TE UVS Wien 2004/11/17 FSG/18/7275/2004

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 17.11.2004
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Spruch

Der Unabhängige Verwaltungssenat Wien hat durch sein Mitglied DDr. Lacina über die Berufung des Herrn Kurt M gegen den Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien, Verkehrsamt, vom 24.8.2004, Zahl IV-EC 8466/VA/04 entschieden:

Gemäß § 66 Abs 4 AVG wird der angefochtene Bescheid behoben.

Text

1. Die Bundespolizeidirektion Wien, Verkehrsamt, hat mit Bescheid vom 24.08.2004, Zahl IV-EC 8466/VA/04, die dem Berufungswerber (Bw) am 28.01.1973 unter der Zahl 0073374/71 von der Bundespolizeidirektion Wien, Verkehrsamt, für die Klasse B erteilte Lenkberechtigung für die Zeit von 3 (drei) Jahren unter der Auflage des Codes 104, wonach alle 12 (zwölf) Monate ein Befund eines Facharztes für Innere Medizin beizubringen ist, das ist bis 23.08.2007, gemäß § 24 Absatz 1 Ziffer 2 FSG 1997 befristet und weiters gemäß § 13 Abs 2 FSG 1997 verfügt, den Führerschein, Zahl 0073374/71, unverzüglich beim Verkehrsamt der Bundespolizeidirektion Wien zur Fristeintragung vorzulegen. Begründet wurde diese Entscheidung im Wesentlichen mit dem Hinweis auf das amtsärztliche Gutachten vom 23.8.2004, wonach der Bw wegen Blutzucker und HbA1c (i.e. glykiertes Hämoglobin, ein Blutzuckerlangzeitparameter) zum Lenken von Kraftfahrzeugen nur bedingt geeignet sei, weshalb eine Nachuntersuchung in 3 (drei) Jahren erforderlich wäre (Blatt 12 bis 13).

2. In der gegen diesen Bescheid fristgerecht eingebrachten schriftlichen Berufung vom 7.9.2004 führte der Bw ? unter Hinweis auf einzelne Judikate des Verwaltungsgerichtshofes sowie eines Erlasses des BMöWV vom 5.8.1990, 427.282/10-IV/2-90 - im Wesentlichen aus, dass die Erteilung einer unbefristeten Lenkberechtigung an Zuckerkranke nicht grundsätzlich auszuschließen ist. Seine ?Blutzuckerkrankheit? Typ II bestehe seit 1990 und sei er mittlerweile mit Medikamenten sehr gut eingestellt. Seit seiner Pensionierung und dem damit verbundenen regelmäßigen Tagesablauf hätten sich seine Blutzuckerwerte stark gesenkt und wären stabil, was auch für den HbA1c-Wert gelte. Auch während seiner Tätigkeit als Polizeibeamter sei es zu keinerlei Vorfällen im Straßenverkehr gekommen. Im angefochtenen Bescheid wird weder die Befristung noch die Auflage näher begründet, wohingegen das amtsärztliche Gutachten ausführt, dass die Kontrolluntersuchung wegen Diabetes, die Befristung aber wegen des Verdachtes von Panikattacken vorgeschrieben werden (Blatt 15 bis 17).

3. Beweisaufnahme

3.1. Vorgeschichte

3.1.1. In dem an das Verkehrsamt gerichteten Schreiben der Bundespolizeidirektion Wien, Zentrales Personalbüro, vom 2.6.2004, wird unter Beilage einer Ablichtung des ärztlichen Sachverständigengutachtens zur Leistungsfeststellung vom 1.4.2004 um Überprüfung, ob ein Verfahren nach dem Führerscheingesetz einzuleiten ist, gebeten (Blatt 1).

3.1.2. Das ärztliche Sachverständigengutachten zur Leistungsfeststellung vom 1.4.2004 stellt als Diagnose nach Relevanz hinsichtlich der Arbeitsfähigkeit des Bw fest: 1.

