Der Unabhängige Verwaltungssenat in Tirol entscheidet durch sein Mitglied Dr. Alexander Hohenhorst über die Berufung von Herrn D. A., I., vertreten durch Herrn Rechtsanwalt Mag. R. M., I., vom 28.04.2004 gegen das Straferkenntnis des Bürgermeisters von Innsbruck vom 20.04.2004, Zahl II-STR-00211e/2004, betreffend Übertretung des Immissionsschutzgesetz-Luft wie folgt:
Gemäß § 66 Abs 4 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 (AVG) iVm §§ 24 und 51 Verwaltungsstrafgesetz 1991 (VStG) wird der Berufung insoferne Folge gegeben, als gemäß § 21 VStG von der Verhängung einer Strafe abgesehen und eine Ermahnung erteilt wird.
Mit dem angefochtenen Straferkenntnis wurde dem Berufungswerber zur Last gelegt, er habe am 05.11.2003 um 22.30 Uhr in Kundl auf der A 12 bei km 24,3 in Fahrtrichtung Westen als Lenker des Sattelkraftfahrzeuges mit den Kennzeichen XY (Sattelzugfahrzeug) und XY (Sattelanhänger) ein Kraftfahrzeug mit über 7,5 Tonnen höchstes zulässiges Gesamtgewicht entgegen den Bestimmungen des § 30 Abs 1 Z 4 Immissionsschutzgesetz-Luft in Verbindung § 3 der Verordnung des Landeshauptmannes von Tirol, BGBl II Nr 278/2003, das Fahrverbot für Lastkraftfahrzeuge über 7,5 Tonnen höchstes zulässiges Gesamtgewicht zwischen 22.00 Uhr bis 05.00 Uhr auf der A 12 Inntalautobahn zwischen Strkm 20,359 in Gemeindegebiet von Kundl und Strkm 66,780 im Gemeindegebiet von Ampass missachtet, obwohl die Fahrt nicht unter die Ausnahmebestimmungen der Verordnung fiel und er auch nicht im Besitz einer Ausnahme-genehmigung war. Dadurch habe der Beschuldigte gegen § 30 Abs 1 Z 4 IG-L in Verbindung mit der zitierten Verordnung verstoßen, weshalb gemäß § 30 Abs 1 Z 4 IG-L über ihn eine Geldstrafe in der Höhe von Euro 190,00 (im Uneinbringlichkeitsfall 2 Tage Ersatzfreiheitsstrafe) verhängt wurde. Seine Beitragspflicht zu den Kosten des erstinstanzlichen Verwaltungsstrafver-fahrens wurde mit Euro 19,00 bestimmt.
Gegen dieses Straferkenntnis hat Herr A. durch seinen Rechtsvertreter fristgerecht und zulässig Berufung erhoben und diese im Wesentlichen damit begründet, dass es außer Streit stehe, dass er zur Tatzeit am Tatort das beschriebene Sattelkraftfahrzeug gelenkt hat. Dieses war zum Zeitpunkt der Anhaltung mit Speisekartoffeln beladen. Dabei handle es sich um leicht verderbliche Lebensmittel und falle damit unter die Ausnahmen vom Fahrverbot gemäß § 4 der Verordnung BGBl II Nr 278/2003. Es gebe zur Frage, was leicht verderbliche Lebensmittel mit einer Haltbarkeit von nur wenigen Tagen bedeuten, keine einschlägige veröffentlichte Judikatur. Deshalb sei auf die Judikatur des § 42 Abs 3 StVO zurückzugreifen, in dem die Ausnahmen vom Wochenendfahrverbot normiert sind und auch der Begriff ?leicht verderblich? Verwendung finde. Dazu gebe es einen Erlass aus dem Jahr 1961 durch das Bundesministerium für Handel, in dem als leicht verderblich solche Lebensmittel bezeichnet wurden, deren Genießbarkeit durch Verfaulen, Frieren oder Austrocknen beeinträchtigt werden kann. Bei der demonstrativen Aufzählung wurden darin unter anderem Kartoffeln angeführt. Die in diesem Erlass geäußerte Rechtsansicht des Bundesministeriums für Handel entspreche bis zum heutigen Tag auch jener des Verwaltungsgerichtshofes, sodass als ständige Rechtsprechung angesehen werden könne, dass Kartoffel als leicht verderbliche Lebensmittel gelten. Die gegenteilige Meinung der Erstbehörde sei damit unzutreffend. Darüber hinaus sei jedem in Haushaltsfragen annähernd kundigen Menschen bekannt, dass Kartoffel innerhalb weniger Tage verderben, wenn sie nicht unter optimalen Lagerbedingungen, also bei richtiger Temperatur, richtiger Luftfeuchtigkeit und absoluter Dunkelheit aufbewahrt werden. Umso mehr sei zu bedenken, dass Kartoffel, die im November, also einem Monat mit durchschnittlichen Nachttemperaturen unter dem Gefrierpunkt, auf einem Kraftfahrzeug befördert werden, das nach der Anhaltung die ganze Nacht auf einem Parkplatz abgestellt wird, durch Erfrieren
