Der Unabhängige Verwaltungssenat Wien hat durch sein Mitglied Mag. Schmied über die Berufung des Herrn Gerald H gegen das Straferkenntnis der Bundespolizeidirektion Wien, Polizeikommissariat S, vom 23.1.2004, Zl. S 32000/Sg/03, betreffend zwei Übertretungen des Kraftfahrgesetzes (KFG), entschieden:
Gemäß § 66 Abs 4 AVG wird der Berufung Folge gegeben, das angefochtene Straferkenntnis behoben und das Verfahren gemäß § 45 Abs 1 Z 2 VStG eingestellt.
Gemäß § 65 VStG wird dem Berufungswerber kein Beitrag zu den Kosten des Berufungsverfahrens auferlegt.
Mit dem angefochtenen Straferkenntnis wurde dem Berufungswerber zur Last gelegt, er habe als handelsrechtlicher Geschäftsführer der Firma I-GesmbH, somit als zur Vertretung des Zulassungsbesitzers des LKW mit dem Kennzeichen W-10 nach außen Berufener, diesen LKW dem Josip V auf einer Straße mit öffentlichem Verkehr zum Lenken überlassen, obwohl
1.) die Betriebsbremse eine Bremskraftdifferenz an der 1. Achse von 40% und an der 2.Achse von 27% aufwies und
2.) sich der rechte innere Reifen der Hinterachse in keinem verkehrs- und betriebssicheren Zustand befand (keine Luft im Reifen).
Dadurch habe der Berufungswerber zu 1.) die Vorschriften des § 103 Abs 1 KFG iVm § 6 Abs 3 KFG und § 3b KDV und zu 2.) die Vorschriften des § 103 Abs 1 KFG iVm § 7 Abs 1 KFG und § 4 Abs 4 KDV übertreten, weshalb über ihn gemäß § 134 Abs 1 KFG zwei Geldstrafen von jeweils 70,-- Euro verhängt wurden. Das Straferkenntnis basiert auf dem technischen Gutachten der Landesprüfanstalt für Kraftfahrzeuge vom 13.2.2003, in welchem zwei schwere Mängel am LKW, nämlich die ungleiche Wirkung der Betriebsbremse an der 1. und 2. Achse sowie der rechte Innenreifen an der Hinterachse, in welchem keine Luft mehr war, beanstandet wurden. Zur technischen Prüfstelle war der LKW wegen seines schlechten Gesamteindrucks vom Meldungsleger, RvI G, geschickt worden. Der Anhalteort befand sich in Wien auf der A 4 bei km 1.0 in Fahrtrichtung Sch.
Im erstinstanzlichen Verfahren hat der nunmehrige Berufungswerber in erster Linie bestritten, dass ihn an den ihm vorgeworfenen Verwaltungsübertretungen ein Verschulden treffe, zumal er die Verantwortung für die technische Überprüfung der auf ihn zugelassenen LKW auf die Lenker übertragen hätte und diese verpflichtet gewesen wären, ihm technische Mängel unverzüglich zu melden. Der beanstandete Reifen sei außerdem bei Überlassung des LKW an den Lenker noch nicht schadhaft gewesen. Nach Einholung einer Stellungnahme des Meldungslegers, der im Wesentlichen auf die Pflichten des Zulassungsbesitzers gemäß § 103 Abs 1 KFG hinwies, erließ die erstinstanzliche Behörde das gegenständliche Straferkenntnis. In der dagegen form- und fristgerecht eingebrachten Berufung verwies der Rechtsmittelwerber im Wesentlichen auf sein bisheriges Vorbringen im Verfahren und beanstandete, dass selbiges bislang nicht berücksichtigt worden wäre.
Am 1.3.2005 wurde in dieser Angelegenheit eine öffentliche, mündliche Verhandlung vor dem Unabhängigen Verwaltungssenat Wien durchgeführt, welcher der Berufungswerber trotz ordnungsgemäß und fristgerecht zugestellter Ladung unentschuldigt ferngeblieben ist.
