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E000 EU- Recht allgemein;Norm
31985R3820 Harmonisierung best Sozialvorschriften Strassenverkehr Art7 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldner und die Hofräte Dr. Graf und Dr. Schick als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Runge, über die Beschwerde des Bundesministers für Wirtschaft und Arbeit gegen den Bescheid des unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Oberösterreich vom 5. September 2000, Zl. VwSen-280485/8/Kl/Rd, betreffend Übertretungen des Arbeitszeitgesetzes (mitbeteiligte Partei: P in L, vertreten durch Dr. Johannes Hintermayr und andere Rechtsanwälte in 4020 Linz, Marienstraße 4), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
Mit Schreiben des Bürgermeisters der Landeshauptstadt Linz vom 26. April 1999 wurde der Mitbeteiligte zur Rechtfertigung aufgefordert. Ihm wurde zur Last gelegt, er habe es als handelsrechtlicher Geschäftsführer der R. GmbH zu verantworten, dass dem als Lenker eingesetzten Arbeitnehmer S. im Rahmen der Güterbeförderung im internationalen Straßenverkehr mit Fahrzeugen mit einem Gesamtgewicht über 3,5 t die tägliche Mindestruhezeit (am 15. Mai 1998, ab 3.35 Uhr, sei in den folgenden 24 Stunden keine Ruhezeit von mindestens acht Stunden eingelegt worden) und die Lenkpausen (am 18. Mai 1998 sei in der Zeit von 5.30 Uhr bis 11.10 Uhr keine Fahrtunterbrechung von mindestens 45 Minuten eingelegt worden) nicht gewährt worden seien. Er habe damit gegen Art. 8 Abs. 1 und 6 der Verordnung (EWG) Nr. 3820/85 in Verbindung mit § 28 Abs. 1a Z. 2 Arbeitszeitgesetz und § 15a Abs. 1 und 2 Arbeitszeitgesetz in Verbindung mit dem Kollektivvertrag für das Güterbeförderungsgewerbe Österreich sowie gegen Art. 7 Abs. 1 und 2 der zitierten Verordnung in Verbindung mit § 28 Abs. 1a Z. 6 Arbeitszeitgesetz verstoßen.
In der dazu erstatteten Stellungnahme bestritt der Mitbeteiligte, dass sich aus den genannten Rechtsvorschriften Verhaltenspflichten ergäben. Außerdem bestreite er, dass ihn Verschulden an den Übertretungen treffe, weil dem Prokuristen K. die Verantwortung für die operativen Tätigkeiten der Speditions- und Transportabwicklung für das Fahrpersonal übertragen worden seien. Der Prokurist K. habe der Bestellung zum verantwortlichen Beauftragten am 15. Februar 1997 zugestimmt. Nur der verantwortliche Beauftragte hätte daher zur Verantwortung gezogen werden können, allerdings sei § 32 Abs. 3 VStG im vorliegenden Fall noch nicht anwendbar, weil diese Bestimmung erst mit 1. Jänner 1999 in Kraft getreten sei, die behaupteten Verwaltungsstraftaten aber bereits im Mai 1998 begangen worden seien.
Mit Straferkenntnis des Bürgermeisters der Landeshauptstadt Linz vom 12. August 1999 wurde der Mitbeteiligte der in der Aufforderung zur Rechtfertigung umschriebenen Straftaten schuldig erkannt. Über ihn wurden gemäß § 28 Abs. 1a Z. 2 und 6 Arbeitszeitgesetz Geldstrafen (Ersatzfreiheitsstrafen) verhängt.
In der dagegen erhobenen Berufung rügte der Mitbeteiligte den Spruch des Straferkenntnisses als unvollständig, weil das Straferkenntnis "lediglich den Verstoß gegen die tägliche Mindestruhezeit bzw. der Lenkpause enthält, ohne den konkret tatbestandsverwirklichenden Sachverhalt anzugeben". Das Verwaltungsstrafverfahren sei daher wegen der bereits eingetretenen Verfolgungsverjährung einzustellen. Im Übrigen werde bestritten, dass den Mitbeteiligten Verschulden an den Verwaltungsübertretungen treffe. Ein Verstoß gegen die in Art. 15 der zitierten Verordnung statuierten Unternehmerpflichten sei im Arbeitszeitgesetz nicht mit Strafe bedroht.
