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L6 Land- und ForstwirtschaftNorm
B-VG Art140 Abs1 / PräjudizialitätLeitsatz
Verfassungswidrigkeit der die Genehmigungspflicht des Eigentumserwerbs durch Ausländer vorsehenden Bestimmung des Wr AusländergrunderwerbsG; keine Entscheidung über "civil rights" durch ein unabhängiges TribunalSpruch
Die Wortfolge "des Eigentums (Miteigentums)," in §1 Abs1 des Gesetzes betreffend den Grunderwerb durch Ausländer in Wien (Ausländergrunderwerbsgesetz), LGBl. für Wien Nr. 33/1967, war verfassungswidrig.
Der Landeshauptmann von Wien ist zur unverzüglichen Kundmachung dieses Ausspruches im Landesgesetzblatt für Wien verpflichtet.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1.1.1. Mit Antrag vom 20. Februar 1998 stellte der Verwaltungsgerichtshof zu seiner Zl. A16/98 aus Anlaß eines bei ihm zu Zl. 97/02/0014 anhängigen Beschwerdeverfahrens gemäß Art140 Abs1 B-VG an den Verfassungsgerichtshof den Antrag, in §1 Abs1 des Gesetzes betreffend den Grunderwerb durch Ausländer in Wien (Ausländergrunderwerbsgesetz), LGBl. für Wien Nr. 33/1967 (im folgenden: GVG), die Worte "des Eigentums (Miteigentums)," als verfassungswidrig aufzuheben.
1.1.2. Bei der bei ihm anhängigen Beschwerde gegen einen Bescheid der Wiener Landesregierung sei - so das Antragsvorbringen des Verwaltungsgerichtshofes - der Erwerb des Eigentums an 19/844 Anteilen an einer Liegenschaft in Wien aufgrund eines Kaufvertrages vom November 1995 durch die Beschwerdeführerin, eine bulgarische Staatsangehörige, unter Berufung auf §4 GVG nicht genehmigt worden. Aus der Begründung des Bescheides in Verbindung mit der Aktenlage ergebe sich, daß die Beschwerdeführerin mit dem erwähnten Kaufvertrag Wohnungseigentum erwerben wolle. Der Verwaltungsgerichtshof gehe davon aus, daß die oben umschriebenen Worte in §1 Abs1 GVG bei Fällung seines Erkenntnisses über die von der Beschwerdeführerin gemäß Art131 B-VG erhobene Beschwerde anzuwenden und somit in dieser Beschwerdesache im Sinne des Art140 Abs1 i.V.m. Art89 Abs2 und Art135 Abs4 B-VG präjudiziell seien.
1.1.3. §1 Abs1 (die angefochtene Wortfolge ist hervorgehoben) und §4 GVG 1967 lauten:
"§1. (1) Unter Lebenden bedürfen der Erwerb des Eigentums (Miteigentums), eines Baurechtes, des Rechtes der persönlichen Dienstbarkeit an bebauten oder unbebauten Grundstücken jeder Art durch Ausländer oder eine in die öffentlichen Bücher einzutragende Bestandgabe solcher Grundstücke an Ausländer zu ihrer Gültigkeit der behördlichen Genehmigung.
...
§4. Eine nach diesem Gesetz erforderliche Genehmigung erteilt die Landesregierung nach Anhörung der zuständigen gesetzlichen Interessenvertretung (Kammer der gewerblichen Wirtschaft, Kammer für Arbeiter und Angestellte, Landwirtschaftskammer). Die Genehmigung ist zu erteilen, wenn am Zustandekommen des Rechtsgeschäftes ein volkswirtschaftliches oder soziales Interesse besteht, oder wenn nachgewiesen wird, daß das Grundstück, auf welches sich das Rechtsgeschäft bezieht, ausschließlich zur besseren Nutzung eines anderen Grundstückes dienen soll und im Vergleich zu diesem nur von geringem Ausmaß ist. Andernfalls oder wenn andere öffentliche Interessen entgegenstehen, insbesondere solche militärischer oder sicherheitspolizeilicher Natur, ist die Genehmigung zu versagen."
