Der Unabhängige Verwaltungssenat in Tirol entscheidet durch sein Mitglied Dr. Alexander Hohenhorst über die Berufung von Herrn F. K. jun., XY-Straße, L., vertreten durch Rechtsanwälte O., H., L., XY-Straße, L., vom 26.11.2004, gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Lienz vom 09.11.2004, Zl 2.1 A-6/02-35, betreffend Schließung von Teilen der Betriebsanlage gemäß § 360 Gewerbeordnung nach § 66 Abs 2 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 wie folgt:
Der Berufung wird insofern Folge gegeben, als der angefochtene Bescheid behoben und die Angelegenheit zur Durchführung einer neuerlichen Verhandlung und neuerlichen Entscheidung an die Bezirkshauptmannschaft Lienz zurückverwiesen wird.
Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Lienz vom 09.11.2004, Zl 2.1 A-6/02-35, wurde gemäß §§ 79 Abs 3 und 360 Abs 1 in Verbindung mit 367 Z 25 Gewerbeordnung 1994 hinsichtlich des mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Lienz vom 11.07.1990, Zl 209-231/3, genehmigten Bäckereibetriebes des F. K. jun. im Standort L., XY-Straße, zur Herstellung des der Rechtsordnung entsprechenden Zustandes die Stilllegung folgender Maschinen bzw Tätigkeiten in der Backstube verfügt:
Semmelanlage, Spiralknetmaschine ESMACH ISE-A mit Knetschüssel, Spiralknetmaschine Spiramatic SF 80 mit Knetschüssel, das Ankoppeln der Knetschüsseln an die Spiralknetmaschinen, Manipulationstätigkeiten wie das Befördern der Stikkenwagen, das Schlagen von Türen, das Verstellen von Holzböcken.
Die Erstbehörde begründet ihre Entscheidung zusammengefasst damit, dass mit Berufungsbescheid des Landeshauptmannes von Tirol vom 23.10.2003, Zl IIa-60.044/21-97, Herrn K. aufgetragen wurde, der Bezirkshauptmannschaft Lienz binnen 3 Monaten ab Rechtskraft dieses Bescheides, also bis 19. März 2004, ein Sanierungskonzept zur Genehmigung vorzulegen, in welchem in einer Beschreibung und planlichen Darstellung die Maßnahmen zur Minderung der Erschütterung und des Lärms aus dem mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Lienz vom 11.07.1990, Zl 209-231/3, auf Gp 541/2 KG Lienz genehmigten Bäckereibetrieb für die im ersten Obergeschoss wohnenden Anrainer E.-M. und H. H. darzulegen ist, wobei der KB-Wert der Fühlschwelle von 0,1 und der auftretende Lärm den Grenzwert von 35 dB nicht übersteigen darf. Die Eingabe des Herrn F. K. vom 18.06.2004, der 4 Rechnungen beigeschlossen waren und in der mitgeteilt wurde, dass verschiedene Maßnahmen bereits gesetzt wurden und noch weitere in Aussicht genommen sind, entspreche nicht dem eingangs erwähnten Auftrag der Berufungsbehörde und stelle kein Sanierungskonzept dar. Dies sei insbesondere darin begründet, dass diese Eingabe keine ausreichende Beschreibung und planliche Darstellung der Maßnahmen samt schlüssiger Darlegung der vorgesehenen Maßnahmen enthalte. Mit Verfahrensanordnung der Bezirkshauptmannschaft Lienz vom 23.08.2004 wurde daher F. K. jun. gemäß § 360 Abs 1 in Verbindung mit § 367 Z 25 GewO aufgefordert, der Bezirkshauptmannschaft Lienz bis spätestens 31.10.2004 ein den Vorgaben des Berufungsbescheides des Landeshauptmannes von Tirol vom 23.10.2003 entsprechendes vollständiges Sanierungskonzept zur Durchführung eines Genehmigungsverfahrens nach § 79 Abs 3 GewO vorzulegen. Mit Schreiben vom 28.10.2004 legte Herr K. eine als ?Sanierungskonzept? titulierte, vom technischen Büro DI F. S., I., zusammengestellte Absichtserklärung vor. Nach Schilderung der Ausgangslage werde darin der Schluss gezogen, dass eine Sanierung der jetzigen Backstube zur Behebung der festgestellten Be
