Der Unabhängige Verwaltungssenat in Tirol entscheidet durch sein Mitglied Dr. Monica Voppichler-Thöni über die Berufung des Herrn F. B., R., vertreten durch Herrn Rechtsanwalt Dr. J. L., I., gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Innsbruck, Zahl VK-26751-2003, nach öffentlicher mündlicher Berufungsverhandlung am 23.12.2004 wie folgt:
Gemäß § 66 Abs 4 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 (AVG) in Verbindung mit §§ 24 und 51e Verwaltungsstrafgesetz 1991 (VStG) wird der Berufung Folge gegeben, das Straferkenntnis und das Verwaltungsstrafverfahren gemäß § 45 Abs 1 Z 1 VStG eingestellt.
Mit dem angefochtenen Straferkenntnis wurde dem Berufungswerber
Folgendes vorgeworfen:
?Tatzeit: 02.06.2003 um 14.30 Uhr
Tatort: Gemeinde Kössen, Niederachen,
vor Einfahrt zu Haus Nr. 1 Oa (G. J.)
Fahrzeug: Zugmaschine mit Heuwagenangänger, XY
1. Sie haben nach einem Verkehrsunfall, mit dem Ihr Verhalten am Unfallort in ursächlichem Zusammenhang stand, das von Ihnen gelenkte Fahrzeug nicht sofort angehalten.
2. Sie haben es unterlassen, nach einem Verkehrsunfall mit Sachschaden, mit dem Ihr Verhalten am Unfallort in ursächlichem Zusammenhang stand, die nächste Polizei- oder Gendarmeriedienststelle ohne unnötigen Aufschub zu verständigen, obwohl ein gegenseitiger Nachweis von Name und Anschrift der Unfallbeteiligten bzw der Personen, in deren Vermögen der Schaden eingetreten ist, unterblieben ist.?
Der Berufungswerber habe dadurch eine Verwaltungsübertretungen zu Punkt 1. nach § 4 Abs 1 Iit a StVO und zu Punkt 2. nach § 4 Abs 5 erster Satz StVO begangen und wurde über ihn eine Geldstrafe zu 1. gemäß § 99 Abs 2 lit a StVO über Euro 218,00, Ersatzfreiheitsstrafe 60 Stunden, und zu 2. gemäß § 99 Abs 3 lit b StVO über Euro 218,00, Ersatzfreiheitsstrafe 60 Stunden, verhängt.
Dagegen hat der Berufungswerber durch seine ausgewiesenen Rechtsvertreter fristgerecht Berufung erhoben. In dieser wird ausgeführt, dass der Beschuldigte die ihm vorgeworfene Tat am 02.06.2003 nicht begangen haben könne, da er vom 28.05.2003 bis 06.06.2003 mit seinem Traktor, Kennzeichen XY, nachweislich ununterbrochen bei Herrn H. A. in A. in Deutschland mit landwirtschaftlichen Lohnarbeiten beschäftigt gewesen sei. Bereits aufgrund der räumlichen Entfernung von A. (Deutschland) und dem Betrieb des Beschuldigten in R. von ca 350 km habe sich der Beschuldigte während des gesamten Zeitraums der Lohnarbeiten vom 28.05. bis 06.06.2004 mit seinem Traktor in Deutschland aufgehalten. Dies werde von Herrn H. A. in der übermittelten Beilage bestätigt.
