Der Unabhängige Verwaltungssenat in Tirol entscheidet durch sein Mitglied Dr. Alois Huber über die Berufung der Frau U. S., gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Schwaz vom 10.11.2005, Zl VK-927-2005, wie folgt:
Gemäß § 66 Abs 4 AVG in Verbindung mit § 24 VStG wird der Berufung Folge gegeben, das erstinstanzliche Straferkenntnis behoben und das Verwaltungsstrafverfahren gemäß § 45 Abs 1 Z 1 VStG eingestellt.
Mit dem erstinstanzlichen Straferkenntnis wurde der Beschuldigten spruchgemäß nachstehender Sachverhalt zur Last gelegt:
?Tatzeit: 20.07.2004 um 14.45 Uhr
Tatort: B./Z., Ortsteil I., Kreuzung von Gemeindestraßen, auf Höhe
HNr 2
Fahrzeug: PKW, XY (D)
Sie haben als Lenker eines Fahrzeuges trotz des Vorschriftszeichens ?Vorrang geben? durch Einbiegen zwei Radfahrer zu unvermitteltem Bremsen bzw Ablenken der Fahrzeuge genötigt. In weiterer Folge kam es zu einem Verkehrsunfall mit Personenschaden.?
Der Beschuldigten wurde eine Verwaltungsübertretung nach § 19 Abs 7 in Verbindung mit § 19 Abs 4 StVO zur Last gelegt und wurde über sie eine Geldstrafe in der Höhe von Euro 100,--, 1 Tag Ersatzfreiheitsstrafe, verhängt.
Gegen dieses Straferkenntnis hat die Beschuldigte fristgerecht berufen. Dabei führte sie aus, dass die Aussagen der beiden Radfahrer definitiv falsch seien. Sie sei mit ihrem Fahrzeug gestanden, als sich der Unfall ereignet habe. Die beiden Rennfahrer seien selber schuld, weil sie zu schnell gefahren bzw auch zu dicht aufgefahren seien.
Dieser Berufung kommt aus folgendem Grund Berechtigung zu:
Nach § 19 Abs 4 StVO haben, wenn vor einer Kreuzung das Vorschriftszeichen "Vorrang geben"
oder "Halt" angebracht, ist, sowohl die von rechts als auch die von links kommenden Fahrzeuge den Vorrang.
Nach § 19 Abs 7 StVO darf derjenige, der keinen Vorrang hat (der Wartepflichtige), durch Kreuzen, Einbiegen oder Einordnen die Lenker von Fahrzeugen mit Vorrang (die Vorrangberechtigten) weder zu unvermitteltem Bremsen noch zum Ablenken ihrer Fahrzeuge nötigen.
In der Anzeige, die sich im erstinstanzlichen Akt findet, ist ausgeführt, dass am 20.07.2004 gegen 14.45 Uhr M. S. und T. E. mit ihren Rennrädern von Richtung Gerlos kommend über den Brucker Berg nach Schlitters gefahren seien. Zur selben Zeit habe die Beschuldigte den PKW der Marke Mazda 626 mit dem Kennzeichen XY (D) von ihrem Wohnhaus in XY weggelenkt. An der Kreuzung mit der Gemeindestraße habe sie laut eigenen Angaben an der Kreuzung angehalten. Laut den Angaben der beiden Radfahrer hätte Salbeck an der Kreuzung bereits angehalten und sei plötzlich vor ihnen in die Kreuzung eingefahren. Die Radfahrer hätten sodann versucht nach links auszuweichen, wobei M. S. gegen das Hinterrad des T. E. gefahren und dadurch zu Sturz gekommen sei, wodurch er verletzt worden sei. In der Anzeige ist vermerkt, dass bei M. S. starke Abschürfungen an der rechten Seite ersichtlich gewesen seien. Der Anzeige ist eine Lichtbildbeilage angeschlossen. Auf Lichtbild Nr. 3 ist das Vorschriftszeichen ?Vorrang geben? abgebildet, dem die Beschuldigte zuwidergehandelt haben soll.
Nach der Verletzungsanzeige der Kreisklinik Burghausen sind bei M.
S. nachstehende Verletzungen diagnostiziert worden:
?Platzwunde prätibial rechts
Multiple Hautabschürfungen
LWS Kontusion?.
