Der Unabhängige Verwaltungssenat in Tirol entscheidet durch sein Mitglied Dr. Martina Strele über die Berufung des M. B., wohnhaft in W., XY-Gasse, gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Kitzbühel vom 11.4.2005, Zl 704-4-284-2004-FSE-2, wie folgt:
Gemäß § 66 Abs 4 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 (AVG) in Verbindung mit § 35 Abs 1 Führerscheingesetz (FSG) wird der Berufung insofern Folge gegeben, als dem Berufungswerber die Lenkberechtigung zum Lenken von Kraftfahrzeugen der Gruppe 2 unter den Auflagen
Nachuntersuchung durch den Amtsarzt in 24 Monaten internistische Kontrolluntersuchung durch einen Facharzt für Innere Medizin alle 12 Monate
LFP, CDT und Blutdruck alle 3 Monate durch den Hausarzt zusätzliche Beibringung der kardiologischen Befunde nach der nächsten Kontrolluntersuchung
erteilt wird.
Mit dem angefochtenen Bescheid wurde dem Berufungswerber die Lenkberechtigung der Klassen C1, C, E zu C1 und E zu C mangels gesundheitlicher Eignung bis zur Beibringung eines positiven amtsärztlichen Gutachtens entzogen. Weiters wurde einer allfälligen Berufung gegen diesen Bescheid die aufschiebende Wirkung aberkannt. Begründend wurde in diesem Bescheid auf das amtsärztliche Gutachten von Dr. S. S. vom 5.4.2005 hingewiesen. In diesem sei ausgeführt, dass aufgrund der Herztransplantation die Lenkberechtigung für die Gruppe 2 nicht gegeben sei. Ein Transplantatversagen sei eine akut bedrohliche Situation. Das transplantierte Herz sei denerviert und deshalb der Kontrolle durch das vegetative Nervensystem entzogen. Somit fehle die Spontanadaption der Herzfrequenz an die Belastung. Der Langzeitverlauf sei entscheidend durch das Auftreten einer Transplantat-Atherioskerose der Coronararterien bestimmt. Die klinische Symptomatik der Coronarsklerose sei unspezifisch, da das Leitsymptom der coronaren Herzerkrankung, die Angina pectoris, wegen der Denervierung des Spenderherzens fehle (Zit aus:
Emberger-Zahrl-Diemath-Grabner (Hg), 2002. Das ärztliche Gutachten, P. U. FS-Begutachtung). Bei der letzten cardiologischen Untersuchung des Patienten habe sich im Li-Re-Herzkatheter u IVUS ein zunehmender bereits bestehender kalzifizierter Plaque und eine diff. zirkuläre Intimahyperplasie gezeigt. Der Abstand zur nächsten Kontroll-Angiographie sei auf 2 Jahre verkürzt worden.
In seiner fristgerecht dagegen erhobenen Berufung brachte der Berufungswerber vor, dass er die Lenkberechtigung für die Kraftfahrzeuge der Gruppe 2 C1, C, E zu C1 und E zu C am 30.10.1991 rechtmäßig erworben habe und in diesen Klassen er bis heute keinerlei Beanstandungen der Behörde unterlegen sei. Er sehe daher die dauernde Entziehung nicht ein. Die Verkehrszuverlässigkeit sei gegeben, nicht zuletzt deshalb, weil er keine gesundheitlichen Probleme habe. Das Transplantat wurde im Jahre 1993 bei ihm eingepflanzt und habe bis heute tadellos funktioniert, was allerdings nicht heißen solle, dass er sich, wenn notwendig, nicht nochmals einer ärztlichen Untersuchung zwecks Lenkung dieser beantragten Führerscheingruppen unterziehen möchte. Ein ärztliches Gutachten sei bereits am 5.4.2005 bei der Bezirkshauptmannschaft Kitzbühel beigebracht worden. Da aus seiner Sicht die gesundheitlichen Bedenken in keiner Weise ausreichend untermauert werden könnten, stelle er den Antrag, der Berufung Folge zu geben und die Lenkberechtigung für die obgenannten Führerscheinklassen zu belassen bzw wieder zu erteilen.
