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19/05 Menschenrechte;Norm
AufG 1992 §5 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte Dr. Zens und Dr. Bayjones als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Schlegel, über die Beschwerde des am 30. Juni 1952 geborenen HA in W, vertreten durch Dr. Marchella Zauner-Grois und Dr. Christof Dunst, Rechtsanwälte in 1010 Wien, Rathausstraße 19, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 7. Mai 1997, Zl. 120.933/3-III/11/97, betreffend Aufenthaltsbewilligung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.770,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Der Beschwerdeführer verfügte nach der Aktenlage u.a. über Wiedereinreisesichtvermerke mit Geltungsdauer vom 25. August 1992 bis 31. Jänner 1993 und vom 28. April 1993 bis 3. September 1993 sowie (zuletzt) über eine Aufenthaltsbewilligung mit Geltungsdauer vom 5. September 1995 bis 2. April 1996. Er beantragte am 28. März 1996 die Verlängerung dieser Bewilligung. Dieser Antrag wurde mit Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 19. Juni 1996, dem Beschwerdeführer zugestellt am 2. Juli 1996, gemäß § 5 Abs. 1 AufG iVm § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG abgewiesen. Begründend führte die erstinstanzliche Behörde aus, der Beschwerdeführer sei am 3. Jänner 1994 wegen § 83 Abs. 1 StGB (Körperverletzung) und am 9. Februar 1996 wegen §§ 83 Abs. 1, 84 Abs. 2 Z. 4 StGB (schwere Körperverletzung) gerichtlich verurteilt worden. Der Beschwerdeführer habe durch sein Verhalten gezeigt, dass er die körperliche Integrität seiner Mitmenschen nicht respektiere. Ein solches Verhalten stelle einen gravierenden Verstoß gegen die österreichische Rechtsordnung dar; es bestehe daher ein erhöhtes öffentliches Interesse daran, dass ausländische Gewalttäter sich nicht weiter in Österreich aufhalten könnten. Weiters sei zu berücksichtigen, dass der Beschwerdeführer sich zwar seit 1978 im Bundesgebiet aufhalte, aber immer nur sehr kurzfristig einer unselbstständigen Tätigkeit nachgegangen sei. Meist hätten diese Tätigkeiten nur einige Tage gedauert. Er habe daher, obwohl er durch seine frühere Heirat mit einer Österreicherin dazu legal berechtigt gewesen wäre, nur einen "sehr geringen Arbeitswillen" gezeigt. Der weitere Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet stelle daher eine gravierende Gefährdung der öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit dar. Auf Grund der privaten und familiären Situation des Beschwerdeführers stelle die Abweisung des Antrages durchaus einen Eingriff in sein Privat- und Familienleben dar. Das öffentliche Interesse, welches gegen die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung spreche, sei aber höher zu veranschlagen als die gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Beschwerdeführers. Dieser Bescheid erwuchs in Rechtskraft.
Am 29. August 1996 beantragte der Beschwerdeführer neuerlich beim Landeshauptmann von Wien die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung. Aus den Antragsbeilagen ging hervor, dass für ihn am 5. Jänner 1995 ein Befreiungsschein mit Geltungsdauer bis 4. Jänner 2000 ausgestellt wurde. Die erstinstanzliche Behörde wies diesen Antrag wiederum im Hinblick auf die Verurteilungen des Beschwerdeführers vom 3. Jänner 1994 bzw. 9. Februar 1996 und seinen "sehr geringen Arbeitswillen" mit Bescheid vom 21. Jänner 1997 gemäß § 5 Abs. 1 AufG iVm § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG ab.
Der Beschwerdeführer erhob Berufung. Darin führte er zu seinen persönlichen Interessen insbesondere Folgendes aus: Er halte sich nunmehr seit 1978, somit seit fast 20 Jahren, rechtmäßig in Österreich auf. Er sei mit einer österreichischen Staatsangehörigen verehelicht gewesen, die zwischenzeitig verstorben sei. Nunmehr lebe er seit etlichen Jahren in einer aufrechten Lebensgemeinschaft mit einer 1954 geborenen Frau. Aus dieser Beziehung entstamme eine 1986 geborene Tochter, welche sich jedoch seit frühester Kindheit auf Grund der Krankheit der Mutter bei Pflegeeltern befinde. Der Beschwerdeführer sei für dieses Kind unterhaltspflichtig und bezahle monatlich S 1.700,-- an Unterhalt. Er habe seine Lebensgefährtin am 11. Juni 1993 nach islamischen Ritus geheiratet. Seine Lebensgefährtin sei "schwerst schizophren" und stehe in regelmäßiger Behandlung. Ihre psychische Krankheit habe sich so sehr verschlechtert, dass sie die Betreuung durch den Beschwerdeführer unbedingt benötige.
