Der Unabhängige Verwaltungssenat Wien hat durch sein Mitglied Dr. Osinger in der öffentlichen mündlichen Berufungsverhandlung vom 18.6.2003 auf Grund der Berufung von Frau Concita L, vertreten durch ihren Sachwalter RA Dr. Christian B, gegen den Zurückweisungsbescheid der Bundespolizeidirektion Wien, Koat. Leopoldstadt vom 23.4.2002, GZ. S 70283-L/01, betreffend Zurückweisung eines Einspruchs vom 2.4.2002 gegen die erstbehördliche Strafverfügung vom 8.5.2001, GZ. S 70283-L/01, wg. Übertretung des Art 9 Abs 1 Z 2 EGVG (Schwarzfahren) entschieden wie folgt:
Gemäß § 66 Abs 4 AVG wird der angefochtene Bescheid behoben.
Gegen die nunmehrige Berufungswerberin Frau Concita L, ist am 8.5.2001 eine Strafverfügung wg. Übertretung des Art 9 Abs 1 Z 2 EGVG (Schwarzfahren) gerichtet worden. Die betreffende Sendung ist nach zwei erfolglosen Zustellversuchen ab dem 15.5.2001 beim Zustellpostamt erfolglos zur Abholung bereit gehalten worden. Auf Grund einer erstbehördlichen Mahnung vom 12.12.2001 hat RA Dr. Christian B, unter Berufung auf seine Bestellung zum einstweiligen Sachwalter der nunmehrigen Berufungswerberin durch Beschluss des BG vom 29.1.2002, GZ. 2 P 4102h-5, beantragt, ihm eine Kopie der Strafverfügung vom 8.5.2001 zukommen zu lassen, damit er prüfen lassen könne, ob Frau L damals deliktsfähig gewesen sei.
Gemäß dem vorgelegten Beschluss des BG vom 29.1.2002 leidet die Betroffene Concita L an einer psychischen Beeinträchtigung, wodurch die Gefahr bestehe, dass sie Schaden erleide. Auf ihren Antrag vom 28.1.2002 sei das Verfahren gemäß § 273 ABGB einzuleiten und sei spruchgemäß ein einstweiliger Sachwalter zu bestellen gewesen. Die Vertretungsbefugnis des einstweiligen Sachverwalters RA Dr. Christian B beziehe sich u.a. auf ?Vertretung vor Behörden, Ämtern, Gerichten, Sozialversicherungsträgern". Mit erstbehördlichem Schreiben vom 25.3.2002 ist RA Dr. Christian B eine Kopie der Strafverfügung vom 8.5.2001 ?zur weiteren Veranlassung" übermittelt worden. Gemäß § 6 ZustellG sei jedoch im Falle mehrmaliger gültiger Zustellung die erste, bereits am 15.5.2001 erfolgte Zustellung maßgebend. Dieses erstbehördliche Schreiben hat er am 28.3.2002 übernommen.
Mit am 2.4.2002 zur Post gegebenem Schreiben hat er ?vorsichtshalber" Einspruch erhoben. Frau L sei im Zustellzeitpunkt nicht prozessfähig gewesen. Die Zustellung sei daher nicht wirksam gewesen und habe erst die Zustellung an ihn den Fristenlauf in Gang gesetzt. Zum Beweis dafür berufe er sich auf ein von Amtswegen einzuholendes psychiatrisches Sachverständigengutachten. Im Übrigen sei Frau L im Deliktszeitpunkt auf Grund ihrer psychischen Krankheit nicht deliktsfähig gewesen. Dies ergebe sich aus ihrem Pflegschaftsakt sowie einem allenfalls von Amtswegen einzuholenden psychiatrischen Sachverständigengutachten.
Mit nunmehr angefochtenem erstbehördlichem Bescheid vom 23.4.2002, GZ. S 70283-L/01, ist der Einspruch vom 2.4.2002 gemäß § 49 Abs 1 VStG als verspätet zurückgewiesen worden. Die Strafverfügung sei nach Zustellversuchen am 14. u. 15.5.2001 am 15.5.2001 beim Postamt hinterlegt und ab 15.5.2001 zur Abholung bereit gehalten worden. Die Rechtsmittelfrist sei demnach am 29.5.2001 abgelaufen. Der am 2.4.2002 zur Post gegebene Einspruch sei daher als verspätet zurückzuweisen gewesen. Mit Berufung ist die Aufhebung des betreffenden Bescheides beantragt worden, da Frau L im Zeitpunkt der ursprünglichen Zustellung prozessunfähig und die betreffende Zustellung somit rechtsunwirksam gewesen sei. Es sei die neuerliche Zustellung an den Sachwalter als erstmalige wirksame Zustellung anzusehen und der Einspruch vom 2.4.2002 daher rechtzeitig. Irgendwelche Beweise zur Feststellung der Prozessfähigkeit von Frau L habe die Erstbehörde nicht aufgenommen und sei das Verfahren daher mangelhaft geblieben.