verderben und ungenießbar werden. Bei der Prüfung eines Sachverhaltes sei nicht nur die allgemeine Lebenserfahrung heranzuziehen, sondern eine Beurteilung im konkreten Einzelfall vorzunehmen. Dabei hätte die Erstbehörde erkennen können, dass die Kartoffeln nach Entnahme aus dem Lager in kurzer Zeit verderben können. Folglich seien diese als leicht verderbliche Lebensmittel zu kategorisieren, weshalb eine Übertretung des IG-L nicht vorliege. Sollte die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht den Intentionen des Gesetzgebers des IG-L und des Verordnungsgebers entsprechen, so sei dem Beschuldigten jedenfalls zuzubilligen, in einem entschuldbaren Rechtsirrtum gewesen zu sein. Dies stelle einen Strafaufhebungsgrund dar. Der Beschuldigte habe gemäß der bekannten und veröffentlichten Rechtsprechung das Bestehen eines Ausnahmetatbestandes des § 4 Z 1 der Verordnung BGBl II Nr 278/2003 angenommen, da ihm eine allenfalls gegenteilige Rechtsansicht nicht bekannt war und mangels Veröffentlichung auch nicht bekannt sein habe können. Eine mögliche Rechtsunkenntnis sei ihm deshalb nicht vorwerfbar. Es werde deshalb beantragt, das bekämpfte Straferkenntnis zu beheben und das Verfahren einzustellen.
Die Berufungsbehörde hat hiezu wie folgt erwogen:
Nach § 4 Z 1 der Verordnung des Landeshauptmannes von Tirol vom 27.05.2003, BGBl II Nr 278/2003, sind vom Verbot des § 3 Fahrten zum überwiegenden Transport leicht verderblicher Lebensmittel mit einer Haltbarkeit von nur wenigen Tagen ausgenommen. Hinsichtlich des Begriffes ?leicht verderbliche Lebensmittel? ist im Wege der Analogie die Judikatur zur Straßenverkehrsordnung heranzuziehen. Demnach sind leicht verderblich solche Lebensmittel, deren Genießbarkeit durch Verfaulen, Frieren, Austrocknen und dergleichen leicht beeinträchtigt werden kann (zB Obst, Gemüse, Fisch, Fleisch, Wild, frische Schlachtnebenprodukte, Brot- und Backwaren, Milcherzeugnisse, Butter, tief gefrorene Lebensmittel, Wein, Most und Sturm in Gebinden oder Tankfahrzeugen). Vergleiche Anlagen 2 und 3 des Übereinkommens über internationale Beförderung leicht verderblicher Lebensmittel, BGBl Nr 144/1978. (Siehe Messiner StVO, Manz, 20. Auflage, Seite 729, Punkt 7). Das Bundesgesetz zur Durchführung des Übereinkommens vom 1. September 1970 über internationale Beförderungen leicht verderblicher Lebensmittel und über die besonderen Beförderungsmittel, die für diese Beförderungen verwendet sind (ATP), samt Anlagen (ATP-Durchführungsgesetz) bestimmt in § 1 Abs 1, dass für die Beförderung leicht verderblicher Lebensmittel im grenzüberschreitenden Verkehr aus der und in die Republik Österreich die Bestimmungen des Übereinkommens über internationale Beförderungen leicht verderblicher Lebensmittel und über die besonderen Beförderungsmittel, die für diese Beförderungen zu verwenden sind, samt Anlagen, BGBl Nr 144/1978, in der jeweils geltenden Fassung, im folgenden ATP genannt, gelten. In den Anlagen 2 und 3 des BGBl Nr 144/1978 sind Kartoffeln nicht angeführt. Sie sind daher im Sinn der vorangeführten Rechtsvorschriften keine leicht verderblichen Lebensmittel.
