Der Unabhängige Verwaltungssenat Wien hat durch sein Mitglied Mag. Pichler über die Berufung des Herrn Manfred D., vertreten durch Rechtsanwalt, gegen die Spruchpunkte 1.), 2.) und 5.) des Straferkenntnisses der Bundespolizeidirektion Wien, Polizeikommissariat Margareten für die Bezirke 4, 5 und 6, vom 2.3.2004, Zl. S 56333/MG/02, betreffend Übertretungen der Straßenverkehrsordnung 1960, des Führerscheingesetzes 1997 und des Kraftfahrgesetzes 1967, nach durchgeführter öffentlicher mündlicher Verhandlung entschieden:
Gemäß § 66 Abs 4 AVG wird der Berufung Folge gegeben, das angefochtene Straferkenntnis in seinen Spruchpunkten 1.), 2.) und
5.) behoben und das Verfahren in diesen Punkten gemäß § 45 Abs 1 Z 3 VStG eingestellt.
Gemäß § 65 VStG wird dem Berufungswerber kein Beitrag zu den Kosten des Berufungsverfahrens auferlegt.
Der Spruch des angefochtenen Straferkenntnisses lautet wie folgt:
"Sie haben am 05.04.2002 um 21.30 Uhr in Wien, R-Straße in Fahrtrichtung M-Straße, Kreuzung mit der W-straße und der G-gasse als Lenker des Kfz W-84
1.) das Kraftfahrzeug gelenkt, obwohl Sie nicht im Besitze einer gültigen inländischen Lenkberechtigung der Klasse B waren. 2.) das Fahrzeug in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand (0,93 mg Alkohol/pro 1 Liter Atemluft) gelenkt. 3.) ... . 4.) ... .
5)
während der Dunkelheit nicht die vorgeschriebenen Scheinwerfer, mit denen weißes Abblendlicht ausgestrahlt wird, eingeschaltet.
Sie haben dadurch folgende Rechtsvorschrift verletzt:
1.) § 1/3 FSG 2.) § 5/1 STVO iV § 99/1/a STVO 3.) ... 4.) ...
5.) § 99/1 KFG
Wegen dieser Verwaltungsübertretungen werden über Sie folgende
Strafen verhängt:
Geldstrafe von Euro
falls diese uneinbringlich ist, Ersatzfreiheitsstrafe von
gemäß §
1.) 363,00 7 Tage 37/3/1 FSG
2.) 1162,00 14 Tage 99/1/a STVO
3.) ... ... ...
4.) ... ... ...
5.) 72,00 36 Stunden 134 KFG
Ferner haben Sie gemäß § 64 des Verwaltungsstrafgesetzes (VStG) zu zahlen:
203,30 Euro als Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens, d.s. 10 % der Strafe (je ein Tag Arrest wird gleich 15 Euro angerechnet); (mindestens aber 1,5 Euro).
Der zu zahlende Gesamtbetrag (Strafe/Kosten) beträgt daher 2236,30 Euro. Außerdem sind die Kosten des Strafvollzuges zu ersetzen (§ 54d VStG)."
Einleitend ist festzustellen, dass mit der Berufungsentscheidung nur mehr über die Spruchpunkte 1.), 2.) und 5.) abgesprochen wird, soweit sich die Berufung ursprünglich auch gegen die zu den Spruchpunkten 3.) und 4.) getroffenen Entscheidungen richtet, wurde sie in der öffentlichen mündlichen Verhandlung am 27.7.2004 zurückgezogen.
Der Berufungswerber hat die das erstinstanzliche Straferkenntnis tragenden Sachverhaltsfeststellungen weder in seinem Berufungsschriftsatz noch in der öffentlichen mündlichen Verhandlung bestritten, sondern vorgebracht, die Bestrafung im Verwaltungsverfahren verstoße gegen Art 4 des 7. ZP EMRK, da der Berufungswerber bereits mit Urteil des Bezirksgerichtes Innere Stadt, Zl. 13 U 410/02g wegen Übertretung des § 89 StGB zu einer Freiheitsstafe in der Dauer von zwei Wochen verurteilt worden sei. In der öffentlichen mündlichen Verhandlung ergänzte der Vertreter des Berufungswerbers das Vorbringen dahingehend, dass durch die Verurteilung wegen des Vergehens nach § 89 StGB der Unrechtsgehalt auch der Übertretungen des § 1 Abs 3 FSG 1997, § 5 Abs 1 StVO 1960 und § 99 Abs 1 KFG 1967 erschöpft sei. Das Strafgericht habe gerade diese Umstände für die Tatbestandsmäßigkeit einer Übertretung des § 89 StGB herangezogen.
