TE UVS Steiermark 2003/09/22 42.16-16/2003

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Veröffentlicht am 22.09.2003
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Spruch

Der Unabhängige Verwaltungssenat für die Steiermark hat durch das Senatsmitglied Dr. Karl-Heinz Liebenwein über die Berufung von Frau C M, gegen den Bescheid der Bundespolizeidirektion Graz vom 26.08.2003, Zl.: VA/F-9803/02-03, wie folgt entschieden:

Gemäß § 66 Abs 4 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 (im Folgenden AVG 1991) wird der Berufung Folge gegeben und der angefochtene Bescheid aufgehoben.

Rechtsgrundlagen:

§ 35 Abs 1 Führerscheingesetz 1997 (im Folgenden FSG), § 4 FSG;

§ 66 Abs 4 AVG

Text

Mit dem angefochtenen Bescheid der belangten Behörde wurde für die nunmehrige Berufungswerberin gemäß § 4 Abs 3 FSG eine Nachschulung angeordnet. Begründet wurde diese Maßnahme im Wesentlichen damit, dass die Berufungswerberin laut Mitteilung des Wachzimmers E der Bundespolizeidirektion G am 31.07.2003 den Personenkraftwagen mit dem behördlichen Kennzeichen lenkte, obwohl ihr Atemalkoholgehalt 0,10 mg/l betragen habe. Gegen diesen Bescheid richtet sich die fristgerecht erhobene Berufung, in der im Wesentlichen vorgebracht wurde, dass sie nach massivster Bedrohung durch ihren Ex-Freund T H zunächst aus der Wohnung dessen Eltern zu ihrem Auto flüchten musste, wo sie zunächst Schutz fand. Da sie sich vom Genannten bedroht fühlte, sei sie in der Folge gezwungen gewesen mit dem Auto direkt zur Polizei zu fahren, was auch unmittelbar geschehen sei. Aufgrund eines offensichtlichen Notzustandes, der ein Lenken ihres Fahrzeuges erforderlich gemacht habe, werde ersucht, die Spruchentscheidung aufzuheben und die Nachschulung sowie Verlängerung der Probezeit zurückzunehmen. Der Unabhängige Verwaltungssenat für die Steiermark hat erwogen:

Gemäß § 66 Abs 4 AVG 1991 i.d.g.F. hat die Berufungsbehörde außer dem in Abs 2 erwähnten Fall - Zurückverweisung wegen Mangelhaftigkeit- sofern die Berufung nicht als unzulässig oder verspätet zurückzuweisen ist, immer in der Sache selbst zu entscheiden. Sie ist berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung (§ 60) ihre Anschauung an die Stelle jener der Unterbehörde zu setzen und demgemäß den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern. Auf Grundlage des der Berufungsbehörde vorliegenden Aktes der Strafbehörde I. Instanz werden zunächst nachstehende Feststellungen getroffen:

Die Berufungswerberin war zufolge der von ihr am 01.08.2003 um 00.05 Uhr bei der Bundespolizeidirektion G, Wachzimmer E erstattenden Strafanzeige gegen T H wegen Verdachts der Körperverletzung, der gefährlichen Drohung und Freiheitsentziehung in der Zeit vom 21.00 Uhr bis 24.00 Uhr (31.07.2003) in eine heftige Auseinandersetzung mit ihrem ehemaligen Freund verwickelt. Nach Angabe der Berufungswerberin bedrohte er diese wiederholt in seiner Wohnung, gab ihr dabei zu verstehen, dass sie diese nicht lebend verlassen werde und attackierte sie auch mehrfach körperlich. Ehe es der Berufungswerberin gelang aus der Wohnung zu flüchten, erhielt sie von ihrem Freund Schläge ins Gesicht, wurde danach wieder von H im Stiegenhaus eingeholt und konnte nach weiteren massiven Drohungen letztlich aus dem Hause flüchten, wobei es ihr gelang das dort abgestellte Fahrzeug zu erreichen, obwohl ihr Freund ihr dahin folgte. Sie verriegelte die Fahrzeugtüren, der Genannte stützte sich auf das Fahrzeug und fuhr sie angesichts der als solcher empfundenen weiteren Bedrohung unter großer Angst mit ihrem Fahrzeug weg und zwar direkt zum Wachzimmer E, wo sie bei der Polizei die bereits erwähnte Anzeige erstattete. Die Berufungswerberin ist im Besitz einer Lenkberechtigung der Bundespolizeidirektion G (Probeführerschein) vom 31.03.2003 zu Zahl VA/F/9803/2002 für die Klasse B. Diese Feststellungen stützen sich auf die Schilderungen der Berufungswerberin in der Anzeige vom 01.08.2003, aus der auch hervorgeht, dass der ehemalige Freund der Berufungswerberin zugegeben hat, auf dem Wege zu seiner Wohnung gegen die Berufungswerberin getreten zu haben um sie so zu Fall zu bringen. Seitens der Bundespolizeidirektion G wurde des Weiteren bei H eine Atemluftalkoholmessung durchgeführt, welche einen Wert von 0,80 mg/l ergab. Von einer in der Wohnung des H anwesenden Zeugin wurde der Polizei gegenüber angegeben, dass die Berufungswerberin von ihrem Freund im Zuge einer Auseinandersetzung erfasst und gegen die Wand gedrückt wurde. Auch die Mutter des T H gab bei der Polizei zu Protokoll, dass sie einen Streit zwischen ihrem Sohn und der Berufungswerberin teilweise mitverfolgt und ihr Sohn diese am Verlassen der Wohnung gehindert hat. Sie bestätigte auch die Flucht der Berufungswerberin von der Wohnung ins Stiegenhaus, bei der ihr der Sohn gefolgt ist. Schließlich sah die Zeugin auch, dass ihr Sohn der zum Fahrzeug flüchtenden Berufungswerberin folgte. Aus all dem ergibt sich in freier Beweiswürdigung, dass die Berufungswerberin zweifellos aufgrund der Vorfälle am späten Abend des 31.07.2003 in einer besonders berücksichtigungswürdigen Situation war, als sie um den Nachstellungen des T H zu entgehen, zunächst aus dem Haus in ihr Fahrzeug flüchtete um mit diesem sodann direkt zur Polizei fahren zu können um dort eine Anzeige gegen den Genannten zu erstatten. Im Zuge der Berufung wurde von der Berufungswerberin aber auch ein ärztlicher Befund sowie ein ärztliches Attest des Dr. med. W T, praktischer Arzt in V, vorgelegt, in welchem Verletzungen der Berufungswerberin, die diese laut ihren Angaben bei der Auseinandersetzung mit ihrem Ex-Freund am 31.07.2003 erlitten hat, bestätigt werden. Das ärztliche Attest wurde im Original der Bundespolizeidirektion G im Rahmen einer Verletzungsanzeige zur weiteren Veranlassung vorgelegt. Die aufgezeigten Umstände sprechen nach Ansicht der erkennenden Behörde insgesamt durchaus für die Glaubwürdigkeit der Darstellung des Geschehnisablaufes durch die Berufungswerberin. In rechtlicher Hinsicht ist somit auszuführen: Gemäß § 4 Abs 7 FSG darf während der Probezeit der Lenker ein Kraftfahrzeug nur in Betrieb nehmen und lenken, wenn der Alkoholgehalt des Blutes nicht mehr als 0,1 g/l (0,1 Promille) oder der Alkoholgehalt der Atemluft nicht mehr als 0,05 mg/l beträgt. Gemäß § 4 Abs 3 FSG ist u. a. von der Behörde dann unverzüglich eine Nachschulung anzuordnen, wenn der Besitzer der Lenkberechtigung innerhalb der Probezeit gegen die zitierte Bestimmung des Abs 7 verstößt. Es ist offenkundig, dass die Berufungswerberin, was von dieser auch nicht in Abrede gestellt wurde, mit ihrem vor dem Wohnhaus ihres ehemaligen Freundes abgestellten Fahrzeug am 31.07.2003 etwa um Mitternacht bis zum Wachzimmer E gefahren ist. Ebenso unbestritten ist auch, dass der Alkomat-Test einen Alkoholgehalt der Atemluft von 0,10 mg/l bei der Berufungswerberin ergab. Dennoch erscheint die seitens der belangten Behörde verfügte Maßnahme vor allem unter Berücksichtigung bzw Würdigung jener Umstände, unter welchen diese gezwungen war ein Fahrzeug zu lenken, insbesondere aber auch des mit einer Nachschulung an sich verfolgten Zwecks nicht gerechtfertigt.