Nach § 99 Abs 6 lit c StVO liegt keine Verwaltungsübertretung vor, wenn eine Tat nach diesem Bundesgesetz (StVO) oder nach den §§ 37 und 37a FSG den Tatbestand einer in die Zuständigkeit der Gerichte fallenden strafbaren Handlung verwirklicht.
§ 88 StGB (fahrlässige Körperverletzung) lautet wie folgt:
?Abs 1: Wer fahrlässig einen anderen am Körper verletzt oder an der Gesundheit schädigt, ist mit Freiheitsstrafe bis zu drei Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 180 Tagessätzen zu bestrafen.
Abs 2: Trifft den Täter kein schweres Verschulden und ist entweder
1. die verletzte Person mit dem Täter in auf- oder absteigender Linie verwandt oder verschwägert oder sein Ehegatte, sein Bruder oder seine Schwester oder nach § 72 Abs 2 wie ein Angehöriger des Täters zu behandeln,
2. der Täter ein Angehöriger eines gesetzlich geregelten Gesundheitsberufes, die Körperverletzung oder Gesundheitsschädigung in Ausübung seines Berufes zugefügt worden und aus der Tat keine Gesundheitsschädigung oder Berufsunfähigkeit von mehr als vierzehntägiger Dauer erfolgt,
3. der Täter eine im Krankenpflegefachdienst, in medizinisch-technischen Diensten oder im Sanitätshilfsdienst tätige Person, die Körperverletzung oder Gesundheitsschädigung in Ausübung eines dieser Berufe zugefügt worden und aus der Tat keine Gesundheitsschädigung oder Berufsunfähigkeit von mehr als vierzehntägiger Dauer erfolgt oder
4. aus der Tat keine Gesundheitsschädigung oder Berufsunfähigkeit einer anderen Person von mehr als dreitägiger Dauer erfolgt, so ist der Täter nach Abs 1 nicht zu bestrafen.
Abs 3: In den im § 81 Abs 1 Z 1 bis 3 bezeichneten Fällen ist der Täter mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen zu bestrafen.
Abs 4: Hat die Tat eine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs 1) zur Folge, so ist der Täter mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen, in den im § 81 Z 1 bis 3 bezeichneten Fällen aber mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren zu bestrafen.?
Dem erstinstanzlichen Akt ist zu entnehmen, dass parallel zur verwaltungsstrafrechtlichen Anzeige, Anzeige an den Bezirksanwalt beim Bezirksgericht Zell am Ziller wegen Verdachtes der fahrlässigen Körperverletzung erstattet worden ist.
Dem erstinstanzlichen Akt ist weiters zu entnehmen, dass der Bezirksanwalt beim Bezirksgericht Zell am Ziller mit 05.10.2004 der Bezirkshauptmannschaft Schwaz mitgeteilt hat, dass die Anzeige gegen U. S. gemäß § 90 Abs 1 StPO zurückgelegt worden ist.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat im Falle einer Zurücklegung der Anzeige nach § 90 StPO die Verwaltungsbehörde selbstständig zu beurteilen, ob ein gerichtlich strafbarer Tatbestand vorliegt oder nicht (VwGH 25.06.1963, 1994/15).
Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes sind unter Körperverletzungen nach § 88 StGB bzw § 83 StGB insbesondere Platzwunden oder eine mehrere Stunden nach der Tat noch wahrnehmbare Hautrötung (Evidenzblatt 1988/70) zu verstehen. Anlehnend an diese oberstgerichtlichen Entscheidungen ist zweifelsfrei davon auszugehen, dass die hier verfahrensgegenständliche Verletzung nach § 88 Abs 1 StGB zu subsumieren ist.
Es ist zudem zweifelsfrei davon auszugehen, dass die körperliche Beeinträchtigung mehr als drei Tage andauerte, sodass insbesondere die hier allenfalls relevante Bestimmung des § 88 Abs 2 Z 4 StGB (Straflosigkeit wenn kein schweres Verschulden vorliegt) nicht zur Anwendung kommt.
Die der Beschuldigten zu Last gelegten Bestimmungen nach § 19 Abs 7 in Verbindung mit § 19 Abs 4 StVO stellen Verletzungen von Schutzgesetzen und somit die objektive Rechtswidrigkeit des Verhaltens der Beschuldigten, die sodann zu einer Körperverletzung geführt hat, dar. Somit ist diese Schutzgesetzverletzung eindeutig Teil des Tatbestandes der hier gegenständlichen fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 1 StGB.
Somit war spruchgemäß zu entscheiden.