Der Unabhängige Verwaltungssenat Wien hat durch sein Mitglied DDr. Lacina über die Berufung des Herrn Michael O gegen den Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien, Verkehrsamt, vom 19.3.2004, Zahl IV-FC 11314/VA/03, wie folgt entschieden:
Gemäß § 66 Abs 4 AVG wird der angefochtene Bescheid nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Berufungsverhandlung am 22.12.2004 behoben.
1. Die Bundespolizeidirektion Wien, Verkehrsamt, hat mit Bescheid vom 19.03.2004, Zahl IV-FC 11314/VA/03, die dem Berufungswerber (Bw) am 30.3.2000 unter der Zahl 0723394 von der Bundespolizeidirektion Wien, Verkehrsamt, für die Klasse B erteilte Lenkberechtigung für die Zeit von fünf (5) Jahren, das ist bis 29.1.2009, gemäß § 24 Absatz 1 Ziffer 2 FSG 1997 befristet. Begründet wurde diese Entscheidung im Wesentlichen mit dem Hinweis auf das amtsärztliche Gutachten vom 29.1.2004, wonach der Bw wegen insulinpflichtiger Diabetes mell. zum Lenken von Kraftfahrzeugen nur bedingt geeignet sei, weshalb eine Nachuntersuchung in fünf Jahren erforderlich wäre (Blatt 63 bis 64).
2. In der gegen diesen Bescheid fristgerecht eingebrachten schriftlichen Berufung vom 8.4.2004 führte der Bw im Wesentlichen aus, dass die Tatsache alleine, dass er insulinpflichtige Diabetes mell. habe, eine Befristung nicht begründe. Wenn sich eine Erkrankung bzw. Behinderung stabilisiert hat, so ist eine Befristung bzw. Auflage aufzuheben. Aus seiner Krankengeschichte, den fachärztlichen Untersuchungen und Befunden ergibt sich, dass sein gesundheitlicher Zustand endgültig und eine Verschlechterung medizinisch unmöglich sei, somit die Krankheit stabilisiert wäre (Blatt 65 bis 67).
3. Beweisaufnahme
3.1. Aus der ärztlichen Untersuchung vom 29.1.2004 nach § 8 FSG geht hervor, dass der BW 178 cm groß ist, 86 kg wiegt, eine bewegliche Wirbelsäule und eine gute Atmung [griechisch eu (gut) pnoe (Atmung): Subjektives Empfinden und objektiver Befund einer Übereinstimmung von Atemarbeit und Ventilationserfordernis in Ruhe und bei Belastung], aufweist. Sein Blutdruck beträgt 140/84, der Puls 106/min. Unter der Rubrik ?Gliedmaßen? finden sich dann die Eintragungen eines vorhandenen seitengleichen Faustschlusses und einer vorhandenen Beweglichkeit der Arme und Beine. Das Nervensystem des Probanden sei nicht auffällig, er habe keinen Tremor und sei psychisch nicht auffällig. Der Visus des Bw beträgt 0.7 links und 0.9 rechts. Konversationssprache wird gehört. Gang ist sicher, Sprache klar. Klinischer Gesamteindruck:
?Insulinpflichtiger Diabetes mell. Brille streichen!?. Bei den sogenannten ?Gesundheitsfragen? der Anlage zur 1. Novelle der Führerscheingesetz-Gesundheitsverordnung, BGBl II 1998/138, hat der Bw die Felder ?Ich bin zuckerkrank? und ?Ich nehme regelmäßig Medikamente ein? mit ?Ja? angekreuzt (Blatt 42).
3.2. Aus dem internistischen Befundbericht Dris. Z vom 12.12.2003 geht hervor, dass bei dem Bw ein sogenanntes Magenband gelegt wurde, wodurch der Patient in wenigen Jahren 45 kg Gewicht abgenommen hat. Der Diab. Mell. ist nach Aufzeichnungen sehr gut eingestellt. Für die frühere Hypertonie benötigt der Patient kein Medikament mehr, er ist normotensiv. Der Patient zeigt einen guten Nüchternblutzucker (50) und hat ein für einen insulinpflichtigen D.M. hervorragend gutes HbA1C von 5,7. Zusammenfassend besteht bei dem Bw ein für die an sich schwere Erkrankung hervorragender geistiger und körperlicher Zustand, wobei auch die Compliance des Patienten äußerst günstig für den Weiterbestand der Erkrankung ist (Blatt 43 und 45).