Auf Grund dieser Berufung ist eine öffentliche mündliche Berufungsverhandlung für 8.6.2003 anberaumt worden, zu der die Berufungswerberin zu Handen ihres ausgewiesenen Vertreters, RA Dr. Christian B, sowie Frau Dr. Margarete K, Amtssachverständige der MA 15 ? Gesundheitsamt, geladen worden sind. Mit Schreiben vom 27.5.2003 beantragte RA Dr. Christian B für die von ihm vertretene Frau Concita L die Gewährung von Verfahrenshilfe. Ein Sachwalter habe, soweit er Anwalt sei und typisch anwaltliche Leistungen für die betroffene Person erbringe, einen Anspruch auf Entlohnung nach Rechtsanwaltstarif. Zur Bezahlung einer solchen Entlohung sei Frau L in Folge ihres geringen Einkommens nicht im Stande.
An der Verhandlung vom 18.6.2003 haben weder die Berufungswerberin noch irgendein Vertreter teilgenommen. Die Amtssachverständige hat in der Berufungsverhandlung Folgendes ausgeführt:
?Ich habe bereits wiederholt Gutachten über die Frage der Handlungsfähigkeit der Bw beim UVS Wien erstattet. Der Pflegschaftsakt ist mir bekannt und muss nicht beigeschafft werden.
Die Bw ist schwer drogenabhängig und ist daher bei ihr die Handlungsfähigkeit weitgehendst eingeschränkt. In den vorangegangenen Verfahren ist die Bw nie erschienen, ebenso wenig ihr dortiger Vertreter RA Dr. Christian B.
Befund:
Die Bw war vom 21.5.2001 bis 1.6.2001 stationär in Behandlung des Psychiatrischen Krankenhauses der Stadt Wien, Psych. Abt. Der Grund ihrer Aufnahme war laut Kopie der Krankengeschichte vom 1.6.2001 ein Drogenentzug. Aus der Anamnese laut Krankengeschichte ergibt sich, dass die Patientin am 21.5.2001 erhebliche Wahrnehmungsstörungen geschildert hat. Sie fühle sich wie im Film, könne sich an nichts mehr erinnern und wisse nicht mehr wo sie wohne. Die betreffenden Schilderungen sind nach der Krankengeschichte eindeutig auf Drogenmissbrauch zurückzuführen. Die Patientin ist laut Krankengeschichte ?polytoxikoman" und nimmt Opiate, Benzodiazepine und Kokain. Die Polytoxikomanie besteht laut Krankengeschichte seit rund 20 Jahren. An der Patientin wurde eine Entgiftung vorgenommen und wurden ihr nach der kurzen stationären Aufnahme [auf der Baumgartner Höhe vom 21.5.2001 bis 1.6.2001] Langzeitbehandlungen etwa am Anton-Proksch-Institut in Kalksburg angeboten. Aus der Krankengeschichte ist davor eine kurze stationäre Entgiftung im SMZ-Ost (vom 19.9.2000-4.10.2000) ersichtlich.
Nach dem gegenständlichen Behandlungsaufenthalt im Mai/Juni 2001 ist die Bw auf der Baumgartner Höhe wieder aufgenommen worden im Zeitraum vom 19.12.2001 bis 21.2.2002. Am 21.2.2002 hat sie die Behandlung abgebrochen. Seither sind keine neuen stationären Behandlungen der Bw aktenkundig.
Gutachten zur Frage, ob die Bw im Zustellzeitraum (1.