Generalisierte Angststörung ? 2. Hochgradige

Bewegungseinschränkung der rechten Schulter bei höhergradigen

degenerativen Veränderungen ? 3. Cervikalsyndrom (i.e. von der

Halswirbelsäule ausgehende oder den Halswirbel-säulenbereich

betreffende Beschwerden) und Lumbalgie (Schmerzen im Bereich

der Lendenwirbelsäule) bei Aufbrauchserscheinungen der

Wirbelsäule ? 4. Diabetes mellitus mit beginnender

Polyneuropathie [i.e. eine Krankheit des sog. peripheren (=

außerhalb von Hirn und Rückenmark) Nervensystems und betrifft

sowohl sensible (= der Empfindung dienende) als auch motorische

(= die Muskeltätigkeit regelnde) Nerven als Folgeschaden] (Blatt 3

bis 4).

3.2. Zum weiteren Verfahrensablauf

3.2.1. Die Bundespolizeidirektion Wien, Verkehrsamt, forderte den Bw mit Bescheid vom 29.06.2004, Zahl IV-EC 8466/VA/04, gemäß § 24 Abs 4 FSG 1997 auf, sich binnen zwei (2) Wochen nach Zustellung dieses Schreibens einer amtsärztlichen Untersuchung im Verkehrsamt der Bundespolizeidirektion Wien, Wien 9., Josef Holaubek Platz, 1. Stock, Zimmer 1119 (Montag bis Freitag jeweils 08.00 ? 09.00 Uhr) zu unterziehen und wie darauf hin, dass bei Nichterfüllen dieser Forderung die Lenkberechtigung des Bw entzogen werden müsse.

Die Behörde stützte ihre Bedenken gegen die gesundheitliche Eignung des Bw zum Lenken von Kfz auf die im ärztlichen Sachverständigengutachten zur Leistungsfeststellung vom 1.4.2004 festgestellte psychische Erkrankung des Bw, seine hochgradige Bewegungseinschränkung der rechten Schulter und Diabetes mellitus (Blatt 9 bis 10).

3.2.2. Aus der amtsärztlichen Untersuchung vom 4.7.2004 nach § 8 FSG geht hervor, dass der BW 1,68 m groß ist, 84 kg wiegt, eine bewegliche Wirbelsäule und eine gute Atmung [griechisch eu (gut) pnoe (Atmung)] aufweist. Unter der Rubrik ?Gliedmaßen? finden sich dann die Eintragungen eines vorhandenen seitengleichen Faustschlusses und einer vorhandenen Beweglichkeit der Arme und Beine mit dem Vermerk einer eingeschränkten (sc. Beweglichkeit) der rechten Schulter. Der Visus des Bw beträgt 0.6 links und 0.6 rechts. Konversationssprache wird gehört. Gang ist sicher, Sprache klar. Klinischer Gesamteindruck: ?NIDDM (non insulin dependent diabetes mellitus), ge... (unleserlich) Angststörung, CVS (i.s. Cervikalstörung), Lumbalgie, degenerative Veränderung der rechten Schulter, bei Untersuchung bis zur Waagrechten abduzierbar (i.e. seitlich abhebbar).

3.2.3. Bei den sogenannten ?Gesundheitsfragen? der Anlage zur 1. Novelle der Führerscheingesetz-Gesundheitsverordnung, BGBl II 1998/138, hat der Bw die Felder ?Ich bin zuckerkrank? und ?Ich nehme regelmäßig Medikamente ein? mit ?Ja? angekreuzt.

3.2.4. Mit Gutachten nach § 8 FSG vom 23.8.2004 wurde hierauf die Befristung der Lenkberechtigung des Bw auf drei Jahre mit amtsärztlicher Nachuntersuchung von Blutzucker und HbA1c sowie eine Kontrolluntersuchung durch 12 Monate vorgeschlagen und diese Maßnahme - im Gegensatz zur Begutachtung - bezüglich der Verlaufskontrolle von 1 Jahr mit Diabetes mellitus und hinsichtlich der Befristung von drei Jahren mit dem Verdacht auf Panikattacken begründet.

