TE Vwgh Erkenntnis 2001/10/24 99/04/0023

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Veröffentlicht am 24.10.2001
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §37;
AVG §45 Abs2;
AVG §45 Abs3;
AVG §63 Abs5;
AVG §66 Abs4;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte Dr. Gruber und Dr. Blaschek als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Brandtner, über die Beschwerde des G in K, vertreten durch Dr. Bruno Binder, Rechtsanwalt in 4040 Linz, Wischerstraße 30, gegen den Bescheid der Wirtschaftskammer Österreich (Präsident, im verwaltungsgerichtlichen Verfahren vertreten durch DDr. Rene Laurer, Rechtsanwalt in 1040 Wien, Gußhausstraße 2/5), vom 16. Dezember 1998, Zl. Präs 242-5/98/Wa/Do, betreffend Zurückweisung der Berufung in einer Angelegenheit des Handelskammergesetzes, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Die Wirtschaftskammer Österreich hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid vom 16. Dezember 1998 wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers gegen den Bescheid der Wirtschaftskammer Oberösterreich (Präsident) vom 4. Juni 1998 - mit dem die Grundumlagenpflicht des Beschwerdeführers für das Jahr 1998 festgestellt worden war - wegen Fristversäumung gemäß § 57g Abs. 2 Handelskammergesetz zurück.

Zur Begründung führte die belangte Behörde aus, der erstinstanzliche Bescheid sei dem Beschwerdeführer laut Zustellnachweis und schriftlicher Bestätigung durch den Zusteller am 8. Juni 1998 zugestellt worden. Seine Berufung habe der Beschwerdeführer jedoch erst am 29. Juni 1998 zur Post gegeben und daher die am 23. Juni 1998 ungenützt abgelaufene Berufungsfrist in der Dauer von zwei Wochen versäumt.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Der Beschwerdeführer erachtet sich unter Berücksichtigung seines gesamten Beschwerdevorbringens (wohl auch) in dem Recht auf meritorische Behandlung seiner Berufung verletzt. Er beantragt, den angefochtenen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes oder wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften kostenpflichtig aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift in der beantragt wird, der Beschwerde nicht stattzugeben und die Kosten des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens zuzusprechen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Gemäß § 57g Abs. 1 des mit Rücksicht auf die Bescheiderlassung am 28. Dezember 1998 im Beschwerdefall noch anzuwendenden Handelskammergesetzes (HKG) hat die zur Vorschreibung einer Grundumlage oder Eintragungsgebühr zuständige Körperschaft (bei Vorschreibung der Eintragungsgebühr im Bereich der Sektion Handel diese Sektion) über Art und Ausmaß der Umlagepflicht einen Bescheid zu erlassen, wenn dies von der zahlungspflichtigen Person spätestens einen Monat nach Vorschreibung verlangt wird.

Gegen den Bescheid nach Abs. 1 kann, sofern er betreffend die Vorschreibung einer Eintragungsgebühr von der Fachgruppe erlassen wird, zufolge Abs. 2 leg. cit. binnen zwei Wochen ab Zustellung Berufung an die Landeskammer erhoben werden. Gegen den Bescheid der Landeskammer (Sektion Handel) nach Abs. 1 steht binnen zwei Wochen die Berufung an die Bundeskammer offen, gegen deren Entscheidung kein weiteres ordentliches Rechtsmittel zulässig ist. Die Berufung ist jeweils bei der Stelle einzubringen, die den Bescheid erlassen hat.

Auf das Verfahren nach Abs. 1 und Abs. 2 sind zufolge Abs. 3 leg. cit. die Vorschriften des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 (AVG) sinngemäß anzuwenden.