Mit dem angefochtenen Bescheid hob die belangte Behörde das erstinstanzliche Straferkenntnis auf und stellte das Verwaltungsstrafverfahren ein. In der Begründung dieses Bescheides führte die belangte Behörde aus, die Tatumschreibung in der Aufforderung zur Rechtfertigung und im erstinstanzlichen Straferkenntnis entspreche nicht den Konkretisierungsanforderungen gemäß § 44a Z. 1 VStG. Es reiche nicht aus, den bloßen Gesetzeswortlaut unter Anführung von Tatzeit und Tatort wiederzugeben, sondern es müsse die Tat entsprechend den Gegebenheiten des jeweiligen Falles individualisiert werden, wobei der Umfang der notwendigen Konkretisierung vom Tatbild abhänge. Um eine Zuordnung der im erstinstanzlichen Straferkenntnis vorgeworfenen Verwaltungsübertretungen vornehmen zu können, sei es erforderlich, dass aus dem Spruch hervorgehe, welches Kraftfahrzeug gelenkt worden sei, dass das Kraftfahrzeug zur gewerblichen Güterbeförderung gedient habe und das zulässige Gesamtgewicht einschließlich Anhänger oder Sattelanhänger 3,5 t übersteige. Diese Angaben fehlten im angefochtenen Straferkenntnis. Es gehe aus dem Akt nicht hervor, dass die zurückgelegten "Wegstrecken grenzüberschreitend stattgefunden" hätten. Schon aus diesem Grunde sei das angefochtene Straferkenntnis aufzuheben und das Verwaltungsstrafverfahren wegen eingetretener Verfolgungsverjährung einzustellen. Außerdem bestehe zufolge der Betretung des Lenkers am Grenzübergang Wullowitz Grund zur Annahme, dass die Güterbeförderung von Linz grenzüberschreitend nach Tschechien durchgeführt worden sei. Diesfalls sei jedoch die Verordnung (EWG) Nr. 3820/85 nicht anzuwenden, weil diese nach ihrem Art. 2 Abs. 1 nur für innergemeinschaftliche Beförderungen im Straßenverkehr gelte, während gemäß Art. 2 Abs. 2 der Verordnung unter den dort genannten Voraussetzungen für Beförderungen im grenzüberschreitenden Straßenverkehr das Europäische Abkommen über die Arbeit des im internationalen Straßenverkehr beschäftigten Fahrpersonals (AETR) anzuwenden sei. Auch deshalb sei eine Bestrafung nach Art. 8 der genannten Verordnung in Verbindung mit dem Arbeitszeitgesetz nicht zu Recht erfolgt.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die gemäß § 13 Arbeitsinspektionsgesetz 1993 erhobene Beschwerde des Bundesministers für Wirtschaft und Arbeit.
Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und beantragt in ihrer Gegenschrift - ebenso wie der Mitbeteiligte in der von ihm eingebrachten Gegenschrift - die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 31 Abs. 1 VStG ist die Verfolgung einer Person unzulässig, wenn gegen sie binnen der Verjährungsfrist von der Behörde keine Verfolgungshandlung (§ 32 Abs. 2 und 3) vorgenommen worden ist.
Gemäß § 32 Abs. 2 VStG ist Verfolgungshandlung jede von einer Behörde gegen eine bestimmte Person als Beschuldigten gerichtete Amtshandlung (Ladung, Vorführungsbefehl, Vernehmung, Ersuchen um Vernehmung, Auftrag zur Ausforschung, Strafverfügung u.dgl.), und zwar auch dann, wenn die Behörde zu dieser Amtshandlung nicht zuständig war, die Amtshandlung ihr Ziel nicht erreicht oder der Beschuldigte davon keine Kenntnis erlangt hat.
Für den Beschwerdefall sind weiters folgende Bestimmungen des § 28 des Arbeitszeitgesetzes (idF BGBl. Nr. 446/1994) von wesentlicher Bedeutung:
"(3) Kommt im internationalen Straßenverkehr als verletzte Verwaltungsvorschrift je nach Fahrtstrecke entweder eine Bestimmung dieses Bundesgesetzes oder die entsprechende Vorschrift der Verordnung (EWG) Nr. 3820/85 in Frage, genügt abweichend von § 44a Z. 2 des Verwaltungsstrafgesetzes 1991 (VStG), BGBl. Nr. 52, als Angabe der verletzten Verwaltungsvorschrift die Angabe des entsprechenden Gebotes oder Verbotes der Verordnung (EWG) Nr. 3820/85.
(4) Für Verstöße gegen die im Abs. 1a und 1b angeführten Rechtsvorschriften im internationalen Straßenverkehr beträgt die Verjährungsfrist abweichend von § 31 Abs. 2 VStG ein Jahr."