Weiters bestätige Herr A. A., ?G.-Bauer? in K., bei dem der Beschuldigte angeblich am 02.06.2003 mit seinem Traktor Lohnarbeiten verrichtet haben solle, dass der Beschuldigte zu diesem Zeitpunkt nicht bei ihm in seinem landwirtschaftlichen Betrieb gearbeitet habe. Dies gehe klar aus der in der Beilage übermittelten Bestätigung von Herrn A. hervor. Somit fehle es für die Verantwortlichkeit des Beschuldigten an dem ihm vorgeworfenen Verhalten in Bezug auf die Anwendung des § 4 Abs 1 lit a StVO sowohl an der örtlichen als auch zeitlichen Komponente. Der Beschuldigte habe anlässlich seiner Einvernahme vor der erstinstanzlichen Behörde am 22.03.2004 bereits angegeben, dass er am 02.06.2003 nicht in Kössen aufhältig gewesen sei und daher der behauptete Vorfall auch nicht stattgefunden haben könne. Die erstinstanzliche Behörde habe es jedoch unterlassen, den Sachverhalt einer ausreichenden Klärung zuzuführen und die erforderlichen Beweise aufzunehmen. Dadurch liege eine Mangelhaftigkeit des Verfahrens und somit ein Verstoß gegen § 37 AVG vor. Hätte die erstinstanzliche Behörde die Beweise zu dem bereits im Ermittlungsverfahren vom Beschuldigten erstatteten Vorbringen aufgenommen, so wäre die Behörde zur Entscheidung gelangt, dass der Beschuldigte die ihm vorgeworfene Verwaltungsstraftat nicht begangen haben könne, da er sich zum ?Tatzeitpunkt? nicht am ?Tatort? sondern in A. in Deutschland aufgehalten habe.
Weiters werde auf die widersprüchlichen Angaben der Anzeigeerstatterin D. H., welche die Anzeige erst ca 11 Wochen nach dem behaupteten Vorfall erstattet habe und des Zeugen H. R. zum angeblichen Hergang des Unfalls verwiesen. Während die Anzeigeerstatterin angegeben habe, dass das Fahrrad durch die Hinterräder der Zugmaschine beschädigt worden sei, gab der Zeuge R. an, dass das Fahrrad von den Rädern des Heuladewagens überrollt worden sei. Die Anzeigeerstatterin habe mit dem Beschuldigten auch nie persönlich gesprochen, sondern ausschließlich telefonisch mit einer Person, die ihr der Zeuge A. namhaft gemacht habe. Auch der Zeuge R. kenne den Beschuldigten persönlich nicht und habe seitens der Behörde bis dato auch nie eine Gegenüberstellung statt gefunden. Auch diesbezüglich ist der Behörde eine Mangelhaftigkeit des Verfahrens vorzuwerfen, die keinesfalls zur Bestrafung des Beschuldigten führen hätte dürfen.
Sollte die Berufungsbehörde entgegen den Ausführungen des Beschuldigten und den vorliegenden Bestätigungen der Zeugen A. und A. dennoch davon ausgehen, dass der Beschuldigte am ?Tatort? anwesend gewesen sein solle, so fehle es beim Beschuldigten in subjektiver Hinsicht am zwingend erforderlichen Tatbestandsmerkmal des Wissens um den Eintritt eines Schadens und damit an einer für die Bestrafung maßgeblichen Tatbestandsvoraussetzung. Da der Beschuldigte bei seiner Tätigkeit ständig dem starken Lärm des landwirtschaftlichen Zugfahrzeuges (Traktor) und einer Vielzahl von anderen Geräuschen (zB dem des Ladewagens) ausgesetzt sei, hätte er auch bei gehöriger Aufmerksamkeit von der angeblich durch ihn verursachten Sachbeschädiqunq (Überfahren eines Rades) nichts merken können. Selbst wenn der Beschuldigte aufgrund seiner Tätigkeit zu besonderer Aufmerksamkeit und Sorgfalt verpflichtet sei, so wäre im konkreten Fall jedenfalls von einer vernachlässigbaren strafrechtlich relevanten Verantwortung des Beschuldigten auszugehen und ihm der Umstand, dass er den behaupteten Sachschaden nicht einmal gemerkt habe - wenn überhaupt - nur als geringes Verschulden vorwerfbar.
Aufgrund dieses Umstandes sind beim Beschuldigten die Voraussetzungen für die Herabsetzung der verhängten Strafe auf das gesetzliche Mindestmaß jedenfalls gegeben. Aufgrund dieser Ausführungen werde an den Unabhängigen Verwaltungssenat in Tirol gestellt der Antrag, das Straferkenntnis zu beheben, das Strafverfahren gegen den Beschuldigten einzustellen, in eventu eine öffentliche mündliche Verhandlung anzuberaumen und die verhängte Geldstrafe auf das gesetzliche Mindestausmaß herabzusetzen.
