Der Unabhängige Verwaltungssenat in Tirol entscheidet durch sein Mitglied Dr. Christoph Lehne über die Berufung des Herrn V. L., XY, gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Lienz vom 27.12.2004, Zl 2.1 A-226/02-17, gemäß § 66 Abs 4 AVG iVm § 79 Abs 1 GewO 1994 wie folgt:
Der Berufung wird Folge gegeben und der angefochtene Bescheid ersatzlos behoben.
V. L. ist Gastgewerbeinhaber in XY. Er betreibt ein Gastgewerbe in der Betriebsart Land-Gasthof aufgrund der Betriebsanlagengenehmigungen vom 24.11.1975, Zl II-1136/3, und vom 06.09.2000, Zl 209-1131/2.
Mit dem angefochtenen Bescheid wurde ihm seitens der Erstbehörde zur Gewährleistung des erforderlichen Kunden und Arbeitnehmerschutzes gemäß § 79 Abs 1 GewO 1994 folgende
nachträgliche Auflage vorgeschrieben:
?Zur Gewährleistung einer ausreichenden Fluchtmöglichkeit aus dem nördlich situierten Gastraum ist die derzeit in den Gastraum aufschlagende Tür entweder als Pendeltür oder nach außen aufschlagend umzugestalten, wobei die bestehende Mindestbreite keine Verringerung
erfahren darf.
Dieser Maßnahme ist bis 31.Mai 2005 Rechnung zu tragen.?
Gegen diese Auflage hat der Gewerbeinhaber im Wesentlichen mit der Begründung Berufung erhoben, dass der Gastraum sicher 20 Monate im Jahr nicht in Verwendung sei und nur bei hohem Geschäftsgang kurzfristig aufgesperrt werde.
Diese Argumentation ist wenig schlüssig, da es bei der Einräumung von sicheren Fluchtwegen nicht auf die Besucherfrequenz jener Räume ankommt, aus denen die sichere Flucht zu gewährleisten ist. Im Ergebnis kommt der Berufung allerdings aus folgenden Gründen Berechtigung zu:
Seit dem Jahre 2000 hat der Berufungswerber die Absicht gehabt, die Fluchtwegsituation in Abänderung der Bescheidauflage 6 des Genehmigungsbescheides vom 06.09.2000, Zl 209-1131/2, anders zu gestalten. Nach Rücksprache vom 10.04.2001 wollte der Berufungswerber den Haupteingang mit Windfang und nach außen aufschlagender Türe gestalten. Laut Aktenvermerk vom 05.09.2001 wollte anstatt der im Aktenvermerk vom 26.09.2000, Zl 209-1131/2, vorgesehenen Schiebetür mit Panikfunktion nun die bestehende doppelflügige Türe in Fluchtrichtung aufschlagend und mit Panikverschlag versehen ausführen. Hiezu wurde ihm mitgeteilt, dass die geplante Abänderung der Fluchtwegsituation planlich darzustellen und bei der Behörde vor Ausführung um eine Abänderung der Bescheidauflage anzusuchen ist.
Die Erledigung dieser planlichen Darstellung und des Ansuchens wurde am 05.09.2001 sowie am 14.08.2002 urgiert.
Am 09.09.2002 hat der Berufungswerber um eine Änderung des Bescheides hinsichtlich der Notausgänge laut der in der Beilage rot einskizzierten Ausführung angesucht.
Hierüber fand am 07.11.2002 ein Augenschein statt.
Laut dem Aktenvermerk vom 03.12.2002 der Bezirkshauptmannschaft Lienz wurde dabei Folgendes vereinbart:
?Am 7. 11. 2002 fand im Beisein des Herrn Amtstechnikers DI S. und des Vertreters der Tiroler Landesstelle für Brandverhütung, Herrn Ing. S., sowie des Arbeitsinspektorates, Herrn T., eine Besprechung an Ort und Stelle betreffend die Ausführung des Fluchtweges abweichend vom betriebsanlagenrechtlichen Genehmigungsbescheid vom 6.9.2000, Zahl 209-1131/2, statt.