Entscheidend für den Ausgang des Beschwerdeverfahrens ist die Lösung der Frage, ob gegen den Mitbeteiligten innerhalb eines Jahres ab Begehung der Taten eine Verfolgungshandlung im Sinne des § 32 Abs. 2 VStG vorgenommen wurde. Als Verfolgungshandlung kommt im Beschwerdefall die Aufforderung zur Rechtfertigung vom 26. April 1999 in Betracht. Eine Verfolgungshandlung muss eine bestimmte Verwaltungsübertretung zum Gegenstand haben. Für das Ausmaß des diesbezüglichen Konkretisierungsgebotes ist ebenso wie bei der Beurteilung, wie konkret die als erwiesen angenommene Tat gemäß § 44a Z. 1 VStG im Spruch des Straferkenntnisses zu umschreiben ist, die Rechtsschutzüberlegung maßgebend, dass der Beschuldigte in die Lage versetzt werden muss, auf den konkreten Tatvorwurf bezogenes Vorbringen zu erstatten und entsprechende Beweise anzubieten, um den Tatvorwurf zu widerlegen. Die konkrete Umschreibung der als erwiesen angenommenen Tat im Spruch soll ihn davor schützen, wegen desselben Verhaltens nochmals zur Verantwortung gezogen zu werden. Nach diesen Gesichtspunkten ist in jedem Fall zu beurteilen, ob die Identifizierung der Tat nach Ort und Zeit und den nach dem Tatbestand der übertretenen Rechtsvorschrift maßgebenden Umständen ausreicht (siehe dazu die bei Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze II2 (2000) unter E. Nr. 83 zu § 32 VStG zitierte hg. Rechtsprechung).
Unter Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte entspricht die Individualisierung der Tat in der Aufforderung zur Rechtfertigung vom 26. April 1999 dem Bestimmtheitsgebot im zuvor beschriebenen Sinn. Auf Grund der namentlichen Nennung des bei der vom Mitbeteiligten vertretenen Gesellschaft beschäftigten Lenkers, der Angabe "im Rahmen der Güterbeförderung im internationalen Straßenverkehr mit Fahrzeugen mit einem Gesamtgewicht über 3,5 t" und der genauen Bezeichnung der Zeiten, in denen von diesem Lenker die Mindestruhezeit und die Lenkpause nicht eingehalten wurden, war der Mitbeteiligte in die Lage versetzt, Vorbringen zu seiner Verteidigung zu erstatten. Er lief auch nicht Gefahr, wegen dieser Taten neuerlich verfolgt und bestraft zu werden. Dem gegenüber war die konkrete Bezeichnung des verwendeten Kraftfahrzeuges zur Beschreibung der Tat nicht notwendig. Die in der Tatumschreibung enthaltene Angabe "im Rahmen der Güterbeförderung im internationalen Straßenverkehr mit Fahrzeugen mit einem Gesamtgewicht über 3,5 t" enthält sohin auch im Sinne des oben Gesagten eine ausreichende tatsächliche Individualisierung. Die Aufforderung zur Rechtfertigung vom 26. April 1999 stellt unter diesem Gesichtspunkt eine taugliche Verfolgungshandlung gemäß § 32 Abs. 2 VStG dar, die den Eintritt der Verjährung gemäß § 31 Abs. 1 leg. cit. ausschließt. Im Übrigen hätte selbst das gänzliche Fehlen der Angabe über das Fahrzeuggewicht der Aufforderung zur Rechtfertigung nicht ihre Eigenschaft als Verfolgungshandlung gemäß § 32 Abs. 2 VStG genommen. Dies gilt auch für das von der belangten Behörde vermisste Fehlen der Angaben, dass das verwendete Kraftfahrzeug zur gewerblichen Güterbeförderung gedient habe (siehe dazu das hg. Erkenntnis vom 20. Februar 2001, Zlen. 2000/11/0294 bis 0300, auf dessen Entscheidungsgründe gemäß § 43 Abs. 2 VwGG hingewiesen wird).
