Der Unabhängige Verwaltungssenat Wien hat durch sein Mitglied Dr. Osinger in der öffentlichen mündlichen Berufungsverhandlung vom 15.9.2003 auf Grund der Berufung von Herrn Reinhard H gegen das Straferkenntnis der Bundespolizeidirektion Wien, Bezirkspolizeikommissariat J, vom 25.7.2002, GZ. S 40990/J/02, betreffend eine Verwaltungsübertretung nach § 5 Abs 1 StVO 1960 entschieden wie folgt:
Gemäß § 66 Abs 4 AVG wird der Berufung Folge gegeben, das Straferkenntnis behoben und das Verfahren gemäß § 45 Abs 1 Z 1 VStG eingestellt.
Der Berufungswerber hat daher gemäß § 65 VStG keinen Beitrag zu den Kosten des Berufungsverfahrens zu leisten.
Der Berufungswerber ist wegen Lenkens seines Kfz BN-3 in einem durch Suchtgift (Kokain) beeinträchtigten Zustand bestraft worden.
Der Spruch des Straferkenntnisses lautet wie folgt:
?Sie haben am 07.03.2002 um 17.45 Uhr in Wien, K-gasse (Anhalteort) als Lenker des Kraftfahrzeuges mit dem Kennzeichen BN-3 das Fahrzeug in einem durch Suchtgift beeinträchtigten Zustand (KOKAIN) gelenkt.
Sie haben dadurch folgende Rechtsvorschriften verletzt:
§ 5/1 STVO iV § 99/1b STVO
Wegen dieser Verwaltungsübertretung(en) wird (werden) über Sie
folgende Strafe(n) verhängt:
Geldstrafe von Euro 581,00
falls diese uneinbringlich ist, Ersatzfreiheitsstrafe von 7 Tage
Freiheitsstrafe von
gemäß § 99/1b STVO
Weitere Verfügungen (z.B. Verfallsausspruch, Anrechnung von Vorhaft):
Ferner haben Sie gemäß § 64 des Verwaltungsstrafgesetzes (VSTG) zu zahlen: 58,10 Euro als Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens, d.s. 10 % der Strafe (je ein Tag Arrest wird gleich 15 Euro angerechnet); (mindestens aber 1,5 Euro)
Der zu zahlende Gesamtbetrag (Strafe/Kosten/Barauslagen) beträgt daher 639,10 Euro.
Außerdem sind die Kosten des Strafvollzuges zu ersetzen (§ 54d VStG)."
Das Straferkenntnis stützt sich nach seiner Begründung auf die vom Beschuldigten anlässlich seiner Anhaltung zugestandene Einnahme von Kokain. Mangels Teilnahme am Verfahren sei das Verfahren ohne seine Anhörung durchzuführen gewesen. In der vorliegenden Berufung wendet der Bestrafte ein, sowohl bei der amtsärztlichen Untersuchung vom 7.3.2002 als auch bei seiner Vernehmung vom 18.3.2002 habe er nur die Einnahme des Medikamentes ?Praxiten" und sicher nicht von Kokain zugestanden. Dessen Abenddosis habe er steigern dürfen und sei deswegen eine erhöhte Anzahl von Tabletten eingenommen worden. Falls seine Bestrafung darauf zurück zu führen sei, dass sein Beifahrer, Herr S, den Kokainkonsum zugegeben habe, so habe er davon nichts gewusst. In seinem Beisein habe S einen Kokainkonsum niemals angegeben.
In der öffentlichen mündlichen Berufungsverhandlung vom 15.9.2003 ist der Berufungswerber als Partei vernommen worden.
Er hat Folgendes ausgesagt:
?Ich war bis vor 2 ½ Monaten suchtgiftkrank. Ich habe mich aber einer Therapie unterzogen und nehme dzt. überhaupt keine Suchtmittel. Auch benötige ich keine Ersatzmedikamente. Im Vorfallszeitpunkt habe ich noch häufig Heroin und fallweise Kokain genommen. Ich habe damals keine Ersatztherapie gemacht, aber ein angstlösendes bzw. beruhigendes Medikament Praxiten eingenommen und konnte ich dadurch den Zeitraum zwischen zwei Suchtgiftkonsumationen auf bis zu 5 Tage ausdehnen.
