Der Unabhängige Verwaltungssenat Wien hat durch sein Mitglied Dr. Osinger in der öffentlichen mündlichen Berufungsverhandlung vom 22.9.2003 auf Grund der Berufung von Herrn Imre F gegen das Straferkenntnis der Bundespolizeidirektion Wien vom 25.7.2002, S 25.833/dt/02, betreffend eine Verwaltungsübertretung nach § 61 Abs 1 Straßenverkehrsordnung 1960, entschieden wie folgt:
Gemäß § 66 Abs 4 AVG wird der Berufung Folge gegeben, das Straferkenntnis behoben und das Verfahren gemäß § 45 Abs 1 Z 1 VStG eingestellt.
Der Berufungswerber hat daher gemäß § 65 VStG keinen Beitrag zu den Kosten des Berufungsverfahrens zu leisten.
Der Berufungswerber ist als Lenker des Lkw (Sattelanhängers) mit dem Kennzeichen W-47 (richtig BL-47) dafür bestraft worden, am Fahrzeug die Ladung nicht so verwahrt zu haben, dass dadurch niemand gefährdet wird.
Der Spruch des Straferkenntnisses lautet wie folgt:
?Sie haben am 18.2.2002 um 15.57 Uhr in Wien, B-Str. kurz vor dem Gasthaus ?L"
den Lkw mit dem Kennzeichen W-47 gelenkt und haben die Ladung am Fahrzeug nicht in entsprechender Art verwahrt, sodass sein sicherer Betrieb nicht beeinträchtigt, niemand gefährdet, behindert oder belästigt und die Straße weder beschädigt noch verunreinigt wird, da durch einen herabfallenden Stein ein nachfahrendes Kfz beschädigt wurde.
Sie haben dadurch folgende Rechtsvorschrift(en) verletzt:
§ 61(1) StVO
Wegen dieser Verwaltungsübertretung(en) wird (werden) über Sie
folgende Strafe(n) verhängt:
Geldstrafe von Euro 70,00
falls diese uneinbringlich ist, Ersatzfreiheitsstrafe von 70 Std.
Freiheitsstrafe von
gemäß § 99(3)a StVO
Weitere Verfügungen (z.B. Verfallsausspruch, Anrechnung von Vorhaft):
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Ferner haben Sie gemäß § 64 des Verwaltungsstrafgesetzes (VStG) und gemäß § 5a Abs 2 der Straßenverkehrsordnung 1960 (StVO 1960) zu zahlen: 7,00 als Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens, das sind 10 % der Strafe [je einem Tag Freiheitsstrafe werden gleich ? 15,00 angerechnet], als Ersatz der Barauslagen für
Der zu zahlende Gesamtbetrag (Strafe/Kosten/Barauslagen) beträgt daher 77,00 ?"
Mit Berufung wird eingewendet, aus der Schadensmeldung und dem Schriftverkehr ergebe sich, dass er am 18.2.2002 um 15.57 Uhr in Wien, B-Straße unbeladen gefahren sei. Die Steine seien vermutlich von der Fahrbahn oder von den Reifen gekommen. Das Fahrzeug sei besenrein gewesen.
Dem Berufungsschriftsatz beigelegt war eine Kopie der vom Unfallgegner Martin K an den Haftpflichtversicherer des gegenständlichen Lkw (Fa. A) gerichteten Schadensmeldung vom 4.4.2002. Diese Schadensmeldung ist von der Fa. A an den eigenen Versicherungsnehmer W-GmbH, A-Straße, Br zur Stellungnahme weitergeleitet worden. Letzterer hat die Schadensmeldung des Martin K mit einem handschriftlichen Zusatz (Stellungnahme) versehen an den Versicherer Fa. A retourniert. In dieser Stellungnahme der W-GmbH ist auf die eigene Schadensmeldung an die Fa. A verwiesen worden. Diese vom Transportunternehmen W-GesmbH und zusätzlich vom Berufungswerber als Lenker unterfertigte, undatierte Schadensmeldung liegt der Berufung ebenfalls in Kopie bei. In der betreffenden Schadensmeldung ist das Ereignis vom 18.2.2002 in Wien, B-Straße so beschrieben worden, dass das Fahrzeug BL-WI am 18.2.2002 ?zur angeblichen Schadenszeit" in der B-Straße Richtung B 302 gefahren, dabei aber ?leer und sauber" gewesen sei. Den Lenker treffe kein Verschulden.