3.2.5. Aus der fachärztlichen Stellungnahme Dris. L vom 15.07.2004 geht hervor, dass bei dem am 10.10.1948 geborenen Bw ein Diabetes mellitus Typ 2 seit 1990 besteht, der folgendermaßen eingestellt ist: 1-0-2 Glucophage 1000 mg, 1x1 Amaryl 1 mg. Unter dieser Therapie sind die Blutzuckerwerte um 140mg%. Tagsüber sind die Werte zwischen 94 und 187. Das letzte HbA1c vom 30.6.2004 war 6,9%. Der Patient ist hypoglycämiefrei. Von interner Seite besteht kein Einwand gegen das Lenken eines Kraftfahrzeuges.

3.2.6. Aus der psychologischen Stellungnahme Dris. K vom 20.07.2004 geht hervor, dass der Bw psychophysisch zur Zeit in der Lage ist, ohne Gefahr für sich und andere ein Kfz zu lenken.

3.2.7. Aus der fachärztlichen Stellungnahme Dris. D vom 19.08.2004 geht hervor, dass bei dem Bw aufgrund seiner Panikattacken sowie Ein- und Durchschlafstörungen ein diskretes distal symmetrisches Polyneuropathiesyndrom1 festgestellt wurde. Unter einer Therapie mit einem Serotonin-Reuptakehemmer2 war der Bw zuletzt beschwerdefrei. Eine antidepressiv-anxiolytische (i.e. gegen Angst) Therapie konnte wieder abgesetzt werden. Aus neurologischer Sicht besteht sohin kein Einwand gegen das Lenken von Kfz der Gruppe 1 und ist auch eine Befristung von neurologischer Seite nicht erforderlich.

3.2.8. Verkehrsmedizinische Aspekte des Diabetes mellitus:

?Nach verkehrsmedizinischen Aspekten können drei Gruppen von Diabetikern entsprechend ihrer Behandlungsart und Kontrollbedürftigkeit unterschieden werden:

a) Nur mit Diät sowie mit Diät und Medikamenten zur Besserung der Insulinresistenz (Biguanide Insulinsensitizer) und/oder Pharmaka zur Resorptionsverzögerung von Nährstoffen behandelte Diabetiker: Diabetiker dieser Gruppe können uneingeschränkt am motorisierten Straßenverkehr teilnehmen.

b)  Mit Diät und oralen Antidiabetika vom Sulfonylharnstofftyp behandelte Diabetiker: Diabetiker dieser Gruppe sind eher selten durch Hypoglykämien gefährdet. Sie können in der Regel uneingeschränkt den gestellten Anforderungen beim Führen eines Kraftfahrzeuges gerecht werden.

c) Mit Diät und Insulin, auch mit Insulin und oralen Antidiabetika behandelte Diabetiker: Diabetiker dieser Gruppe sind vom Grundsatz her hypoglykämie-gefährdet. Sie sind deshalb in der Regel nicht in der Lage, den gestellten Anforderungen zum Führen von Kraftfahrzeugen der Gruppe 2 gerecht zu werden. Kraftfahrzeuge der Gruppe 1 und auch der Unterklassen C 1, Cl E können sie jedoch führen, wenn davon auszugehen ist, dass sie auftretende Hypoglykämien und Hyperglykämien bemerken und erfolgreich behandeln können. In der Regel setzt dieses Stoffwechselselbstkontrollen voraus.

(cf: www.fahrerlaubnisrecht.de/Begutachtungsleitlinien/ BGLL%20Inhaltsverzeichnis.htm)

4. Rechtsgrundlage

§ 24 Abs 1 Z 2 FSG bestimmt Folgendes:

?Besitzern einer Lenkberechtigung, bei denen die Voraussetzungen für die Erteilung der Lenkberechtigung (§ 3 Abs 1 Z 2 bis 4) nicht mehr gegeben sind, ist von der Behörde entsprechend den Erfordernissen der Verkehrssicherheit die Gültigkeit der Lenkberechtigung durch Auflagen, Befristungen oder zeitliche, örtliche oder sachliche Beschränkungen einzuschränken. Diese Einschränkungen sind gemäß § 13 Abs 2 in den Führerschein einzutragen.?

