TE UVS Tirol 2007/04/10 2006/20/1915-4

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Veröffentlicht am 10.04.2007
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Spruch

Der Unabhängige Verwaltungssenat in Tirol entscheidet durch sein Mitglied Dr. Alfred Stöbich über die Berufung des Herrn C. H., K., vertreten durch Frau Rechtsanwältin Dr. A. H., K., gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Kitzbühel vom 1.6.2006, Zahl 704-06/173336-FS, wie folgt:

 

Gemäß § 66 Abs 4 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 (AVG) in Verbindung mit § 35 Abs 1 Führerscheingesetz (FSG) wird der Berufung Folge gegeben und der angefochtene Bescheid behoben.

Text

Mit dem angefochtenen Bescheid wurde dem Berufungswerber die von der Bezirkshauptmannschaft Kufstein für Kraftfahrzeuge der Klasse C1, C, EC1 und EC am 3.7.1998 erteilte Lenkberechtigung, Zahl 4a-1-8513, gemäß § 24 Abs 1 und 4 iVm § 25 Abs 2 FSG 1997 und § 12 Abs 3 FSG-GV 1997 entzogen.

 

In der Begründung bezog sich die Erstbehörde auf das amtsärztliche Gutachten des Amtsarztes der Bezirkshauptmannschaft Kitzbühel vom 22.5.2006. Da Personen, die unter epileptischen Anfällen oder anderen anfallsartigen Bewusstseinsstörungen oder Bewusstseinstrübungen leiden würden, gemäß § 12 Abs 3 FSG-GV ex lege keine Lenkberechtigung der Gruppe 2 erteilt oder belassen werden dürfe, hätte vom Amtssachverständigen lediglich die Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen der Gruppe 1 ausgesprochen werden können.

 

Gegen diesen Bescheid wurde innerhalb offener Frist Berufung erhoben. In der Begründung wurde darauf verwiesen, dass die Ausführungen des Amtsarztes sprachlich wie inhaltlich unverständlich und daher als Begründung nicht geeignet seien. Unter epileptischen Anfällen ?leide? eine Person nur dann, wenn solche Anfälle wiederholt, wenn auch in unregelmäßigen oder größeren Abstanden auftreten würden, sodass im Zeitpunkt der von der Behörde zu treffenden Entscheidung damit gerechnet werden müsse, dass ein solcher Anfall in absehbarer Zeit wieder auftreten könne. Der Amtsarzt habe in seinem Gutachten weder Feststellungen über die klinische Form der beim Berufungswerber vor 20 Jahren diagnostizierten Epilepsie und deren Entwicklung noch über die bisherige Behandlung, die Anfallshäufigkeit bzw Anfallsfreiheit und das Anfallsrisiko getroffen.

 

Gemäß einem neurologischen Befundbericht der Universitätsklinik für Neurologie Innsbruck vom 23.2.2006 sei der Berufungswerber seit fast 20 Jahren anfallsfrei und sei es beim Berufungswerber lediglich im Jugendalter zu insgesamt viermaligen Anfällen, immer am Morgen, gekommen. Anfallauslösend seien Schlafmangel und Alkoholgenuss gewesen. Die EEG-Befunde seien normal. Die Wahrscheinlichkeit des Auftretens eines neuerlichen Anfalles sei im Hinblick auf diese Umstände äußerst gering geworden und könne nicht mehr davon die Rede sein, dass der Berufungswerber unter epileptischen Anfällen ?leide?.

 

Die von der Erstbehörde offensichtlich zu Grunde liegende Auffassung, wonach eine einmal diagnostizierte Epilepsie die Erteilung der Lenkberechtigung der Gruppe 2 für immer ausschließe, wäre mit den in § 10 Abs 4 und § 11 Abs 2 FSG-GV zu Grunde liegenden Wertungen nicht vereinbar.

 

Nach dem Einlangen des erstinstanzlichen Aktes an die Berufungsbehörde (7.7.2006) richtete die Berufungsbehörde nachfolgendes mit 12.7.2006 datiertes Schreiben an die Landessanitätsdirektion mit dem Ersuchen um Erstellung eines Gutachtens:

 

?In einem beim Unabhängigen Verwaltungssenat in Tirol anhängigen Verwaltungsverfahren geht es um die Frage, inwieweit der Berufungswerber zum Lenken von Kraftfahrzeugen der Gruppe 2 geeignet ist. Die Erstbehörde verneint diese Eignung. Sie stützte sich dabei auf das Gutachten des Amtsarztes, welches wiederum auf das fachärztliche neurologische Gutachten des OMR Dr. W. D. verweist. In diesem Gutachten wird im Wesentlichen ausgeführt, dass der Berufungswerber im Jugendalter im Rahmen einer ?genuinen Epilepsie? mehrere generalisierte Anfälle erlitten habe und nunmehr seit 10 Jahren anfallsfrei sei. Er nehme aber noch immer ?zur persönlichen Sicherheit? antikonvulsive Prophylaxe ein.

