Der Unabhängige Verwaltungssenat Wien hat durch sein Mitglied DDr. Lacina über die Berufung des Herrn Helmut R gegen den Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien, Verkehrsamt, vom 23.12.2003, Zahl IV-FC 10959/VA/03 entschieden:
Gemäß § 66 Abs 4 AVG wird der angefochtene Bescheid behoben.
1. Die Bundespolizeidirektion Wien, Verkehrsamt, hat mit Bescheid vom 23.12.2003, Zahl IV-FC 10959/VA/03, die dem Berufungswerber am 22.12.2003 unter der Zahl 2031167 von der Bundespolizeidirektion Wien für die Klasse B erteilte Lenkberechtigung für die Zeit von 3 (drei) Jahren, das ist bis 11.12.2006, gemäß § 24 Absatz 1 Ziffer 2 FSG 1997 befristet. Begründet wurde diese Entscheidung mit dem Hinweis auf das amtsärztliche Gutachten vom 11.12.2003, wonach der BW wegen Prostatektomie und milder Hypertonie zum Lenken von Kraftfahrzeugen nur bedingt geeignet sei, weshalb eine Nachuntersuchung in 3 (drei) Jahren erforderlich sei (Blatt 7).
2. In der gegen diesen Bescheid fristgerecht eingebrachten schriftlichen Berufung vom 9.1.2004 führte der Berufungswerber (BW) im Wesentlichen aus, dass die bescheiderlassende Behörde auf Grund einer Untersuchung durch den Chefamtsarzt der Bundespolizeidirektion Wien vom 9.9.2003 in Angelegenheit einer von ihm beim Finanzamt beantragten Lohnsteuerermäßigung durch Übermittlung einer Kopie des Antragsformulares samt darauf vermerkter Beurteilung des Amtsarztes in Kenntnis einer an ihm im Jänner 2000 vorgenommenen Prostatektomie mit nachfolgender Inkontinenz sowie Vorliegen einer Hypertonie gelangt sei. Die Behörde zog daraus den Schluss, ein Führerschein-Entziehungsverfahren gegen ihn wegen mangelnder Eignung zum Führen von Kfz einzuleiten. Im amtsärztlichen Gutachten vom 11.12.2003 finde sich kein Vermerk, dass eine Prostatektomie an ihm vorgenommen worden wäre bzw. dass er deshalb zum Lenken von Kfz nur eingeschränkt tauglich wäre. Diese Information bezog die Behörde aus dem in Kopie vorliegenden Antragsformular des Finanzamtes für eine Refundierung eingehaltener Lohnsteuer und könne daher nicht Gegenstand des Verfahrens beim Verkehrsamt sein. Auch könne ein Arzt nicht der Meinung sein, dass eine vor vier Jahren erfolgte chirurgische Entfernung der Prostata die physischen oder psychischen Fähigkeiten, die für das Lenken von Kfz erforderlich sind, einzuschränken. Auch die vom Amtsarzt am 11.12.2003 mittels einer Pulsmanschette am Handgelenk ermittelten Blutdruckwerte seien aktenkundig ?leicht erhöht", laut Behördenbescheid ?milde Hypertonie". Zusammenfassend liege keine ausreichende medizinische Begründung im gegenständlichen Fall vor, warum sich die Blutdruckwerte in drei Jahren verändert haben sollten, zumal es in seiner persönlichen Verantwortung liege, durch eine regelmäßige Kontrolle seines Blutdruckes und die gewissenhafte Einnahme von entsprechenden blutdrucksenkenden Medikamenten unter hausärztlicher Aufsicht seinen Blutdruck zu normalisieren (Blatt 12 bis 13).
3. Beweisaufnahme
3.1. Aus dem Schreiben von Dr. Manfred M vom 9.12.2003 geht hervor, dass der BW seit 1980 von ihm hausärztlich betreut werde. Seit 1995 besteht eine Hypertonie, die allerdings mit 1 Tablette Acecomb im Normbereich (135/85 bis 110/70) liegt (Blatt 3).