§ 3 Abs 1 Z 3 FSG bestimmt Folgendes:

?Eine Lenkberechtigung darf nur Personen erteilt werden, die:

gesundheitlich geeignet sind, ein Kraftfahrzeug zu lenken (§§ 8 und 9),...?

§ 8 FSG (Gesundheitliche Eignung) bestimmt (auszugsweise) Folgendes:

?Abs 1: Vor der Erteilung einer Lenkberechtigung hat der Antragsteller der Behörde ein ärztliches Gutachten vorzulegen, dass er zum Lenken von Kraftfahrzeugen gesundheitlich geeignet ist. Das ärztliche Gutachten hat auszusprechen, für welche Klassen von Lenkberechtigungen der Antragsteller gesundheitlich geeignet ist, darf im Zeitpunkt der Entscheidung nicht älter als ein Jahr sein

und ist von einem im örtlichen Wirkungsbereich der Behörde, die das Verfahren zur Erteilung der Lenkberechtigung durchführt, in die Ärzteliste eingetragenen sachverständigen Arzt gemäß § 34 zu erstellen.

Abs 2: Sind zur Erstattung des ärztlichen Gutachtens besondere Befunde oder im Hinblick auf ein verkehrspsychologisch auffälliges Verhalten eine Stellungnahme einer verkehrspsychologischen Untersuchungsstelle erforderlich, so ist das ärztliche Gutachten von einem Amtsarzt zu erstellen; der Antragsteller hat diese Befunde oder Stellungnahmen zu erbringen. Wenn im Rahmen der amtsärztlichen Untersuchung eine sichere Entscheidung im Hinblick auf die gesundheitliche Eignung nicht getroffen werden kann, so ist erforderlichenfalls eine Beobachtungsfahrt anzuordnen.

Abs 3: Das ärztliche Gutachten hat abschließend auszusprechen:

?geeignet”, ?bedingt geeignet”, ?beschränkt geeignet” oder ?nicht geeignet”. Ist der Begutachtete nach dem ärztlichen Befund

1. gesundheitlich zum Lenken von Kraftfahrzeugen einer oder mehrerer Klassen ohne Einschränkung geeignet, so hat das Gutachten ?geeignet” für diese Klassen zu lauten;

2. zum Lenken von Kraftfahrzeugen einer oder mehrerer Klassen nur unter der Voraussetzung geeignet, ...dass er sich ärztlichen Kontrolluntersuchungen unterzieht, so hat das Gutachten ?bedingt geeignet? für die entsprechenden Klassen zu lauten und Befristungen, Auflagen oder zeitliche, örtliche oder sachliche Beschränkungen der Gültigkeit anzuführen, unter denen eine Lenkberechtigung ohne Gefährdung der Verkehrssicherheit erteilt werden kann; dies gilt auch für Personen, deren Eignung nur für eine bestimmte Zeit angenommen werden kann und bei denen amtsärztliche Nachuntersuchungen erforderlich sind;? § 3 (Allgemeine Bestimmungen über die gesundheitliche Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen) Abs 5 FSG-GV bestimmt Folgendes:

?Personen mit einer fortschreitenden Erkrankung kann eine Lenkberechtigung befristet erteilt oder belassen werden unter Auflage ärztlicher Kontrolluntersuchungen und amtsärztlicher Nachuntersuchungen. Die Auflage kann aufgehoben werden, sobald sich die Erkrankung oder Behinderung stabilisiert hat.?

§ 11 FSG-GV (Zuckerkrankheit) bestimmt Folgendes:

?Abs 1: Zuckerkranken darf eine Lenkberechtigung nur nach einer befürwortenden fachärztlichen Stellungnahme erteilt oder belassen werden.