1.1.4. In der Sache hegt der Verwaltungsgerichtshof folgende Bedenken:
Ein Verfahren zur behördlichen Genehmigung des Eigentumserwerbs habe zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen (den sogenannten Kernbereich der "civil rights") im Sinne des Art6 EMRK zum Gegenstand; es bestehe daher nach Art6 EMRK ein verfassungsrechtlicher Anspruch auf ein mit bestimmten Garantien ausgestattetes Verfahren vor einem unabhängigen "Tribunal" (Hinweis auf VfSlg. 11211/1987). Dieses habe in der Sache selbst zu entscheiden; die nachprüfende Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts reiche nicht aus (Hinweis auf VfSlg. 12774/1991). Daß die Wiener Landesregierung, die gemäß §4 GVG in einziger (und letzter) Instanz u.a. über den Erwerb des Eigentums (Miteigentums) im Sinne des §1 Abs1 GVG zu entscheiden habe, kein Tribunal im Sinne des Art6 Abs1 EMRK darstelle, bedürfe keiner näheren Ausführung (abermaliger Hinweis auf VfSlg. 12774/1991).
1.2. Mit weiterem Antrag vom 27. März 1998 stellte der Verwaltungsgerichtshof im Hinblick darauf, daß zwischenzeitlich das neue Wiener Ausländergrunderwerbsgesetz, LGBl. für Wien 11/1998, in Kraft getreten und gemäß dessen §7 das GVG 1967 mit dem der Kundmachung folgenden Tag außer Kraft getreten sei, den Antrag, auszusprechen, daß die bekämpfte Wortfolge verfassungswidrig war.
2. Die Wiener Landesregierung erstattete aufgrund ihres Beschlusses vom 27. April 1998 eine umfangreiche Äußerung, in welcher sie dem Antrag des Verwaltungsgerichtshofes in der Sache entgegentritt und abschließend beantragt, der Verfassungsgerichtshof wolle aussprechen, daß die bekämpften Worte nicht verfassungswidrig waren; in dieser Äußerung wird vorgetragen:
"3.2. Nach dem Erkenntnis VfSlg. 11500 kann daher einerseits zwischen dem Kernbereich von 'civil rights' unterschieden werden, zu dem jene Angelegenheiten zählen, die im wesentlichen traditionellerweise zu den bürgerlichen Rechtssachen (Angelegenheiten der Bürger unter sich, vgl. §1 Jurisdiktionsnorm) gerechnet werden und damit in die Zuständigkeit der Gerichte fallen; bei diesen Angelegenheiten muß ein Tribunal in der Sache selbst entscheiden und genügt die nachprüfende Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts nicht. Darüber hinaus gibt es andererseits einen weiteren Begriff der 'civil rights', der sich aus dem weiten Verständnis des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte ableiten läßt (Angelegenheiten, die nur 'Auswirkungen' auf zivile Rechte haben können, wie z.B. die Erteilung einer Baubewilligung oder einer Konzession für eine Erwerbstätigkeit). In diesem Bereich genügt die nachprüfende Kontrolle durch den Verwaltungsgerichtshof.
3.3.1. Es ist daher der Frage nachzugehen, ob die Genehmigung des Grunderwerbes durch Ausländer unter den Kernbereich der 'civil rights' fällt. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes kann dies nicht ohne weiteres aus dem Erkenntnis VfSlg. 11211 abgeleitet werden. Dieses betrifft nämlich nicht einen Grunderwerb durch Ausländer. Vor allem aber ist das Erkenntnis vor dem Erkenntnis VfSlg. 11500 ergangen. Die Unterscheidung zwischen dem Kernbereich und anderen Bereichen von 'civil rights' kann daher darin noch nicht zum Tragen kommen.
3.3.2. Wendet man hingegen die Grundsätze, die der Verfassungsgerichtshof im Erkenntnis VfSlg. 11500 zum Ausdruck gebracht hat, auf den Grunderwerb durch Ausländer an, führt dies zum Ergebnis, daß diese Angelegenheiten nicht in den Kernbereich fallen können.
Bereits im Erkenntnis VfSlg. 2658 hat der Verfassungsgerichtshof ausgesprochen, daß nach der Österreichischen Bundesverfassung niemals die gesamte Vollziehung einer Materie in Landesangelegenheiten an die Gerichte übertragen werden kann, zumal in der Vollziehung des Landes immer die Landesregierung oberste Vollzugsbehörde sein muß und von diesem Grundsatz nur in Ausnahmefällen abgegangen werden darf. Eine Angelegenheit, deren Vollzug überhaupt nur durch die Gerichte möglich ist, kann von vornherein nicht unter Art15 B-VG fallen.
