Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Salzburg erlässt durch das Senatsmitglied Dr. Peter Brauhart über die Berufung von Herrn Michel R., S., vertreten durch Frau Rechtsanwältin Dr. Nina L., S., gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Salzburg-Umgebung vom 11.04.2005, Zahl 30308/369-23852-2003, nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Berufungsverhandlung, folgendes
Erkenntnis:
Gemäß § 66 Abs 4 AVG iVm § 24 VStG wird der Berufung Folge gegeben, der Spruch des angefochtenen Straferkenntnisses aufgehoben und das zugrunde liegende Verwaltungsstrafverfahren gemäß § 45 Abs 1 Z 2 erster Fall VStG eingestellt.
Entscheidungsgründe:
Im angefochtenen Straferkenntnis wurde dem Beschuldigten zur Last gelegt,
1. er habe am 16.07.2003, 15.30 Uhr, in Lamprechtshausen, B 156 Lamprechtshausener Straße bei Strkm 24.050, Fahrtrichtung Salzburg, als Lenker des Motorrades mit dem Kennzeichen SL-742AH (A) überholt, obwohl andere Straßenbenützer gefährdet oder behindert hätten werden können. Nähere Angaben: Er habe ein Motorrad überholt und sei mit dem davor befindlichen, nach links abbiegenden Zugfahrzeug mit Anhänger zusammengestoßen.
2. Er habe als Fahrzeuglenker auf einer unübersichtlichen Straßenstelle, vor einer Fahrbahnkuppe, überholt und das hinter der Fahrbahnkuppe nach links abbiegende Zugfahrzeug mit Anhänger übersehen.
Er habe dadurch Verwaltungsübertretungen
zu 1. gemäß § 16 Abs 1 lit a StVO und
zu 2. gemäß § 16 Abs 2 lit b StVO
begangen und wurde wegen dieser Verwaltungsübertretungen über ihn gemäß § 99 Abs 3 lit a StVO jeweils eine Geldstrafe in der Höhe von ? 145 (Ersatzfreiheitsstrafe 60 Stunden) verhängt.
In der gegen dieses Straferkenntnis fristgerecht eingebrachten Berufung bestreitet der Beschuldigte die ihm angelasteten Verwaltungsübertretungen. Er habe jedenfalls den Überholvorgang noch vor der Fahrbahnkuppe durchgeführt und abgeschlossen. Es habe ausreichende Sicht geherrscht und stehe die spätere Kollision mit dem Traktorgespann in keinem ursächlichen Zusammenhang mit dem zuvor bereits abgeschlossenen Überholmanöver. Am 15.05.2006 führte der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Salzburg eine öffentliche mündliche Berufungsverhandlung durch. In dieser erstattete die Beschuldigtenvertreterin noch folgendes ergänzende Berufungsvorbringen:
"Der Überholvorgang betreffend die Enduromaschine war bereits vollkommen abgeschlossen als es zur Kollision kam. Der Beschuldigte war mit seiner Maschine bereits wieder eingeordnet und wollte gerade zum zweiten Überholvorgang ansetzen. Der erste Überholvorgang und die Kollision haben zeitlich und örtlich nichts miteinander zu tun. Die Überholstrecke war einsehbar und der Überholvorgang wurde auch zügig und vollständig beendet. Für den Beschuldigten war nicht erkennbar, dass sich der Traktor nach links zuordnet ? oder vorerst nicht erkennbar. Er wollte am Fahrzeug links vorbeifahren, allerdings noch auf der rechten Fahrspur und wäre sich dies grundsätzlich auch problemlos ausgegangen. Dem Beschuldigten ist auch in der gegenständlichen Situation kein Fehlverhalten vorzuwerfen, dies ergibt sich auch aus dem Gutachten des Sachverständigen Dipl.Ing. Gerhard K., welches heute auch noch vorgelegt wird, Seite 22. Ganz im Gegenteil war es so, dass sobald das Linkszuordnen des Traktorfahrers für den Beschuldigten erkennbar war, er entsprechend der Bestimmung des § 15 Abs 2a StVO rechts überholen wollte. Dies ist sich dann allerdings knapp, wie der Sachverständige auch noch einmal festgestellt hat, nicht ausgegangen. Es liegt im Behördenakt eine Unfallskizze (Beilage ./8) der Gendarmerie zum Verkehrsunfallprotokoll, welche allerdings vollkommen falsch ist. Dies lässt sich nachvollziehen und beweisen durch die Lichtbilder im Sachverständigengutachten, welches heute vorgelegt wird. Es wird nämlich eine