Zur öffentlichen mündlichen Berufungsverhandlung vom 22.9.2003 ist der Berufungswerber ohne Entschuldigung nicht erschienen. Der Aufforderer (Lenker des unfallgegnerischen Fahrzeuges) Herr Martin K hat folgende Zeugenaussage gemacht:
?Ich bin bereits einige Zeit vor dem Vorfall hinter der Sattelkombination mit einem Sattelaufleger hergefahren. Der Sattelaufleger hatte keine Plane oder andere Abdeckung. Ob er beladen war oder leer, konnte ich hingegen nicht wahrnehmen. Ich fuhr einen Puch G. Dieses Fahrzeug ist zwar etwas höher als ein normaler PKW, aber so hoch auch wieder nicht, um auf die Ladefläche eines Sattelauflegers sehen zu können.
In der B-Straße Richtung stadtauswärts gibt es einige Fahrbahnunebenheiten und habe ich bei dem rund 2
Fahrzeuglängen vor mir fahrenden LKW, als dieser gerade über eine solche Unebenheit fuhr, eine kleine Staubwolke vom Aufleger hochsteigen sehen. Der Aufleger hat beim Drüberfahren ein schepperndes Geräusch gemacht und war da eben diese Staubwolke zu sehen. Es war ein dumpfes Geräusch und habe ich sofort danach Steine auf die Fahrbahn fallen sehen, die von dort gegen meine Windschutzscheibe geprallt sind. Auf die Windschutzscheibe ist aber nur einer dieser Steine gefallen und hat er die Windschutzscheibe durchschlagen.
Befragt, wo der Einschlag gewesen ist: Das kann ich heute nicht mehr sagen. Vermutlich war es beifahrerseitig.
Über Vorhalt, dass bei einem solchen Unfall doch die Schadenstelle in Erinnerung bleiben müsste: Ich weiß es heute einfach nicht mehr genau und kann dafür keinen Grund angeben. Es war ein Loch durch die Windschutzscheibe und sind die Splitter sowohl auf der Mittelkonsole als auch in den Fußräumen fahrer- und beifahrerseitig gewesen. Ich war ganz perplex von dem Einschlag und bin mit dem Auto sofort rechts stehen geblieben. Ich konnte gerade noch das KZ des Auflegers ablesen. Dem FZ bin ich nicht nachgefahren.
Befragt, ob ich den Stein, der die Windschutzscheibe durchschlagen hat, entdeckt und aufgehoben habe: Ich habe ihn nicht sofort entdeckt. Ich habe das FZ am nächsten Tag an der Tankstelle ausgesaugt. Ich wollte die Splitter weghaben. Dabei habe ich im Fußraum beifahrerseitig mehrere Steine entdeckt. Auffallend war, dass mehrere Steine auch direkt unter dem Beifahrersitz waren, die nicht etwa beim Einsteigen mit den Schuhen hineingetragen worden sein können. Es waren kantige, vielleicht 0,5 cm ? 1 cm große Steine. Aufgehoben habe ich sie nicht. Ich vermute, dass einer dieser Steine von dem Vorfall gestammt hat.
Über Befragen, wie denn mehrere Steine dort hin gekommen sein können, wenn bloß ein Stein die Windschutzscheibe durchschlagen hat: Das kann ich jetzt selbst nicht so genau erklären. Hauptsächlich ging es mir darum, die Glassplitter wegzusaugen.