 

Gemäß § 12 Abs 3 Führerscheingesetz-Gesundheitsverordnung kann Personen, die unter epileptischen Anfällen oder anderen anfallsartigen Bewusstseinsstörungen oder ?trübungen leiden, eine Lenkberechtigung der Gruppe 1 nur unter Einbeziehung einer befürwortenden fachärztlichen Stellungnahme erteilt oder belassen werden. Der Facharzt hat die Epilepsie oder andere Bewusstseinsstörungen, deren klinische Form und Entwicklung, die bisherige Behandlung und die Anfallsfreiheit und das Anfallsrisiko zu beurteilen. Hingegen darf solchen Personen keine Lenkberechtigung der Gruppe 2 erteilt oder belassen werden.

 

Die Erstbehörde bezog sich bei ihrer Entscheidung auf diese Bestimmung. In der Berufung wurde darauf verwiesen, dass eine Person nur dann unter epileptischen Anfällen ?leide?, wenn sich solche Anfälle wiederholen, wenn sie auch unregelmäßigen oder größeren Abständen auftreten würden, sodass im Zeitpunkt der von der Behörde zu treffenden Entscheidung damit gerechnet werden müsse, dass ein solcher Anfall in absehbarer Zeit wieder auftreten könne.

 

Der Amtsarzt habe in seinem Gutachten weder Feststellungen über die klinische Form der beim Berufungswerber vor 20 Jahren diagnostizierten Epilepsie und ihre Entwicklung noch über die bisherige Behandlung, die Anfallshäufigkeit bzw Anfallsfreiheit und das Anfallsrisiko getroffen.

 

Gemäß neurologischem Befundbericht der Universitätsklinik für Neurologie Innsbruck vom 23.2.2006 sei der Berufungswerber seit fast 20 Jahren anfallsfrei. Es sei beim Berufungswerber lediglich im Jugendalter zu insgesamt viermaligen Anfällen, jeweils am Morgen, gekommen, wobei anfallsauslösend jeweils Schlafmangel und Alkoholgenuss gewesen wären. Die EEG-Befunde seien normal. Die Wahrscheinlichkeit des Auftretens eines neuerlichen Anfalles sei im Hinblick auf diese Umstände äußerst gering geworden und könne nicht mehr davon die Rede sein, dass der Berufungswerber unter epileptischen Anfällen ?leide?.

 

Unter Bedachtnahme darauf wird nunmehr um Beantwortung der Frage gebeten, ob der Berufungswerber zu jenen Personen zu zählen ist, die unter epileptischen Anfällen oder anderen anfallsartigen Bewusstseinsstörungen oder ?trübungen leiden.

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat in Tirol:

 

Dr. Alfred Stöbich

 

Anlagen: amtsärztliches Gutachten vom 22.5.2006

fachärztliches Gutachten vom 21.4.2006

neurologischer Befundbericht vom 23.2.2006?

 

Im Zuge der Erstellung dieses Gutachtens wurde der Berufungswerber am 26.1.2007 von einer Amtsärztin der Landessanitätsdirektion befragt und untersucht. Schließlich wurde mit Schreiben vom 29.3.2007, eingelangt bei der Berufungsbehörde am 2.4.2007, eine amtsärztliche Stellungnahme der Landessanitätsdirektion übermittelt.

 

In dieser amtsärztlichen Stellungnahme wurde auf mehrere Arztbriefe der Universitätsklinik für Neurologie aus den Jahren 1999 bis 2006 Bezug genommen. Darüber hinaus wurde auch ausgeführt, dass der Berufungswerber am 26.1.2007 amtsärztlich untersucht worden sei, wobei keinerlei körperliche oder psychische Eignungseinschränkungen bezüglich der Fahrtauglichkeit festgestellt werden hätten können. Entsprechend der eigenen anamnestischen Befragung hätte der Berufungswerber im jugendlichen Alter, ausgelöst durch Schlafmangel und erhöhten Alkoholkonsum, mehrere epileptische Anfälle erlitten. Laut beigebrachten fachärztlichen Befunden sei der Berufungswerber seit über mehr als 10 Jahren anfallsfrei und sei mit ihm mehrfach über die Möglichkeit des Reduzierens bzw Absetzens der antiepileptischen Therapie gesprochen worden, wobei er jedoch seine Medikation aus einem rein subjektiven Sicherheitsbedürfnis weiterhin einnehme. Im Zuge einer nochmaligen Evaluierung der Krankengeschichte des Berufungswerbers, wie sie sich aus einem neurologischen Befundbericht vom 23.2.2006 ergebe, sei vom untersuchenden Facharzt eine kritische Hinterfragung der Deja-vu erfolgt, wobei dies Zustände als Ausdruck der auch in der Gesamtbevölkerung vorkommenden, kurzzeitigen Déja-vu´s ohne pathologischen Wert interpretiert worden sei. Es sei daher die Diagnose einer ideopatisch generalisierten Epilepsie aufgrund des sehr gutartigen Verlaufes und der EEG-Befunde seitens des Facharztes favorisiert worden.