Aufgrund dieser Berufung holte die Berufungsbehörde bei der Landessanitätsdirektion unter Bezugnahme auf das Vorbringen des Berufungswerbers in seiner Berufung sowie weiters auf das Gutachten der Amtsärztin Dr. S. S., der verkehrspsychologischen Untersuchung, der internen Stellungnahme der klinischen Abteilung über Kardiologie vom 5.11.2004 sowie der internen Bestätigung des Krankenhauses St. Johann i.T. vom 10.1.2005 eine gutachterliche Stellungnahme zur Frage der Eignung des Berufungswerbers zum Lenken von Kraftfahrzeugen der Klassen C1, C, E zu C1 und E zu C ein.
Im Bezug habenden Gutachten der Amtssachverständigen Dr. L. A. führt diese folgendes aus:
Der Berufungswerber leide an einer Muskeldystrophie Typ Becker. Dabei handelt es sich um eine progressive Erkrankung bisher ungeklärter Ätiologie, bei der es zu einem langsam fortschreitenden Muskelschwund vor allem am Rumpf und an den proximalen Gliedmaßen kommt. Die Krankheit wird X-chromosomal rezessiv mit einer Häufigkeit von 1:35000 vererbt und beginnt meist im 2. Lebensjahrzehnt. Die Veränderungen (Schwäche und Hypotrophie mit zunehmendem Funktionsverlust) sind symmetrisch und betreffen beim Typ Becker vorwiegend die Becken- und Oberschenkelmuskulatur, wobei eine Gehunfähigkeit im Schnitt nach 25 bis 30 Jahren eintritt. Zu Gelenkskontrakturen kommt es erst in der Rolstuhlphase der Krankheit. Veränderungen der Muskulatur von Schultergürtel und Oberarmen treten in der Regel nach 5 - 10 Jahren auf, der Herzmuskel kann ebenfalls beteiligt sein. Die Krankheit ist derzeit in Remission, der Zeitpunkt eines weiteren Fortschreitens kann nicht abgeschätzt werden. Von Seiten der Herztransplantation besteht echokardiographisch ein seit Jahren unveränderter Befund. Bezüglich der Zunahme der vorbestehenden Plaques: es handelt sich zwar um eine Wandverdickung der Gefäße. Da diese aber nicht stenosierend ist, besteht keine Gefäßverengung und somit auch kein erhöhtes Risiko für das Auftreten eines Herzinfarktes. Die Gefahr der fehlenden Anpassung des denervierten Herzens an Belastung kann vom Kardiologen nicht nachvollzogen werden. Herr B. ist aufgrund der beigebrachten Gutachten sowie der persönlichen Untersuchung gemäß § 8 FSG zum Lenken von Kraftfahrzeugen der Gruppe 1 und der Gruppe 2 bedingt geeignet.
Es gelten dieselben Auflagen wie die bereits für die Gruppe 1 geltenden:
Nachuntersuchung durch den Amtsarzt in 24 Monaten internistische Kontrolluntersuchung durch einen Facharzt für Innere Medizin alle 12 Monate
LFP, CDT und Blutdruck alle 3 Monate durch den Hausarzt zusätzlich Beibringung der kardiologischen Befunde nach der nächsten Kontrolluntersuchung
Dieses Gutachten wurde dem Berufungswerber mit Schreiben der Berufungsbehörde vom 21.11.2005 zur allfälligen Stellungnahme binnen 14 Tagen ab Zustellung dieses Schreibens, das war der 28.11.2005, zur Kenntnis gebracht. Bis dato langte keinerlei Stellungnahme des Berufungswerbers ein.
Beweis wurde aufgenommen durch Einsichtnahme in den erstinstanzlichen Verwaltungsakt sowie in den Akt der Berufungsbehörde.