Gekauft habe ich mir das Suchtgift so oft wie möglich, nur hatte ich nicht immer genug Geld. Herr S und ich waren damals enge Freunde und haben wir das Geld zusammengelegt.
Befragt, warum ich dann vom Suchtgiftkauf des S nichts gewusst haben will: Ich wollte damals clean werden und hat mir S damals seinen Suchtgiftkauf und ?konsum verheimlicht.
Befragt, warum mir der Suchtgiftkonsum des S nicht aufgefallen ist, obwohl wir den ganzen Tag zusammen waren: Hätte er Heroin genommen, wäre mir das sicher aufgefallen, weil man dann sehr ruhig wird. Meines Wissens hat er aber Kokain geschnupft und musste mir ein besonders lebhaftes Verhalten nach Kokainkonsum zwar schon auffallen, aber hat sich S nicht so verhalten. Ich gehe davon aus, dass man bei Heroin guter Qualität schon ab 0,5 Gramm deutliche Wirkungen merkt. Bei Kokain kann ich es nicht sagen.
Nach Vorhalt der Niederschrift des S vom 18.3.2002: Diese Angaben stimmen. Ich habe vom Suchtgiftkonsum des S nichts gewusst und damit überhaupt nichts zu tun gehabt.
Ganz richtig war meine eigene Aussage vom 18.3.2002, dass ich zuletzt im Oktober 2001 Suchtgift genommen habe, nicht. Ich habe aber zumindest seit Oktober 2001 probiert kein Suchtgift zu nehmen, auch wenn mir das nicht wirklich gelungen ist. Über Vorhalt meiner Angaben zum Tablettenkonsum (vier Tabletten Praxiten am Vortag gegen 20 Uhr, eine halbe Tabl. Praxiten in der Früh des Anhaltetages): Diese Angaben sind richtig. Ich bestreite ja gar nicht, damals nicht fahrtauglich gewesen zu sein, aber wenn ich kein Gift genommen habe, kann ich es nicht zugeben."
Der Anzeigeleger, RvI Alexander G, hat folgende Zeugenaussage gemacht:
?Der Bw hatte veränderte Pupillen, ob erweitert oder verengt, weiß ich heute nicht. Er hat Tablettenkonsum zugestanden und wusste ich nicht, ob es sich dabei um legale Tabletten handelt. Der Bw war aus dem Suchtgiftmilieu und war es auf Grund der Umstände erforderlich, seine Fahrtauglichkeit durch den Amtsarzt abklären zu lassen.
Bei der amtsärztlichen Untersuchung war ich dabei und wurde eine Beeinträchtigung durch eingenommene Substanzen festgestellt. Dem Bw wurde daraufhin der FS abgenommen.
Einen eindeutigen Hinweis auf Suchtgiftmissbrauch (Heroin/Kokain) hat es nicht gegeben.
Es stimmt, dass der Bw sich mit der Einnahme von Praxiten verantwortet hat. Ob dieser Konsum als Erklärung für die Fahruntauglichkeit ausreicht, kann ich als Laie nicht sagen. An die Befragung des S kann ich mich heute nicht mehr erinnern."
Der Amtsarzt Dr. Otto F hat als Zeuge vernommen Folgendes zu Protokoll gegeben:
?Nach Durchsicht meines amtsärztlichen Gutachtens vom 7.3.2002:
Der Untersuchte war damals durch Benzodiazepine beeinträchtigt und nicht fahrtauglich.
Die mangelnde Fahrtauglichkeit kann mit dem vom Bw bei seiner Niederschrift vom 18.3.2002 angegebenen Praxitenkonsum erklärt werden.
Praxiten ist ein frei (allerdings gegen Rezept) erhältliches Medikament, keinesfalls ein Suchtgift. Praxiten wirkt allgemein dämpfend.
Es trifft zu, dass Praxiten auch zur Linderung von Entzugserscheinungen verschrieben wird. Meist besorgen sich die Suchtgiftkranken das Medikament am Schwarzmarkt. Ein regulärer Heroinentzug ohne Opioidverschreibung ist meines Wissens nicht üblich. Bloß Praxiten wird da sicher nicht verschrieben. Meist wird Praxiten zur Steigerung der Suchtgiftwirkung, d.h. zusätzlich zu diesen, genommen und zu diesem Zweck am Schwarzmarkt besorgt. Die amtsärztliche Untersuchung gab aber keinen eindeutigen Hinweis auf Beikonsum von Suchtgift. Nach dem Abbau von Alkohol (beim Bw wurden 0,0 %o festgestellt) bleibt nur noch die Wirkung des Praxiten auf die Fahrtauglichkeit zu beurteilen und spielt die vorangegangene Kombination von Alkohol und Praxiten keine Rolle mehr.