In der oben zitierten Stelle des Kommentars zur Straßenverkehrsordnung wird auch ausgeführt, dass es für leicht verderbliche Lebensmittel nicht auf die Beförderungsart ankommt, sondern nur auf die Art des zu befördernden Gutes. Das bedeutet, dass es nicht maßgeblich ist, ob die Kartoffeln unter optimalen Lagerbedingungen transportiert werden und wie die Außentemperaturen im konkreten Fall gewesen sind.
Zutreffend ist die Ausführung des Berufungswerbers, dass im Erlass des Bundesministers für Handel, Gewerbe und Industrie vom 24.04.1961 Kartoffeln als leicht verderblich bezeichnet werden. Bei einem Erlass handelt es sich jedoch nur um eine generelle Weisung, welche keine Außenwirkung an die Rechtsunterworfenen hat. Im Gegensatz dazu beruht die hier von der Berufungsbehörde vertretene Rechtsauffassung auf Normen mit Außenwirkung. Diesen ist daher der Vorzug gegenüber einem Erlass zu geben. Kartoffeln zählen deshalb nicht zu leicht verderblichen Lebensmitteln im Sinn der §§ 42 und 45 StVO. Sie sind deshalb auch nicht als leicht verderbliche Lebensmittel im Sinn des Immissionsschutzgesetzes-Luft und der aufgrund dieses Gesetzes erlassenen Verordnungen zu betrachten. Die Ausnahmebestimmung des § 4 Z 1 der Verordnung des Landeshauptmannes von Tirol vom 27.05.2003, BGBl II Nr 278/2003, gilt demnach nicht für Kartoffeln. Da der Beschuldigte keine Ausnahmegenehmigung für diesen Transport besaß, beging er eine Verwaltungsübertretung gemäß § 30 Abs 1 Z 4 IG-Luft. Der von der Erstbehörde ausgesprochene Schuldspruch erfolgte deshalb zu Recht. Auf einen entschuldbaren Rechtsirrtum kann sich der Berufungswerber in diesem Fall nicht berufen, weil es hier um die Kenntnis einer Gesetzesbestimmung geht und nicht um die Erkundigungspflicht in Bezug auf eine allfällige Judikatur. Der geltend gemachte Strafaufhebungsgrund ist deshalb nicht gegeben.
Gemäß § 21 Abs 1 VStG kann die Behörde ohne weiteres Verfahren von der Verhängung einer Strafe absehen, wenn das Verschulden des Beschuldigten geringfügig ist und die Folgen der Übertretung unbedeutend sind. Eine Anwendung des § 21 Abs 1 VStG kommt also nur dann in Frage, wenn die Schuld des Beschuldigten geringfügig ist. Davon kann aber nur dann die Rede sein, wenn das tatbildmäßige Verhalten des Täters hinter dem in der betreffenden Strafdrohung typisierten Unrechts- und Schuldgehalt erheblich zurückbleibt (VwGH 31.01.1990, 89/03/0084, 27.05.1982, 92/02/0176 uvam). Die Behörde kann den Beschuldigten jedoch gleichzeitig unter Hinweis auf die Rechtswidrigkeit seines Verhaltens mit Bescheid ermahnen, sofern dies erforderlich ist, um den Beschuldigten von weiteren strafbaren Handlungen gleicher Art abzuhalten.
Da die oben aufgezeigte rechtliche Argumentation für einen Laien, auch dann wenn er als LKW-Fahrer über die einschlägigen rechtlichen Vorschriften kundig sein muss, nur schwer erkennbar ist, kann in diesem Fall davon ausgegangen werden, dass das tatbildmäßige Verhalten des Täters hinter dem in der betreffenden Strafdrohung typisierten Unrechts- und Schuldgehalt erheblich zurückgeblieben ist. Da diese Übertretung auch keine bedeutenden Folgen nach sich gezogen hat, sind die Voraussetzungen für die Anwendung des § 21 Abs 1 VStG gegeben. Es war jedoch eine Ermahnung auszusprechen, um den Berufungswerber eindringlich auf die vertretene Rechtsauffassung hinzuweisen und ihn davon abzuhalten, in Hinkunft derartige Übertretungen zu begehen.