 

Dies sei aus amtsärztlicher Sicht so zu interpretieren, dass es beim Berufungswerber mit hoher Wahrscheinlichkeit durch die Auswirkungen des Alkohols und Schlafmangel zu den beschriebenen Ereignissen in der Jugend gekommen sei und diese daher als Gelegenheitsanfälle gesehen werden könnten. Der Begriff ?generalisiert? bedeute, dass aufgrund des Verlaufes und der Symptome kein Hinweis auf eine anatomisch begrenzte Lokalisation und kein Zeichen eines lokalen (herdförmigen) Beginns zu erkennen sei.

 

Nachdem beim Berufungswerber seit über 10 Jahren kein Anfall mehr aufgetreten sei und laut der vorliegenden fachärztlichen Einschätzung auch bei Absetzen der Medikation ein neuerliches Auftreten von Anfällen unwahrscheinlich wäre, sei aus Sicht der Landessanitätsdirektion mit größter Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass beim Berufungswerber zwischenzeitlich kein Anfallsleiden im Sinne einer Epilepsie medizinisch relevant sei. Es spreche daher aus verkehrsmedizinischer Sicht nichts gegen eine Führerscheineignung der Gruppe 2. Im Rahmen der langjährigen Anfallsfreiheit habe der Berufungswerber schon bisher über eine (befristete) Führerscheineignung der Gruppe 2 verfügt. Von einer weiteren Führerscheinbefristung könne aus medizinischer Sicht abgesehen werden.

 

In rechtlicher Hinsicht ergibt sich Folgendes:

 

Gemäß § 3 Abs 1 Z 3 FSG darf eine Lenkberechtigung nur Personen erteilt werden, die gesundheitlich geeignet sind ein Kraftfahrzeug zu lenken (§§ 8 und 9).

 

Gemäß § 12 Abs 3 FSG-GV kann Personen, die unter epileptischen Anfällen oder anderen anfallsartigen Bewusstseinsstörungen oder ?trübungen leiden, eine Lenkberechtigung der Gruppe 1 nur unter Einbeziehung einer befürwortenden fachärztlichen Stellungnahme erteilt oder belassen werden. Der Facharzt hat die Epilepsie oder andere Bewusstseinsstörungen, deren klinische Form und Entwicklung, die bisherige Behandlung und die Anfallsfreiheit und das Anfallsrisiko zu beurteilen. Hingegen darf solchen Personen keine Lenkberechtigung der Gruppe 2 erteilt oder belassen waren.

 

Unter epileptischen Anfällen ?leidet? eine Person nur dann, wenn solche Anfälle wiederholt, wenn auch in  unregelmäßigen oder größeren Abständen auftreten, sodass im Zeitpunkt der von der Behörde zu treffenden Entscheidung damit gerechnet werden muss, dass ein solcher Anfall in absehbarer Zeit wieder auftreten kann (VwGH vom 4.10.2000, Zahl 2000/11/0043).

 

Auf der Grundlage der schlüssigen und nachvollziehbaren Ausführungen in der amtsärztlichen Stellungnahme der Landessanitätsdirektion kann im gegenständlichen Fall nicht davon die Rede sein, dass der Berufungswerber unter epileptischen Anfälle ?leidet?. Dem Entzug der Lenkberechtigung der Gruppe 2 fehlt es daher an der sachlichen Rechtfertigung.

 

Es war daher wie im Spruch ausgeführt zu entscheiden.

 

HINWEIS:

Für die Vergebührung des Berufungsantrages (samt Beilagen) sind Euro 13,00 bei der Bezirkshauptmannschaft Kitzbühel zu entrichten. Dieser Betrag ist binnen zwei Wochen nach Erhalt des Zahlscheines einzuzahlen.

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Quelle: Unabhängige Verwaltungssenate UVS, http://www.wien.gv.at/uvs/index.html
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