Die Verschreibung von Praxiten zur Dämpfung von Entzugserscheinungen in Kombination mit der Einnahme von Codidoltabletten ist nicht unüblich."
Nach Schluss des Beweisverfahrens ist der aus dem Spruch ersichtliche Bescheid zunächst mündlich verkündet worden.
Es steht fest:
Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens war beim Berufungswerber Reinhard H die Einnahme von Suchtgift, sodass er am 07.03.2002 um 17.45 Uhr das Fahrzeug BN-3 in einem durch Suchtgift beeinträchtigten Zustand (KOKAIN) gelenkt hat, mit der für ein Verwaltungsstrafverfahren erforderlichen Sicherheit nicht feststellbar.
Die Bestrafung stützte sich auf ein angebliches Geständnis des Beschuldigten, wonach er bei seiner Anhaltung den Kokainkonsum zugestanden habe. Dies ist vom Akteninhalt nicht gedeckt. Laut der verfahrenseinleitenden Anzeige habe lediglich der Beifahrer des Berufungswerbers, Herr S, zugestanden, im Beisein des Berufungswerbers Kokain konsumiert zu haben.
Die Aussage eines Beifahrers, im Beisein eines Lenkers Suchtgift konsumiert zu haben, würde bloß ersteren belasten. Die Kenntnis fremden Kokainkonsums lässt auf eigenen noch nicht schließen. Der Beifahrer S hat bei seiner Aussage vor dem Gendarmerieposten B am 18.3.2002 allerdings ? in Übereinstimmung mit der Verantwortung des Berufungswerbers - ausdrücklich betont, ersterer habe von seinem Suchtgift nichts gewusst und (daher) auch nichts genommen. Eine Einnahme von ?Praxiten" durch den Berufungswerber hat er bestätigt. Laut Aussage des nach der Anhaltung beigezogenen Amtsarztes Dr. Otto F hat seine Untersuchung keinen eindeutigen Hinweis auf (auch bloß zusätzlichen) Konsum von Suchtgift ergeben, sondern war die Beeinträchtigung der Fahrtauglichkeit des Berufungswerbers allein mit dessen Einnahme von ?Praxiten" zu erklären. Dabei handelt es sich aber um kein Suchtgift. Ein zur Fahruntüchtigkeit führendes Zusammenwirken von Medikament und Alkohol bleibt als besondere Auswirkung letzteren zwar der Spezialvorschrift des § 5 Abs 1 StVO 1960 unterstellt, setzt aber ein (hier nach Alkoholabbau auszuschließendes) Fortwirken des Alkohols im Tatzeitpunkt und die (hier nicht erfolgte)
Anlastung einer Alkohol-, nicht Suchtgiftbeeinträchtigung voraus.
Es wurde erwogen:
Gemäß § 5 Abs 1 StVO 1960 darf ein Fahrzeug weder lenken noch in Betrieb nehmen, wer sich in einem durch Alkohol oder Suchtgift beeinträchtigten Zustand befindet.
Gemäß § 99 Abs 1b StVO 1960 idF BGBl. Nr. I Nr. 32/2002 begeht eine Verwaltungsübertretung und ist mit einer Geldstrafe von 581 bis 3.633 Euro, im Fall ihrer Uneinbringlichkeit mit Arrest von einer
bis sechs Wochen zu bestrafen, wer in einem durch Alkohol oder Suchtgift beeinträchtigten Zustand ein Fahrzeug lenkt oder in Betrieb nimmt.
Das Lenken seines Kfz in einem durch Suchtgift beeinträchtigten Zustand war dem Berufungswerber nicht nachzuweisen. Eine allein medikamentenbedingte Fahruntauglichkeit ist ausschließlich nach § 58 Abs 1 StVO 1960 zu beurteilen. Der Berufungswerber war vom nach § 5 Abs 1 StVO 1960 erhobenen Vorwurf freizusprechen.
Er hat daher auch keine Verfahrenskosten zu bezahlen.