Grundlage der Besprechung waren die vom Atelier J. am 10. 9. 2002 eingereichten Planunterlagen, die nun den Notabstieg nicht mehr auf die im Bescheid erwähnte Terrasse und anschließend auf das Gelände an der Westseite, sondern am südwestlichen Gebäudeeck direkt vom Balkon im Obergeschoß vorsieht. Die anwesenden Sachverständigen erheben gegen die vorbeschriebene Abänderung keinen Einwand. Weiters wurde festgelegt, dass die Abgrenzung des Fluchtweges auf dem nordseitigen Pultdach sowie an der Westseite zwischen den zwei unterbrochenen Balkonen in Form von an Stahlstützen befestigten und gespannten Stahlseilen erfolgen kann.
Weiters wurde von den Sachverständigen zur Gewährleistung einer ausreichenden Fluchtmöglichkeit aus dem nördlich situierten Gastraum gefordert, die derzeit in den Gastraum aufschlagende Tür entweder als Pendeltür oder nach außen aufschlagend umzugestalten, wobei die bestehende Mindestbreite keine Verringerung erfahren darf. Der bestehende zweiflügelige Haupteingang wurde in Fluchtrichtung aufschlagend umgebaut und besteht aus einem Geh und einem Stehflügel, der über eine Schnellentriegelung in Griffhöhe verfügt.”
Einem weiteren Aktenvermerk vom 10.12.2002 des Referenten Dr. K. ist Folgendes zu entnehmen:
?Die Frage der Fluchtwegsituation wurde am 7.11.2002 im Zuge eines anderweitigen Augenscheines in St. Jakob iD nochmals einer Besprechung unterzogen und hierüber der in Fotokopie beiliegende Aktenvermerk vom 3.12.2002 abgefasst.
Daraus ergibt sich, dass gegen die Gestaltung der Notabstiege im Sinne des Ergebnisses dieses Augenscheines und der von Ihnen vorgelegten Pläne kein Einwand besteht und die Fluchtwegsituation den Vorschreibungen des hieramtlichen Bescheides vom 6.9.2000, Zahl 209-1131/2, entspricht. Hingewiesen wird auch darauf, dass die Tür in den nördlich situierten Gastraum entweder nach außen aufschlagend umzugestalten oder als Pendeltür einzurichten ist.
Gleichzeitig wird der von der Atelier J. GesmbH hierüber abgefasster Plan mit Vidierungsvermerk rückübermittelt.”
Mit Schreiben vom 30.05.2003 wurde der Betriebsanlageninhaber nochmals aufgefordert, den in den vorzitierten Schreiben bzw im hieramtlichen Genehmigungsbescheid vom 06.09.2000, Zl 209-1131/2 (Fotokopie liegt bei) angeführten Vorschreibungen sofern nicht bereits geschehen unverzüglich Rechnung zu tragen.
Einem Vermerk des Erhebungsorgans vom 10.10.2003 ist zu entnehmen, dass der Fluchtweg zu diesem Zeitpunkt noch nicht fertig umgestellt war, insbesondere die derzeit in den Gastraum aufschlagende Türe noch in Arbeit war.
Auf die Erfüllung dieser Auflagen wurde der Berufungswerber mit Schreiben vom 07.11.2003 nochmals hingewiesen. Weitere Urgenz wurde mit Schreiben vom 13.02.2004 durchgeführt.
Aus einem Aktenvermerk des Erhebungsbeamten L. vom 19.10.2004 ist zu entnehmen, dass die Pendeltüre probeweise eingesetzt war, sich diese Lösung jedoch nicht bewährt habe (Verletzungsgefahr durch ?Einklemmen? von Kindern sei schon vorgekommen). Ein Aufschlagen nach außen sei aufgrund der Serviertätigkeit auch nicht möglich. Von Herrn L. wurde zugesagt, sich mit DI O. S. ins Einvernehmen zu setzen, um nach einer Lösungsmöglichkeit betreffend die Tür aus dem nordseitigen Gastraum zu suchen.