3.3. Mit Gutachten vom 29.1.2004 nach § 8 FSG wurde amtsärztlicherseits vorgeschlagen, die Lenkberechtigung des Bw auf fünf Jahre zu befristen. Begründet wurde das Gutachten kursorisch mit insulinpflichtigem Diabetes mellitus, sehr gut eingestellt (HbA1c 5,4%), Befürwortung durch den Facharzt für Innere Medizin Dr. Z vom 12.12.2003, gute Compliance, keine Folgeschäden derzeit. Diabetes ist eine fortschreitende Erkrankung - Befristung lt. FSG (Blatt 57 verso).
3.4. Der Unabhängige Verwaltungssenat Wien ersuchte mit Schreiben vom 21.6.2004 die Magistratsabteilung 15 um Erstellung eines Gutachtens aus Sicht der inneren Medizin zur Frage, ob bei dem beim Bw vorhandenen IDDM davon ausgegangen werden kann, dass sich seine Erkrankung im Sinne des § 3 Abs 5 FSG-GV stabilisiert hat und mit einer Verschlechterung derzeit nicht gerechnet werden muss und wies in diesem Schreiben auch darauf hin, dass die bloße Möglichkeit einer Verschlechterung bzw. dass eine relevante Verschlechterung des Gesundheitszustandes nicht ausgeschlossen werden könne, nach der einschlägigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes nicht ausreichend sei (Blatt 71).
3.5. Aus dem amtsärztlichen Gutachten vom 15.10.2004 geht nun im Wesentlichen Folgendes hervor:
Diagnosen:
Insulinpflichtiger Diabetes mellitus seit dem 14. Lebensjahr (insulinpflichtige Zuckerkrankheit seit dem 14. Lebensjahr)
Zusammenfassung und Beurteilung:
Herr O leidet seit seinem 14. Lebensjahr an einer insulinpflichtigen,
Zuckerkrankheit mit stabiler Blutzuckerentwicklung innerhalb der letzten Jahre (derzeit keine wesentlichen Blutzuckerentgleisungen, genaue Blutzuckerprotokollierung, Gewichtsabnahme durch Magenbandoperation 2001).
Herr O ist auf Grund der derzeit gut eingestellten Zuckerkrankheit zum Lenken von KFZ der Führerscheingruppe 1, Klasse B für fünf Jahre befristet gesundheitlich geeignet.
Eine amtsärztliche Kontrolluntersuchung und Beibringung eines internistischen und augenfachärztlichen Befundes in fünf Jahren (Zuckerkrankheit ? chronisch progrediente Erkrankung) ist erforderlich (Blatt 75).
3.6. Aus der amtsärztlichen Untersuchung vom 8.7.2004 nach § 8 FSG geht hervor, dass der Bw 178 cm groß ist, 90,6 kg wiegt, eine bewegliche Wirbelsäule und eine gute Atmung aufweist. Sein Blutdruck beträgt 130/80, der Puls 80/min. Unter der Rubrik ?Gliedmaßen? finden sich dann die Eintragungen eines vorhandenen seitengleichen Faustschlusses und einer vorhandenen Beweglichkeit der Arme und Beine. Das Nervensystem des Probanden sei nicht auffällig, er habe keinen Tremor und sei psychisch nicht auffällig. Der Visus des Bw beträgt beidseits 0,9, seine Brillenstärke links ?0,75 und rechts ?0,5. Konversationssprache wird gehört. Gang ist sicher, Sprache klar.