einträchtigung der Anrainer aus technischen und wirtschaftlichen Gründen nicht möglich ist. Daher soll im westlichen Bereich des Gebäudes eine neue Backstube mit Nebenräumen wie Mehlsilo, Technikraum usw errichtet werden. Nach einer weiteren technischen Beschreibung wird darin ausgeführt, dass dadurch sichergestellt sei, dass für die im ersten Obergeschoss wohnenden Anrainer E.-M. und H. H. der KB-Wert der Fühlschwelle von 0,1 und der auftretende Lärm den Grenzwert von 35 dB während der Nachtstunden nicht übersteigen wird. Die Erstbehörde stellte dazu fest, dass die Vorlage eines verhandlungsfähigen Sanierungskonzeptes seit 19.03.2004 fällig gewesen wäre und die Eingabe vom 28.10.2004 mangels entsprechender Detailplanungen nicht einem Genehmigungsverfahren nach § 79 Abs 3 GewO zu Grunde gelegt werden könne. Laut der Eingabe vom 28.10.2004 soll die Vorlage einer vollständigen gewerberechtlichen Einreichung für die vorgesehenen Maßnahmen zur Sanierung des Betriebes erst bis 31.03.2005 erfolgen, was jedoch bereits bis 19. März 2004 geschehen hätte müssen. Aus diesem Grund liegen bereits zwei rechtskräftige Verwaltungsstrafen wegen Übertretung nach § 367 Z 25 GewO vor. Damit seien die Voraussetzungen des § 360 Abs 1 GewO erfüllt, da bisher der Behörde kein vollständiges Sanierungskonzept vorgelegt wurde und nach den im Verfahren nach § 79 GewO eingeholten Gutachten die Immissionen vor allem auf die nunmehr stillgelegten Maschinen bzw Tätigkeiten in der Backstube zurückzuführen sind. Da die in der Verfahrensanordnung vom 24.08.2004 eingeräumte weitere Frist nicht eingehalten wurde, sei spruchgemäß vorzugehen gewesen.
Dagegen richtet sich die fristgerechte und zulässige Berufung, in der Herr K. durch seine Rechtsvertreter im Wesentlichen vorbringt, dass das Sanierungskonzept DI S. vom 28.10.2004 ergebe, dass eine Sanierung der jetzigen Backstube zur Behebung der festgestellten Beeinträchtigungen der Anrainer aus technischen und wirtschaftlichen Gründen nicht möglich sei. Deshalb werde der Neubau der Backstube geplant. Wenn sich herausstellt, dass die Durchführung von Sanierungsmaßnahmen zur Erreichung der gesteckten Ziele nicht möglich ist, müsse es dem Betriebsinhaber frei stehen, andere geeignete Maßnahmen vorzuschlagen, die zur Erreichung der Ziele des Sanierungskonzeptes besser geeignet sind. Die Ausführungen im Sanierungskonzept vom 28.10.2004 haben die Erstbehörde nicht zur Einholung eines Gutachtens des Amtstechnikers veranlasst, sondern es sei ohne weitere Erhebungen der bekämpfte Bescheid erlassen worden. Damit sei dieser schon aus Verfahrensmängeln mangelhaft. Die Behörde hätte überprüfen müssen, ob die Ausführungen im Gutachten DI S. zur Unverhältnismäßigkeit zutreffen oder nicht. Es gehe nicht an, dass die Behörde technisch fundierte Unmöglichkeiten negiert und den Einschreiter sanktioniert, weil er nicht ein technisch unmögliches Sanierungskonzept vorgelegt sondern andere geeignete Maßnahmen vorgeschlagen hat. Überdies weise das vorliegende Konzept ausreichend Substanz auf, um ein gewerberechtliches Verfahren einzuleiten. Allfällige fehlende Unterlagen wären von der Behörde anzufordern gewesen und hätte eine Verhandlung stattfinden müssen, in der dem Einschreiter die Vorlage weiterer Unterlagen aufzutragen gewesen wäre. Die Behörde habe mit der Erlassung des Stilllegungsbescheides überreagiert und eine unzureichende Interessenabwägung vorgenommen. Die Stilllegung treffe ein für die Region wichtiges Versorgungsunternehmen, das 20 Personen beschäftige. Die Interessen eines Zweitwohnsitzinhabers würden dem vorangestellt. Die Straftatbestände des § 366 Abs 1 Gewerbeordnung lägen nicht vor. Es werde deshalb Bescheidbe
hebung beantragt.
