Der Unabhängige Verwaltungssenat für die Steiermark hat durch das Senatsmitglied Dr. Gerhard Wittmann über die Berufung von Herrn G L, E 87, G, gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Leibnitz vom 13.10.2005, GZ.: 15.1 7395/2003, wie folgt entschieden: Gemäß § 66 Abs 4 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 (im Folgenden AVG) in Verbindung mit § 24 Verwaltungsstrafgesetz 1991 (im Folgenden VStG) wird der Berufung Folge gegeben, das Straferkenntnis behoben und das Verfahren gemäß § 45 Abs 1 Z 2 VStG eingestellt.
Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Leibnitz vom 13.10.2005, GZ.: 15.1 7395/2003, wurde dem Berufungswerber vorgeworfen, er habe am 01.08.2003 um 18.37 Uhr in S, bei der Kreuzung Gemeindestraße S - Gemeindeweg St, als Lenker des Pkws mit dem Kennzeichen als Wartepflichtiger durch Einfahren in die Kreuzung den Vorrang eines von rechts kommenden Fahrzeuges nicht beachtet, wodurch er gegen das in der Kreuzung befindliche Kraftfahrzeug mit dem Kennzeichen gestoßen sei. Dadurch habe der Berufungswerber eine Verwaltungsübertretung gemäß § 19 Abs 7 iVm § 19 Abs 1 StVO begangen und verhängte die Erstbehörde über ihn eine Geldstrafe von ? 145,-- (im Uneinbringlichkeitsfall 3 Tage Ersatzarrest). Gegen dieses Straferkenntnis erhob der Berufungswerber fristgerecht das Rechtsmittel der Berufung und brachte vor, dass er gegen das Urteil des Bezirksgerichtes L vom 08.08.2005, Zahl: 5 C 17/04 k, durch seinen Rechtsvertreter Berufung eingebracht habe. Er ersuche, dieses zivilgerichtliche Verfahren bis zur Entscheidung abzuwarten. Die gegenständliche Entscheidung im verwaltungsstrafrechtlichen Verfahren werde wohl vom Gerichtsurteil abhängig zu machen sein. Am 07.07.2006 fand vor dem Unabhängigen Verwaltungssenat für die Steiermark eine Berufungsverhandlung statt, an der der Berufungswerber persönlich teilnahm und in deren Verlauf neben dem Berufungswerber der Zeuge C Z einvernommen wurde. Der Unabhängige Verwaltungssenat für die Steiermark geht bei seiner Entscheidung von folgender Sach- und Rechtslage aus: Am 01.08.2003 ereignete sich gegen 18.40 Uhr in S im Bereich der Einmündung des St in die S ein Verkehrsunfall, an welchem der Berufungswerber mit seinem Pkw der Marke R K und C Z mit seinem Pkw der Marke R M beteiligt waren. Die S verläuft in diesem Bereich annähernd in Nord-Süd-Richtung, der St in Ost-West-Richtung. Als Bezugslinie wird eine Normale zur Fahrbahnlängsachse der S auf Höhe der südlichen Begrenzung des Einmündungstrichters des St gewählt. Die S weist eine gesamte Asphaltfläche von 4,2 m auf. Der Einmündungstrichter erstreckt sich von der Bezugslinie bis 14 m nördlich derselben. Die Tiefe des Einmündungstrichters ergibt sich mit ca 14 m. Ab dieser Position weist die ebenfalls mit einer Rauasphaltdecke versehene Fahrbahn des St eine Breite von 4 m bis in einen Bereich 25 m östlich der Verschneidungslinie auf. Ab dieser Position verringert sich die Fahrbahnbreite des St auf 3,1 m. Von Süden in Richtung Norden gesehen beschreibt die S eine lang gezogene Rechtskurve, in der die Sicht durch einen kurveninnenseitigen Holzzaun behindert wird. Das östliche Bankett weist südlich der Begrenzungslinie eine Breite von 0,9 m auf. Der Holzlattenzaun verläuft 2 m östlich des östlichen Asphaltrandes ab einer Position ca 1 m