In der Verhandlung erörterten die beiden Amtssachverständigen P und N ihr Gutachten vom 13.2.2003 wie folgt:
?Die beanstandete Bremskraftdifferenz bei der Betriebsbremse an der ersten und zweiten Achse war für den Zulassungsbesitzer vor Überlassung des Fahrzeuges an den Lenker weder durch eine Bremsprobe noch durch Überprüfung des Fahrzeuges durch eine entsprechend geschulte Person mit üblichen Mechanikerwerkzeug feststellbar. Nur am Bremsenprüfstand konnte diese Bremskraftdifferenz erkannt werden. Selbst wenn das Fahrzeug in regelmäßigen Abständen von zwei bis drei Monaten in einer entsprechend ausgestatteten Fachwerkstätte kontrolliert worden wäre, hätte der festgestellte Mangel auffallen müssen, da ein solcher Mangel auch innerhalb eines Monats auftreten kann. Bezüglich des defekten Innenreifens an der Hinterachse ist festzuhalten, dass ein derartiger Defekt sehr leicht auch nach Fahrtantritt, gerade beim Verlassen der Baustelle durch Nägel oder andere scharfkantige Gegenstände entstehen kann und deshalb im Gutachten nicht vermerkt war, dass der Mangel für den Lenker oder den Zulassungsbesitzer erkennbar gewesen wäre. Ein Unterschied im Fahrverhalten wäre gerade beim unbeladenen Lkw nicht zu erkennen gewesen.
Überhaupt ist aus der Sicht der Sachverständigen zu sagen, dass gegenständlich im Gutachten bewusst nicht vermerkt wurde, dass die Mängel für den Lenker oder Zulassungsbesitzer erkennbar gewesen wären. Wäre dies der Fall gewesen, hätten wir dies im Gutachten festgehalten."
Der Unabhängige Verwaltungssenat Wien hat erwogen:
Maßgebliche Rechtsvorschriften:
Gemäß § 103 Abs 1 Z 1 KFG hat der Zulassungsbesitzer dafür zu sorgen, dass das Fahrzeug und seine Beladung - unbeschadet allfälliger Ausnahmegenehmigungen oder -bewilligungen - den Vorschriften dieses Bundesgesetzes und der auf Grund dieses Bundesgesetzes erlassenen Verordnungen entspricht.
Gemäß § 134 Abs 1 KFG begeht, wer diesem Bundesgesetz, den auf Grund dieses Bundesgesetzes erlassenen Verordnungen, Bescheiden oder sonstigen Anordnungen, den Artikeln 5 bis 9 der Verordnung (EWG) Nr. 3820/85 über die Harmonisierung bestimmter Sozialvorschriften im Straßenverkehr, ABl. Nr. L 370 vom 31. Dezember 1985, S 1 sowie der Verordnung (EWG) Nr. 3821/85 über das Kontrollgerät im Straßenverkehr ABl. Nr. L 370 vom 31. Dezember 1985, S 8, geändert durch Verordnung (EWG) Nr. 3572/90, ABl. Nr. L 353 vom 17. Dezember 1990, S 12, zuwiderhandelt, eine Verwaltungsübertretung und ist mit einer Geldstrafe bis zu 2.180,-- Euro, im Falle ihrer Uneinbringlichkeit mit
Arrest bis zu sechs Wochen zu bestrafen.
Sachverhaltsfeststellungen:
Aufgrund der Aktenlage und der in der mündlichen Verhandlung unmittelbar aufgenommenen Beweise, insbesondere aufgrund der Aussage der beiden Sachverständigen wird als erwiesen festgestellt, dass die im Gutachten der Landesprüfstelle für Kraftfahrzeuge am 13.2.2003 festgestellten Mängel an dem auf den Betrieb des Berufungswerbers zugelassenen, zur Tatzeit unbeladenen LKW zwar insofern als schwer einzustufen waren, als sie die Verkehrs- und Betriebssicherheit beeinträchtigten, dass diese Mängel jedoch bei Fahrtantritt bzw. bei Überlassung an den Lenker weder von diesem noch vom Zulassungsbesitzer zu bemerken waren.
Der unter Punkt 1 des angefochtenen Straferkenntnisses beanstandete Mangel (erhebliche Bremskraftdifferenz der Betriebsbremse an der 1. und 2. Achse) war für den Zulassungsbesitzer selbst bei entsprechender Sorgfalt (Durchführung einer Bremsprobe, Überprüfung des Lenkungsspiels sowie fachkundige Besichtigung aller für die Verkehrs- und Betriebssicherheit wichtigen Fahrzeugteile) nicht erkennbar, da zur Feststellung dieses Mangels ein Bremsenprüfstand für LKW, somit eine Spezialeinrichtung, über die üblicherweise nur ein zur Erstellung von Gutachten nach § 57a KFG befugter Fachbetrieb oder eine amtliche Prüfstelle verfügt, notwendig gewesen wäre. Selbst bei regelmäßigen Kontrollen in einer dafür geeigneten Fachwerkstätte, wie sie laut Vorbringen des Berufungswerbers im erstinstanzlichen Verfahren stattgefunden haben, hätte dieser Mangel zur Tatzeit auftreten können, da sich laut Angaben der beiden Sachverständigen in der Verhandlung eine Bremskraftdifferenz, wie sie gegenständlich festzustellen war, auch binnen Monatsfrist entwickeln kann. Eine Änderung im Fahrverhalten des LKW sei durch den festgestellten Mangel laut Aussage der Sachverständigen nicht zu bemerken gewesen. Dass der unter Punkt 2 des angefochtenen Straferkenntnisses relevierte Schaden am rechten Innenreifen der Hinterachse schon bei Fahrtantritt bestanden hatte, konnte im Verfahren nicht erwiesen werden. Es konnte daher auch nicht mit der für die Verhängung einer Verwaltungsstrafe davon ausgegangen werden, dass dieser Mangel bei Übergabe des Fahrzeugs an den Lenker für den Zulassungsbesitzer erkennbar gewesen wäre.