Der Unabhängige Verwaltungssenat Wien als Berufungsbehörde hat erwogen:
Da die das erstinstanzliche Straferkenntnis tragenden Sachverhaltsfeststellungen, wonach der Berufungswerber zu dem im Straferkenntnis angeführten Zeitpunkt ein Fahrzeug in alkoholisiertem Zustand gelenkt habe, ohne im Besitz einer gültigen Lenkberechtigung für Fahrzeuge der Klasse B zu sein und bei dieser Fahrt bei Dunkelheit nicht die vorgeschriebenen Scheinwerfer eingeschaltet hatte, unbestritten blieben, konnten diese Sachverhaltsfeststellungen auch der Entscheidung der Berufungsbehörde zugrunde gelegt werden.
Der Berufungswerber wurde mit dem im Instanzenzug ergangenen Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 13.8.2003, Zl. 13 b Bl 400/2003, wegen des Vergehens der Gefährung der körperlichen Sicherheit gemäß § 89 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von zwei Wochen verurteilt. (Anzumerken ist in diesem Zusammenhang, dass die Mitteilung des Bezirksgerichtes Wien Innere Stadt an die Bundespolizeidirektion Wien über eine Verurteilung gemäß § 88 Abs 1 StGB offensichtlich in derselben Weise fehlerhaft ist wie auch bereits die Urkunde über die bedingte Strafnachsicht, in der ebenfalls von einer Verurteilung wegen des Vergehens nach § 88 Abs 1 StGB die Rede ist, obwohl der Berufungswerber bereits im erstinstanzlichen Strafverfahren (u.a.) wegen Übertretung des § 89 StGB verurteilt wurde und das Berufungsgericht sein Urteil ausschließlich auf § 89 StGB gestützt hat).
Da im Berufungsverfahren unbestritten blieb, dass der Berufungswerber die Tatbestände der im Straferkenntnis unter den Spruchpunkten 1.), 2.) und 5.) angelasteten Verwaltungsübertretungen sowohl in objektiver als auch in subjektiver Hinsicht verwirklicht hat, war ausschließlich zu überprüfen, ob im Hinblick auf die Verfassungsbestimmung des Artikel 4 des 7. Zusatzprotokolls EMRK die Verhängungen von Verwaltungsstrafen gegen das aus dieser Verfassungsbestimmung resultierende Doppelbestrafungsverbot verstößt und daher die strafgerichtliche Verurteilung ein Verfolgungshindernis im Verwaltungsstrafverfahren darstellt.
Die der strafgerichtlichen Verurteilung des Berufungswerbers zugrundeliegenden Bestimmungen stehen in folgendem Regelungszusammenhang:
Gemäß § 89 StGB ist, wer in den in § 81 Abs 1 bis 3 bezeichneten Fällen, wenn auch nur fahrlässig, eine Gefahr für das Leben, die Gesundheit oder die körperliche Sicherheit eines anderen herbeiführt, mit Freiheitsstrafe bis zu drei Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 180 Tagessätzen zu bestrafen.
Dieses Delikt wird dann verwirklicht, wenn eine konkrete Gefährdung zumindest einer anderen Person vom Täter durch ein qualifiziert gefährliches Verhalten herbeigeführt wird. Dieses qualifiziert gefährliche Verhalten, durch das die Gefährdung der körperlichen Sicherheit ? anders als die Tötung oder die Körperverletzung ? erst zum gerichtlich strafbaren Delikt wird, liegt
im Sinne des § 81 Abs 1 Z 1 StGB dann vor, wenn das Verhalten, das die konkrete Gefährdung Anderer bedingt, unter besonders gefährlichen Verhältnissen erfolgt, d.h. es muss vom Täter eine Situation geschaffen worden sein, in der die Wahrscheinlichkeit der dann tatsächlich eingetretenen Gefahrensituation außergewöhnlich hoch war.
Hat sich der Täter durch den Genuss von Alkohol oder den Gebrauch eines anderen berauschenden Mittels in einen die Zurechnungsfähigkeit nicht ausschließenden Rauschzustand versetzt, obwohl er vorhergesehen hat oder vorhersehen hätte können, dass ihm eine Tätigkeit bevorstehe, deren Vornahme in diesem Zustand eine Gefahr für das Leben, die Gesundheit oder die körperliche Sicherheit eines anderen herbeizuführen oder zu vergrößern geeignet ist, so ist in Fällen, in denen bei der Ausübung dieser Tätigkeit eine konkrete Gefährdung einer anderen Person tatsächlich eintritt, der Tatbestand des § 89 (81 Abs 1 Z 2) StGB erfüllt.