Klinischer Gesamteindruck: ?unauffällig, Zn (i.e. Zustand nach) Magenbandoperation 2001?. Eine fachärztliche Stellungnahme betreffend Augen werde für notwendig erachtet (Blatt 76). Bei den sogenannten ?Gesundheitsfragen? der Anlage zur 1. Novelle der Führerscheingesetz-Gesundheitsverordnung, BGBl II 1998/138, hat der Bw lediglich das Feld ?Ich bin zuckerkrank? mit ?Ja? angekreuzt (Blatt 76 verso).
3.7. Aus dem internistischen Gutachten Dris. Sch vom 21.7.2004 geht hervor, dass ein Diabetes mellitus Typ I, eine milde diabetische Retinopathie1 ohne Progredienz und eine passive Sinustachycardie2 bei Euthyreose3 vorliege. Der Bw wende die funktionelle Insulintherapie mit morgendlicher und abendlicher Basalrate von je 10 I.E. Insulatard und einer Bolusrate von 2,0 I.E. Novo Rapid/1 Broteinheit. Als Ernährungsempfehlung wird eine freie Broteinheitenwahl, fettreduziert vorgeschlagen. Zusammenfassend bestünden von internistischer Seite aufgrund der sehr stabilen Blutzuckerentwicklung in den vergangenen Jahren ohne Blutzuckerentgleisung und gleichzeitig sehr genauer Protokollierung keinerlei Einwände gegen eine unbefristete Lenkberechtigung (Blatt 78).
3.8. Aus dem augenfachärztlichen Befundbericht Dris. K vom vom 22.7.2004 geht hervor, dass beidseitig keine Fundusveränderungen bestehen, jedoch ein beidseitiger Astigmatismus myopicus. Am Augenhintergrund bestehen keinerlei progrediente Augenerkrankungen. Von ophthalmologischer Seite besteht kein Einwand gegen das Lenken von Kraftfahrzeugen und ist eine Befristung aus augenärztlicher Sicht nicht erforderlich (Blatt 79).
3.9. Mit Gutachten vom 15.10.2004 nach § 8 FSG wurde amtsärztlicherseits vorgeschlagen, die Lenkberechtigung des Bw auf fünf Jahre mit amtsärztlicher Nachuntersuchung in fünf Jahren zu befristen und eine Kontrolluntersuchung auf Internist und Augenfacharzt vorzuschreiben. Begründet wurde dieses Gutachten damit, dass Herr O auf Grund der derzeit gut eingestellten Zuckerkrankheit (derzeit keine wesentlichen Blutzuckerentgleisungen, gute Blutzuckerprotokollierung, Gewichtsabnahme durch Magenbandoperation 2001) zum Lenken von Kraftfahrzeugen der FS Gruppe 1, Klasse B, für 5 Jahre befristet, gesundheitlich geeignet sei. Eine amtsärztliche Kontrolle in 5 Jahren (Zuckerkrankheit ? chronisch progrediente Erkrankung) sei erforderlich (Blatt 77).
3.10. Der Unabhängige Verwaltungssenat Wien führte am 22.12.2004 eine öffentliche mündliche Berufungsverhandlung durch, in deren Verlauf die Amtssachverständige (= A) auf Fragen des Verhandlungsleiters (F) Folgendes zu Protokoll gab:
Ich bin praktische Ärztin und Amtsärztin.
F: Hat sich der Zustand der Diabeteserkrankung des Bw derzeit stabilisiert?
A: Was die Blutzuckerentwicklung betrifft, liegen stabile Blutzuckerwerte vor, in dem Sinne, dass keine hohen Blutzuckerwerte aufgetreten sind und dass auch das HbA1c im Normbereich liegt. Daraus lässt sich schließen, dass bei dem Bw eine sehr straffe Diabeteseinstellung mit eher niedrigen Blutzuckerwerten vorliegt.
F: Gibt es Indices, dass mit einer für die Verkehrssicherheit relevanten Verschlechterung des Status der Diabeteserkrankung beim Bw derzeit gerechnet werden muss?
A: Aus den niedrigen HbA1c-Werten kann geschlossen werden, dass sich die Hypowahrnehmung des Bw verschlechtern wird. Der Bw selbst hat mir gegenüber angegeben, dass er einen Blutzuckerwert von 50 wahrnehmen kann.