Die Berufungsbehörde hat hiezu wie folgt erwogen:
§ 360 Abs 1 GewO bestimmt, dass wenn der Verdacht einer Übertretung gemäß § 366 Abs 1 Z 1, 2 oder 3 besteht, die Behörde unabhängig von der Einleitung eines Strafverfahrens den Gewerbeausübenden bzw den Anlageninhaber mit Verfahrensanordnung zur Herstellung des der Rechtsordnung entsprechenden Zustandes innerhalb einer angemessenen, von der Behörde zu bestimmenden Frist aufzufordern hat; eine solche Aufforderung hat auch dann zu ergehen, wenn der Verdacht einer Übertretung gemäß § 367 Z 25 besteht und nicht bereits ein einschlägiges Verfahren gemäß § 78 Abs 2, § 79c oder § 82 Abs 3 anhängig ist. Kommt der Gewerbeausübende bzw der Anlageninhaber dieser Aufforderung innerhalb der gesetzten Frist nicht nach, so hat die Behörde mit Bescheid die zur Herstellung des der Rechtsordnung entsprechenden Zustandes jeweils notwendigen Maßnahmen, wie die Stilllegung von Maschinen oder die Schließung von Teilen des Betriebes oder die Schließung des gesamten Betriebes zu verfügen.
Abs 4 leg cit besagt, dass um die durch eine diesem Bundesgesetz unterliegende Tätigkeit oder durch Nichtbeachtung von Anforderungen an Maschinen, Geräte und Ausrüstungen (§ 71) verursachte Gefahr für das Leben oder die Gesundheit von Menschen oder für das Eigentum abzuwehren oder um die durch eine nicht genehmigte Betriebsanlage verursachte unzumutbare Belästigung der Nachbarn abzustellen, die Behörde, entsprechend dem Ausmaß der Gefährdung oder Belästigung, mit Bescheid die gänzliche oder teilweise Schließung des Betriebes, die Stilllegung von Maschinen, Geräten oder Ausrüstungen oder deren Nichtverwendung oder sonstige die Anlage betreffende Sicherheitsmaßnahmen oder Vorkehrungen zu verfügen hat.
Der Antrag von Herrn K. vom 11.11.2004 auf Wiederaufnahme des mit Bescheid des Landeshauptmannes von Tirol vom 23.10.2003, Zl 2A-60.044/21-97, abgeschlossenen Verfahrens nach § 79 Abs 3 GewO 1994 wurde mit Bescheid des Landeshauptmannes von Tirol vom 01.02.2005, Zl 2A-65.009/2-04, abgewiesen. Damit steht fest, dass der im Berufungsbescheid vom 23.10.2003 hinsichtlich Spruchpunkt II. erlassene Auftrag an Herrn K. zur Vorlage eines Sanierungskonzeptes in der dort beschriebenen Weise unverändert rechtskräftig und aufrecht ist.
Anlass für die Erlassung des nunmehr bekämpften Bescheides war die Säumigkeit von Herrn K. mit der Vorlage des im oben beschriebenen Bescheid aufgetragenen Sanierungskonzeptes. Aus diesem Grund wurden gegen Herrn K. bislang drei Verwaltungsstrafverfahren durchgeführt, wobei ihm zur Last gelegte wurde, gegen § 367 Z 25 GewO verstoßen zu haben, da er in gemäß §§ 74 bis 83 GewO erlassenen Bescheiden vorgeschriebene Aufträge nicht einhält. Dies bezieht sich auf den Auftrag zur Vorlage eines Sanierungskonzeptes gemäß § 79 Abs 3 GewO im Bescheid des Landeshauptmannes von Tirol vom 23.10.2003. Eine gemäß § 360 Abs 1 verfügte Maßnahme muss notwendig und geeignet sein, den rechtswidrigen Zustand zu beseitigen (vgl Grabler-Stolzlechner-Wendl, Kommentar zur Gewerbeordnung, 2. Auflage, Seite 1280, RZ 20). Der Bäckereibetrieb von Herrn K. wird aufgrund einer rechtskräftigen Betriebsanlagengenehmigung betrieben. Der oben aufgezeigte rechtswidrige Zustand besteht in der Nichtvorlage des aufgetragenen Sanierungskonzeptes. Durch die Stilllegung von Teilen der Anlage wird an diesem rechtswidrigen Zustand nichts geändert. Es handelt sich damit um keine geeignete Maßnahme zur Beseitigung des rechtswidrigen Zustandes.
