TE UVS Wien 2004/05/10 03/P/34/2283/2003

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Veröffentlicht am 10.05.2004
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Spruch

Der Unabhängige Verwaltungssenat Wien hat durch sein Mitglied Dr. Osinger über die Berufung des Herrn Helmut Raimund F, vertreten durch RA, gegen den Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom 7.2.2003, S 74423-Li/01, mit welchem der Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens als verspätet zurückgewiesen wurde, entschieden:

Gemäß § 66 Abs. 4 AVG wird der angefochtene Bescheid mit der Maßgabe bestätigt, dass der Antrag als unzulässig zurückgewiesen wird.

Text

Mit Straferkenntnis der BPD Wien vom 20.8.2001, S 74423/Li/01, wurden über den Berufungswerber wegen Übertretungen der Straßenverkehrsordnung, des Führerscheingesetzes und des Kraftfahrgesetzes insgesamt sechs Geldstrafen verhängt. Das Straferkenntnis wurde dem Berufungswerber am 27.8.2001 durch persönliche Übernahme zugestellt.

Mit im Zuge des gerichtlichen Exekutionsverfahrens zur Einbringung der Strafbeträge an die Erstbehörde gerichtetem Schriftsatz vom 25.4.2002 teilte Frau Dr. Susanne S mit, dass sie mit Beschluss des BG M vom 9.4.2002, GZ 1 P 28/02z zur einstweiligen Sachwalterin des Herrn Helmut F bestellt worden sei. Anlässlich einer Akteneinsicht habe sie den Beschluss des BG M vom 20.12.2001, GZ 10 E 7755/01x, Bewilligung der Fahrnis- und Gehaltsexekution, betreibende Partei Republik Österreich wegen S 51.700 eingesehen. Zuvor habe sie vom gegenständlichen Verfahren keine Kenntnis gehabt. Der Betroffene sei im Hinblick auf seine gesundheitliche Beeinträchtigung nicht in der Lage, sich selbst vor Gericht zu vertreten. Behördliche Schriftstück nehme er nicht zur Kenntnis, jedenfalls reagiere er nicht darauf. Die Zustellung des Straferkenntnisses vom 20.8.2001 sei daher nichtig. Es werde daher beantragt, die Vollstreckbarkeitsbestätigung aufzuheben und das Straferkenntnis der Sachwalterin zuzustellen. Laut vorgelegter Kopie des Beschlusses des Bezirksgerichtes M vom 9.4.2002, GZ 1 P 28/02z-4, ist Dr. Susanne S zum einstweiligen Sachwalter des Herrn Helmut F bestellt worden. Die Bestellung umfasste u.a. die Verwaltung des Einkommens und Vermögens und Vertretung vor Gericht, insbesondere in den anhängigen Exekutionsverfahren. Da die betroffene Person ihre vermögensrechtlichen Angelegenheiten nicht wahrnehmen könne und ihre Vertretung in den. Exekutionsverfahren des BG M dringend geboten sei, sei der einstweilige Sachwalter auch mit diesen Angelegenheiten zu betrauen gewesen.

Mit Beschluss des Bezirksgerichtes M vom 30.4.2002 ist die mit dg. Beschluss vom 20.12.2001 gegen Herrn Helmut F bewilligte Exekution gemäß § 39 Abs 1 Z 6 EO eingestellt worden. Mit Bescheid der Erstbehörde vom 21.5.2002 wurde der seitens der einstweiligen Sachwalterin Dr. Susanne S mit Schriftsatz vom 25.4.2002 gestellte Antrag auf Neuzustellung des Straferkenntnisses vom 20.8.2001 als unzulässig zurückgewiesen. Das Straferkenntnis sei bereits am 27.8.2001 (Übernahme durch den Empfänger) rechtswirksam zugestellt worden.

In der Folge wurde der Vollzug der Strafen über Antrag vom 19.7.2002 mit erstbehördlichem Bescheid vom 23.7.2002 für die Dauer von sechs Monaten unterbrochen.

Mit Schriftsatz vom 20.11.2002 teilte Herr RA Dr. Josef E mit, dass er zum Sachwalter von Herrn Helmut F bestellt worden sei. In der Anlage übermittle er den Bestellungsbeschluss und ein im Sachwalterschaftsverfahren eingeholtes Sachverständigengutachten, woraus sich ergebe, dass Herr F zum Tatzeitpunkt zurechnungsunfähig bzw. zum Zeitpunkt behördlicher Zustellungen aufgrund seines Geisteszustandes nicht in der Lage gewesen sei, die Tragweite seines Handelns abzuschätzen und sich gegen die ihm zur Last gelegten Taten zur Wehr zu setzen. Es werde ersucht, die Voraussetzungen einer amtswegigen Wiederaufnahme des Verwaltungsstrafverfahrens zu prüfen und die Bescheide von amtswegen zu beheben.

Laut in Kopie vorgelegtem Beschluss des Bezirksgerichtes M vom 18.7.2002, GZ 1 P 28/02z-19, ist RA Dr. Josef E gemäß 273 ABGB zum Sachwalter des Herrn Helmut F in Angelegenheiten der Vermögens- und Einkommensverwaltung und der Vertretung vor Gericht, Ämtern und Behörden bestellt worden.