südlich der Bezugslinie in Richtung Süden. Westlich des westlichen Fahrbahnrandes verläuft ein 0,9 m breites Schotterbankett. Im unmittelbaren Unfallsbereich kann die Fahrbahn als horizontal bezeichnet werden. Die Unfallstelle befindet sich im Freiland, es ist jedoch eine Geschwindigkeitsbeschränkung von 70 km/h verfügt. Aus Süden kommend ist der asphaltierte Einmündungstrichter des St aus einer Entfernung von rund 45 m südlich der Bezugslinie erkennbar. Unfallbezughabende Verkehrszeichen oder Hinweise sind nicht vorhanden. Zum Unfallszeitpunkt war die Fahrbahn trocken, die Sichtverhältnisse waren gut. Die S, eine Gemeindestraße, verbindet die B mit der W. Der Straußweg führt zu zwei Anwesen und weist eine Länge von rund 600 m auf. Das Ende der Straße ist von der S aus nicht zu sehen; eine Beschilderung mit Hinweis auf eine Sackstraße ist nicht vorhanden. Der Asphaltbelag des Einmündungstrichters weist in etwa dieselbe Farbe auf wie jener der S und unterscheidet sich daher nicht wesentlich von jenem auf der S. Bei Annäherung an den Einmündungstrichter des St ist nicht erkennbar, ob es sich bei der einmündenden Straße um eine Privatstraße, eine Zufahrtsstraße oder eine Sackstraße handelt. Der Zeuge Z näherte sich mit seinem Fahrzeug der S auf dem St von Osten und wollte nach links in die S einbiegen. Zu diesem Zweck hielt er sein Fahrzeug in einer Position von 6 m nördlich der Bezugslinie derart an, dass sich das rechte Vorderrad des Zeugenfahrzeuges im Bereich der Verschneidungslinie befand, sodass die rechte vordere Ecke des Zeugenfahrzeuges 0,8 bis m 0,9 m in die Fahrbahn der S ragte, um den Verkehr auf der S zu beobachten. Er sah, dass sich von rechts (aus Norden) A H mit seinem Fahrzeug mit einer Geschwindigkeit von rund 60 km/h näherte, von links (aus Süden) kam (noch) kein Fahrzeug. Währenddessen näherte sich der Berufungswerber mit seinem Fahrzeug mit einer Geschwindigkeit von (rechnerisch) 72 km/h aus Süden. Obwohl für ihn das im Bereich der Kreuzung stehende Zeugenfahrzeug bereits 44 m südlich der Bezugslinie (das ist 50 m südlich der späteren Kollisionsposition) wahrnehmbar gewesen wäre, reagierte er erst bei 35 m südlich der Bezugslinie (mit einer Verspätung von 0,5 Sekunden) mit einer Vollbremsung und leichtem nach Rechts-Auslenken. Da er auf Grund des teilweisen Befahrens des Bankettes mit dem rechten Räderpaar durch diese Bremsung lediglich eine Verzögerung von 7 m/sec2 erreichte, konnte er die Kollision nicht mehr verhindern und stieß - nachdem er bei 30 m südlich der Bezugslinie das Fahrzeug des Zeugen H passiert hatte - mit einer Restgeschwindigkeit von 30 km/h bei 6 m nördlich der Bezugslinie mit der linken Frontseite gegen die linke vordere Flanke des zu diesem Zeitpunkt noch immer im Stillstand befindlichen Zeugenfahrzeuges. Hätte der Berufungswerber bei erster Sicht auf das Zeugenfahrzeug unverzüglich eine Vollbremsung eingeleitet, so wäre es ihm auch bei einer Verzögerung von nur 7 m/sec2 nördlich gewesen, sein Fahrzeug noch 4 m vor der späteren Unfallstelle kontaktfrei anzuhalten. Es wäre ihm aber auch leicht möglich gewesen, nach links auszulenken und westlich des angehaltenen Fahrzeuges ohne Bremsung kontaktfrei vorbeizufahren. Hätte er zum Zeitpunkt, als er tatsächlich reagierte (bei 35 m südlich der Bezugslinie), eine Geschwindigkeit von