Diese Gedanken hat der Verfassungsgerichtshof im Erkenntnis VfSlg. 11500 in bezug auf die Behörden gemäß Art133 Z4 B-VG weitergeführt und ausgesprochen, daß von der Möglichkeit, solche Verwaltungsbehörden einzurichten, die auch Tribunale im Sinne des Art6 EMRK sind, nicht in einem Maße Gebrauch gemacht werden darf, das die allgemeine Leitungsbefugnis der obersten Organe und die umfassende Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes zur Überprüfung des Verwaltungshandels in Frage stellen würde.
Beim Ausländergrunderwerb handelt es sich um eine politisch besonders sensible Materie, bei der die Leitungsbefugnis der obersten Verwaltungsorgane und vor allem auch die damit verbundene Möglichkeit der parlamentarischen Kontrolle dieser Verwaltungsorgane als Ausfluß des demokratischen Prinzips nicht in Frage gestellt werden dürfen. Daß es sich dabei auch um eine Materie von besonderem Gewicht handelt, die somit nicht zur Gänze der Landesregierung entzogen sein kann, belegt auch der Umstand, daß allein in Wien im Durchschnitt 1000 Verfahren pro Jahr zu führen sind (1996: 1080, 1997: 982).
3.3.3. Die bisherigen Ausführungen werden durch die Entstehungsgeschichte der gesetzlichen Regelungen über den Ausländergrunderwerb erhärtet. Mit Erkenntnis VfSlg. 2658 hat der Verfassungsgerichtshof gemäß Art138 Abs2 B-VG ausgesprochen, daß die Regelung des Verkehrs mit land- und forstwirtschaftlichen Grundstücken (Grundverkehrsrecht) gemäß Art15 Abs1 B-VG in Gesetzgebung und Vollziehung den Ländern zusteht. Danach war es weder für die Bundesregierung noch für die Landesgesetzgeber fraglich, daß der Landesgesetzgeber auch den Ausländergrunderwerb einer Kontrolle unterwerfen konnte (vgl. Pietsch, Grundverkehrsrecht, S. 38 f und 884 BlgNR XI.GP, 2). Zum Zeitpunkt der Ratifikation der EMRK (3. September 1958) sind daher die diesen Staatsvertrag abschließenden Organe davon ausgegangen, daß der Ausländergrundverkehr nicht den 'civil rights' im Sinne des Art6 EMRK unterliegt. Daß der damaligen Auffassung der maßgebenden Organe beim Vertragsabschluß (im Hinblick auf die Möglichkeit von Vorbehalten) entscheidende Bedeutung zukommt, hat der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis VfSlg. 11500 besonders hervorgehoben. Die dargelegte Rechtsmeinung galt auch zum Zeitpunkt der Erhebung der EMRK in den Verfassungsrang im Jahre 1964, da der Verfassungsgerichtshof erst im Jahre 1967 ausgesprochen hat, daß der Ausländergrundverkehr nicht den Ländern kompetenzmäßig zufällt (VfSlg. 5521 und 5534).
Auf Grund der zuletzt zitierten Erkenntnisse hat der Bundesverfassungsgesetzgeber Art10 Abs1 Z6 B-VG dahingehend geändert, daß der Ausländergrundverkehr ausdrücklich aus dem Zivilrechtswesen herausgenommen wurde. Der Bundesverfassungsgesetzgeber ist dabei ohne Zweifel von den damals bestehenden Landesgesetzen ausgegangen, zu welchen auch das nun angefochtene Wiener Ausländergrunderwerbsgesetz gezählt hat. In den Materialien kommt nämlich eindeutig zum Ausdruck, daß diese Gesetze in der neuen verfassungsgesetzlichen Rechtslage eine Deckung finden sollten (884 BlgNR XI.GP).
Für die nun gegenständliche Problematik ist vor allem von Bedeutung, daß somit auch schon damals die Landesregierung für die Entscheidung zuständig war. Darüber hinaus darf nicht übersehen werden, daß im Wortlaut der Bundesverfassung (Art10 Abs1 Z6 B-VG) ausdrücklich von 'verwaltungsbehördlichen Beschränkungen' die Rede ist und dabei mit Sicherheit nicht an einen völligen Ausschluß der Landesregierung gedacht war.
