Der Unabhängige Verwaltungssenat in Tirol entscheidet durch sein Mitglied Dr. Alexander Hohenhorst über die Berufung von Frau Dr. I. P., vertreten durch die Rechtsanwälte Mag. M. T., Mag. A. F., XY-Straße 21, I., vom 30.12.2005, gegen das Straferkenntnis der Bundespolizeidirektion Innsbruck vom 14.12.2005, Zl S-3953/05, betreffend Übertretung der Straßenverkehrsordnung, wie folgt:
Gemäß § 66 Abs 4 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 (AVG) in Verbindung mit §§ 24 und 51 Verwaltungsstrafgesetz 1991 (VStG) wird der Berufung Folge gegeben, das Straferkenntnis behoben und das Verfahren gemäß § 45 Abs 1 Z 1 VStG eingestellt.
Mit dem bekämpften Straferkenntnis wurde Frau Dr. P. zur Last gelegt, sie habe am 02.02.2005 um 17.50 Uhr in Innsbruck, Anichstraße 20, den Kombi mit dem Kennzeichen XY gelenkt, wobei es zu einem Verkehrsunfall mit Sachschaden kam, mit dem sie in ursächlichem Zusammenhang stand und trotzdem es unterlassen habe,
1.
das Fahrzeug anzuhalten und
2.
davon ohne unnötigen Aufschub die nächste Polizeidienststelle zu verständigen.
Sie habe dadurch zu 1. § 4 Abs 1 lit a StVO und zu 2. § 4 Abs 5 StVO verletzt, weshalb zu 1. gemäß § 99 Abs 2 lit a StVO über sie eine Geldstrafe in der Höhe von Euro 500,00 (im Uneinbringlichkeitsfall zehn Tage Ersatzfreiheitsstrafe) und zu 2. gemäß § 99 Abs 3 lit b StVO eine Geldstrafe in der Höhe von Euro 200,00 (im Uneinbringlichkeitsfall vier Tage Ersatzfreiheitsstrafe) verhängt wurde. Ihre Beitragspflicht zu den Kosten des erstinstanzlichen Verwaltungsstrafverfahrens wurde mit Euro 70,00 bestimmt.
Dagegen richtet sich die fristgerechte und zulässige Berufung, in der Frau Dr. P. durch ihre Rechtsvertreter im Wesentlichen vorbringt, dass das erstinstanzliche Verfahren an Mangelhaftigkeit leide, da die von ihr gestellten Beweisanträge übergangen worden seien. Sie habe bereits in ihrer Stellungnahme vom 24.06.2005 die Einholung eines kfz-technischen Sachbefundes sowie die Durchführung einer Stellprobe beantragt. Angesichts der widrigen Straßenverhältnisse, insbesondere der großen Schneemengen, seien ihre Angaben durchaus glaubhaft, dass sie von einem Anstoß an ein anderes Fahrzeug nichts bemerkt hat. Es dürfe als amtsbekannt vorausgesetzt werden, dass das Reversieren bei derartigen Straßenverhältnissen in einer Parklücke mit Knistergeräuschen verbunden ist. Zudem sei in keinster Weise erwiesen, dass durch den behaupteten Anstoß das Fahrzeug der Zeugin R. überhaupt beschädigt wurde. Allein der Umstand, dass der Schaden von der Haftpflichtversicherung der Beschuldigten ersetzt wurde, vermöge einen diesbezüglichen Beweis nicht zu ersetzen. Der allfällige Geschehensablauf sei ihr weder subjektiv noch objektiv vorwerfbar. Es werde daher beantragt, der Berufung Folge zu geben und das gegen sie behängende Strafverfahren zur Einstellung zu bringen.
Die Berufungsbehörde hat hiezu wie folgt erwogen:
Mit Schreiben vom 12.01.2006 forderte die Berufungsbehörde ein kfz-technisches Gutachten an, worin zu klären wäre, ob die festgestellten Schäden mit dem sich aus dem Akt ergebenden Geschehensablauf vereinbar und auf diesen rückführbar sind und bejahendenfalls ob der Anprall für die Lenkerin des ausparkenden Wagens (Dr. P.) wahrnehmbar gewesen ist.
Der kfz-technische Sachverständige beim Amt der Tiroler Landesregierung, Ing. W. F., erstattete am 04.09.2006 dazu Befund und Gutachten, wobei das Gutachten folgenden Wortlaut hat:
?Da von der Polizei am Fahrzeug der Beschuldigten keine korrelierenden Beschädigungsstellen gefunden werden konnten und durch die große Zeitspanne zum Unfallstag, ist eine Stellprobe nicht sinnvoll.
Die Anstoßstelle befindet sich für den Berufungswerber nicht im unmittelbaren oder mittelbaren Sichtbereich.
Die Annäherung konnte ausschließlich durch Abschätzung über die Spiegel, bzw den Blick über die Schulter nach hinten erfolgen.
Da wie in der Anzeige angeführt, die Fahrbahnoberfläche mit Schneehäufen und viel Schnee bedeckt war, kann die Empfindung eines Anstoßes durch andere unrunde Fahrzeugbewegungen und Geräuschen überdeckt gewesen sein.
Bei einem Anstoß mit geringer Intensität wäre es durchaus denkbar, dass die Bemerkbarkeit im Fahrzeug des Berufungswerbers als deutliche Schwingung oder Stoßbelastung durch den, wenn überhaupt zuordenbaren Schaden, nicht möglich war.
Ob für die Berufungswerberin die Zuhilfenahme einer Einweishilfe möglich oder verpflichtend war, ist eine rechtliche Beweiswürdigung.?
Sowohl für die Anhaltepflicht als auch für die Meldepflicht im Sinn der hier angewendeten Rechtsvorschriften ist es nach der herrschenden Rechtsprechung erforderlich, dass als objektives Tatbestandsmerkmal tatsächlich ein Verkehrsunfall mit Sachbeschädigung eingetreten ist und in subjektiver Hinsicht das Wissen vom Eintritt eines derartigen Schadens, wobei der Tatbestand schon dann verwirklicht ist, wenn dem Täter objektive Umstände zum Bewusstsein gekommen sind oder bei gehöriger Aufmerksamkeit zum Bewusstsein hätten kommen müssen, aus denen er die Möglichkeit eines Verkehrsunfalles mit einer Sachbeschädigung zu erkennen vermocht hätte.
Aufgrund der Ausführungen im oben zitierten kfz-technischen Sachverständigengutachten lässt sich das Vorliegen der vorhin beschriebenen Voraussetzungen für derartige Verwaltungsübertretung nicht mit einer für einen Schuldspruch erforderlichen Sicherheit nachweisen. Es war deshalb zumindest im Zweifel für die Beschuldigte zu ihren Gunsten zu entscheiden und das Straferkenntnis zu beheben und das Verfahren gegen sie einzustellen.