In einem Verfahren nach § 79 GewO kann eine Stilllegung des Betriebes nicht verfügt werden, weil es sich bei einer solchen Maßnahme begrifflich nicht um eine Auflage im Sinn dieser Gesetzesstelle handelt. Steht als einzige wirksame Maßnahme zur Abwehr gesundheitsgefährdender Immissionen nur die Stilllegung des Betriebes zur Verfügung, ist nach § 360 Abs 4 GewO vorzugehen (vgl. obzitierten Kommentar zur Gewerbeordnung, Seite 615, RZ 2). Wird innerhalb der bescheidmäßig festgesetzten Frist kein oder nur ein unzureichendes Sanierungskonzept vorgelegt, so ist dieses Verhalten des Anlageninhabers als Verwaltungsübertretung (§ 367 Z 25) zu bestrafen und sind erforderlichenfalls auch einstweilige Zwangs- und Sicherheitsmaßnahmen nach § 360 Abs 4 zu treffen (Kommentar Seite 629, RZ 26).
Voraussetzung für eine Anwendung des § 360 Abs 4 GewO ist, dass die Gefahr durch eine der Gewerbeordnung unterliegende Tätigkeit verursacht werden muss, wobei es unerheblich ist, ob der Tätigkeit eine Gewerbeberechtigung zu Grunde liegt oder nicht. Voraussetzung ist das Vorliegen einer konkreten Gefahr; es muss sich um eine Gefahr handeln, die im vorliegenden Einzelfall gegeben ist. Bei Vorliegen einer Gefahr sind ? anders als bei (bloß) unzumutbaren Belästigungen ? Maßnahmen nach Abs 4 auch gegenüber einer genehmigten Betriebsanlage nicht ausgeschlossen (vgl VwGH 06.03.1984, Zl 83/04/0294). Unzumutbaren Belästigungen, die von rechtskräftig genehmigten Betriebsanlagen (Betriebsanlagenänderungen) ausgehen, kann dagegen mit Maßnahmen nach § 360 Abs 4 nicht begegnet werden; hiebei sind die Möglichkeiten des § 79 auszuschöpfen.
Daraus ergibt sich zusammengefasst, dass im vorliegenden Fall eine Stilllegung von Maschinen bzw Tätigkeiten nicht auf § 360 Abs 1 sondern bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen nur auf § 360 Abs 4 gestützt werden kann.
Der Erlassung eines Bescheides nach § 360 Abs 4 hat grundsätzlich das entsprechende Ermittlungsverfahren im Sinn des AVG voranzugehen. Das Vorliegen einer konkreten unzumutbaren Belästigung oder Gefährdung ist sachverständig festzustellen. Im vorliegenden Akt befindet sich das amtsärztliche Gutachten vom 30.10.2002, aus dem sich ergibt, dass die damals gemessenen Erschütterungen und Lärmimmissionen in der Nacht als gesundheitsschädigend einzustufen sind. In der Zwischenzeit wurden jedoch die im Schreiben des Berufungswerbers vom 18.06.2004 beschriebenen Maßnahmen durch diesen gesetzt. Es kann deshalb nicht ausgeschlossen werden, dass die im amtsärztlichen Gutachten vom 30.10.2002 gezogenen Schlussfolgerungen nicht mehr dem aktuellen Stand entsprechen. Der Erlassung eines Bescheides nach § 360 Abs 4 GewO hätte jedenfalls ein Ermittlungsverfahren voranzugehen, in dem der aktuelle Ist-Zustand erhoben und von den Sachverständigen bewertet wird. Nach § 360 Abs.4 verfügte Maßnahmen müssen dem Ausmaß der zu Grunde liegenden Gefährdung oder Belästigung angemessen sein.
Da aufgrund der oben angeführten Gründe eine Stilllegung von Teilen des Betriebes auf der Grundlage des § 360 Abs 1 Gewerbeordnung nicht möglich ist und die Berufungsbehörde nicht beurteilen kann, ob derzeit von der rechtskräftig genehmigten Betriebsanlage eine Gefahr für die Nachbarn ausgeht, war der bekämpfte Bescheid zu beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an die Bezirkshauptmannschaft Lienz zurückzuverweisen.