Rechtliche Beurteilung:
Nach der einschlägigen, höchstgerichtlichen Judikatur ist § 103 Abs 1 Z 1 KFG dahingehend zu verstehen, dass den Zulassungsbesitzer eine Sorgepflicht trifft, dass er die je nach den Umständen in Betracht kommenden wirksamen Maßnahmen trifft (VwGH vom 19.6.1979, zl. 2328/78). Die Sorgepflicht des Zulassungsbesitzers ergibt sich nicht erst aufgrund einer vom Fahrzeuglenker erfolgten Verständigung, sondern unmittelbar aus § 103 Abs 1 Z 1 KFG (VwGH vom 15.11.1976, 635/76). Dem Zulassungsbesitzer kommt daher für den Zustand des Fahrzeuges eine nach § 134 KFG verwaltungsstrafrechtlich sanktionierte Überwachungsfunktion zu (siehe VwGH vom 13.11.1991, Zl. 91/03/0244). Die Überwälzung dieser den Zulassungsbesitzer grundsätzlich persönlich treffenden Verpflichtung auf den diesbezüglich separat unter Strafsanktion stehenden Lenker ist nicht möglich (VwGH vom 14.3.1984, Zl. 83/03/0272). Vor dem Hintergrund der zitierten höchstgerichtlichen Judikatur muss vom Zulassungsbesitzer verlangt werden, dass er aktiv für den vorschriftsmäßigen Zustand der auf ihn zugelassenen Kraftfahrzeuge Sorge trägt, sofern diese Fahrzeuge auf Straßen mit öffentlichem Verkehr gelenkt werden. Der Sorgfaltsmaßstab, der vom Zulassungsbesitzer dabei verlangt werden muss, darf keinesfalls niedriger angesetzt werden als jener, der gemäß § 102 Abs 1 KFG dem Lenker abverlangt wird, ehe dieser ein Kraftfahrzeug in Betrieb nimmt. Die verwaltungsstrafrechtliche Verantwortung des Zulassungsbesitzers für den vorschriftswidrigen Zustand des auf ihn zugelassenen Fahrzeuges gemäß § 103 Abs 1 Z 1 KFG findet jedoch dort ihre Grenze, wo technische Mängel nur mit Spezialwerkzeug und Spezialeinrichtungen, über die üblicherweise nur ein zur Erstellung von Gutachten nach § 57a KFG befugter Fachbetrieb oder eine amtliche Prüfstelle verfügt, nicht jedoch im Zuge der üblichen Wartung sowie im Zuge der Kontrolle der Fahrzeuge vor Fahrtantritt (Bremsprobe, Überprüfung des Lenkungsspiels sowie fachkundige Besichtigung aller für die Verkehrs- und Betriebssicherheit wichtigen Fahrzeugteile etc.) erkannt werden können.
Vor diesem rechtlichen Hintergrund und in Anbetracht der Ausführungen der Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung, die schlüssig dargelegt haben, dass es zur Erkennbarkeit des unter Punkt 1 relevierten Mangels einer Spezialeinrichtung (Bremsenprüfstand für LKW) bedurft hätte und der unter Punkt 2 relevierte Mangel (defekter Innenreifen) bei Übergabe des Fahrzeugs an den Lenker noch gar nicht bestanden haben musste, war gegenständlich eine Verletzung der gemäß § 103 Abs 1 Z 1 KFG dem Zulassungsbesitzer auferlegten Pflichten nicht festzustellen. Deshalb war zu Gunsten des Berufungswerbers zu entscheiden, das angefochtene Straferkenntnis zu beheben und das Verfahren spruchgemäß einzustellen.