F: Hat Ihnen der Bw einen diabetesbezogenen Vorfall im Zuge des Lenkens eines Kfz mitgeteilt?
A: Nein, ich habe aber auch nicht nachgefragt. Er hat nur gesagt, dass er noch nie einen Hypo mit Bewusstlosigkeit hatte.
F: Haben Sie den Bw gefragt, ob er vor Fahrantritt misst?
A: Nein, ich habe nicht gefragt.
F: Da der Internist und der Augenfacharzt keine Einwände gegen eine unbefristete Lenkberechtigung haben, stellt sich die Frage, ob aus Sicht der Amtsachverständigen auch eine unbefristete Lenkberechtigung erteilt werden kann?
A: Im Dezember 2003 wurden Augenhintergrundveränderungen festgestellt, also damals minimal an beiden Augen. Jetzt gibt es ein Gutachten vom 22.7.2004, von Frau Dr. K, wonach es keine diabetischen Fundusveränderungen beidseitig gibt. Hinsichtlich der augenärztlichen Befunde muss derzeit nicht zwingend mit einer relevanten Verschlechterung gerechnet werden (Blatt 87).
4. Verkehrsmedizinische Aspekte des Diabetes mellitus ?Nach verkehrsmedizinischen Aspekten können drei Gruppen von Diabetikern entsprechend ihrer Behandlungsart und Kontrollbedürftigkeit unterschieden werden:
a)
...
b)
...
c)
Mit Diät und Insulin, auch mit Insulin und oralen Antidiabetika behandelte Diabetiker: Diabetiker dieser Gruppe sind vom Grundsatz her hypoglykämiegefährdet. Sie sind deshalb in der Regel nicht in der Lage, den gestellten Anforderungen zum Führen von Kraftfahrzeugen der Gruppe 2 gerecht zu werden. Kraftfahrzeuge der Gruppe 1 und auch der Unterklassen C 1, Cl E können sie jedoch führen, wenn davon auszugehen ist, dass sie auftretende Hypoglykämien und Hyperglykämien bemerken und erfolgreich behandeln können. In der Regel setzt dieses Stoffwechselselbstkontrollen voraus.
Die Hypoglykämie kann in der Regel rechtzeitig erkannt und behandelt werden. Der Betroffene erkennt sie an Warnzeichen wie Schweißausbruch, Zittern, Blässe, Sehstörungen, Heißhunger und/oder anderen Symptomen. Es gibt aber auch Diabetiker, bei denen sich die Bewusstseinsveränderungen oder Verhaltensstörungen so plötzlich oder ohne typische Warnzeichen einstellen, dass der Betroffene keine Gegenmaßnahmen ergreifen kann. Diese Diabetiker sind nicht in der Lage, den gestellten Anforderungen zum Führen von Kraftfahrzeugen gerecht zu werden, es sei denn, dass sie durch geeignete Maßnahmen, wie z. B. Therapieänderungen, Wahrnehmenstraining, Blutzuckerselbstkontrollen vor und während jeder Fahrt, derartige Hypoglykämien zuverlässig verhindern können.
Die hyperglykämische Stoffwechselentgleisung, die bis zum Präkoma oder Komadiabeticum führen kann, geht mit vermehrter Erschöpfbarkeit, psychischer Verlangsamung und im späten Stadium mit schwerem Krankheitsgefühl und ausgeprägten Symptomen einher. Sie macht den Betroffenen fahrunsicher. (cf: www.fahrerlaubnisrecht.de/Begutachtungsleitlinien/ BGLL%20Inhaltsverzeichnis.htm)
5. Rechtsgrundlage
§ 24 Abs 1 Z 2 FSG bestimmt Folgendes:
?Besitzern einer Lenkberechtigung, bei denen die Voraussetzungen für die Erteilung der Lenkberechtigung (§ 3 Abs 1 Z 2 bis 4) nicht mehr gegeben sind, ist von der Behörde entsprechend den Erfordernissen der Verkehrssicherheit die Gültigkeit der Lenkberechtigung durch Auflagen, Befristungen oder zeitliche, örtliche oder sachliche Beschränkungen einzuschränken. Diese Einschränkungen sind gemäß § 13 Abs 2 in den Führerschein einzutragen.?