3.2. Aus der Begründung des Gutachtens nach § 8 FSG vom 11.12.2003 geht hervor, dass ein St. P. (status post = Zustand nach) totaler Prostatektomie und eine milde Hypertonie vorliege, zur Kontrolle des Verlaufes der Krankheit werde eine Befristung der Lenkberechtigung auf drei Jahre empfohlen (Blatt 4).
4. Rechtsgrundlage
§ 24 Abs 1 Z 2 FSG bestimmt Folgendes:
?Besitzern einer Lenkberechtigung, bei denen die Voraussetzungen für die Erteilung der Lenkberechtigung (§ 3 Abs 1 Z 2 bis 4) nicht mehr gegeben sind, ist von der Behörde entsprechend den Erfordernissen der Verkehrssicherheit die Gültigkeit der Lenkberechtigung durch Auflagen, Befristungen oder zeitliche, örtliche oder sachliche Beschränkungen einzuschränken. Diese Einschränkungen sind gemäß § 13 Abs 2 in den Führerschein einzutragen."
§ 3 Abs 1 Z 2 bis 4 FSG bestimmt Folgendes:
?Eine Lenkberechtigung darf nur Personen erteilt werden, die:
2.
verkehrszuverlässig sind (§ 7),
3.
gesundheitlich geeignet sind, ein Kraftfahrzeug zu lenken (§§ 8 und 9),
4. fachlich zum Lenken eines Kraftfahrzeuges befähigt sind (§§ 10 und 11)"
§ 8 FSG (Gesundheitliche Eignung) bestimmt (auszugsweise) Folgendes:
?Abs 1: Vor der Erteilung einer Lenkberechtigung hat der Antragsteller der Behörde ein ärztliches Gutachten vorzulegen, dass er zum Lenken von Kraftfahrzeugen gesundheitlich geeignet ist. Das ärztliche Gutachten hat auszusprechen, für welche Klassen von Lenkberechtigungen der Antragsteller gesundheitlich geeignet ist, darf im Zeitpunkt der Entscheidung nicht älter als ein Jahr sein
und ist von einem im örtlichen Wirkungsbereich der Behörde, die das Verfahren zur Erteilung der Lenkberechtigung durchführt, in die Ärzteliste eingetragenen sachverständigen Arzt gemäß § 34 zu erstellen.
Abs 2: Sind zur Erstattung des ärztlichen Gutachtens besondere Befunde oder im Hinblick auf ein verkehrspsychologisch auffälliges Verhalten eine Stellungnahme einer verkehrspsychologischen Untersuchungsstelle erforderlich, so ist das ärztliche Gutachten von einem Amtsarzt zu erstellen; der Antragsteller hat diese Befunde oder Stellungnahmen zu erbringen. Wenn im Rahmen der amtsärztlichen Untersuchung eine sichere Entscheidung im Hinblick auf die gesundheitliche Eignung nicht getroffen werden kann, so ist erforderlichenfalls eine Beobachtungsfahrt anzuordnen.
Abs 3: Das ärztliche Gutachten hat abschließend auszusprechen:
?geeignet”, ?bedingt geeignet”, ?beschränkt geeignet” oder ?nicht geeignet”. Ist der Begutachtete nach dem ärztlichen Befund
1. gesundheitlich zum Lenken von Kraftfahrzeugen einer oder mehrerer Klassen ohne Einschränkung geeignet, so hat das Gutachten ?geeignet” für diese Klassen zu lauten;
2. zum Lenken von Kraftfahrzeugen einer oder mehrerer Klassen nur unter der Voraussetzung geeignet, ...dass er sich ärztlichen Kontrolluntersuchungen unterzieht, so hat das Gutachten "bedingt geeignet" für die entsprechenden Klassen zu lauten und Befristungen, Auflagen oder zeitliche, örtliche oder sachliche Beschränkungen der Gültigkeit anzuführen, unter denen eine Lenkberechtigung ohne Gefährdung der Verkehrssicherheit erteilt werden kann; dies gilt auch für Personen, deren Eignung nur für eine bestimmte Zeit angenommen werden kann und bei denen amtsärztliche Nachuntersuchungen erforderlich sind;"
5. Beweiswürdigung
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist die Notwendigkeit von Nachuntersuchungen im Sinne des § 8 Abs 3 Z 2 FSG dann gegeben, wenn eine "Krankheit" festgestellt wurde, bei der ihrer Natur nach mit einer zum Verlust oder zur Einschränkung der Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen führenden Verschlechterung gerechnet werden muss. Um eine bloße bedingte Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen in diesem Sinne anzunehmen, bedarf es auf einem ärztlichen Sachverständigengutachten beruhender konkreter Sachverhaltsfeststellungen darüber, dass die gesundheitliche Eignung zwar noch in ausreichendem Maß für eine bestimmte Zeit vorhanden ist, dass aber eine gesundheitliche Beeinträchtigung besteht, nach deren Art in Zukunft mit einer die Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen ausschließenden oder
einschränkenden Verschlechterung gerechnet werden muss (vgl. die Erkenntnisse des VwGH vom 18. Jänner 2002, Zl. 99/11/0266, und vom 24. April 2001, Zl. 2000/11/0337, mwN zur gleichartigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zur Rechtslage nach dem KFG 1967).