Der Amtstechniker DI O. S. stellte mit Schreiben vom 19.11.2004 fest, dass am 18.11.2004 ein Ortsaugenschein im Beisein der Frau L. durchgeführt wurde und festgestellt wurde, dass bisher die Zugangstüre aus dem nördlichen Gastraum noch nicht in Fluchtrichtung aufschlagend eingerichtet sei. Mit Frau L. sei die Situation nochmals erörtert worden und sei dieser mitgeteilt worden, dass die Türe entweder in Fluchtrichtung aufschlagend einzurichten oder als Pendeltüre auszuführen sie. Eine weitere Lösung sei das Entfernen der Türe und in Verbindung mit den zu erwartenden Zugerscheinungen auch über der Türe ein Gerät für einen Heißluftschleier zu installieren.
Mit Schreiben vom 23.11.2004 des Referenten Dr. K. L. wurde dem Berufungswerber noch einmal der Sachverhalt anhand der Aktenlage vorgehalten. Im ersten Teil dieses Schreibens wird Folgendes ausgeführt:
?Sehr geehrter Herr L.!
Eine Durchsicht Ihres Betriebsanlagenaktes hat ergeben, dass anlässlich des am 07.11,2002 durchgeführten Ortsaugenscheines ua von Sachverständigen (Brandverhütung, Amtstechniker und Arbeitsinspektor) zur Gewährleistung einer ausreichenden Fluchtmöglichkeit aus dem nördlich situierten Gastraum gefordert wurde, die derzeit in den Gastraum aufschlagende Tür entweder als Pendeltür oder nach außen aufschlagend umzugestalten, wobei die bestehende Mindestbreite keine Verringerung erfahren darf. Die Erfüllung dieser zusätzlichen Auflage wurde Ihnen mit Schreiben der Bezirkshauptmannschaft Lienz vom 10.12.2002, 2.1 A-226/02-5, nahe gelegt. Ein diesbezüglicher Bescheid wurde jedoch bisher nicht erlassen.”
?§ 79
(1) Ergibt sich nach Genehmigung der Anlage, dass die gemäß § 74 Abs 2 wahrzunehmenden Interessen trotz Einhaltung der im Genehmigungsbescheid vorgeschriebenen Auflagen nicht hinreichend geschützt sind, so hat die Behörde die nach dem Stand der Technik (§ 71a) und dem Stand der medizinischen und der sonst in Betracht kommenden Wissenschaften zur Erreichung dieses Schutzes erforderlichen anderen oder zusätzlichen Auflagen (§ 77 Abs 1) vorzuschreiben; die Auflagen haben gegebenenfalls auch die zur Erreichung dieses Schutzes erforderliche Beseitigung eingetretener Folgen von Auswirkungen der Anlage zu umfassen; die Behörde hat festzulegen, dass bestimmte Auflagen erst nach Ablauf einer angemessenen, höchstens drei Jahre, in besonders berücksichtigungswürdigen Fällen (zB bei Betriebsübernahmen) höchstens fünf Jahre, betragenden Frist eingehalten werden müssen, wenn der Inhaber der Betriebsanlage nachweist, dass ihm (zB wegen der mit der Übernahme des Betriebes verbundenen Kosten) die Einhaltung dieser Auflagen erst innerhalb dieser Frist wirtschaftlich zumutbar ist, und gegen die Fristeinräumung keine Bedenken vom Standpunkt des Schutzes der im § 74 Abs 2 umschriebenen Interessen bestehen. Die Behörde hat solche Auflagen nicht vorzuschreiben, wenn sie unverhältnismäßig sind, vor allem wenn der mit der Erfüllung der Auflagen verbundene Aufwand außer Verhältnis zu dem mit den Auflagen angestrebten Erfolg steht. Dabei sind insbesondere Art, Menge und Gefährlichkeit der von der Anlage ausgehenden Emissionen und der von ihr verursachten Immissionen sowie die Nutzungsdauer und die technischen Besonderheiten der Anlage zu berücksichtigen.