§ 3 Abs 1 Z 3 FSG bestimmt Folgendes:
?Eine Lenkberechtigung darf nur Personen erteilt werden, die:
gesundheitlich geeignet sind, ein Kraftfahrzeug zu lenken (§§ 8 und 9),...?
§ 8 FSG (Gesundheitliche Eignung) bestimmt (auszugsweise) Folgendes:
?Abs 1: Vor der Erteilung einer Lenkberechtigung hat der Antragsteller der Behörde ein ärztliches Gutachten vorzulegen, dass er zum Lenken von Kraftfahrzeugen gesundheitlich geeignet ist. Das ärztliche Gutachten hat auszusprechen, für welche Klassen von Lenkberechtigungen der Antragsteller gesundheitlich geeignet ist, darf im Zeitpunkt der Entscheidung nicht älter als ein Jahr sein
und ist von einem im örtlichen Wirkungsbereich der Behörde, die das Verfahren zur Erteilung der Lenkberechtigung durchführt, in die Ärzteliste eingetragenen sachverständigen Arzt gemäß § 34 zu erstellen.
Abs 2: Sind zur Erstattung des ärztlichen Gutachtens besondere Befunde oder im Hinblick auf ein verkehrspsychologisch auffälliges Verhalten eine Stellungnahme einer verkehrspsychologischen Untersuchungsstelle erforderlich, so ist das ärztliche Gutachten von einem Amtsarzt zu erstellen; der Antragsteller hat diese Befunde oder Stellungnahmen zu erbringen. Wenn im Rahmen der amtsärztlichen Untersuchung eine sichere Entscheidung im Hinblick auf die gesundheitliche Eignung nicht getroffen werden kann, so ist erforderlichenfalls eine Beobachtungsfahrt anzuordnen.
Abs 3: Das ärztliche Gutachten hat abschließend auszusprechen:
?geeignet?, ?bedingt geeignet?, ?beschränkt geeignet? oder ?nicht geeignet?. Ist der Begutachtete nach dem ärztlichen Befund
1. gesundheitlich zum Lenken von Kraftfahrzeugen einer oder mehrerer Klassen ohne Einschränkung geeignet, so hat das Gutachten ?geeignet? für diese Klassen zu lauten;
2. zum Lenken von Kraftfahrzeugen einer oder mehrerer Klassen nur unter der Voraussetzung geeignet, ...dass er sich ärztlichen Kontrolluntersuchungen unterzieht, so hat das Gutachten ?bedingt geeignet? für die entsprechenden Klassen zu lauten und Befristungen, Auflagen oder zeitliche, örtliche oder sachliche Beschränkungen der Gültigkeit anzuführen, unter denen eine Lenkberechtigung ohne Gefährdung der Verkehrssicherheit erteilt werden kann; dies gilt auch für Personen, deren Eignung nur für eine bestimmte Zeit angenommen werden kann und bei denen amtsärztliche Nachuntersuchungen erforderlich sind;? § 3 (Allgemeine Bestimmungen über die gesundheitliche Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen) Abs 5 FSG-GV bestimmt Folgendes:
?Personen mit einer fortschreitenden Erkrankung kann eine Lenkberechtigung befristet erteilt oder belassen werden unter Auflage ärztlicher Kontrolluntersuchungen und amtsärztlicher Nachuntersuchungen. Die Auflage kann aufgehoben werden, sobald sich die Erkrankung oder Behinderung stabilisiert hat.?
§ 11 FSG-GV (Zuckerkrankheit) bestimmt Folgendes:
?Abs 1: Zuckerkranken darf eine Lenkberechtigung nur nach einer befürwortenden fachärztlichen Stellungnahme erteilt oder belassen werden.