maximal 70 km/h eingehalten und hätte er mittels der Vollbremsung einen Verzögerungswert von 8 m/sec2 erreicht, so hätte er sein Fahrzeug gerade noch vor dem Zeugenfahrzeug unfallverhütend anhalten können. Die Feststellungen basieren auf dem Urteil des BG L vom 17.01.2006. Der Berufungswerber wurde in diesem Urteil als schuldig am Zustandekommen des Verkehrsunfalles angesehen, weil er einerseits sein Fahrzeug nicht vor dem etwas in die Kreuzung hineinragenden Fahrzeuges des Zeuge Z angehalten hatte bzw andererseits, weil er nicht links am Fahrzeug des Zeuge Z vorbeigefahren sei. Bei der Berufungsverhandlung am 07.07.2006 bekräftigte der Zeuge Z, dass er etwas in den Kreuzungsbereich hineingefahren sei, um einen etwaigen Verkehr auf der S zu sehen. Dabei habe er sein Fahrzeug angehalten und zum Stillstand gebracht. Dafür spricht auch, dass der Zeuge Z angab, dass er subjektiv der Meinung gewesen sei, dass er der Wartepflichtige gewesen sei und die Fahrzeuge auf der S Vorrang gehabt hätten. Rechtliche Beurteilung: Gemäß § 19 Abs 1 StVO haben Fahrzeuge, die von rechts kommen, sofern die folgenden Absätze nichts anderes bestimmen, den Vorrang. Gemäß § 19 Abs 7 StVO darf, wer keinen Vorrang hat (der Wartepflichtige), durch Kreuzen, Einbiegen oder Einordnen die Lenker von Fahrzeugen mit Vorrang (die Vorrangberechtigten) weder zu unvermitteltem Bremsen noch zum Ablenken ihrer Fahrzeuge nötigen. Gemäß § 19 Abs 8 StVO darf der Lenker eines Fahrzeuges auf seinen Vorrang verzichten, wobei ein solcher Verzicht dem Wartepflichtigen deutlich erkennbar zu machen ist. Das Zum-Stillstand-Bringen eines Fahrzeuges, ausgenommen eines Schienenfahrzeuges in Haltestellen, aus welchem Grunde immer, insbesondere auch in Befolgung eines gesetzlichen Gebotes, gilt als Verzicht auf den Vorrang. Der Wartepflichtige darf nicht annehmen, dass ein Vorrangberechtigter auf seinen Vorrang verzichten werde, und er darf insbesondere auch nicht annehmen, dass bei Vorrangverzicht eines Vorrangberechtigten ein anderer Vorrangberechtigter gleichfalls auf seinen Vorrang verzichten werde, es sei denn, dem Wartepflichtigen ist der Vorrangverzicht von Vorrangberechtigten zweifelsfrei erkennbar. Gemäß § 19 Abs 6 StVO haben Fahrzeuge im fließenden Verkehr Vorrang gegenüber Fahrzeugen, die von Nebenfahrbahnen, Fußgängerzonen, Wohnstraßen, Haus- oder Grundstücksausfahrten, Garagen, Parkplätzen, Tankstellen, Feldwegen oder dergleichen kommen. Ob eine im Sinne dieser Gesetzesstelle benachrangte Verkehrsfläche vorliegt, ist nach ständiger Rechtssprechung nach den Umständen des Einzelfalles zu beurteilen (ZVR 1992/115 ua). Dabei kommt es entscheidend darauf an, ob sich die Verkehrsfläche für die Benützer beider Straßen während der Fahrt nach objektiven Kriterien ohne Rücksicht auf die Ortskenntnisse der Benützer in ihrer gesamten Anlage eindeutig von sonstigen öffentlichen Straßen unterscheidet. Im Zweifel gilt der Rechtsvorrang. Auch Sackstraßen, die sich in ihrer Anlage von anderen öffentlichen Straßen nicht deutlich unterscheiden, werden nicht als im Sinne des § 19 Abs 6 StVO nachrangige Verkehrsflächen behandelt (ZVR 1978/280). Es ist weder die Verkehrsfrequenz einer solchen Verkehrsfläche, noch der Umstand, ob es sich um eine Sackstraße handelt, noch etwa die subjektive Auffassung von Verkehrsteilnehmern über die