Zustellversuch am 14.5.2001, 2. Zustellversuch u. Beginn der Abholfrist am 15.5.2001) in der Lage gewesen ist, die Bedeutung der Zustellung eines behördlichen Schriftstückes zu erkennen und sich danach zu verhalten:
Aus der Tatsache, dass die Bw nicht einmal eine Woche nach dem Beginn der Abholfrist stationär wegen Drogenmissbrauchs aufgenommen werden musste, wobei sie über erhebliche Wahrnehmungsveränderungen berichtet und geschildert hat, dass sie nicht einmal wisse, wo sie wohne, ist zu folgern, dass ein solcher Zustand, der die Bw außer Stande gesetzt hat, die Bedeutung einer Zustellhandlung zu erkennen, bei ihr auch schon im Zustellzeitpunkt bestanden haben wird. Dies kann insbesondere aus der langjährigen Drogenabhängigkeit der Bw gefolgert werden. Über die jeweilige Tagesverfassung der Bw lässt sich ohne Untersuchung im zu beurteilenden Zeitpunkt schwer eine genaue Aussage treffen, da der Zustand von Art und Ausmaß des jeweiligen Drogenkonsums abhängig ist. Nach der Krankengeschichte liegt aber eine langjährige Drogenabhängigkeit in einem solchen Ausmaß vor, dass eine klare Wahrnehmung der Umwelt bei der Bw faktisch auszuschließen ist. Eine vorhandene Diskretionsfähigkeit ist nicht gänzlich auszuschließen, eine darauf aufbauende Dispositionsfähigkeit jedoch schon. Auf Grund der Drogenkarriere der Bw ist eine dem Normalzustand entsprechende Teilnahme am alltäglichen Leben nicht mehr zu erwarten und ist die Bw offenbar ausschließlich auf die Befriedigung ihrer Drogensucht eingeschränkt, andere Lebensbereiche nimmt sie kaum mehr war. Im Anschluss daran konnte der aus dem Spruch ersichtliche stattgebende Berufungsbescheid mündlich verkündet werden.
Dafür sind folgende Gründe maßgeblich:
Gemäß § 9 AVG ist, insoweit die persönliche Rechts- und Handlungsfähigkeit von Beteiligten in Frage kommt, diese von der Behörde, wenn in den Verwaltungsvorschriften nicht anderes bestimmt ist, nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts zu beurteilen.
Gemäß § 273 Abs 1 ABGB ist, vermag eine Person, die an einer psychischen Krankheit leidet oder geistig behindert ist, alle oder einzelne ihrer Angelegenheiten nicht ohne Gefahr eines Nachteils für sich selbst zu besorgen, dieser auf ihren Antrag oder von Amtswegen dazu ein Sachwalter zu bestellen.
Zu beurteilen war hier die Wirksamkeit der Zustellung einer Strafverfügung, die nach Zustellversuchen vom 14. u. 15.5.2001 ab 15.5.2001 beim Postamt abzuholen war.
Die Bestellung eines einstweiligen Sachwalters (hier mit Beschluss des BG vom 29.1.2002, GZ. 2 P 4102h-5), lässt keinen eindeutigen Schluss darauf zu, ob bei der betroffenen Person nicht auch schon vorher eine solche Einschränkung der Handlungsfähigkeit bestanden hat.
Ob eine Berufungswerberin etwa bereits im erstinstanzlichen Verfahren nicht in der Lage gewesen ist, Bedeutung und Tragweite desselben und der sich in ihm ereignenden prozessualen Vorgänge zu erkennen, zu verstehen und sich den Anforderungen eines derartigen Verfahrens entsprechend zu verhalten, ist allenfalls auch erst im Berufungsverfahren durch Befund und Gutachten eines medizinischen Amtssachverständigen zu klären, ist doch das Fehlen der Prozessfähigkeit in jeder Lage des Verfahrens von Amtswegen wahrzunehmen (etwa VwSlg.10.079A/1980).
Nach dem Gutachten der medizinischen Amtssachverständigen war die Berufungswerberin im Zustellzeitraum offenbar handlungsunfähig. Ist ein Zustellungsempfänger handlungsunfähig, ist eine Zustellung unwirksam (etwa VwSlg. 6659A/1965). Die erste Zustellung der gegenständlichen Strafverfügung war somit nicht geeignet, irgendwelche Rechtswirkungen auszulösen. Die Strafverfügung ist vielmehr erst durch die zweite, am 28.3.2002 erfolgte Zustellung rechtswirksam zugestellt worden. Der vorliegende Einspruch ist daher rechtzeitig. Der angefochtene Zurückweisungsbescheid war zu beheben.