Dem nunmehr angefochtenen Bescheid liegt ein mit 5.4.2005 datiertes, von der Amtsärztin der Bezirkshauptmannschaft Kitzbühel Dr. S. S. erstattetes Gutachten nach § 8 Führerscheingesetz zu Grunde, in welchem ausgesprochen wurde, dass der Berufungswerber für die Gruppe 1 gemäß § 8 FSG zum Lenken eines Kraftfahrzeuges bedingt geeignet ist, nicht geeignet jedoch zum Lenken von Kraftfahrzeugen der Gruppe
2. In der Begründung verwies sie auf die verkehrspsychologische Untersuchung des Berufungswerbers vom 10.1.2005, auf die interne Stellungnahme der klinischen Abteilung über Kardiologie der Universitätsklinik Innsbruck vom 5.11.2004 sowie der internen Bestätigung des Krankenhauses St. Johann i.T. vom 10.1.2005. Laut der verkehrspsychologischen Stellungnahme der psychologischen Praxis, Mag. phil. A. G. S. vom 14.1.2005 ist der Berufungswerber aus verkehrspsychologischer Sicht zum Lenken von Kraftfahrzeugen der Führerscheingruppen 1 und 2 geeignet. Auch geht aus der Bestätigung des Bezirkskrankenhauses St. Johann i.T. vom 10.1.2005 hervor, dass beim Berufungswerber keine Einwände gegen das Lenken eines KFZ bestehen würden. Ebenso bestehen laut internistischem Gutachten vom 25.9.2005, Prof. A., Kardiologie, keine Bedenken bezüglich einer Verlängerung der befristeten Lenkberechtigung für alle Klassen.
Das Gutachten der Amtssachverständigen Dr. L. A. vom 4.10.2005 unter Zugrundelegung der angeführten Befunde und Gutachten sowie ihrer persönlichen Untersuchung, aber auch im Hinblick auf die Beschreibung der Erkrankung des Berufungswerbers ist als schlüssig und nachvollziehbar anzusehen. Ebenso ist es einleuchtend, wenn die Amtssachverständige ausführt, dass der Berufungswerber aufgrund der beigebrachten Gutachten sowie der persönlichen Untersuchung gemäß § 8 FSG zum Lenken von Kraftfahrzeugen der Gruppe 1 und der Gruppe 2 bedingt geeignet ist und für die Gruppe 2 die selben Auflagen einzuhalten sind wie für die Gruppe 1. Es haben sich für die Berufungsbehörde keinerlei Anhaltspunkte dafür ergeben, an der Richtigkeit der Ausführungen der Amtssachverständigen zu zweifeln.
In rechtlicher Hinsicht ergibt sich Folgendes:
Gemäß § 24 Abs 1 Z 1 und 2 FSG ist Besitzern einer Lenkberechtigung, bei denen die Voraussetzungen für die Erteilung der Lenkberechtigung (§ 3 Abs 1 Z 2 bis 4) nicht mehr gegeben sind, von der Behörde entsprechend den Erfordernissen der Verkehrssicherheit die Lenkberechtigung zu entziehen oder die Gültigkeit der Lenkberechtigung durch Auflagen, Befristungen oder zeitliche, örtliche oder sachliche Beschränkungen einzuschränken. Diese Einschränkungen sind gemäß § 13 Abs 2 in den Führerschein einzutragen.
