugrunde liegenden Anzeige hervorgeht, zur Last gelegt. Da die Erstbehörde somit (laut dem im Spruch angelasteten Tatvorwurf) unrichtigerweise von einer Übertretung des § 5 Abs 6 iVm § 99 Abs 1 lit c StVO 1960 ausgegangen ist, eine Auswechslung dieser von der Erstbehörde als erwiesen angenommenen Tat durch die Berufungsbehörde (in Richtung § 99 Abs 1 lit b zweiter Fall StVO 1960) aber durch § 66 Abs 4 AVG nicht mehr gedeckt wäre, war spruchgemäß zu entscheiden.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 65 VStG.

Quelle: Unabhängige Verwaltungssenate UVS, http://www.wien.gv.at/uvs/index.html
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