Mit dem angefochtenen Bescheid vom 7. Mai 1997 wies der Bundesminister für Inneres diese Berufung gemäß § 5 Abs. 1 AufG und § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG ab. Begründend führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer sei nach der auch auf seinen eigenen Angaben beruhenden Aktenlage am 3. Jänner 1994 vom Bezirksgericht Hernals wegen § 83 Abs. 1 StGB und am 9. Februar 1996 vom Landesgericht für Strafsachen Wien wegen §§ 83 Abs. 1 und 84 Abs. 2 Z. 2 StGB zu vier Monaten Freiheitsstrafe bedingt auf drei Jahre Probezeit rechtskräftig verurteilt worden. Bei diesen Delikten handle es sich um Körperverletzung sowie um schwere Körperverletzung. In seinem Berufungsvorbringen habe sich der Beschwerdeführer auf einen bis zur ersten Verurteilung unbescholtenen 16-jährigen Aufenthalt im Bundesgebiet berufen; dieser Umstand sei im Hinblick auf die im Jahre 1995 erfolgte Verlängerung seiner Aufenthaltsbewilligung trotz der damaligen rechtskräftigen Verurteilung durchaus gewürdigt worden. Da im Fall des Beschwerdeführers eine Wiederholungstäterschaft gegeben sei, sei sein weiterer Verstoß gegen die österreichischen Rechtsvorschriften im Sinne des § 5 Abs. 1 AufG als Sichtvermerksversagungsgrund gemäß § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG zu werten.
Zum zweiten Vorwurf des "geringfügig vorhandenen Arbeitswillens" im erstinstanzlichen Bescheid sei festzuhalten, aus dem dem Antrag beigeschlossenen Versicherungsdatenauszug gehe hervor, dass die in Beschäftigung stehenden Zeiten, die tatsächlich nur kurze Arbeitszeiten umfassten, oftmals durch längerfristige Zeiten des Arbeitslosengeldbezuges (Notstandshilfe) bzw. durch Krankengeldbezug unterbrochen seien; der Beschwerdeführer habe während seines bisherigen Aufenthaltes bereits 17 verschiedene Dienstgeber durchlaufen.
Auf Grund dieser Ausführungen sei ein Sichtvermerksversagungsgrund gegeben; es könne dem Beschwerdeführer auch keine Aufenthaltsbewilligung erteilt werden. Zu seinen persönlichen Verhältnissen sei zu sagen, dass zwar auf Grund seines langjährigen Aufenthaltes im Bundesgebiet nicht absprechbare Bindungen zur Republik Österreich bestünden, diese aber im Hinblick auf die wiederholt gerichtlich strafbaren Delikte gegen Leib und Leben gegenüber den öffentlichen Interessen an der Versagung der Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung hintanzustellen seien. Eine besondere Integration auf dem österreichischen Arbeitsmarkt sei gemäß dem Sozialversicherungsdatenauszug auf Grund der ständig wechselnden Arbeitgeber und der häufigen "Arbeitslosenzeiten" auch nicht gegeben.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
Im Hinblick auf den Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides (die Zustellung erfolgte am 21. Mai 1997) ist für seine Überprüfung durch den Verwaltungsgerichtshof die Rechtslage nach Inkrafttreten der Novelle zum Aufenthaltsgesetz BGBl. Nr. 201/1996 anzuwenden.
§ 5 Abs. 1 AufG lautete:
"§ 5. (1) Eine Bewilligung darf Fremden nicht erteilt werden, bei denen ein Sichtvermerksversagungsgrund (§ 10 Abs. 1 FrG) vorliegt, insbesondere aber, wenn deren Lebensunterhalt oder eine für Inländer ortsübliche Unterkunft in Österreich für die Geltungsdauer der Bewilligung nicht gesichert ist."
§ 10 Abs. 1 Z. 4 FrG 1992 lautete:
"§ 10. (1) Die Erteilung eines Sichtvermerkes ist zu versagen, wenn
...
4. der Aufenthalt des Sichtvermerkswerbers die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit gefährden würde."