Befragt über den Stand der Schadensabwicklung: Die gegnerische Versicherung hat den entstandenen Schaden (ATS 2000,--) bis dato nicht beglichen, weil der Bw die Verursachung bestritten hat und ich bis dato das Gegenteil nicht beweisen konnte. Über Vorhalt zunächst meiner Angaben lt. Anzeige, wonach ?ein Stein" von der Ladefläche heruntergefallen ist, dann meines Schreibens an die gegnerische Versicherung vom 4.4.2002, wonach ?Steine und Erdbrocken" von der Ladefläche heruntergefallen sind und die Windschutzscheibe durchschlagen haben, und schließlich meiner heutigen Aussage, wonach ?mehrere Steine" heruntergefallen, jedoch nur ein einziger die Windschutzscheibe getroffen hat: Es ist damals alles sehr schnell gegangen und war das sicher ein Schock für mich. Da merkt man sich die Dinge halt nicht so 100%ig.
Befragt, ob ich mir sicher bin, dass der Stein von der Ladefläche heruntergefallen ist, bevor er von der Fahrbahn weggesprungen und durch meine Windschutzscheibe geflogen ist: Nein."
Es steht fest:
Ein Geschädigter, der als Zeuge unter Wahrheitspflicht nicht einmal diejenige Seite seiner Windschutzscheibe anzugeben vermag, wo ein von der (uneinsehbaren) Ladefläche des vorausfahrenden Sattelanhängers heruntergefallener Stein diese durchschlagen haben soll, sodass vorne alles voller Splitter gewesen sei, verleiht seiner Polizeianzeige keine weitere Glaubwürdigkeit. Fliegt ein Stein von der Fahrbahn gegen die Windschutzscheibe eines nachfahrenden Fahrzeugs, spricht dies für die Verantwortung des vorausfahrenden Lkw-Lenkers, dieser Stein könne eventuell von der Fahrbahn oder von seinen Reifen, nicht aber von der (besenreinen) Ladefläche seines Fahrzeugs gekommen sein. Auf Grund der weder schlüssigen noch widerspruchsfreien Angaben des Anzeigers kann daher nicht als erwiesen festgestellt werden, dass eine Beschädigung der Windschutzscheibe des auf seine Gattin zugelassenen Puch G mit dem Kennzeichen W-39 von der Ladefläche des vom Berufungswerbers (mit dem von ihm gelenkten Lkw BL-WI) gezogenen Sattelanhängers BL-47 stammt.
Es wurde erwogen:
Gemäß § 61 Abs 1 StVO 1960 ist die Ladung am Fahrzeug so zu verwahren, dass ein sicherer Betrieb nicht beeinträchtigt, niemand gefährdet, behindert oder belästigt und die Straße weder beschädigt noch verunreinigt wird.
Wird einem Beschuldigten die mangelhafte Verwahrung der ?Ladung" eines Lkw iSd § 61 Abs 1 StVO 1960 zur Last gelegt, hat seine Bestrafung zur Voraussetzung, dass das Fahrzeug tatsächlich ?beladen" war.
Ein von den Reifen eines Lkw stammender Stein wird von diesem solange nicht als ?Ladung" befördert, als sein ?Mitführen" nicht etwa
aufgrund von Art und Dauer einem ?Befördern" im Sinne des § 61 StVO 1960 gleichzuhalten wäre.
Unter dem ?Befördern" eines Gegenstandes im Sinne des § 61 (insb. Abs 3, 5 und 6) StVO 1960 ist jeder durch ein Fahrzeug zu bewerkstelligende Transport desselben vom Zeitpunkt seines typischerweise auf einem bewussten Willensentschluss beruhenden ?Beladens" bis zum gegenteiligen Akt, dem ?Entladen", zu verstehen.
Ein momentan von der Fahrbahn aufgenommener, d.h.
aufgewirbelter Stein, wird nicht im Sinne des § 61 StVO 1960 befördert und unterliegt daher nicht dieser Bestimmung. Die Verantwortung des Berufungswerbers, es sei allenfalls ein Stein von der Fahrbahn aufgewirbelt worden, war nicht zu widerlegen.
Seiner Berufung war somit im Zweifel Folge zu geben, das angefochtene Straferkenntnis zu beheben und gemäß § 45 Abs 1 Z 1 VStG die Verfahrenseinstellung zu verfügen.