(2) Zugunsten von Personen, die erst nach Genehmigung der Betriebsanlage Nachbarn im Sinne des § 75 Abs 2 und 3 geworden sind, sind Auflagen im Sinne des Abs 1 nur soweit vorzuschreiben, als diese zur Vermeidung einer Gefährdung des Lebens oder der Gesundheit dieser Personen notwendig sind. Auflagen im Sinne des Abs 1 zur Vermeidung einer über die unmittelbare Nachbarschaft hinausreichenden beträchtlichen Belastung durch Luftschadstoffe, Lärm oder gefährliche Abfälle sind, sofern sie nicht unter den ersten Satz fallen, zugunsten solcher Personen nur dann vorzuschreiben, wenn diese Auflagen im Sinne des Abs 1 verhältnismäßig sind.
(3) Könnte der hinreichende Schutz der gemäß § 74 Abs 2 wahrzunehmenden Interessen nach Abs 1 oder 2 nur durch die Vorschreibung solcher anderer oder zusätzlicher Auflagen erreicht werden, durch die die genehmigte Betriebsanlage in ihrem Wesen verändert würde, so hat die Behörde dem Inhaber der Anlage mit Bescheid aufzutragen, zur Erreichung des hinreichenden Interessenschutzes und der Begrenzung der Emissionen von Luftschadstoffen nach dem Stand der Technik innerhalb einer dem hiefür erforderlichen Zeitaufwand angemessenen Frist ein Sanierungskonzept für die Anlage zur Genehmigung vorzulegen; für dieses Sanierungskonzept ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (Abs 1) maßgebend. Im Bescheid, mit dem die Sanierung genehmigt wird, hat die Behörde, erforderlichenfalls unter Vorschreibung bestimmter Auflagen, eine dem Zeitaufwand für die vorgesehenen Sanierungsmaßnahmen entsprechende Frist zur Durchführung der Sanierung festzulegen. § 81 Abs 1 ist auf diese Sanierung nicht anzuwenden.
(4) Die Behörde hat dem Inhaber einer genehmigten Betriebsanlage, die nach einer Verordnung gemäß § 10 Immissionsschutzgesetz Luft, BGBl I Nr 115, in einem Sanierungsgebiet liegt und von Anordnungen des Maßnahmenkatalogs betroffen ist (§ 10 IG-L), mit Bescheid aufzutragen, zur Erfüllung dieser Anordnungen innerhalb einer dem hiefür erforderlichen Zeitaufwand angemessenen Frist ein Sanierungskonzept für die Anlage vorzulegen. Im Bescheid, mit dem die Sanierung, erforderlichenfalls unter Vorschreibung bestimmter Auflagen, genehmigt wird, hat die Behörde auf die in der Verordnung gemäß § 10 IG-L festgelegte Sanierungsfrist hinzuweisen. § 81 Abs 1 ist auf diese Sanierung nicht anzuwenden.?
Aus dem letzten zitierten Schreiben der Bezirkshauptmannschaft Lienz ergibt sich, dass sich die Betriebsanlage derzeit nicht in einem Zustand befindet, der von sämtlichen Genehmigungen umfasst ist. Das Ansuchen des Berufungswerbers um Umgestaltung der Bescheidauflage 6 des Genehmigungsbescheides vom 06.09.2000, Zl 209-1131/2, im Sinne des § 78 Abs 2 GewO 1994 wurde nicht bescheidmäßig erledigt. Dieser Umstand steht einer nachträglichen Vorschreibung der Gestaltung der Türe entweder als Pendeltüre oder als nach außen aufschlagende Türe formal im Wege.
Die Bezirkshauptmannschaft Lienz hat daher über das Ansuchen des Berufungswerbers im Sinn des § 78 Abs 2 GewO 1994 einen Bescheid zu erlassen und hat in diesem Bescheid eine entsprechende Auflage für die Türgestaltung vorzuschreiben. Vorläufig könnte diese Maßnahme auch nach § 360 Abs 1 GewO 1994 vorgeschrieben werden.
Es konnte nur spruchgemäß entschieden werden.