Der beschriebenen und als erwiesen angenommenen Sachlage zufolge befand sich die Berufungswerberin zweifellos in einer offenkundigen Notsituation, als sie wegen der Verfolgung durch ihren ehemaligen Freund, von dem sie zuvor massiv bedroht und auch verletzt worden war, in ihr Fahrzeug stieg und dieses in der Folge auch in Betrieb nahm. Die anschließende kurze Fahrt zum Polizeiwachzimmer muss unter diesen Rahmenbedingungen im Hinblick auf die zitierten gesetzlichen Vorschriften einer besonders kritischen Prüfung unterzogen werden, zumal es keine sonstigen Anhaltspunkte dafür gibt, dass die Berufungswerberin in leicht alkoholisiertem Zustand - auch wenn es nicht zur geschilderten Auseinandersetzung mit ihrem ehemaligen Freund gekommen wäre - ein Fahrzeug in Betrieb nehmen bzw lenken wollte. Die Ausführungen in der Begründung des angefochtenen Bescheides, wonach die Berufungswerberin in der Zeit von 21.00 Uhr bis 24.00 Uhr ihren Personenkraftwagen gelenkt habe, sind aktenkundig offensichtlich falsch und rühren nach Ansicht der erkennenden Behörde daher, dass in der Strafanzeige der Bundespolizeidirektion G, Wachzimmer E vom 01.08.2003 gegen T H wegen Verdachtes der Körperverletzung, gefährlichen Drohung und Freiheitsentziehung als Tatzeit der 31.07.2003, 21.00 Uhr bis 24.00 Uhr angegeben wurde. Berücksichtigt man ferner, dass einem möglicherweise weitaus stärker alkoholisierten Kraftfahrzeuglenker in einem ihn betreffenden Verwaltungsstrafverfahren unter den gegebenen Rahmenbedingungen allenfalls ein schuldausschließender Notstand im Sinne des § 6 VStG zugebilligt werden muss, so kann bei einer solchen Betrachtungsweise in einem Nicht-Strafverfahren per analogiam wohl von einer im Ergebnis unfreiwilligen, absolut nicht gewollten Fahrt ausgegangen werden, die die Berufungswerberin durchführte. Wenngleich die belangte Behörde die angeordnete Maßnahme an sich auf die diesbezügliche gesetzliche Bestimmung gestützt hat, hat sie es dennoch unterlassen die Sinnhaftigkeit einer solchen Maßnahme unter Berücksichtigung deren eigentlicher Ursachen zu hinterfragen. So wäre das Erfordernis einer Nachschulung unter Berücksichtigung des dem angedrohten Bescheid zugrunde liegenden Sachverhalts mangels sonstiger Voraussetzungen nur im Lichte des § 2 der Nachschulungsverordnung (FSG-NV, BGBl II/2002/537) zu sehen. Von einem gerade diese Maßnahme rechtfertigenden alkoholauffälligen Verhalten der Berufungswerberin als Besitzerin eines Probeführerscheines kann angesichts des angeführten Sachverhalts nicht ausgegangen werden, da ein ansonst verpöntes Verhalten, nämlich während der Zeit des Besitzes eines Probeführerscheines mit der angeführten Alkoholmenge ein Fahrzeug zu lenken, im Anlassfall einer in jeder Hinsicht spezifischen Beurteilung bedurfte. Nach Ansicht der Berufungsbehörde liegen im Sinne der mit einer Nachschulung verfolgten Ziele (vgl. § 2 Abs 2 FSG-NV), nämlich ua der Bewusstmachung des Bezugs des Fehlverhaltens zur persönlichen Einstellung und der Behandlung der Möglichkeit für ihre Beseitigung, keine anlassfallbezogenen Voraussetzungen vor, die es im Sinne obiger Ausführungen rechtfertigen könnten, dass sich die Berufungswerberin der an sich durchaus zu begrüßenden Maßnahme, nämlich einer Nachschulung unterzieht. Vielmehr hat diese durch ihr beschriebenes Verhalten im konkreten Fall nur situationsadäquat auf eine offensichtlich unmittelbare Bedrohung durch ihren Ex-Freund reagiert und stellt die in Ausübung dieser Reaktion durchgeführte kurze Fahrt, wenngleich auch in einem leicht alkoholisierten Zustand keinen solchen Sachverhalt dar, der unter Würdigung aller aufgezeigten Umstände die verfügte Maßnahme rechtfertigen könnte bzw ist das von der Berufungswerberin umgesetzte Verhalten nicht so zu beurteilen, dass diese der Durchführung einer Nachschulung jedenfalls bedurft hätte. Es war somit der Berufung Folge zu geben und der angefochtene Bescheid in vollem Umfang zu beheben.

Schlagworte
Nachschulung Alkoholbeeinträchtigung Notstand Erforderlichkeit
Quelle: Unabhängige Verwaltungssenate UVS, http://www.wien.gv.at/uvs/index.html
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