Ob einer Person, die unter Blutdruckanomalien leidet, eine Lenkberechtigung erteilt oder belassen werden kann, ist zufolge § 10 Abs 3 Führerscheingesetz-Gesundheitsverordnung ? FSG - GV nach den übrigen Ergebnissen der ärztlichen Untersuchung, den möglichen Komplikationen und der daraus gegebenenfalls für die Sicherheit im Straßenverkehr erwachsenden Gefahr zu beurteilen. Im Übrigen lässt die Tatsache, dass bei der amtsärztlichen Untersuchung vom 11.12.2003 ein Blutdruck von 118/83 gemessen wurde, noch nicht erkennen, dass der BW unter Hypertonie leidet und deshalb nach Ablauf von drei Jahren mit einer Verschlechterung des Gesundheitszustandes im beschriebenen Sinne gerechnet werden muss. Im Hinblick darauf, dass der Blutdruck in weiten Grenzen schwankt, kann Hypertonie erst dann diagnostiziert werden, wenn wiederholte Messungen pathologische Werte ergeben. Schon deshalb ist das Gutachten, dessen Richtigkeit der BW unter Vorlage eines ärztlichen Berichtes vom 9.12.2003, wonach der Blutdruck des BW mit 1 Tablette Acecomb immer im Normbereich gelegen sei, keine geeignete Grundlage, um eine Befristung wegen Hypertonie auszusprechen.
Wie die äußerst kursorische Begründung des Gutachtens zeigt, hat der Amtsarzt der Bundespolizeidirektion Wien eine Verlaufskontrolle "für Gruppe 1/B erforderlich" gehalten, ohne diese Angabe auch nur ansatzweise näher zu erläutern. Der vom Amtsarzt herangezogene ?Status post" (Zustand nach) totaler Prostatektomie und milde Hypertonie, stellt zwar die korrekte lateinische Bezeichnung dar, enthält aber keine taugliche Grundlage für die von der belangten Behörde verfügte Befristung, weil sie keine konkrete Begründung dafür enthält, warum beim BW die notwendige kraftfahrspezifische Leistungsfähigkeit für die in Rede stehende Klasse B nur für eine bestimmte Zeit angenommen werden kann und mit einer Verschlechterung im beschriebenen Sinn gerechnet werden muss (vgl. das Erkenntnis des VwGH vom 18. Jänner 2000, Zl. 99/11/0266).
Wie die oben erwähnte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zeigt, kommt jedoch die nachträgliche Befristung einer bereits unbefristet erteilten Lenkberechtigung nur dann in Frage, wenn eine gesundheitliche Beeinträchtigung besteht, nach deren Art in Zukunft mit einer die Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen ausschließenden oder einschränkenden Verschlechterung gerechnet werden muss. Dass eine Verschlechterung nicht ausgeschlossen werden kann, reicht nach dieser Judikatur für die Einschränkung der Gültigkeit einer Lenkberechtigung gerade nicht aus.
6. Ergebnis
Aus den dargelegten Erwägungen war ? in völligem Einklang mit der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ? der Berufung Folge zu geben und der angefochtene Bescheid aufzuheben.