3.3.4. Aufschluß über die Frage, welche Angelegenheiten zum Kernbereich der 'civil rights' zählen, bietet ferner das nach dem Erkenntnis VfSlg. 11500 ergangene Erkenntnis VfSlg. 12933. Darin kommt zum Ausdruck, daß Eingriffe in zivilrechtliche Beziehungen, die primär auf die Verhinderung oder Kontrolle eines durch die zivilrechtliche Beziehung vorbereiteten, bestimmten oder näher geregelten Verhaltens gerichtete Maßnahmen öffentlichen Interesses darstellen, nicht unter den Kernbereich fallen. Als diesbezügliche Beispiele sind ausdrücklich das Außenhandels- oder Devisenrecht genannt.
Es ist nicht zu bestreiten, daß auch an Regelungen des Zivilrechts typischerweise ein öffentliches Interesse besteht. Nach dem Erkenntnis VfSlg. 12933 kommt es aber darauf an, welcher Aspekt bei der konkreten Entscheidung im Vordergrund steht. Im Vordergrund steht beim Ausländergrunderwerb eindeutig (wie auch beim Außenhandels- oder Devisenrecht) das öffentliche Interesse an einer Regelung dieses Grundverkehrs.
3.3.5. Im Gefolge des Erkenntnisses VfSlg. 11500 gelangt man daher sowohl auf Grund der seither ergangenen Judikatur als auch unter Berücksichtigung der Entstehungsgeschichte der rechtlichen Regelungen des Ausländergrundverkehrs, insbesondere auch auf Verfassungsebene, zu dem Schluß, daß der Ausländergrundverkehr nicht in den Kernbereich der 'civil rights' fällt.
4.1. Es ist aber auch in Frage zu stellen, ob die These aufrecht zu erhalten ist, daß im Kernbereich von 'civil rights' die nachprüfende Kontrolle durch den Verwaltungsgerichtshof nicht ausreicht. Im Gefolge des Erkenntnisses VfSlg. 11500 hat nämlich der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte eine Judikatur entwickelt, bei der er zwar nicht von seinem weiten Begriffsverständnis der 'civil rights' abgewichen ist, jedoch die nachprüfende Kontrolle durch den Verwaltungsgerichtshof in allen diesen Angelegenheiten (also ohne Unterscheidung von Kernbereichen und anderen Bereichen) für ausreichend erklärt hat (U EGMR 21. September 1993, Zumtobel v Österreich, ÖJZ 1993, 782;
U EGMR 25. November 1994, Ortenberg v Österreich, ÖJZ 1995, 225;
vgl. auch EGMR 22. November 1995, Bryan v Großbritannien, ecolex 1996, 719; E EKMR 31. März 1993, Nr. 19365/92 v Österreich, ÖJZ 1993, 743; E EKMR 13. Oktober 1993, Nr. 16789/90 v Österreich, ÖJZ 1994, 520; E EKMR 7. April 1994 Nr. 16036/90 v Österreich, ÖJZ 1995, 114).
Der Verfassungsgerichtshof hat zwar in seinem Erkenntnis VfSlg. 11591 (in Abkehr zu seiner bisherigen Rechtsprechung, vgl. VfSlg. 5100) ausgesprochen, daß die nachprüfende Kontrolle des Verwaltungsgerichtshofes für Entscheidungen über Angelegenheiten im Kernbereich der 'civil rights' nicht ausreicht. In diesem Erkenntnis wird außerdem das Strafrecht mit dem Kernbereich der 'civil rights' gleichgestellt.
Die Judikatur des Verfassungsgerichtshofes, die damit vor der obgenannten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte grundgelegt wurde, mißt aber somit dem Art6 EMRK eine andere Bedeutung bei als der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte. Dieser erklärt nämlich einerseits im Bereich von Strafsachen zum Unterschied von 'civil rights' die nachprüfende Kontrolle des Verfassungsgerichtshofes nicht für ausreichend (vgl. U EGMR 23. Oktober 1995, Gradinger v Österreich, ÖJZ 1995, 954), und andererseits unterscheidet er aber bei 'civil rights' nicht zwischen einem Kernbereich und anderen Bereichen, sondern läßt dort einheitlich die nachprüfende Kontrolle des Verwaltungsgerichtshofes genügen.
Im Erkenntnis VfSlg. 11500 wird ausgeführt, daß sich der Verfassungsgerichtshof grundsätzlich gehalten sieht, der EMRK als Verfassungsnorm jenen Inhalt zu unterstellen, der ihr auch als internationalem Instrument zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten zukommt. Er hat daher bei ihrer Auslegung insbesondere der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte als dem zur Auslegung der EMRK zunächst berufenen Organ besonderes Gewicht einzuräumen.