Bremsspur eingezeichnet auf der links liegenden Fahrspur somit auf der Fahrspur des Gegenverkehrs und hat tatsächlich die Bremsung innerhalb der eigenen Fahrspur stattgefunden. Zur gegenständlichen Kollision wäre es zudem auch gekommen, würde man sich den ersten Überholvorgang betreffend die Enduromaschine überhaupt ganz wegdenken, nachdem eben der Überholvorgang schon vollkommen abgeschlossen war. Zudem ist auch der Spruch des angefochtenen Erkenntnisses nicht ausreichend konkretisiert. Gemäß § 44a VStG ist die als erwiesen angenommene Tat genau nach Tatort und Tatzeit anzugeben. Die Behörde erster Instanz hat als Ort der Begehung den Strkm 24.050 angenommen. Diesen Ort hat die Behörde offenbar ohne weitere Erhebungen der Verkehrsunfallanzeige des Gendarmeriepostens Lamprechtshausen vom 19.8.2003, Seite 2 (oben), übernommen. Die Behörde übersieht dabei aber, dass diese Stelle die Unfallstelle angibt und die Überholstrecke einige 100 m weiter vorne liegt. Da schon der Spruch ungenügend ist, wird die Einstellung des gegenständlichen Verwaltungsstrafverfahrens beantragt.?
Die Beschuldigtenvertreterin führt dann noch an, dass sich an der besagten tatörtlichen Stelle keine Kuppe befindet und zum Beweise ein Ortsaugenschein beantragt wird. Weiters wird das Gutachten des kraftfahrzeugtechnischen Sachverständigen Dipl.Ing. Gerhard K. vorgelegt.
Der Zeuge Dipl.Ing. Olaf S., der damals vom Beschuldigten überholt wurde, gab nach Wahrheitserinnerung zur Sache befragt Folgendes an:
"Der Beschuldigte hat mich kurz nach dem Ortsausgang überholt. Er hatte das Überholmanöver meines Motorrades abgeschlossen und ist dann mit nicht unerheblicher Geschwindigkeit mit dem Traktor kollidiert. Dieser Traktor ist auf Grund der leichten Kuppe, die sich dort befindet, nicht sofort zu sehen gewesen. Auch für mich war das ein kleiner Überraschungsmoment, wobei ich allerdings kein Problem hatte, weil ich nicht eine so hohe Geschwindigkeit eingehalten habe. Ich nehme an, dass der Beschuldigte beim Überholmanöver mit seinem Kraftfahrrad die Mittellinie noch überragt hat. Genau kann ich das aber nicht sagen.
Wenn mir die im kraftfahrzeugtechnischen Gutachten des Dipl.Ing. Gerhard K. befindlichen Fotos gezeigt werden, gebe ich an, dass ich anhand dieser Fotos nicht genau sagen kann, wo genau das Überholmanöver stattgefunden hat. Für mich stellte sich die Situation so dar, dass man den Traktor aus der Position des Beschuldigten sicher hat wahrnehmen können, jedoch nicht so eindeutig, als wenn keine Kuppe dagewesen wäre. Bei voller Konzentration hat man dieses Fahrzeug schon erkennen können, aber wie gesagt, eben nicht in vollem Umfang. Ich möchte dazu sagen, dass ich diese Stelle sehr oft befahre und mir beim Vorbeifahren im Nachhinein noch oft gedacht habe, wie es zu dem Unfall gekommen sein kann und ich feststellen muss, dass man hier generell Fahrzeuge schon wahrnehmen kann, zum Beispiel LKWs, aber eben nur den oberen Teil des Fahrzeuges und nicht das gesamte Fahrzeug. Für mich hat sich der Traktor auf seinem Fahrstreifen nach links orientiert, also zum Linksabbiegen, das Gespann war "gestreckt". Es hätte aber für mich keinen Unterschied gemacht, ob der Traktor etwa schon fünf Minuten dort gestanden wäre oder gerade in Bewegung befindlich sich dort eingereiht hätte. Der Beschuldigte hat den Überholvorgang meines Motorrades schon abgeschlossen gehabt, er war ca. eineinhalb bis zwei Sekunden an mir schon vorbei, er hat sich in einem Art flacheren Winkel nach dem Überholmanöver wieder eingeordnet. Es war ja auch keine Notwendigkeit, sich schnell wieder einzuordnen, zumal auch kein Gegenverkehr war. Auf Grund der Kurve musste er ohnehin einen Rechtsbogen fahren. In dieser Fahrbewegung nach rechts hat er dann auch die Bremsung begonnen. Dies war eben ungefähr eineinhalb bis zwei Sekunden, nachdem er mich passiert hatte.