Abs 2: Zuckerkranken, die mit Insulin behandelt werden müssen, darf eine Lenkberechtigung der Gruppe 2 nur in außergewöhnlichen, durch die Stellungnahme eines zuständigen Facharztes begründeten Fällen und unter der Auflage ärztlicher Kontrolluntersuchungen und amtsärztlicher Nachuntersuchungen erteilt oder belassen werden.?

5. Beweiswürdigung

Gemäß § 11 Abs 1 FSG-GV ist bei Vorliegen einer Zuckerkrankheit (Diabetes mellitus) eine fachärztliche Stellungnahme zwingend vorgeschrieben, nicht jedoch eine ärztliche Kontrolluntersuchung und eine amtsärztliche Nachuntersuchung.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist die Notwendigkeit von Nachuntersuchungen im Sinne des § 8 Abs 3 Z 2 FSG dann gegeben, wenn eine ?Krankheit? festgestellt wurde, bei der ihrer Natur nach mit einer zum Verlust oder zur Einschränkung der Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen führenden Verschlechterung gerechnet werden muss. Um eine bloße bedingte Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen in diesem Sinne anzunehmen, bedarf es auf einem ärztlichen Sachverständigengutachten beruhender konkreter Sachverhaltsfeststellungen darüber, dass die gesundheitliche Eignung zwar noch in ausreichendem Maß für eine bestimmte Zeit vorhanden ist, dass aber eine gesundheitliche Beeinträchtigung besteht, nach deren Art in Zukunft mit einer die Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen ausschließenden oder

einschränkenden Verschlechterung gerechnet werden muss (vgl. die Erkenntnisse des VwGH vom 18. Jänner 2002, Zl. 99/11/0266, und vom 24. April 2001, Zl. 2000/11/0337, mwN zur gleichartigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zur Rechtslage nach dem KFG 1967).

Ob einer Person, die an Diabetes mellitus Typ 2 (i.e. ohne Insulinbehandlung) leidet, eine Lenkberechtigung erteilt oder belassen werden kann, ist nach den übrigen Ergebnissen der ärztlichen Untersuchung, den möglichen Komplikationen und der daraus gegebenenfalls für die Sicherheit im Straßenverkehr erwachsenden Gefahr zu beurteilen.

Eine Stabilisierung der Stoffwechsellage des Bw, der bereits seit 1990(!) an NIDDM erkrankt ist kann auf Grund der fachärztlichen Stellungnahme Dris. L als erwiesen angenommen werden. Da in Österreich bislang keine Begutachtungsrichtlinien für Amtsärzte veröffentlicht wurden, sieht sich die erkennende Behörde zur Überprüfung der Schlüssigkeit, Widerspruchsfreiheit und Nachvollziehbarkeit eines amtsärztlichen Gutachtens derzeit nur durch intensives Studium fachspezifischer Quellen in die Lage versetzt.

Dass aufgrund der Art der Zuckerkrankheit des Bw (Diabetes mellitus Typ II) mit einer die Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen ausschließenden oder einschränkenden Verschlechterung gerechnet werden muss, wird durch die fachärztlichen Stellungnahmen und das amtsärztliche Gutachten vom 23.8.2004 nicht dargelegt. Es besteht auch keine allgemeine Notorietät dahingehend, dass bei jeder Art der Zuckerkrankheit mit einer solchen Verschlechterung gerechnet werden muss. Davon geht auch § 11 FSG-GV nicht aus. Der angefochtene Bescheid leidet demnach in Ansehung der durch ihn verfügten Befristung der Lenkberechtigung des Bw an einem Feststellungs- und Begründungsmangel. Zudem steht die amtsärztliche Begründung für die Befristung der Lenkberechtigung des Bw von drei Jahren auf Grund des Verdachtes auf Panikattacken im Gegensatz zu den übrigen Ausführungen im selben Gutachten.

