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L92056 Altenheime Pflegeheime Sozialhilfe Steiermark;Norm
AVG §58 Abs2;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldner und die Hofräte Dr. Graf, Dr. Gall, Dr. Pallitsch und Dr. Schick als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Runge, über die Beschwerde der A in G, vertreten durch Dr. Elisabeth Simma und Mag. Gottfried Stoff, Rechtsanwälte in 8011 Graz, Kaiserfeldgasse 15/II, gegen den Bescheid der Steiermärkischen Landesregierung vom 3. Juli 2000, Zlen. 9-19-59/95-79, 9-19-95/95-73, betreffend Entziehung von Pflegeheimbewilligungen, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Das Land Steiermark hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem angefochtenen Bescheid wurden der Beschwerdeführerin die für den Betrieb der Pflegeheime "Villa L." erteilten Bewilligungen vom 19. Februar 1997 gemäß § 12 Abs. 5 des Steiermärkischen Pflegeheimgesetzes, LGBl. Nr. 108/1994, mit Wirkung vom 30. Juni 2000 entzogen. Als Frist für die Auflösung des Pflegeheimbetriebes wurde der 30. September 2000 festgelegt. Die Aufnahme weiterer Bewohner innerhalb dieser Frist wurde untersagt.
In der Begründung führte die belangte Behörde aus, die beiden Häuser der Pflegeheime "Villa L." in der R.-Straße 46 und in der S.-Gasse 1 bildeten organisatorisch eine Einheit. Bei einer am 8. Juni 2000 durchgeführten Kontrolle durch den Magistrat der Stadt Graz sei festgestellt worden, dass die Pflege der Heimbewohner nicht hinreichend gewährleistet gewesen sei und Bescheidauflagen nicht erfüllt worden seien. Insbesondere sei "die Funktion der Pflegedienstleitung offensichtlich nicht nachvollziehbar" gewesen. Außerdem sei der erforderliche Mindestpersonalschlüssel gemäß der Verordnung der Steiermärkischen Landesregierung vom 15. Mai 1995 über den Personalschlüssel für Pflegeheime (Personalschlüssel-VO), LGBl. Nr. 48/1995, nicht erfüllt gewesen. Weiters seien Bescheidinhalte (Einschränkung auf ausschließlich gehfähige Bewohner und Bewohner bis maximal Pflegegeldstufe IV) durch die Pflege und Betreuung eines nicht gehfähigen Bewohners der Pflegegeldstufe V missachtet worden. Der Beschwerdeführerin sei die Möglichkeit der Stellungnahme bis 27. Juni 2000 eingeräumt worden. Diese Frist sei bis 30. Juni 2000 erstreckt worden. Innerhalb dieser Frist sei keine Stellungnahme eingelangt. Auf Grund des Fehlens der Nachvollziehbarkeit der Tätigkeiten der Pflegedienstleitung und der Nichterfüllung des Mindestpersonalschlüssels sei die Pflege der Bewohner nicht mehr gewährleistet. Die für die Auflösung des Heimbetriebes eingeräumte Frist bis 30. September 2000 solle die Möglichkeit bieten, die mit den Heimbewohnern bestehenden Verträge gemäß § 3 Abs. 7 Z. 1 des Steiermärkischen Pflegeheimgesetzes zu kündigen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.
Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und beantragt in ihrer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Für den Beschwerdefall sind folgende Bestimmungen des Steiermärkischen Pflegeheimgesetzes von Bedeutung:
"§ 5
Personalausstattung
(1) Fachlich qualifiziertes und Hilfspersonal muss in ausreichender Anzahl sichergestellt sein. Der Heimträger hat für die erforderliche Fort- und Weiterbildung seines Personals sowie die Möglichkeit einer Supervision zu sorgen.
(2) Die ausreichende Zahl an ausgebildetem Personal richtet sich nach der Anzahl der Heimbewohner unter Berücksichtigung ihrer Pflegebedürftigkeit.
(3) Das Ausmaß der Pflegebedürftigkeit ist nach der Abstufung der Pflegegeldgesetze zu beurteilen.
(4) Die Landesregierung hat durch Verordnung das Verhältnis der Pflegebedürftigen nach deren Pflegebedürftigkeit zur Anzahl und Qualifikation des Pflegepersonals festzulegen (Personalschlüssel).
.....
§ 12
Bewilligung und Entzug der Bewilligung
(1) Heime dürfen nur mit Bewilligung der Landesregierung betrieben werden.
(2) Zum Nachweis der Erfüllung der Voraussetzungen für die Bewilligung sind folgende Unterlagen vorzulegen bzw. Angaben zu machen:
1.
Höchstzahl der zu betreuenden Personen;
2.
vorgesehene Betreuungs-, Pflege und Rehabilitationsmaßnahmen;
3.
planliche Darstellung des Raum- und Funktionsprogramms sowie eine technische Beschreibung;
4. Angaben über die Anzahl und Qualifikation des vorgesehenen Pflegepersonals;
5.