In Verfolgung dieser Grundsätze kann die Judikatur, die im 'Kernbereich' von 'civil rights' die nachprüfende Kontrolle des Verwaltungsgerichtshofes nicht für ausreichend erachtet, nicht aufrecht erhalten werden. Dies vorliegendenfalls auch unter besonderer Berücksichtigung des Umstandes, daß - wie oben dargestellt - die österreichischen Organe beim Beitritt zur EMRK bezüglich des Ausländergrunderwerbs vom Ausreichen der nachprüfenden Kontrolle durch den Verfassungsgerichtshof ausgegangen sind.
4.2. Es tritt hinzu, daß für die Unterscheidung zwischen Kernbereich und sonstigen 'civil rights', die überhaupt nur auf der Judikatur des EGMR aufbaut, keinerlei sachliche Rechtfertigung besteht. Wie nämlich der Verfassungsgerichtshof selbst festgestellt hat, ist der Verwaltungsgerichtshof nur an unbedenkliche Sachverhaltsfeststellungen der Verwaltungsbehörde gebunden und kann insbesondere auch deren Beweiswürdigung kontrollieren (vgl. VfSlg. 11500). Aus der Sicht des Rechtsschutzsuchenden reicht es daher im Sinne der Judikatur des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte durchaus aus, die nachprüfende Kontrolle durch den Verwaltungsgerichtshof auch im 'Kernbereich' von 'civil rights' als hinreichend für die Verfassungskonformität zu erachten. Nebenbei sei bemerkt, daß der Kernbereich überhaupt in sich sachlich schlüssig sein müßte. Dies würde aber vor allem bedingen, daß alle Enteignungen als wohl schwerwiegendste Eingriffe in zivile Rechte vor Tribunale gehörten. Gleiches würde für Grundverkehrsregelungen z.B. nach dem Stadterneuerungsgesetz gelten.
4.3. Selbst wenn man daher zu dem Schluß gelangen sollte, daß der Ausländergrundverkehr eine Angelegenheit des Kernbereiches der 'civil rights' ist, würde eine nachprüfende Kontrolle durch den Verwaltungsgerichtshof im Lichte des Art6 EMRK genügen."
II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:
A. Zur Zulässigkeit:
Wenn auch die Wiener Landesregierung die Präjudizialität der bekämpften Worte nicht bestreitet, fällt doch auf, daß einerseits nach dem Antragsvorbringen des Verwaltungsgerichtshofes Gegenstand der bei ihm anhängigen Beschwerde die Versagung der Genehmigung eines Rechtserwerbes an bestimmten Anteilen an einem Grundstück darstellt, andererseits aber eine Bekämpfung der Wortfolge "des Eigentums (Miteigentums)," erfolgt, also nicht eine Beschränkung auf den Klammerausdruck "(Miteigentums)", obwohl also offenkundig nur die Übertragung von Miteigentumsanteilen strittig ist.
Dennoch ist im Sinne der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes die Annahme des Verwaltungsgerichtshofes denkmöglich, er habe des sachlichen Zusammenhanges wegen in der bei ihm anhängigen Rechtssache die weitergehende Wortfolge anzuwenden. Denn bei der Frage des Umfanges der Präjudizialität ist darauf abzustellen, wie die verbleibende Regelung zu deuten wäre. Würde nur der Klammerausdruck beseitigt, könnte unter dem verbleibenden Begriff "Eigentum" ohne weiteres auch das Miteigentum als erfaßt angesehen werden. Zwar spräche diesfalls ein Vergleich der ursprünglichen mit der dann verbleibenden Textformulierung gegen eine solche Auslegung, der Rechtsklarheit und der Rechtssicherheit wäre dies aber abträglich.
Der Antrag des Verwaltungsgerichtshofes erweist sich deshalb insgesamt als zulässig.