Die Aufforderung zur Rechtfertigung enthält bereits die Angabe, dass die dem Mitbeteiligten angelasteten Übertretungen bei der Beschäftigung eines Lenkers im internationalen Straßenverkehr begangen wurde. Dieser Umstand war zwar - wie oben dargelegt wurde - nicht für die Eignung dieser Aufforderung als Verfolgungshandlung maßgebend (siehe auch dazu das zuvor zitierte Erkenntnis vom 20. Februar 2001); dass die dem Mitbeteiligten angelasteten Übertretungen im "internationalen Straßenverkehr" - dafür ist erforderlich, dass zumindest eine Grenze überschritten wird (siehe dazu das hg. Erkenntnis vom 20. Februar 2001, Zlen. 2000/11/0292, 0293) - begangen wurden, ist jedoch wesentlich für die Anwendung des § 28 Abs. 3 und 4 Arbeitszeitgesetz. Nur wenn dies der Fall war, war die Behörde - im Rahmen der gemäß § 44a Z. 2 VStG im Spruch des Straferkenntnisses erforderlichen Bezeichnung der Verwaltungsvorschrift, die durch die Tat verletzt worden ist - im Sinne des § 28 Abs. 3 Arbeitszeitgesetz berechtigt, unabhängig von der tatsächlichen Fahrtstrecke als verletzte Verwaltungsvorschrift das entsprechende Gebot oder Verbot der Verordnung (EWG) Nr. 3820/85 anzuführen. Nur wenn die Verstöße im internationalen Straßenverkehr begangen wurden, war auch gemäß § 28 Abs. 4 Arbeitszeitgesetz die Verjährungsfrist von einem Jahr anzuwenden. Der Mitbeteiligte hat im Verwaltungsstrafverfahren nicht bestritten, dass die Übertretungen im internationalen Straßenverkehr begangen wurden. Wenn die belangte Behörde im Hinblick darauf, dass sich keine Unterlagen über die Fahrtstrecke im Akt befinden, Zweifel hatte, ob eine Grenze überschritten wurde, hätte sie im Rahmen der sie treffenden amtswegigen Ermittlungspflicht darüber Beweise aufnehmen müssen. Erst die auf Grund dieser Beweise zu treffenden Feststellungen hätten die belangte Behörde in die Lage versetzt zu beurteilen, ob die Voraussetzungen für die Anwendung des § 28 Abs. 4 Arbeitszeitgesetz erfüllt sind.
Die belangte Behörde meint abschließend, auf Grund der Betretung des Lenkers am Grenzübergang Wullowitz bestehe Grund zur Annahme, dass eine Güterbeförderung grenzüberschreitend nach Tschechien hätte durchgeführt werden sollen, auf solche Beförderungen sei aber die Verordnung (EWG) Nr. 3820/85 nicht anzuwenden, weil sie nach ihrem Art. 2 Abs. 1 nur für innergemeinschaftliche Beförderungen gelte. Die Bestrafung wegen Verstoßes gegen Bestimmungen der genannten Verordnung sei demnach rechtswidrig.
Dem ist der oben wiedergegebene Inhalt des § 28 Abs. 3 Arbeitszeitgesetz (in der Fassung der Novelle BGBl. Nr. 446/1994) entgegen zu halten. Danach genügt in jenen Fällen, in denen im internationalen Straßenverkehr als verletzte Verwaltungsvorschrift je nach Fahrtstrecke eine Bestimmung des Arbeitszeitgesetzes oder die entsprechende Vorschrift der Verordnung (EWG) Nr. 3820/85 in Frage kommt, als Angabe der verletzten Verwaltungsvorschrift die Angabe des entsprechenden Gebotes oder Verbotes der Verordnung. Damit sollen der Behörde Ermittlungen darüber erspart bleiben, welche konkrete Fahrtstrecke - nur durch EU-Länder oder nach Drittländern oder durch Drittländer - im Ausland gewählt wurde (siehe dazu die Erläuterungen zur Regierungsvorlage der genannten Novelle 1596 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des NR XVIII. GP, 13). Im Übrigen hätte die belangte Behörde auch dann, wenn sie der Ansicht gewesen sein sollte, dass durch die dem Mitbeteiligten zuzurechnende Tat eine andere Verwaltungsvorschrift verletzt wurde, als von der Erstbehörde angenommen wurde, die verletzte Verwaltungsvorschrift im Berufungsbescheid richtig anführen müssen (siehe dazu u.a. die bei Walter/Thienel, a.a.O. unter E. 113 zu § 32 VStG zitierte hg. Rechtsprechung). Für die Einstellung des Verwaltungsstrafverfahrens böte eine unrichtige Subsumierung des Sachverhaltes durch die Erstbehörde keinen Grund.
Aus den dargelegten Erwägungen war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Wien, am 23. Oktober 2001
Schlagworte
"Die als erwiesen angenommene Tat" Begriff Umfang der Konkretisierung (siehe auch Tatbild) Gemeinschaftsrecht Verordnung Strafverfahren EURallg5/2European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2001:2000110273.X00Im RIS seit
19.02.2002