Bekanntgabe der verantwortlichen Pflegedienstleitung;
6.
ein Gutachten über das Vorliegen eines ausreichenden Brandschutzes.
(3) Die Bewilligung ist zu erteilen, wenn die baulichen, technischen, personellen und organisatorischen Voraussetzungen einen zweckentsprechenden Betrieb erwarten lassen.
(4) Jede Änderung der dem Bewilligungsbescheid zu Grunde gelegten Voraussetzungen ist bewilligungspflichtig.
(5) Die Bewilligung ist zu entziehen, wenn die Wahrung der Interessen und Bedürfnisse der Heimbewohner, insbesondere deren Pflege, nicht gesichert ist oder daraus Gefahr für Leben und Gesundheit entsteht.
...
§ 14
Aufsicht
(1) Die Überwachung der Einhaltung dieses Gesetzes und der auf Grund dieses Gesetzes erlassenen Verordnungen obliegt den Bezirksverwaltungsbehörden.
...
(4) Ergibt sich bei einer Kontrolle, dass die Pflege der Heimbewohner nicht hinreichend gewährleistet ist, so hat die Aufsichtsbehörde dies der Landesregierung unverzüglich anzuzeigen. Bei Gefahr im Verzug sind die erforderlichen Maßnahmen zum Schutz der Heimbewohner von der Bezirksverwaltungsbehörde zu treffen.
(5) Ergibt sich bei einer Kontrolle, dass Bescheidauflagen nicht oder nicht fristgemäß erfüllt wurden, so hat die Aufsichtsbehörde dies der Landesregierung unverzüglich anzuzeigen.
...
§ 15
Strafbestimmungen
(1) Wer ohne Bewilligung ein Heim betreibt oder der Anzeigepflicht gemäß § 1 Abs. 3 nicht nachkommt, begeht eine Verwaltungsübertretung und ist hiefür von der Bezirksverwaltungsbehörde mit einer Geldstrafe bis zu S 100.000,-- , im Fall der Uneinbringlichkeit mit Ersatzfreiheitsstrafe bis zu sechs Wochen zu bestrafen.
(2) Wer den Bestimmungen dieses Gesetzes und der hiezu erlassenen Verordnungen, insbesondere betreffend Personalausstattung, Pflegedokumentation, bauliche und technische Anforderungen, Verschwiegenheits- und Meldepflicht, zuwiderhandelt bzw. Auflagen nicht oder nicht fristgerecht erfüllt, begeht eine Verwaltungsübertretung und ist hiefür von der Bezirksverwaltungsbehörde mit einer Geldstrafe bis zu S 30.000,--, im Fall der Uneinbringlichkeit mit Ersatzfreiheitsstrafe bis zu zwei Wochen zu bestrafen."
Auf Grund des § 5 Abs. 4 des Steiermärkischen Pflegeheimgesetzes wurde die Verordnung der Steiermärkischen Landesregierung über den Personalschlüssel für Pflegeheime (Personalschlüssel-VO), LGBl. Nr. 48/1995 erlassen. Im § 1 dieser Verordnung wird der Mindestpersonalstand geregelt, für den die Anzahl der Bewohner und deren Pflegestufen nach dem Pflegegeldgesetz maßgebend sind. Nach § 2 der Verordnung ist der Pflegedienst von einer gemäß Krankenpflegegesetz berechtigten Person des diplomierten Krankenpflegefachdienstes fachlich zu leiten. Nach § 3 der Verordnung hat sich wenigstens 80 % des Pflegepersonals aus diplomiertem Krankenpflegepersonal, Pflegehelfern gemäß Krankenpflegegesetz und Altenhelfern zusammen zu setzen. Nach § 4 der Verordnung "soll" sich das Pflegepersonal wie folgt zusammensetzen: 20 % diplomiertes Krankenpflegepersonal, 60 % Alten- oder Pflegehelfer, 20 % sonstiges Personal für die unmittelbare Betreuung der Bewohner. Gemäß § 6 der Verordnung kann der im § 1 festgelegte Personalschlüssel aus Gründen der Arbeitsmarkt- und Ausbildungssituation oder besonderer regionaler Verhältnisse um 10 % unterschritten werden.