Durch die konkrete Gefährdung eines anderen Verkehrsteilnehmers beim alkoholisierten Lenken eines Kraftfahrzeuges wird daher im Regelfall das Vergehen gemäß § 89 (81 Abs 1 Z 2) StGB erfüllt.
Da sohin das Lenken eines Kraftfahrzeuges in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand eine der Tatbestandsvoraussetzungen für die Verwirklichung des Vergehens des § 89 (81 Abs 1 Z 2) StGB darstellt, kann im Lichte der Judikatur des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (vgl. EGMR Gradinger, Serie A-328-C) aber auch der ständigen Judikatur des Verfassungsgerichtshofes (VfSlg. 14696/1996 aber auch etwa VfSlg. 15199/1998, VfSlg. 15293/1998 u.a.) aus Sicht der Berufungsbehörde kein Zweifel daran bestehen, dass der Tatvorwurf des Lenkens eines Kraftfahrzeuges in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand einen wesentlichen Gesichtspunkt der strafgerichtlichen Verurteilung darstellt und daher die Bestrafung des Berufungswerbers wegen Übertretung des § 5 Abs 1 StVO 1960 unter Spruchpunkt 2.) des Straferkenntnisses gegen die Verfassungsbestimmung des Art 4 des 7. Zusatzprotokolles EMRK verstößt.
Dagegen liegt aus Sicht des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien in Fällen, in denen im Zuge einer Fahrt ohne für das gelenkte Kraftfahrzeug gültigen Lenkberechtigung der Tatbestand des Vergehens gemäß § 89 (81 Abs 1 Z 2) StGB verwirklicht wird, kein Fall einer Scheinkonkurrenz im Sinne der Ausführungen im bereits zitierten Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes VfSlg. 14696/1996 vor und ist im Regelfall der Unrechts- und Schuldgehalt einer Übertretung des § 1 Abs 3 des FSG 1997 durch eine Verurteilung wegen des Tatbestandes der Gefährdung der körperlichen Sicherheit iS des § 89 (81 Abs 1 Z 2) StGB nicht erschöpft und daher angesichts des weiter bestehenden Strafbedürfnisses eine verwaltungsbehördliche Bestrafung wegen einer derartigen Übertretung zulässig.
Dies wird auch in Fällen anzunehmen sein, in denen der Aspekt, dass das Fahrzeug nicht nur in alkoholisiertem Zustand gelenkt wurde, sondern überdies der Lenker auch nicht im Besitz der erforderlichen Lenkberechtigung war, im gerichtlichen Strafverfahren erörtet wird und dieser Umstand etwa auch in die Urteilsbegründung zur Strafbemessung oder im Rahmen der Prognoseentscheidung hinsichtlich einer allfälligen bedingten Strafnachsicht einfließt. Nicht jede Erörterung von Sachverhaltselementen im gerichtlichen Strafverfahren schließt eine verwaltungsstrafrechtliche Verurteilung wegen einer durch diese verwirklichten Verwaltungsübertretung aus, sondern sind es nur die wesentlichen Gesichtspunkte, die zu einer gerichtlichen Verurteilung geführt haben, die nicht zum Gegenstand einer neuerlichen Strafverfolgung gemacht werden dürfen (siehe die bereits zitierte Judikatur des Verfassungsgerichtshofes sowie zur gesamten Problematik Thienel/Hauenschild ?Verfassungsrechtliches ?ne bis in idem? und seine Auswirkung auf das Verhältnis von Justiz- und Verwaltungsstrafverfahren? JBl 2004, 69 und 2004, 153 und die dort zitierte Judikatur des EGMR). Im hier konkret zu beurteilenden Fall kann jedoch im Hinblick auf die Begründung des Urteiles des Landesgerichtes für Strafsachen Wien, mit dem der Berufungswerber wegen Übertretung des § 89 StGB zu einer zweiwöchigen Freiheitsstrafe verurteilt wurde, nicht davon ausgegangen werden, dass die fehlende Lenkberechtigung des Lenkers nur einen nicht tatbestandsbegründenden Nebenaspekt des pönalisierten Verhaltens darstellt. Das Gericht hat vielmehr die Verurteilung des Berufungswerbers auch tragend sowohl auf den Aspekt der nicht vorhandenen Lenkberechtigung als auch der Nichtbenutzung der Scheinwerfer des Fahrzeuges gestützt.