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom 29. Mai 1990, Zl. 89/04/0272, vom 25. Mai 1994, Zl. 94/20/0095, und vom 11. April 1996, Zl. 95/09/0305) hat die Behörde, bevor sie die Zurückweisung eines Rechtsmittels als verspätet ausspricht, zu prüfen, ob die Zustellung des mit Berufung angefochtenen Bescheides ordnungsgemäß erfolgt ist, insbesondere ob die auf dem Rückschein vermerkten Taten den Tatsachen entsprechen. Die Behörde hat daher die Feststellung der Versäumung der Berufungsfrist dem Berufungswerber zur Stellungnahme vorzuhalten. Unterlässt sie dies, trägt sie das Risiko der Aufhebung des Bescheides wegen unterlaufener Verfahrensmängel.

Im Grunde des § 47 AVG ist die Beweiskraft von öffentlichen und Privaturkunden von der Behörde nach den Vorschriften der §§ 292 bis 294, 296, 310 und 311 ZPO zu beurteilen. Zufolge § 292 Abs. 1 ZPO begründen öffentliche Urkunden - dem § 22 des Zustellgesetzes entsprechende Zustellnachweise stellen öffentliche Urkunden im Sinne des § 292 Abs. 1 ZPO dar - vollen Beweis dessen, was darin unter anderem von der Urkundsperson bezeugt wird. Im Grunde des § 292 Abs. 2 ZPO ist der Beweis der Unrichtigkeit des bezeugten Vorganges oder der bezeugten Tatsache oder der unrichtigen Beurkundung zulässig (vgl. das genannte Erkenntnis Zl. 95/09/0305, und die darin angegebene Judikatur).

Nach Ausweis der vorgelegten Verwaltungsakten (vgl. insbesondere den Aktenvermerk der Erstbehörde vom 30. Juni 1998) haben das Postamt K bzw. die Erstbehörde wegen "deutlich sichtbarer Manipulation" des Übernahmedatums auf dem Zustellnachweis Erhebungen darüber gepflogen und eine schriftliche Bestätigung des betreffenden Zustellers eingeholt. Anders als in der Berufung des Beschwerdeführers - nach dessen Vorbringen ihm der erstinstanzliche Bescheid am 18. Juni 1998 zugestellt worden sei - hat der Zusteller in seiner schriftlichen Bestätigung erklärt, das Datum der Übernahme laute 8. Juni 1998.

Die belangte Behörde hat die ihr mit Schreiben vom 1. Juli 1998 vorgelegte Berufung ohne weitere Ermittlungen als verspätet zurückgewiesen. Dass vor Erlassung des angefochtenen Zurückweisungsbescheides eine Stellungnahme des Beschwerdeführers zur darin angenommenen Verspätung seines Rechtsmittels eingeholt oder Ermittlungen angestellt wurden, deren Ergebnisse dem Parteiengehör unterzogen worden sind, behauptet die belangte Behörde nicht.

Der Beschwerdeführer hat in seiner Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof vorgebracht, der erstinstanzliche Bescheid sei ihm nicht am 8. Juni 1998 durch die Post sondern erst am 17. Juni 1998 von seinem Nachbarn übergeben worden. Nach diesem Vorbringen, mit dem der Beschwerdeführer zufolge Unterlassung des Parteiengehörs nicht dem Neuerungsverbot im verwaltungsgerichtlichen Verfahren unterliegt, kann nicht von vornherein ausgeschlossen werden, dass die belangte Behörde bei Einhaltung der Verwaltungsvorschrift des § 37 AVG über den Zweck des Ermittlungsverfahrens, nämlich unter anderem den Parteien Gelegenheit zur Geltendmachung ihrer Rechte und rechtlichen Interessen zu geben, zu einem anderen Bescheid hätte kommen können.

Der angefochtene Bescheid war daher - ohne dass auf das weitere Vorbringen der Parteien betreffend die Grundumlagenpflicht einzugehen ist - gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 24. Oktober 2001

Schlagworte

Beweismittel UrkundenSachverhalt SachverhaltsfeststellungParteiengehör Erhebungen ErmittlungsverfahrenInhalt der Berufungsentscheidung Voraussetzungen der meritorischen Erledigung Zurückweisung (siehe auch §63 Abs1, 3 und 5 AVG)Parteiengehör

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2001:1999040023.X00

Im RIS seit

12.12.2001

Zuletzt aktualisiert am

06.10.2011
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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