Über Befragen durch die Beschuldigtenvertreterin:
Bezüglich des Traktors muss ich sagen, dass ich nicht sagen kann, ob dieses langsam gefahren ist oder gestanden ist. Dies ist auch schwer, wenn man die geringe Geschwindigkeit eines Traktorgespannes auf einer Bundesstraße bedenkt. Für mich war der Traktor ab dem Erkennen ein Hindernis, ich kann aber nicht sagen, ob er eben gefahren oder gestanden ist, für mich ist aber auch keine Bewegung des Traktorgespannes zu erkennen gewesen. Mit "keine Bewegung" meine ich nach links oder rechts.
Wenn mir das Gutachten (Seite 21) vorgehalten wird, wo sich zwischen dem Traktorgespann und der Mittelleitlinie eine Restbreite von der linken Außenkontur von etwa 1,7 bis 1,9 m ergeben hat und hier möglicherweise noch ein dazwischen Durchfahren möglich gewesen wäre, muss ich sagen, dass sich das für mich nicht so dargestellt hat. Ich konnte ja den gesamten Bremsweg sehen und eben auch die Kollision, in dem Moment wo Herr R. zu bremsen begonnen hat, habe ich ja den Traktor auch schon gesehen. Dass der Traktor danach noch eine Bewegung nach links gemacht hat, halte ich für ausgeschlossen.
Wenn mir die im Gutachten befindliche angefertigte Skizze gezeigt wird, bezüglich des Abstandes des Traktorgespanns zur Mittellinie muss ich sagen, dass ich es eben anders wahrgenommen habe. Für mich war der Traktor zur Mittelleitlinie hin orientiert. Für mich war der Traktor auf jeden Fall parallel zur Fahrbahn, also auch mit dem Heck, also dem Anhänger. Eine direkte Gefährdung oder Behinderung durch das Überholmanöver des Beschuldigten hat sich bei mir nicht ergeben, obwohl ich durch die Geschwindigkeit und Lautstärke des Motorrades schon erschrocken bin. Ich wiederhole nochmals, dass es keinen Gegenverkehr gegeben hat. Für mich ist es schon so, dass die beiden Dinge, also das Überholmanöver und der Zusammenstoß nicht unmittelbar in Zusammenhang stehen. Der Beschuldigte war auch nach dem Überholen noch am Beschleunigen, was mit dem Überholvorgang selbst nichts mehr zu tun gehabt hat und es kann schon sein, dass er auf Grund der sehr hohen Geschwindigkeit auch eine erhöhte Konzentration gebraucht hätte, dieses Traktorgespann also möglicherweise etwas zu spät wahrgenommen hat. Ich würde sagen, dass die Stelle, an welcher der Beschuldigte mich überholt hat, für das Überholmanöver eines anderen einspurigen Kraftfahrzeuges durchaus geeignet war und würde ich diese Stelle als keine unübersichtliche Straßenstelle definieren. Dies immer bezogen auf das Überholen eines Motorrades.?
Der Zeuge gibt noch an, dass er Diplomingenieur für Fahrzeugtechnik ist und ist beruflich tätig bei der Entwicklung Fahrwerk bei KTM Motorrädern.
Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Salzburg hat hiezu in einer gemäß § 51c VStG durch ein Einzelmitglied zu treffenden Berufungsentscheidung Folgendes erwogen:
Der vorliegenden Berufungsentscheidung des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Salzburg wurde auch das Gutachten des kraftfahrzeugtechnischen Sachverständigen Dipl.Ing. (FH) Gerhard K. vom 14.06.2004 zugrunde gelegt. Aus diesem Gutachten ergeben sich für das vorliegende Verwaltungsstrafverfahren folgende relevanten Daten:
Der Beschuldigte hielt eine Bremsausgangsgeschwindigkeit zwischen 134 und 148 km/h ein ? im gegenständlichen Bereich wäre eine Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h erlaubt gewesen.