Abs 4 dieser Bestimmung normiert, dass, bestehen Bedenken, ob die Voraussetzungen der gesundheitlichen Eignung noch gegeben sind, ein von einem Amtsarzt erstelltes Gutachten gemäß § 8 einzuholen und gegebenenfalls die Lenkberechtigung einzuschränken oder zu entziehen ist. Bei Bedenken hinsichtlich der fachlichen Befähigung ist ein Gutachten gemäß § 10 einzuholen und gegebenenfalls die Lenkberechtigung zu entziehen. Leistet der Besitzer der Lenkberechtigung innerhalb der festgesetzten Frist einem rechtskräftigen Bescheid, mit der Aufforderung, sich ärztlich untersuchen zu lassen, die zur Erstattung des ärztlichen Gutachtens erforderlichen Befunde zu erbringen oder die Fahrprüfung neuerlich abzulegen, keine Folge, ist ihm die Lenkberechtigung bis zur Befolgung der Anordnung zu entziehen.
Gemäß § 13 Abs 2 FSG ist in den Führerschein jede gemäß § 8 Abs 3 Z 2 oder 3 ausgesprochene Befristung oder Beschränkung der Lenkberechtigung sowie die Vorschreibung etwaiger Auflagen einzutragen. Bei Erteilung der Lenkberechtigung für eine weitere Fahrzeugklasse oder - unterklasse (Ausdehnung der Lenkberechtigung) oder zwecks Eintragung nachträglich ausgesprochener Befristungen, Beschränkungen oder Auflagen ist der Führerschein der Behörde zur Ergänzung oder Neuausstellung gemäß § 15 Abs 1 vorzulegen. Weitere Ergänzungen, wie etwa Änderung des Namens oder des Hauptwohnsitzes, sind von der Behörde auf Antrag unter Vorlage der erforderlichen Dokumente durchzuführen.
Gemäß § 8 Abs 3 Z 2 FSG hat das ärztliche Gutachten abschließend auszusprechen:
?geeignet?, ?bedingt geeignet?, ?beschränkt geeignet? oder ?nicht geeignet?. Ist der Begutachtete nach dem ärztlichen Befund zum Lenken von Kraftfahrzeugen einer oder mehrerer Klassen nur unter der Voraussetzung geeignet, dass er Körperersatzstücke oder Behelfe oder dass er nur Fahrzeuge mit bestimmten Merkmalen verwendet oder dass er sich ärztlichen Kontrolluntersuchungen unterzieht, so hat das Gutachten ?bedingt geeignet? für die entsprechenden Klassen zu lauten und Befristungen, Auflagen oder zeitliche, örtliche oder sachliche Beschränkungen der Gültigkeit anzuführen, unter denen eine Lenkberechtigung ohne Gefährdung der Verkehrssicherheit erteilt werden kann; dies gilt auch für Personen, deren Eignung nur für eine bestimmte Zeit angenommen werden kann und bei denen amtsärztliche Nachuntersuchungen erforderlich sind.
Im gegenständlichen Fall wurde der Berufungswerber als bedingt geeignet zum Lenken von Kraftfahrzeugen der Gruppe 1 und Gruppe 2 beurteilt. Ausgehend vom schlüssigen amtsärztlichen Sachverständigengutachten ist der Berufungswerber zum Lenken von Kraftfahrzeugen der Gruppe 2 unter den selben Auflagen, die bereits für die Gruppe 1 gelten, geeignet.
Dem Berufungswerber war daher die Lenkberechtigung zum Lenken von Kraftfahrzeugen der Gruppe 2 unter folgenden Auflagen zu erteilen:
Nachuntersuchung durch den Amtsarzt in 24 Monaten internistische Kontrolluntersuchung durch einen Facharzt für Innere Medizin alle 12 Monate
LFP, CDT und Blutdruck alle 3 Monate durch den Hausarzt zusätzliche Beibringung der kardiologischen Befunde nach der nächsten Kontrolluntersuchung
Aufgrund der zuvor zitierten Rechtsgrundlagen in Verbindung mit dem Gutachten der Amtssachverständigen Dr. L. A. war daher spruchgemäß zu entscheiden.
HINWEIS:
Für die Vergebührung des Berufungsantrages (samt Beilagen) sind Euro 13,00 zu entrichten. Dieser Betrag ist binnen zwei Wochen nach Erhalt des Zahlscheines einzuzahlen.