Es ist auch für die erkennende Behörde nicht nachvollziehbar, weshalb im Falle des beim BW bestehenden, mit oralen Antidiabetica behandelten Diabetes mellitus Typ 2 mit einer solchen Verschlechterung gerechnet werden muss. § 11 FSG-GV sieht in seinem Abs 2 bei Zuckerkranken, die mit Insulin behandelt werden müssen, nur in Beziehung auf eine Lenkberechtigung der Gruppe 2 zwingend die amtsärztliche Nachuntersuchung vor. Der amtsärztliche Sachverständige hätte demnach Ausführungen dazu erstatten müssen, ob es nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft bei dem beim Bw vorliegenden lediglich mit oralen Antidiabetica behandelten Diabetes mellitus zu einer die Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen ausschließenden oder einschränkenden Verschlechterung kommen muss. Wäre dies der Fall, bestünden gegen die Auffassung, der Bw sei im Hinblick auf das Erfordernis amtsärztlicher Nachuntersuchungen nur bedingt geeignet, im Sinne des § 8 Abs 3 Z 2 FSG keine Bedenken. Völlig unverständlich ist auch die Begründung des angefochtenen Bescheides vom 24.8.2004, wonach der Bw laut amtsärztlichem Gutachten vom 23.8.2004 wegen ?Blutzuckers und HbA1c? zum Lenken von Kfz nur bedingt geeignet sei. Sollte nämlich ein Mensch weder Blutzucker noch einen HbA1c- Wert aufweisen, müsste er zwangsläufig bereits tot sein! Falls die Behörde jedoch einen überhöhten Blutzucker gemeint haben sollte, wäre sie angehalten, dies in der Begründung des Bescheides unmissverständlich und klar zum Ausdruck zu bringen. Der Langzeitblutzuckerparameter HbA1c, beim Bw zuletzt von 6,9%, bedeutet einen mittleren Blutzuckerwert von ca 130 mg/dl. Blutzucker und HbA1c sind also bei allen Menschen vorhanden und können für sich wohl keinen Grund für eine Befristung der Lenkberechtigung bilden! Der geschulte und verantwortungsbewusste Diabetiker (unabhängig, ob Typ I oder II) wird in der Regel in der Lage sein, eine Unterzuckerung rechtzeitig zu erkennen und sich dementsprechend zu verhalten. Sollten aber im Einzelfall begründete Zweifel an dieser Fähigkeit amtsärztlicherseits bestehen, wäre, neben dem internistischen, auch ein psychologisches oder psychiatrisches Gutachten allenfalls erforderlich.

Ein geschulter Diabetiker wird über seine Medikation und Nahrungsmittelaufnahme vor Fahrtantritt in der Regel Bescheid wissen, sodass mit einer Unterzuckerung kaum gerechnet werden muss. Im Übrigen gilt für ihn, wie für alle Lenker von Fahrzeugen, die Bestimmung des § 58 Abs 1 StVO 1960, wonach, unbeschadet der Bestimmungen des § 5 Abs 1, ein Fahrzeug nur lenken darf, wer sich in einer solchen körperlichen und geistigen Verfassung befindet, in der er ein Fahrzeug zu beherrschen und die beim Lenken eines Fahrzeuges zu beachtenden Rechtsvorschriften zu befolgen vermag. Sind diese Voraussetzungen offenbar nicht gegeben, so sind die Bestimmungen des § 5b sinngemäß anzuwenden.

Eine konkrete Begründung, weshalb beim BW die notwendige kraftfahrspezifische Leistungsfähigkeit für die in Rede stehende Klasse B nur für eine bestimmte Zeit angenommen werden kann und mit einer Verschlechterung im beschriebenen Sinn gerechnet werden muss, lässt das amtsärztliche Gutachten

zusammenfassend nicht erkennen (vgl. das Erkenntnis des VwGH vom 18. Jänner 2000, Zl. 99/11/0266).

Fortschreitende Erkrankungen werden im § 3 Abs 5 FSG-GV allgemein geregelt. § 11 FSG-GV enthält hinsichtlich der Zuckerkrankheit keine abweichende Spezialbestimmung. § 3 Abs 5 zweiter Satz FSG-GV regelt, dass eine Stabilisierung der Erkrankung oder Behinderung die Grundlage für die Aufhebung der bei der befristeten Erteilung oder Belassung der Lenkberechtigung zu verfügenden Auflagen bildet.