gegebenen Vorrangverhältnisse entscheidend, es kommt vielmehr alleine darauf an, ob es für einen unbefangenen Verkehrsteilnehmer (der nicht über Ortskenntnisse verfügt) objektiv und nach deutlich wahrnehmbaren Kriterien erkennbar ist, dass die Widmung der Verkehrsfläche eingeschränkt ist (ZVR 1978/280, 1982/242 ua). Im Zweifelsfall ist daher immer der Rechtsvorrang als gegeben anzunehmen (ZVR 1992/115). Im vorliegenden Fall ergibt sich aus dem festgestellten Sachverhalt, dass die Fahrbahnen der S und des St gleichartig ausgebildet sind. Vom Einmündungstrichter des St kann das Ende dieses Weges nicht eingesehen werden. Dass es sich um eine Sackstraße handelt, ist nicht erkennbar, eine Regelung der Kreuzung durch Vorschriftszeichen besteht nicht. Der St ist daher nicht als im Sinne des § 19 Abs 6 StVO benachrangte Verkehrsfläche anzusehen, weshalb grundsätzlich die Vorrangregel des § 19 Abs 1 StVO zur Anwendung gelangen hat. Gemäß § 19 Abs 8 StVO darf jedoch der Lenker eines Fahrzeuges durch entsprechend deutliches Verhalten auf seinen Vorrang verzichten, wobei das Zum-Stillstand-Bringen eines Fahrzeuges, egal aus welchem Grunde es erfolgt, als Vorrangverzicht zu werten ist. Hält daher ein Vorrangberechtigter sein Fahrzeug an einer Kreuzung an, gibt er mit diesem Anhalten benachrangten Verkehrsteilnehmern seinen Verzicht auf den Vorrang zu erkennen und kann sich daher nicht mehr auf die Anwendung der für fahrende Fahrzeuge gedachten Vorrangregel berufen (ZVR 1963/260, 1977/254, 1983/52). Nach einem erfolgten Vorrangverzicht darf der ursprünglich bevorrangte Verkehrsteilnehmer sein Fahrzeug erst dann wieder in Bewegung setzen, wenn er sich davon Gewissheit verschafft hat, dass er dadurch keinen anderen Verkehrsteilnehmer behindert (ZVR 1980/257). Einen Vorrangverzicht stellt es auch dar, wenn ein Fahrzeug derart zum Stillstand gebracht wird, dass es zum Teil in die ursprünglich benachrangte Verkehrsfläche eingefahren ist, aber noch so viel Raum verbleibt, dass dem ursprünglich benachrangten Verkehrsteilnehmer ein gefahrloses Passieren des stehenden Fahrzeuges möglich ist (ZVR 1998/30). Im vorliegenden Fall befand sich der von rechts auf dem Straußweg kommende Zeuge Z im Vorrang gegenüber den auf der S aus Süden kommenden Fahrzeugen und war daher grundsätzlich berechtigt, in die S einzufahren. Da der Zeuge Z sein Fahrzeug im Kreuzungsbereich anhielt, hat er wirksam auf seinen Vorrang gegenüber dem auf der S von links kommenden Fahrzeug des Berufungswerbers verzichtet. Dies ergibt sich daraus, dass der Zeuge Z nach dem Zum-Stillstand-Bringen seines Fahrzeuges nicht mehr neuerlich losfuhr und sich dadurch im Einklang mit dem zum Ausdruck gebrachten Vorrangverzicht verhielt. Aus diesem Grund war der Berufungswerber nicht mehr der Wartepflichtige, sondern hatte Vorrang. Er wurde auch nicht wegen einer Vorrangverletzung als schuldig am Zustandekommen des Verkehrsunfalles angesehen, sondern deswegen, weil er, als er erstmals Blickkontakt zum Fahrzeug des Zeuge Z hatte, nicht sofort bremste und sein Fahrzeug vor dem Fahrzeug des Zeugen Z zum Stillstand brachte bzw nicht links am Fahrzeug des Zeugen Z vorbeifuhr. Da der Berufungswerber die ihm angelastete Vorrangverletzung nicht begangen hat, war seiner Berufung Folge zu geben und das Verwaltungsstrafverfahren einzustellen.