Der die Entziehung der Bewilligung regelnde § 12 Abs. 5 des Steiermärkischen Pflegeheimgesetzes sieht seinem Wortlaut nach zwei Fälle für die Entziehung der Pflegeheimbewilligung vor. Der erste Fall ist dann erfüllt, wenn die Wahrung der Interessen und Bedürfnisse der Heimbewohner, insbesondere deren Pflege, nicht gesichert ist. Auf diesen Fall hat die belangte Behörde den angefochtenen Bescheid ausdrücklich gestützt. Es kann daher im Beschwerdefall dahinstehen, welche Voraussetzungen der im Gesetz genannte zweite Fall erfordert, insbesondere worauf sich das Wort "daraus" beziehen soll und ob überhaupt Konstellationen möglich sind, in denen zwar die Wahrung der Interessen und Bedürfnisse der Heimbewohner, insbesondere deren Pflege, gesichert ist, dennoch aber - auf Grund des Betriebes des Pflegeheimes - Gefahr für Leben und Gesundheit (der Heimbewohner) entsteht.
Das Gesetz enthält keine nähere Umschreibung, wann davon auszugehen ist, dass die Wahrung der Interessen und Bedürfnisse der Heimbewohner, insbesondere deren Pflege, nicht gesichert ist. Denkbar ist in diesem Zusammenhang der - nicht kurzfristig behebbare - Wegfall der personellen und sachlichen Voraussetzungen für den ordnungsgemäßen Betrieb des Pflegeheimes. In Frage kommt weiters ein Zuwiderhandeln des Betreibers eines Pflegeheimes gegen die im § 15 des Steiermärkischen Pflegeheimgesetzes genannten Pflichten, soweit daraus auf Grund der Art und Häufung der Verstöße oder auf Grund ihrer Schwere der Schluss zulässig ist, dass die Wahrung der Interessen und Bedürfnisse der Heimbewohner, insbesondere deren Pflege, nicht gesichert ist. Will die Behörde die Entziehung einer Pflegeheimbewilligung darauf stützen, hat sie auf einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren beruhende konkrete Sachverhaltsfeststellungen über die dem Betreiber des Pflegeheimes angelasteten Verstöße zu treffen und zu begründen, warum sie zu dem oben beschriebenen rechtlichen Schluss gelangt ist.
Diesen Anforderungen entspricht der angefochtene Bescheid nicht. Nach der Aktenlage besteht kein Anhaltspunkt dafür, dass gegen die Beschwerdeführerin jemals ein Verwaltungsstrafverfahren wegen einer Übertretung gemäß § 15 des Steiermärkischen Pflegeheimgesetzes geführt wurde. Die belangte Behörde hat sich auch nicht auf eine rechtskräftige Bestrafung der Beschwerdeführerin wegen einer solchen Übertretung gestützt. Sie lastet der Beschwerdeführerin an, dass bei einer am 8. Juni 2000 durchgeführten Kontrolle "die Funktion der Pflegedienstleitung offensichtlich nicht nachvollziehbar" gewesen sei und darüber hinaus der erforderliche Mindestpersonalsstand gemäß der Personalschlüssel-Verordnung nicht erfüllt gewesen sei, und schließt daraus (im letzten Absatz der Bescheidbegründung), dass die Pflege der Bewohner nicht mehr gewährleistet sei. Die kursorischen Sachverhaltsfeststellungen der belangten Behörde lassen allerdings nicht erkennen, was der Beschwerdeführerin im Zusammenhang mit dem Fehlen der Nachvollziehbarkeit der Pflegedienstleitung vorgeworfen wird, etwa ob gar keine die Voraussetzungen gemäß § 2 der Personalschlüssel-Verordnung erfüllende Angestellte beschäftigt wurde oder ob diese nicht sachgerecht gehandelt hat und von der Beschwerdeführerin mangelhaft beaufsichtigt wurde. Auch der Vorwurf, dass der erforderliche Mindestpersonalstand nicht erfüllt gewesen sei, ist ohne konkrete Sachverhaltsfeststellungen über die Zahl und die Pflegestufen der in den Pflegeheimen der Beschwerdeführerin vorhandenen Bewohner einerseits und die Zahl und die Qualifikation des in den Pflegeheimen der Beschwerdeführerin zur Verfügung stehenden Pflegepersonals andererseits nicht überprüfbar. In diesem Zusammenhang ist festzuhalten, dass nicht jede Unterschreitung des Mindestpersonalstandes schon einen Schluss im Sinne des § 12 Abs. 5 des Steiermärkischen Pflegeheimgesetzes rechtfertigt, wie sich schon aus der im § 6 der Personalschlüssel-Verordnung aus bestimmten Gründen zulässigen Unterschreitung um 10 % ergibt. Nur massive, insbesondere länger dauernde oder sich konkret auf die Pflegesituation negativ auswirkende Unterschreitungen des Mindestpersonalstandes können demnach im gegebenen Zusammenhang von Bedeutung sein.
Aus den dargelegten Erwägungen war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Im Hinblick auf die Erledigung der Beschwerde erübrigt sich eine Entscheidung über den als Antrag gemäß § 30 Abs. 2 zweiter Satz VwGG anzusehenden Antrag der belangten Behörde vom 18. Juli 2001.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 23. Oktober 2001
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2001:2000110219.X00Im RIS seit
18.02.2002