Damit ist im gegebenen Zusammenhang nicht schon eine vorübergehende, sondern eine dauerhafte Stabilisierung einer ihrer Art nach als fortschreitende Erkrankung anzusehenden Krankheit gemeint. Diese muss also derart zum Stillstand gekommen sein, dass nach dem medizinischen Wissensstand keine weitere Verschlechterung zu befürchten ist. Nur dann kann von einer Befristung Abstand genommen werden, ohne eine vorhersehbare Gefährdung der Verkehrssicherheit in Kauf zu nehmen. Es ist somit Sache des medizinischen Sachverständigen darzutun, ob bei der betreffenden Erkrankung nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft eine Stabilisierung im besagten Sinn überhaupt in Betracht kommt und unter welchen Voraussetzungen eine solche Stabilisierung angenommen werden kann. Bei Eintritt einer Stabilisierung im besagten Sinn liegt keine fortschreitende Erkrankung gemäß § 3 Abs 5 FSG-GV (mehr) vor. In einem solchen Fall ist bei der Erteilung der Lenkberechtigung deren gleichzeitige Befristung (d.i. die Versagung einer Lenkberechtigung für die Zeit nach dem angenommenen Fristende hinaus) unter Auflage von Kontrolluntersuchungen und Nachuntersuchungen unzulässig.

Das dem angefochtenen Bescheid zu Grunde liegende

amtsärztliche Gutachten beantwortet die entscheidende Frage einer Stabilisierung iSd § 3 Abs 5 FSG-GV der beim BW festgestellten Erkrankung (Diabetes mellitus Typ II) nicht. Beim Bw wurden bisher als für eine Diabeteserkrankung typische Folgeerkrankung lediglich ein diskretes distal symmetrisches Polyneuropathiesyndrom festgestellt. Aus den vorgelegten fachärztlichen Befunden vom 15.7.2004, vom 20.7.2004 und vom 19.8.2004 ergeben sich konkrete Hinweise auf eine Stabilisierung des Gesundheitszustandes des Bw.

Darüber hinaus kommt die nachträgliche Befristung einer bereits unbefristet erteilten Lenkberechtigung auch nur dann in Frage, wenn eine gesundheitliche Beeinträchtigung besteht, nach deren Art in Zukunft mit einer die Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen ausschließenden oder einschränkenden Verschlechterung gerechnet werden muss.

Dass eine Verschlechterung nicht ausgeschlossen werden kann, reicht nach dieser Judikatur für die Einschränkung der Gültigkeit einer Lenkberechtigung gerade nicht aus.

6. Ergebnis

Aus den dargelegten Erwägungen war der Berufung Folge zu geben und der angefochtene Bescheid aufzuheben.

Bemerkt wird noch, dass der im Formular des Gutachtens nach § 8 Führerscheingesetz vorgesehene Raum für die Begründung des amtsärztlichen Gutachtens in der Regel nicht ausreichend sein wird, um den Anforderungen, die nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes an ein amtsärztliches Gutachten gestellt werden, auch nur annähernd gerecht zu werden.

1 rumpfferne symmetrisch verteilte Hautempfindungsstörungen 2 SSRI vermindern die Wiederaufnahme von Serotonin (i.e. ein Amin, welches als Hormon in der Gehirnregion vorkommt und eine Verengung der Blutgefäße vermittelt, den Gemütszustand, Schlafrhythmus, Sexualtrieb und die Temperatur im Körper des Menschen steuert) sowohl intrazerebral (i.e. innerhalb des Gerhirnes) als auch in die Thrombozyten (i.s. kernlose, scheibenförmige Blutkörperchen mit einem Durchmesser von drei Mikrometern, welche für die Blutstillung und Blutgerinnung wichtig sind)

Quelle: Unabhängige Verwaltungssenate UVS, http://www.wien.gv.at/uvs/index.html
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