B. In der Sache:
1. Der Verfassungsgerichtshof hat im Anschluß an und unter ausdrücklicher Berufung auf die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte im Fall Ringeisen (EGMR 16.7.1971, Serie A, Nr. 13) im Erkenntnis VfSlg. 7068/1973 (S 383 der Amtlichen Sammlung) klargestellt, er gehe im Hinblick auf das zitierte Urteil des EGMR davon aus, daß die belangte Behörde (betraf das Kärntner GVG 1963) über einen zivilrechtlichen Anspruch bzw. über eine zivilrechtliche Verpflichtung im Sinne des Art6 EMRK entschieden hat. An dieser Rechtsprechung hielt der Verfassungsgerichtshof seither in einer Reihe von Entscheidungen fest; verwiesen sei insbesondere etwa auf die Erkenntnisse VfSlg. 7099/1973, 7630/1975, 8309/1978, 8317/1978, 8501/1979, insbesondere aber auch VfSlg. 10639/1985 und 11211/1987.
Der Verfassungsgerichtshof hat diese Rechtsprechung auch im Anschluß an das Erkenntnis VfSlg. 11500/1987, an welches die Erwägungen in der Äußerung der Wiener Landesregierung anknüpfen, fortgesetzt, und zwar bis in die jüngste Zeit (vgl. zB VfSlg. 11786/1988, 11957/1989, 12074/1989, 12126/1989, 12669/1991, 13211/1992, 13247/1992, 13459/1993, 13709/1994, 13857/1994, 14024/1995, 14109/1995 u.a.).
2. Der Verfassungsgerichtshof hält an dieser Rechtsprechung fest. Die dagegen in der Äußerung der Wiener Landesregierung vorgebrachten Bedenken können nicht überzeugen.
So ergibt sich insbesondere auch aus den parlamentarischen Materialien zur nachmaligen B-VG-Novellierung durch das BVG BGBl. 27/1969 im Einklang mit der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes, die Anlaß für diese Kompetenzänderung war, daß die Vorschriften über den Erwerb von Liegenschaften durch Ausländer als Regelungen auf dem Gebiet des Zivilrechtswesens anzusehen sind, aber nach dem Willen des Bundesverfassungsgesetzgebers mit dem Wirksamwerden der besagten Novelle von den Ländern zu erlassen und zu vollziehen sind. Es erfuhren somit die diesbezüglich bereits bestehenden Landesgesetze eine kompetenzrechtliche Deckung. Entgegen dem Vorbringen der Wiener Landesregierung wird in den Erläuternden Bemerkungen ausdrücklich klargestellt, die vorgeschlagene Änderung habe "ausschließlich eine kompetenzrechtliche Regelung zum Inhalt, durch die verfassungsgesetzlich gewährleistete Rechte des einzelnen Staatsbürgers weder unmittelbar noch mittelbar berührt werden" (884 BlgNR, 11. GP, 4, Hervorhebung im Original).
Ein Verfahren zur behördlichen Genehmigung des Eigentumserwerbes hat "civil rights" i.S. des Art6 EMRK zum Gegenstand. Es besteht daher nach Art6 EMRK ein verfassungsrechtlicher Anspruch auf ein mit bestimmten Garantien ausgestattetes Verfahren vor einem unabhängigen "Tribunal"; die nachprüfende Kontrolle von Verwaltungs- und Verfassungsgerichtshof hinsichtlich von Entscheidungen eines Organes, das nicht den Anforderungen eines solchen "Tribunals" entspricht, reicht nicht hin.
3. Daß die Wiener Landesregierung als zuständige Behörde zur Entscheidung über Ausländergrunderwerbe den Garantien des Art6 EMRK entspräche, wird in der Äußerung der Wiener Landesregierung nicht behauptet.
4. Das Antragsvorbringen des Verwaltungsgerichtshofes erweist sich als begründet; die bekämpfte, den Ausländergrunderwerb betreffende Regelung hat sich im Hinblick darauf, daß sie nicht von einem den Garantien des Art6 Abs1 EMRK entsprechenden Staatsorgan, also nicht von einem "Tribunal" zu vollziehen ist, als verfassungswidrig erwiesen. Im Hinblick darauf, daß die bekämpfte Bestimmung wie das Wiener Ausländergrunderwerbsgesetz 1967 insgesamt zwischenzeitlich außer Kraft getreten ist, war gemäß Art140 Abs4 B-VG auszusprechen, daß sie verfassungswidrig war.
5. Die Verpflichtung des Landeshauptmannes zur Kundmachung dieses Ausspruches erfließt aus Art140 Abs5, zweiter Satz,
B-VG.
III. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4, erster Satz, VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.
Schlagworte
VfGH / Präjudizialität, VfGH / Prüfungsumfang, Ausländergrunderwerb, civil rights, TribunalEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1998:G48.1998Dokumentnummer
JFT_10018797_98G00048_00