So führt das Landesgericht für Strafsachen Wien in der Urteilsbegründung aus:
?Nach den für das Rechtsmittelverfahren wesentlichen Feststellungen lenkte der Angeklagte ohne im Besitz einer Lenkerberechtigung zu sein (diese war ihm im Jahre 1995 von der Behörde entzogen worden) den auf seine Person zugelassenen Geländewagen Mitsubishi Pajero mit dem polizeilichen Kennzeichen W-84, welcher an der Vorderseite einen massiven Rammschutz aus Rohrprofil aufwies, am 5.4.2002 gegen 21.30 Uhr in Wien, R-Straße Richtung Kreuzung G-gasse trotz beträchtlichem (vorwerfbarem) Alkoholkonsum. Der Angeklagte hatte am Fahrzeug trotz Dunkelheit kein Licht eingeschaltet (offensichtlich) infolge eines Aufmerksamkeits- und Fahrfehlers fuhr er auf dem am rechten Fahrstreifen unmittelbar vor der Haltelinie wegen Rotlichts der Ampelanlage stehende PKW der Marke Mazda 626, gelenkt vom Zeugen Toma J. auf, der durch den Anprall mit einer Kontaktlösegeschwindigkeit von ca. 8 km/h nach
vor geschleudert wurde. Während Toma J. aus seinem
PKW ausstieg und den Angeklagten als Lenker des Geländewagens erkannte, setzte der Angeklagte mit seinem Kraftfahrzeug zurück und fuhr links am Zeugen J. und dessen Fahrzeug vorbei. Toma J. verspürte nach dem Unfall Schmerzen im Genick. Infolge Sofortfahnung konnte der Angeklagte in der Nähe des Unfallortes von der Polizei angehalten werden und wies die durchgeführte Alkomatmessung (erste) einen Wert von 0,93 mg/l auf.?
In den rechtlichen Erwägungen, mit denen das Landesgericht für Strafsachen Wien die Rechtsrügen der Nichtigkeitsberufung des Beschuldigten in Hinblick auf dessen Verurteilung wegen § 89 StGB verwirft, führt das Berufungsgericht aus wie folgt:
?..., so liegt diese Nichtigkeit in Wahrheit nicht vor, denn das Erstgericht hat die mit dem Minderrausch des Angeklagten verbundene Häufung mehrerer unfallsträchtiger Faktoren ? welche den tatbestandserforderlichen speziallen Sorgfaltsverstoß im Sinne des § 81 Z 2 StGB darstellen, nicht nur in der Lenkung eines Kraftfahrzeuges mit über 1,8%o Alkoholisierung erblickt, sondern zusätzlich die nichtbestehende Lenkerberechtigung, die fehlende Fahrzeugbeleuchtung sowie den massiven Rammschutz als besonders gefahrengeneigte im erhöhten Maß gefährliche Tätigkeit festgestellt und gewertet, sodass der Schuldspruch in diesem Faktum rechtsrichtig erfolgte.?
Der Verweis des Berufungsgerichts auf die relevanten Sachverhaltsfeststellungen hinsichtlich der fehlenden Beleuchtung des vom Beschuldigten gelenkten Kraftfahrzeuges und der fehlenden Lenkberechtigung des Unfalllenkers, insbesondere aber die rechtlichen Erwägungen wonach die erstgerichtliche Verurteilung gerade wegen der nicht bestehenden Lenkberechtigung und der fehlenden Fahrzeugbeleuchtung dem Gesetz entsprach, ist davon auszugehen, dass jedenfalls das Berufungsgericht im Strafverfahren diese Umstände als Aspekte des zu beurteilenden Sachverhaltes gewertet hat, ohne deren Verwirklichung der Tatbestand des § 89 StGB nicht erfüllt worden wäre. Angesichts dieser rechtlichen Bewertung des Strafgerichtes muss im hier konkret zu beurteilenden Zusammenhang davon ausgegangen werden, dass sowohl die fehlende Lenkberechtigung des Unfalllenkers als auch das Nichteinschalten der Scheinwerfer bei Dunkelheit wesentliche Gesichtspunkte der strafgerichtlichen Verurteilung darstellten und daher in der vorliegenden Fallkonstellation auch die Bestrafung wegen Übertretung des § 1 Abs 3 FSG 1997 sowie der Bestimmung des § 99 Abs 1 KFG 1967 einen Verstoß gegen das in Art 4 des 7. ZP EMRK normierte Doppelbestrafungsverbot darstellt.
Da sohin der Bestrafung des Berufungswerbers zu den Spruchpunkten 1.), 2.) und 5.) des angefochtenen Straferkenntnisses ein Verfolgungshindernis entgegenstand, waren diese drei Spruchpunkte zu beheben und das Verwaltungsstrafverfahren in diesen Punkten gemäß § 45 Abs 1 Z 3 VStG einzustellen.
Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 65 VStG.