Laut dem ebenfalls vorgelegten Gutachten des neurologischpsychiatrischen Sachverständigen Dr. Herbert K vom 27.6.2002 bestehe beim Berufungswerber seit annähernd 10 Jahren eine chronische Alkoholkrankheit und eine affektive Störung. Den Zusatzbefunden sei zu entnehmen, dass die affektive Störung im Sinne einer Depression zumindest schon Ende der 80er Jahre auftrat. Zumindest seit 1993 sei die manisch-depressive Erkrankung diagnostiziert. Zum Zeitpunkt der Erstellung des Gutachtens bestehe bei ihm im Rahmen einer bipolaren affektiven Störung eine hypomanische Episode nach ICD 10, F 31.0 und darüber hinaus ein chronisches Alkoholabhängigkeitssyndrom mit ständigem Substanzgebrauch nach ICD 10, F 10.25. Er sei ?von Krankheitswert beeinträchtigt". Insbesondere sei er in seinem Sozialverhalten deutlich gestört, in seiner Kritikfähigkeit und Realitätswahrnehmung eingeschränkt und in seiner sozialen Leistungsfähigkeit nicht fähig, ohne Gefahr eines Nachteils zu handeln.

Hinsichtlich der Zusatzfrage, ob der Berufungswerber im Zeitraum von September 2001 bis März 2002 geistig in der Lage gewesen sei, die Folgen einer Zustellung eines Zahlungsbefehles zu verstehen bzw. allenfalls dagegen Einspruch zu erheben, ist im obigen Gutachten SV Dr. Herbert K vom 27.6.2002 ausgeführt worden, der Untersuchte sei in dieser Zeit durch seine chronische Alkoholkrankheit beeinträchtigt gewesen. Ob er in diesem Zeitraum an einer Manie, Hypomanie oder Depression erkrankt war, könne aus den Angaben des Betroffenen nicht entnommen werden und gebe es keine Anhaltspunkte aus Zusatzbefunden über eine etwaige schwere psychische Störung, die einen stationären Aufenthalt erforderlich gemacht hätte. Der Betroffene sei in der ausführlichen Exploration auch nicht fähig, über Trinkmengen oder Trinkgewohnheiten zielgerichtet Auskunft zu geben, sodass über den Schweregrad einer etwaigen Beeinträchtigung nichts ausgesagt werden könne. Bei der bipolaren affektiven Störung handle es sich um ein episodisches phasenhaftes Geschehen, wobei die einzelnen Phasen (Depression, Manie) unterschiedlich lang dauern können und auch ohne Behandlungen remittierten. Im Intervall sei der Betroffene nicht von Krankheitswert beeinträchtigt und sei davon auszugehen, dass er in einem solchen Intervall auch fähig sei, Zahlungsaufforderungen oder Zustellungen zu verstehen. Aufgrund der chronischen Alkoholkrankheit sei aber das soziale Leistungsniveau herabgesetzt und seien die Kritik- und Urteilsfähigkeit eingeschränkt. In diesem Zusammenhang könne eine Beeinträchtigung auch für die Zeit September 2001 bis März 2002 angenommen werden.

In der Folge hat die Erstbehörde dem Chefärztlichen Dienst der BPD Wien den Gesamtakt mit dem Ersuchen um Prüfung

übermittelt, ob es dem Berufungswerber zum Tatzeitpunkt (12.5.2001) an der Zurechnungsfähigkeit gemangelt habe. Laut diesbezüglichem Gutachten des Chefärztlichen Dienstes der BPD Wien vom 2.1.2003 bestünden aufgrund der vorliegenden medizinischen Befunde und der Aktenlage keine Hinweise, die die Annahme rechtfertigten, dass zum Tatzeitpunkt keine Zurechnungsunfähigkeit bestanden hätte.

Mit ergänzendem Schriftsatz vom 13.1.2003 legte der Sachwalter des Berufungswerbers das in einem Strafverfahren gegen ihn seitens Herrn Univ. Doz. Dr. Pius P, Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, allgemein gerichtlich beeideter und zertifizierter Sachverständiger am 28.11.2002 erstellte Gutachten zur Frage vor, ob der Berufungswerber im Zeitraum 12.3.2001 bis 10.1.2002 zurechnungsfähig gewesen ist. Der Gutachter kommt zu dem Ergebnis, dass der Berufungswerber in diesem Zeitraum aus psychiatrischer Sicht nicht zurechnungsfähig gewesen ist. Für den Zeitraum 12.3.2001 bis 10.1.2002 liege zwar keine Beschreibung des psychiatrischen Zustandsbildes etwa durch stationären Aufenthalt vor, jedoch sei kurz davor in einem stationären Aufenthalt das Vorliegen eines schweren Störbildes der angeführten Art (bipolare affektive Störung, derzeit hypomanische Episode ICD-10 F31.0, psychische Störung durch psychotrope Substanzen ? Alkohol und Tranquilizer ICD-10 F10.73 und F13.73) festgestellt und behandelt worden. Eine massive, etwa affektive, Schwankung oder eine wesentliche Änderung im Substanzgebrauch sei offensichtlich ebensowenig eingetreten wie eine relevante Besserung in diesem Zeitraum. Interpoliere man nun vom jetzigen Zustand bis zu dem Entlassungszustand im Jänner 2001 zurück, so komme man zu dem Kalkül, dass beim Berufungswerber der anhaltende hypomanische, kritikschwache, sehr optimistische, Folgen des Handelns kaum in die Handlungsmotivation einfließen lassende Krankheitszustand in Verbindung mit dem sicherlich langsam zunehmenden