Abs 2: Zuckerkranken, die mit Insulin behandelt werden müssen, darf eine Lenkberechtigung der Gruppe 2 nur in außergewöhnlichen, durch die Stellungnahme eines zuständigen Facharztes begründeten Fällen und unter der Auflage ärztlicher Kontrolluntersuchungen und amtsärztlicher Nachuntersuchungen erteilt oder belassen werden.?
6. Beweiswürdigung
Gemäß § 11 Abs 1 FSG-GV ist bei Vorliegen einer Zuckerkrankheit (Diabetes mellitus) eine fachärztliche Stellungnahme zwingend vorgeschrieben, nicht jedoch eine ärztliche Kontrolluntersuchung und eine amtsärztliche Nachuntersuchung.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist die Notwendigkeit von Nachuntersuchungen im Sinne des § 8 Abs 3 Z 2 FSG dann gegeben, wenn eine ?Krankheit? festgestellt wurde, bei der ihrer Natur nach mit einer zum Verlust oder zur Einschränkung der Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen führenden Verschlechterung gerechnet werden muss. Um eine bloße bedingte Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen in diesem Sinne anzunehmen, bedarf es auf einem ärztlichen Sachverständigengutachten beruhender konkreter Sachverhaltsfeststellungen darüber, dass die gesundheitliche Eignung zwar noch in ausreichendem Maß für eine bestimmte Zeit vorhanden ist, dass aber eine gesundheitliche Beeinträchtigung besteht, nach deren Art in Zukunft mit einer die Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen ausschließenden oder
einschränkenden Verschlechterung gerechnet werden muss (vgl. die Erkenntnisse des VwGH vom 18. Jänner 2002, Zl. 99/11/0266, und vom 24. April 2001, Zl. 2000/11/0337, mwN zur gleichartigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zur Rechtslage nach dem KFG 1967).
Ob einer Person, die an Diabetes mellitus Typ 1 (i.e. mit Insulinbehandlung) leidet, eine Lenkberechtigung erteilt oder belassen werden kann, ist nach den übrigen Ergebnissen der ärztlichen Untersuchung, den möglichen Komplikationen und der daraus gegebenenfalls für die Sicherheit im Straßenverkehr erwachsenden Gefahr zu beurteilen.
Diabetes mellitus ist eine chronische Stoffwechselstörung mit verzögerter oder unvollständiger Verwertung zugeführter Glucose im Organismus, mit pathologischen Veränderungen im Kohlenhydrat-, Fett- und Proteinstoffwechsel durch Mangel an endogenem Insulin. Unbestrittenermaßen handelt es sich auch um eine progrediente Erkrankung. Eine Stabilisierung der Stoffwechsellage kann jedoch angesichts der Tatsache, dass der nunmehr 43-jährige Bw seit seinem 14. Lebensjahr an IDDM (Erstmanifestation 1976 ? Blatt 78) erkrankt ist, zum Zeitpunkt dieser Entscheidung durchaus angenommen werden.
Da in Österreich bislang keine Begutachtungsrichtlinien für Amtsärzte veröffentlicht wurden, sieht sich die erkennende Behörde zur Überprüfung der Schlüssigkeit, Widerspruchsfreiheit und Nachvollziehbarkeit eines amtsärztlichen Gutachtens derzeit nur durch intensives Studium fachspezifischer Quellen in die Lage versetzt.
Dass aufgrund der Art der Zuckerkrankheit des Bw (Diabetes mellitus Typ I) mit einer die Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen ausschließenden oder einschränkenden Verschlechterung gerechnet werden muss, wird durch das eingeholte amtsärztliche Gutachten, das im Übrigen auch nicht von einem Facharzt für Innere Medizin erstellt wurde, nicht dargelegt. Es besteht auch keine allgemeine Notorietät dahingehend, dass bei jeder Art der Zuckerkrankheit mit einer solchen Verschlechterung gerechnet werden muss. Davon geht auch § 11 FSG-GV nicht aus. Der angefochtene Bescheid leidet demnach in Ansehung der durch ihn verfügten Befristung der Lenkberechtigung des Bw an einem Feststellungs- und Begründungsmangel.