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Aus dem hohen Geschwindigkeitsüberschuss des Kraftrades des Herrn R. und insbesondere aus der weit links am rechten Fahrstreifen befindlichen Fahrerlinie hätte der Traktorfahrer St. auf ein bevorstehendes Überholmanöver des Kraftradfahrers R. schließen können. Durch ein vorläufiges Unterlassen des nach links Zuordnens hätte der Traktorfahrer St. den Platz zum Überholen für den Kraftradfahrer R. freilassen können, es wäre dann das vorliegende Unfallgeschehen zu vermeiden gewesen;
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Bezüglich des Gegenverkehrs hätte der Beschuldigte bei der vorliegenden Breite der Fahrbahn und der Breite des rechten Fahrstreifens (4,9 m) das Traktorgespann überholen können, ohne auf den Fahrstreifen des Gegenverkehrs zu kommen. Nach Erkennen des nach links Lenkens des Traktors in Richtung der Mittelleitlinie stellte dies für den Beschuldigten eine massive Reaktionsaufforderung dar. Das geplante Überholmanöver war damit nicht mehr durchführbar;
Es hätte das Überholmanöver des Kraftradfahrers R. ein riskantes Fahrmanöver mit (für die Geschwindigkeit) sehr geringem Seitenabstand zum Traktorgespann dargestellt.
Aufgrund der diesem Gutachten angeschlossenen Fotodokumentation ergibt sich weiter Folgendes:
Wie der Beschuldigte in seiner ergänzenden Berufung zu Recht ausführte, hat die belangte Behörde als Tatort den Straßenkilometer 24,050 angenommen. Dieser stellt aber entsprechend der Verkehrsunfallanzeige vom 19.08.2003 die Unfallstelle und nicht jene Stelle dar, an welcher das Überholmanöver begonnen wurde. Die Frage, ob eine unübersichtliche Straßenstelle gegeben ist, ist grundsätzlich von der Stelle aus, wo das Überholmanöver begonnen wird, zu beurteilen. Vergleicht man nun die vom Sachverständigen angefertigten Lichtbilder B 1 und B 2, deren Position ca 220 bzw 190 m vor der Unfallstelle aufgenommen wurden, kann nicht gesagt werden, dass es sich hier um eine unübersichtliche Straßenstelle handelt, an welcher das Überholmanöver begonnen wurde. Des Weiteren ergibt sich insbesondere aus der Aussage des Dipl.Ing. Olaf S. im Berufungsverfahren, dass der Beschuldigte das Überholmanöver sein Motorrad betreffend bereits abgeschlossen hatte und erst danach mit dem Traktor kollidierte. Dies wiederum in Zusammenhang mit dem oben teilweise wiedergegebenen kraftfahrzeugtechnischen Gutachten gesehen ergibt, dass der Beschuldigte offensichtlich auch das Traktorgespann hat überholen wollen, diesen Vorgang aber noch nicht begonnen hatte.
Somit zeigt sich, dass der Beschuldigte durch das Überholmanöver des Motorrades des Zeugen Dipl.Ing. Olaf S. weder diesen konkret noch andere Straßenbenützer gefährdet hat oder hätte gefährden bzw behindern können. Der Beschuldigte befand sich laut kraftfahrzeugtechnischem Gutachten ja auch noch auf seiner Fahrbahnhälfte. Dass der Beschuldigte weiters das Überholmanöver des Motorrades des Zeugen Dipl.Ing. S. auf einer unübersichtlichen Straßenstelle, also unmittelbar vor einer Fahrbahnkuppe durchführte, stimmt so nicht, hat er das Fahrmanöver, also den Überholvorgang, doch schon einige hundert Meter vorher begonnen und ergibt sich nicht, dass es sich von dort um eine unübersichtliche Stelle gehandelt hat.
Es kann durchaus davon ausgegangen werden, dass der Beschuldigte das Straßenstück bei Beginn seines Überholvorganges zur Gänze hat überblicken können, sodass eben von einer unübersichtlichen Straßenstelle diesfalls nicht gesprochen werden kann. Da der Beschuldigte sohin die ihm angelasteten Übertretungen nicht begangen hat, war spruchgemäß zu entscheiden.