demenziellen Abbaubild dazu geführt habe, dass dieser für die Delikte, die er ohne zielführenden Verheimlichungsaufwand gesetzt habe, das Unrechte seines Handelns nicht habe erkennen können und in Folge des gesteigerten Antriebs auch nicht in der Lage gewesen sei, sich einer solchen Erkenntnis entsprechend zu verhalten.

Nach Einlangen dieses ergänzenden Gutachtens wurde der Akt durch die Erstbehörde neuerlich an den Chefärztlichen Dienst der BPD Wien mit dem Ersuchen um Stellungnahme übermittelt, ob im Hinblick auf das Gutachten vom 28.11.2002 der Berufungswerber zu den angegebenen Tatzeiten zurechnungsfähig bzw. geschäftsfähig war. Mit Schreiben des Chefärztlichen Dienstes der BPD Wien vom 23.1.2003 wurde mitgeteilt, aufgrund der nun vorliegenden stichhaltigen fachärztlich-psychiatrischen Ansicht des Sachverständigen sei aus chefärztlicher Sicht für den in Frage kommenden Zeitraum eine Zurechnungsunfähigkeit anzunehmen. In der Folge wurde der Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens mit Bescheid der Erstbehörde vom 7.2.2003 als verspätet zurückgewiesen.

Dagegen wurde fristgerecht Berufung erhoben.

Rechtlich ergibt sich Folgendes:

Gemäß § 69 Abs. 1 AVG ist dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Bescheid abgeschlossenen Verfahrens stattzugeben, wenn ein Rechtsmittel gegen den Bescheid nicht oder nicht mehr zulässig ist und:

1. der Bescheid durch Fälschung einer Urkunde, falsches Zeugnis oder eine andere gerichtlich strafbare Handlung herbeigeführt oder sonstwie erschlichen worden ist oder

2. neue Tatsachen oder Beweismittel hervorkommen, die im Verfahren ohne Verschulden der Partei nicht geltend gemacht werden konnten und allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens voraussichtlich einen im Hauptinhalt des Spruches anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätten, oder

3. der Bescheid gemäß § 38 von Vorfragen abhängig war und nachträglich über eine solche Vorfrage von der hiefür zuständigen Behörde (Gericht) in wesentlichen Punkten anders entschieden wurde.

Voraussetzung für die Wiederaufnahme eines Verfahrens ist sohin, dass dieses Verfahren rechtskräftig abgeschlossen ist. Laut Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. VwSlg. 6659 A/1965) kommt es für die Frage der Wirksamkeit einer Zustellung darauf, ob der Zustellungsempfänger handlungsfähig und nicht etwa darauf an, ob er bereits entmündigt (für ihn ein Sachwalter bestellt) war.

Eine bipolare affektive Störung, hypomanische Episode (ICD-10 F31.0), in Verbindung mit einer psychischen Störung durch psychotrope Substanzen ? Alkohol und Tranquilizer (ICD-10 F10.73 und F13.73), in Verbindung mit einem langsam zunehmenden demenziellen Abbaubild stellt eine psychische Erkrankung dar, wodurch der Betroffene nicht in der Lage ist, Bedeutung und Tragweite eines Verwaltungs(straf)verfahrens und der sich darin ereignenden prozessualen Vorgänge (Zustellung) zu erkennen, zu verstehen und sich den Anforderungen eines derartigen Verfahrens entsprechend zu verhalten. Nach dem im Akt einliegenden neurologisch-psychiatrischen Gutachten vom 28.11.2002 ist davon auszugehen, dass der Berufungswerber an dieser Erkrankung auch im Zeitpunkt der an ihn persönlich erfolgten Zustellung des Straferkenntnisses (27.8.2001) gelitten hat. Die betreffende Zustellung war daher nicht rechtswirksam.

Eine allfällige Zustellung des Straferkenntnisses an den Vertreter (Sachwalter) des Berufungswerbers ist nicht aktenkundig. Das Straferkenntnis ist daher als nicht erlassen anzusehen. Da ein das Verfahren abschließender rechtskräftiger Bescheid nicht vorliegt, sind die Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme daher nicht gegeben.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden. Die Spruchberichtigung diente der Anführung des richtigen Zurückweisungsgrundes.

Quelle: Unabhängige Verwaltungssenate UVS, http://www.wien.gv.at/uvs/index.html
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