Es ist auch für die erkennende Behörde nicht nachvollziehbar, weshalb im Falle des beim Bw bestehenden, mit funktioneller Insulintherapie behandelten Diabetes mellitus Typ 1 mit einer solchen Verschlechterung gerechnet werden muss. § 11 FSG-GV sieht in seinem Abs 2 bei Zuckerkranken, die mit Insulin behandelt werden müssen, nur in Beziehung auf eine Lenkberechtigung der Gruppe 2 zwingend die amtsärztliche Nachuntersuchung vor. Die amtsärztliche Sachverständige hätte demnach Ausführungen dazu erstatten müssen, ob es nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft bei dem beim Bw vorliegenden Diabetes mellitus zu einer die Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen ausschließenden oder einschränkenden Verschlechterung kommen muss. Wäre dies der Fall, bestünden gegen die Auffassung, der Bw sei im Hinblick auf das Erfordernis amtsärztlicher Nachuntersuchungen nur bedingt geeignet, im Sinne des § 8 Abs 3 Z 2 FSG keine Bedenken. Im Übrigen geht aber auch aus dem internistischen Fachgutachten Dris. Sch vom 21.7.2004 hervor, dass der Bw zum Lenken von Kraftfahrzeugen der Gruppe 1 ohne Befristung geeignet ist (Blatt 78).
Der geschulte und verantwortungsbewusste Diabetiker (unabhängig, ob Typ I oder II) wird in der Regel in der Lage sein, eine Unterzuckerung rechtzeitig zu erkennen und sich dementsprechend zu verhalten.
Die äußerst guten, jedoch niedrigen HbA1c-Werte des Bw lassen aber den Schluss zu, dass bei ihm häufiger, als im Zuge der Anamnese eingestanden, niedrige Blutzuckerwerte
(Hypoglykämien) auftreten. Der Bw muss sich dieser Gefahr im Zusammenhang mit dem Lenken eines Kfz stets bewusst sein und daher unbedingt vor jedem Fahrtantritt eine Blutzuckermessung durchführen und in Griffweite der Lenkvorrichtung auch stets rasch resorbierbare Kohlenhydrate, am besten in Form von Traubenzucker, mit sich führen. Dies stellt allerdings nur eine Empfehlung dar, die nicht geeignet ist, in die rechtlich relevante Form einer Auflage oder Bedingung verpackt zu werden. Auf Grund seiner nunmehr mehr als 28 Jahre währenden Erkrankung muss der Bw auch damit rechnen, dass sich seine Hypoglykämiewahrnehmung verschlechtern wird. Eine schlechte Hypoglykämiewahrnehmung kann jedoch durch Training verbessert werden bzw. durch leichte Anhebung des HbA1c Wertes4. Sollten im Einzelfall begründete Zweifel an der Fähigkeit eines mündigen, insulinpflichtigen Diabetikers bestehen, die Gefahren, die beim Lenken eines Kfz auftreten können, zu erkennen und sich dieser Einsicht gemäß zu verhalten (Stichwort:
Blutzuckerselbstkontrolle vor jedem Fahrtantritt, rasch resorbierbare Kohlenhydrate in Reichweite der Lenkvorrichtung des Kfz), wäre neben dem internistischen, allenfalls auch ein psychologisches oder psychiatrisches Gutachten einzuholen. Ein geschulter Diabetiker wird über seine Medikation und Nahrungsmittelaufnahme vor Fahrtantritt in der Regel Bescheid wissen, sodass mit einer Unterzuckerung kaum gerechnet werden muss. Im Übrigen gilt für ihn, wie für alle Lenker von Fahrzeugen, die Bestimmung des § 58 Abs 1 StVO 1960, wonach, unbeschadet der Bestimmungen des § 5 Abs 1 StVO 1960, ein Fahrzeug nur lenken darf, wer sich in einer solchen körperlichen und geistigen Verfassung befindet, in der er ein Fahrzeug zu beherrschen und die beim Lenken eines Fahrzeuges zu beachtenden Rechtsvorschriften zu befolgen vermag. Sind diese Voraussetzungen offenbar nicht gegeben, so sind die Bestimmungen des § 5b sinngemäß anzuwenden.