Beweis wurde aufgenommen durch Einsicht in den erstinstanzlichen Verwaltungsstrafakt. Darüber hinaus fand am 23.12.2004 eine öffentliche mündliche Berufungsverhandlung statt, in der der Berufungswerber und die Zeugen D. H., H. R. und A. A. einvernommen wurden.
Der Unabhängige Verwaltungssenat in Tirol hat hiezu wie folgt erwogen:
Die Berufung erweist sich als berechtigt.
Gemäß § 4 Abs 1 StVO haben alle Personen die ein Fahrzeug lenken, und deren Verhalten am Unfallort mit einem Verkehrsunfall in ursächlichem Zusammenhang steht, sofort anzuhalten, im Falle der Gefahr von Personen oder Sachen, geeignete Sicherungsmaßnahmen zu treffen und an der Feststellung des Sachverhaltes mitzuwirken.
Dabei gilt als Verkehrsunfall jedes plötzliche, mit dem Straßenverkehr ursächlich zusammenhängende Ereignis, das sich auf Straßen mit öffentlichem Verkehr ereignet und einen Personen- oder Sachschaden zur Folge hat. Das Vorliegen mindestens eines Sachschadens ist somit Tatbestandsvoraussetzung.
Gemäß § 4 Abs 5 StVO haben alle die im Absatz 1 genannten Personen (das sind alle Personen, deren Verhalten am Unfallort mit einem Verkehrsunfall in ursächlichem Zusammenhang steht) die nächste Polizei- oder Gendarmeriedienststelle vom Verkehrsunfall ohne unnötigen Aufschub zu verständigen. Eine solche Verständigung darf jedoch unterbleiben, wenn die im Absatz 1 genannten Personen oder jene, in deren Vermögen der Schaden eingetreten ist, einander ihren Namen und ihre Anschrift nachgewiesen haben.
Angewendet auf den gegenständlichen Fall erscheint es Berufungsbehörde zwar wahrscheinlich, dass der Berufungswerber - wie vom Zeugen R. angegeben - das Kinderfahrrad (vermutlich) gestreift und in der Folge mit dem Heuladewagen überrollt hat. In der mündlichen Berufungsverhandlung fand eine Gegenüberstellung statt und konnte er den Berufungswerber als Lenker der Zugmaschine wieder erkennen und den Tathergang konkret schildern. Allerdings war es auch nach Durchführung der mündlichen Berufungsverhandlung nicht möglich, die tatsächliche Tatzeit festzustellen.
Zwar war sich der Zeuge R. anfänglich sicher, dass sich der Vorfall am 02.06.2003 zugetragen hat, im Zuge der mündlichen Berufungsverhandlung aber nicht mehr. Auch wurden vom Berufungswerber im Zusammenhang mit der Tatzeit eine Bestätigung von H. A. vorgelegt, worin dargelegt wird, dass der Berufungswerber in der Zeit vom 28.05.2003 bis 06.06.2003 in Arnbruck in Deutschland Silagearbeiten verrichtet hat und sich während dieser Zeit ununterbrochen in A. aufgehalten hat. Weiters wurde vom Zeugen A. A. bestätigt, dass der Berufungswerber am 2.6.2003 nicht bei ihm in K. gewesen ist, sondern nur am 21./22.06.2003 und am 29.07.2003, um die Silage mit dem Heuwagen nach Hause zu fahren.
Aufgrund des durchgeführten Beweisverfahrens kommt die Berufungsbehörde sohin zu dem Ergebnis, dass der Tatzeitpunkt nicht 02.06.2003 war.
Gemäß § 45 Abs 1 Z 2 VStG hat die Behörde von der Einleitung oder Fortführung eines Strafverfahrens abzusehen und die Einstellung zu verfügen, wenn der Beschuldigte die ihm zur Last gelegte Verwaltungsübertretung nicht begangen hat oder Umstände vorliegen, die die Strafbarkeit aufheben oder ausschließen.
Da nicht mit der für die Bestrafung erforderliche Sicherheit festgestellt werden konnte, dass der Berufungswerber den Unfall am 02.06.2003 verursachte, war wie im Spruch ausgeführt zu entscheiden.