Der Beschwerdeführer hat vor Ablauf seiner bis 2. April 1996 gültigen Aufenthaltsbewilligung einen Antrag auf Verlängerung eingebracht. Allerdings wurde dieser Antrag vom 28. März 1996 mit in Rechtskraft erwachsenem Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 19. Juni 1996 gemäß § 5 Abs. 1 AufG iVm § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG abgewiesen. Gegenstand des angefochtenen Bescheides ist der nach rechtskräftiger Abweisung dieses Antrages gestellte neuerliche Antrag des Beschwerdeführers vom 29. August 1996. Ein Fall des § 113 Abs. 6 und 7 FrG 1997 liegt nicht vor. Der angefochtene Bescheid ist - entgegen der Ansicht der erstinstanzlichen Behörde in ihrem Schreiben vom 12. April 1999 - nicht am 1. Jänner 1998 außer Kraft getreten. Der belangten Behörde kann daher nicht entgegengetreten werden, wenn sie den gegenständlichen Antrag als Erstantrag wertete.
Der Beschwerdeführer zählt auch nicht zu dem vom Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 16. Juni 1995, B 1611 bis 1614/94 (= Slg. Nr. 14.148) umschriebenen Personenkreis. Bei den in diesem Erkenntnis angeführten Fremden handelte es sich um solche, die die Frist zur Antragstellung versäumt hatten. Im hier gegenständlichen Fall wurde aber keine Frist versäumt, sondern - wie oben ausgeführt - ein rechtzeitig gestellter Verlängerungsantrag wegen Vorliegens des Versagungsgrundes gemäß § 5 Abs. 1 AufG abgewiesen.
Wenngleich die Rechtsansicht der belangten Behörde, der "geringfügig vorhandene Arbeitswillen" des Beschwerdeführers rechtfertige (auch) ihre gemäß § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG vorgenommene Gefährdungsprognose, vom Verwaltungsgerichtshof nicht geteilt wird (es ist nicht ersichtlich, in wie weit ein "geringfügig vorhandener Arbeitswillen" - selbst zutreffendenfalls, was beim Beschwerdeführer, der im Zeitraum von 1980 bis 1996 17 verschiedene Dienstgeber "durchlaufen" habe, jedenfalls nicht auf der Hand liegt - eine Gefährdung im Sinne der angeführten Gesetzesstelle darstellt) begegnet die Auffassung der belangten Behörde, das den beiden Verurteilungen des Beschwerdeführers wegen Körperverletzung gemäß § 83 Abs. 1 StGB bzw. wegen schwerer Körperverletzung gemäß §§ 83 Abs. 1 und 84 Abs. 2 Z. 2 StGB zu Grunde liegende Fehlverhalten rechtfertige die Annahme, sein weiterer Aufenthalt im Bundesgebiet werde die öffentliche Sicherheit im Sinne des § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG gefährden, keinem Einwand.
Mit dem Hinweis der Beschwerde auf die oben wiedergegebenen Berufungsausführungen gelingt es dem Beschwerdeführer jedoch, eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides aufzuzeigen. Bei Anwendung des § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG hat die Behörde nämlich auf die privaten und familiären Interessen des Fremden Bedacht zu nehmen, und zwar derart, dass sie zu prüfen hat, ob sein Aufenthalt im Bundesgebiet die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit derart gefährden würde, dass die in Art. 8 Abs. 2 MRK genannten öffentlichen Interessen einen Eingriff in sein Privat- und Familienleben rechtfertigen.
Nach seinen Berufungsbehauptungen befindet sich der Beschwerdeführer seit 1978 im Bundesgebiet, war mit einer österreichischen Staatsangehörigen verheiratet und hat aus einer langjährigen Lebensgemeinschaft eine 1986 geborene Tochter. Seine Lebensgefährtin leide an einer psychischen Krankheit und benötige unbedingt die Betreuung durch den Beschwerdeführer.
Bei Zutreffen dieser Berufungsbehauptungen wäre der Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers durch die Versagung der gegenständlichen Bewilligung nicht schon auf Grund des seinen Verurteilungen zu Grunde liegenden Fehlverhaltens im Sinne des Art. 8 Abs. 2 MRK gerechtfertigt (vgl. dazu auch das zum Fall einer Verurteilung wegen §§ 142 und 143 StGB zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von sechs Monaten ergangene hg. Erkenntnis vom 19. Dezember 1997, Zl. 96/19/2193).
Aus diesen Erwägungen war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Kosten aus dem Titel der Umsatzsteuer können neben dem Pauschalbetrag für den Ersatz des Schriftsatzaufwandes nicht zuerkannt werden. An Stempelgebühren waren lediglich S 240,-- für die Einbringung der Beschwerde in zweifacher Ausfertigung und S 30,-- für die Vorlage des angefochtenen Bescheides in einfacher Ausfertigung beizubringen.
Wien, am 22. Oktober 2001
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2001:1997191292.X00Im RIS seit
05.03.2002