Eine konkrete Begründung, weshalb beim Bw die notwendige kraftfahrspezifische Leistungsfähigkeit für die in Rede stehende Klasse B nur für eine bestimmte Zeit angenommen werden kann und mit einer Verschlechterung im beschriebenen Sinn gerechnet werden muss, lässt das amtsärztliche Gutachten
zusammenfassend nicht erkennen (vgl. das Erkenntnis des VwGH vom 18. Jänner 2000, Zl. 99/11/0266).
Fortschreitende Erkrankungen werden im § 3 Abs 5 FSG-GV allgemein geregelt. § 11 FSG-GV enthält hinsichtlich der Zuckerkrankheit keine abweichende Spezialbestimmung. § 3 Abs 5 zweiter Satz FSG-GV regelt, dass eine Stabilisierung der Erkrankung oder Behinderung die Grundlage für die Aufhebung der bei der befristeten Erteilung oder Belassung der Lenkberechtigung zu verfügenden Auflagen bildet.
Damit ist im gegebenen Zusammenhang nicht schon eine vorübergehende, sondern eine dauerhafte Stabilisierung einer ihrer Art nach als fortschreitende Erkrankung anzusehende Krankheit gemeint. Diese muss also derart zum Stillstand gekommen sein, dass nach dem medizinischen Wissensstand keine weitere Verschlechterung zu befürchten ist. Nur dann kann von einer Befristung Abstand genommen werden, ohne eine vorhersehbare Gefährdung der Verkehrssicherheit in Kauf zu nehmen. Es ist somit Sache des medizinischen Sachverständigen darzutun, ob bei der betreffenden Erkrankung nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft eine Stabilisierung im besagten Sinn überhaupt in Betracht kommt und unter welchen Voraussetzungen eine solche Stabilisierung angenommen werden kann. Bei Eintritt einer Stabilisierung im besagten Sinn liegt keine fortschreitende Erkrankung gemäß § 3 Abs 5 FSG-GV (mehr) vor. In einem solchen Fall ist bei der Erteilung der Lenkberechtigung deren gleichzeitige Befristung (d.i. die Versagung einer Lenkberechtigung für die Zeit nach dem angenommenen Fristende hinaus) unter Auflage von Kontrolluntersuchungen und Nachuntersuchungen unzulässig.
Das dem angefochtenen Bescheid zu Grunde liegende
amtsärztliche Gutachten beantwortet die entscheidende Frage einer Stabilisierung iSd § 3 Abs5 FSG-GV der beim Bw festgestellten Erkrankung (Diabetes mellitus Typ I) keineswegs überzeugend und nachvollziehbar.
Aus den vom Bw vorgelegten fachärztlichen Befunden vom 21.7.2004 (Blatt 78) und vom 22.7.2004 (Blatt 79) ergeben sich konkrete Hinweise auf eine Stabilisierung seines Gesundheitszustandes.
7. Ergebnis
Aus den dargelegten Erwägungen war der Berufung daher Folge zu geben und die im angefochtenen Bescheid ausgesprochene Befristung der Lenkberechtigung des Bw spruchgemäß
aufzuheben.
Bemerkt wird noch, dass der im Formular des Gutachtens nach § 8 Führerscheingesetz vorgesehene Raum für die Begründung des amtsärztlichen Gutachtens in der Regel nicht ausreichend sein wird, um den Anforderungen, die nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes an ein amtsärztliches Gutachten gestellt werden, auch nur annähernd gerecht zu werden.
1 Nicht entzündlich bedingte Netzhauterkrankung
2 vom Sinusknoten (i.e. der physiologische Schrittmacher des Herzens) ausgehende Tachykardie (i.e. Herzrhythmusstörung mit einem Anstieg der Herzfrequenz über 100/min)
3 Bezeichnung für eine normale (gr. eu) Schilddrüsenfunktion 4 cf. Howorka, Kinga: Funktionelle, nahe-normoglykämische Insulinsubstitution, Berlin ? Heidelberg
19903, p. 102ff