TE Vwgh Erkenntnis 2001/10/24 98/20/0213

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Veröffentlicht am 24.10.2001
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1997 §7;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Strohmayer, Dr. Sulzbacher und Dr. Grünstäudl als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Weiss, über die Beschwerde der P in S, geboren am 29. September 1956, vertreten durch Dr. Josef Unterweger, Dr. Sepp Brugger, Rechtsanwälte in 1080 Wien, Buchfeldgasse 19a, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 4. März 1998, Zl. 202.005/0-III/07/98, betreffend §§ 7 und 8 Asylgesetz (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die 1956 geborene Beschwerdeführerin, eine moldawische Staatsangehörige jüdischen Glaubens, reiste am 4. Dezember 1997 in das Bundesgebiet ein und beantragte am 23. Dezember 1997 Asyl. In ihrem ausführlichen schriftlichen Asylantrag und im Zuge ihrer ganztägigen Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 19. Jänner 1998 beschrieb sie antisemitische Nachstellungen, denen sie in Moldawien - zunächst in einem Dorf und ab 1967 in Kischinew - ihr ganzes Leben lang ausgesetzt gewesen sei. Im März 1996 sei sie von einem der Nachbarn, von denen sie auf Grund ihres jüdischen Glaubensbekenntnisses oft beschimpft und bedroht worden sei, so schwer misshandelt worden, dass die dabei entstandenen Verletzungen eine dreiwöchige Spitalsbehandlung erfordert hätten. Kurz darauf sei die Eingangstüre ihrer Wohnung in Brand gesetzt worden. Ihre Anzeigen wegen der zahlreichen Vorfälle habe die Polizei zwar entgegengenommen und der Nachbar, der sie im März 1996 so schwer misshandelt habe, habe ihr im Korridor auch einmal gesagt, dass er wegen der Anzeigen zur Polizei geladen worden sei. Er habe aber hinzugefügt, niemand werde der Beschwerdeführerin helfen können. Bei der Polizei sei ihr gesagt worden, es sei nicht möglich, "jedem Juden einen Bewacher zur Verfügung zu stellen", man könne "in diesen Fällen nichts unternehmen" und sie solle zusehen, dass sie die Probleme "selbst löse". Im Falle ihrer Rückkehr fürchte die Beschwerdeführerin, abermals auf Grund ihres jüdischen Glaubensbekenntnisses den Gewalttaten und Schikanen ausgesetzt zu sein.

In ihrer Berufung gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 27. Jänner 1998, mit dem ihr Asylantrag abgewiesen und ihre Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Moldawien für zulässig erklärt wurde, machte die Beschwerdeführerin u. a. geltend, von staatlichen Stellen sei trotz ihrer Eingaben nicht gegen die Verfolgungshandlungen eingeschritten und letztere seien nicht gerichtlich geahndet worden.

Die belangte Behörde wies die Berufung der Beschwerdeführerin gemäß § 7 AsylG ab und stellte gemäß § 8 AsylG fest, die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Beschwerdeführerin nach Moldawien sei zulässig.

Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Die belangte Behörde hat die sehr ausführlichen niederschriftlichen Angaben der Beschwerdeführerin als wirklichkeitsnah und glaubwürdig eingestuft, die dargelegten Geschehnisse zum entscheidungsrelevanten Sachverhalt erhoben und auch die Asylrelevanz der von der Beschwerdeführerin beschriebenen Verfolgungshandlungen (Bedrohung der körperlichen Unversehrtheit und des Lebens der Beschwerdeführerin, Körperverletzungen, Beleidigungen, Sachbeschädigungen) unter dem Gesichtspunkt der erforderlichen Eingriffsintensität - zu Recht - nicht in Frage gestellt. Da die Angriffe aber jeweils von Privatpersonen ausgegangen und die Anzeigen der Beschwerdeführerin von der Polizei entgegengenommen worden seien und "überdies" der Nachbar, der sie im März 1996 misshandelt hatte, auf Grund ihrer Anzeigen "zur Polizeistelle geladen" worden sei, vertrat die belangte Behörde die Ansicht, dass die Behörden im Heimatland der Beschwerdeführerin "tätig geworden" und die Verfolgungen dem Herkunftsstaat daher nicht zurechenbar seien. Es könne "von keinem Staat verlangt werden, dass er jeden seinen Bürger jederzeit umfassend schützt".

Dieser Beurteilung des Falles ist insofern nicht beizupflichten, als sich die von der Beschwerdeführerin beschriebenen staatlichen Reaktionen auf ihre wiederholten Anzeigen nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes nicht als Ausdruck der tatsächlichen Begrenztheit der Möglichkeiten staatlichen Schutzes deuten lassen. Sie sind vor allem auf Grund des Umstandes, dass der Vorfall von März 1996 bloß eine - vom Betroffenen in der von der Beschwerdeführerin beschriebenen Weise kommentierte - Vorladung des Täters zu einer Polizeistelle nach sich zog, und im Hinblick auf den Rat der Polizei, die Beschwerdeführerin solle die Probleme "selbst lösen", als Vorenthaltung des staatlichen Schutzes zu verstehen. Der Verwaltungsgerichtshof kann auch keinen Anhaltspunkt dafür finden, dass die geltend gemachte Gefährdung - wie die belangte Behörde in der Begründung ihres Ausspruches gemäß § 8 AsylG ausführt - nach dem Vorbringen der Beschwerdeführerin nicht im gesamten Gebiet ihres Heimatstaates bestünde. Der von der Beschwerdeführerin beschriebene Versuch, sich den schon damals massiven Bedrohungen durch Nachbarn Ende 1995 durch einen Wohnungswechsel zu entziehen, war ihren Ausführungen nach erfolglos, weil auch die neuen Nachbarn sich nicht anders verhielten. Wenn die Beschwerdeführerin schließlich in den letzten Monaten vor ihrer Ausreise nicht mehr das Opfer von Gewaltakten wurde, so soll dies seine Ursache darin gehabt haben, dass sie ihre Wohnung abermals aufgegeben hatte und sich abwechselnd bei verschiedenen Freundinnen und Verwandten aufhielt, wodurch sie während dieser Zeit oftmals ihren Aufenthaltsort wechselte. Auf Grund des von der belangten Behörde festgestellten Sachverhaltes wäre der Beschwerdeführerin daher Asyl zu gewähren gewesen.

Der angefochtene Bescheid war aus diesem Grund gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 24. Oktober 2001

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2001:1998200213.X00

Im RIS seit

19.02.2002
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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