Der Unabhängige Verwaltungssenat Wien hat durch sein Mitglied Mag. Schmied über die Berufung der Frau Tina S. gegen das Straferkenntnis des Magistrates der Stadt Wien, Magistratisches Bezirksamt für den 22. Bezirk, vom 24.4.2007, Zl. MBA 22-S 901/07, betreffend eine Übertretung des § 3 Z 1 in Verbindung mit § 13 Abs 2 Z 1 Wiener Tierhaltegesetz, nach Durchführung einer öffentlichen, mündlichen Verhandlung entschieden:
Gemäß § 66 Abs 4 AVG wird der Berufung Folge gegeben, das angefochtene Straferkenntnis behoben und das Verfahren gemäß § 45 Abs 1 Z 3 VStG eingestellt.
Die Berufungswerberin hat gemäß § 65 VStG keinen Beitrag zu den Kosten des Berufungsverfahrens zu leisten.
Mit dem angefochtenen Straferkenntnis wurde der Berufungswerberin zur Last gelegt, sie habe als Verwahrerin eines Hundes diesen am 17.1.2007 um ca. 17.30 Uhr in Wien, D-gasse, insofern nicht so verwahrt, dass Menschen nicht gefährdet wurden, als es diesem möglich war, aus dem Garten zu laufen und einer Frau einen Biss in die rechte Hand zuzufügen. Sie habe dadurch die Rechtsvorschrift des § 13 Abs 2 Z 1 in Verbindung mit § 3 Z 1 des Wiener Tierhaltegesetzes, LGBl. für Wien Nr. 39/1987 idgF, verletzt, weswegen gemäß § 13 Abs 2 erster Fall leg. cit. über sie eine Geldstrafe von 300,-- Euro, im Uneinbringlichkeitsfall 2 Tage und 6 Stunden Ersatzfreiheitsstrafe, verhängt und ihr gemäß § 64 VStG ein Verfahrenskostenbeitrag von 30,-- Euro vorgeschrieben wurde. Aufgrund der dagegen form- und fristgerecht eingebrachten Berufung wurde am 27.7.20007 eine öffentliche, mündliche Verhandlung vor dem Unabhängigen Verwaltungssenat Wien durchgeführt. In der Verhandlung brachte die Berufungswerberin vor, wegen des gegenständlichen Vorfalls, und zwar wegen der Bissverletzung bereits gerichtlich bestraft worden zu sein. Die Strafe habe sie schon beglichen. Der Richter habe ihr gesagt, sie könne wegen dieses Vorfalls kein zweites Mal bestraft werden. Beim Magistrat der Stadt Wien habe man ihr die gegenteilige Auskunft gegeben.
In der Folge wurde das Urteil des Bezirksgerichts Donaustadt vom 18.4.2007, Zl. 10 U 94/07y, beigeschafft. Mit diesem Urteil wurde über die Berufungswerberin wegen des Vorfalls, der auch mit dem gegenständlichen Straferkenntnis abgehandelt wird, wegen fahrlässiger Körperverletzung gemäß § 88 Abs 1 StGB eine Geldstrafe von 30 Tagessätzen a 2,-- Euro, gesamt daher 60,-- Euro, für den Fall der Uneinbringlichkeit zu 15 Tagen Ersatzfreiheitsstrafe, verhängt.
Dem Urteil wurde folgender Sachverhalt zu Grunde gelegt: ?Tina S. ist schuldig, sie hat am 17.1.2007 in Wien, D-gasse die Sorgfalt außer Acht gelassen, zu der sie nach den Umständen verpflichtet und nach ihren geistigen und körperlichen Verhältnissen befähigt war und die ihr zuzumuten war, indem sie als Hundehalterin ihren Hund beim Verlassen des Grundstücks nicht ordnungsgemäß verwahrte, wodurch er Michaela M., die sich am Gehsteig befand, in den rechten Arm biss, wodurch die Genannte eine Hundebissverletzung am rechten Unterarm mit Schwellung und einigen Kratzern erlitt.?
Das Urteil ist seit 24.4.2007 rechtskräftig.
Der Unabhängige Verwaltungssenat Wien hat erwogen:
Ohne auf die Berufungsausführungen eingehen zu müssen, war aus den im Folgenden dargelegten Gründen das angefochtene Straferkenntnis wegen des verfassungsrechtlich verankerten Verbotes einer Doppelbestrafung zu beheben.
Gemäß § 3 Z 1 Wiener Tierhaltegesetz sind Tiere so zu halten, dass Menschen nicht gefährdet werden. Eine Übertretung dieser Rechtsvorschrift ist nach § 13 Abs 2 leg.cit. strafbar und mit Geldstrafe bis zu 14.000,-- Euro zu ahnden.
Gemäß § 88 Abs 1 StGB ist mit Freiheitsstrafe bis zu drei Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 180 Tagessätzen zu bestrafen, wer fahrlässig einen anderen am Körper verletzt oder an der Gesundheit schädigt.
Gemäß Art. 4 des 7. Zusatzprotokolls zur Europäischen Menschenrechtskonvention darf niemand wegen einer strafbaren Handlung, wegen der er bereits nach dem Gesetz und dem Strafverfahrensrecht eines Staates rechtskräftig verurteilt oder freigesprochen worden ist, in einem Strafverfahren desselben Staates erneut vor Gericht gestellt oder bestraft werden (Verbot der Doppelbestrafung). Die zitierte Bestimmung steht in Verfassungsrang.
Unter Bedachtnahme auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte vom 23.10.1995, Z 33/1994/480/562, Serie A/328 (Fall Gradinger) widerspricht eine gesetzliche Strafdrohung dann dem Art. 4 des 7. ZPEMRK, wenn sie den wesentlichen Gesichtspunkt ("aspect") eines Straftatbestandes, der bereits Teil eines von den Strafgerichten zu ahndenden Straftatbestandes ist, neuerlich einer Beurteilung und Bestrafung durch die Verwaltungsbehörden unterwirft.
Genau das würde aber im Fall der Bestätigung des Schuld- und Strafausspruches des gegenständlich angefochtenen Straferkenntnisses geschehen. Die Strafbarkeit der Berufungswerberin gemäß § 88 Abs 1 StGB gründet sich im wesentlichen auf den Vorwurf, den von ihr gehaltenen Hund unzureichend verwahrt zu haben, wodurch es zur Bissverletzung einer Passantin gekommen ist. Auch mit dem gegenständlich zu beurteilenden Straferkenntnis des Magistrates der Stadt Wien wird gegen die Berufungswerberin der Vorwurf erhoben, den von ihr gehaltenen Hund nicht so verwahrt zu haben, das Menschen nicht gefährdet werden. Der Schutzzweck des § 3 Z 1 des Wiener Tierhaltegesetzes deckt sich insofern mit jenem des § 88 Abs 1 StGB (Strafbarkeit fahrlässiger Körperverletzungen), als die zitierte Vorschrift des Wiener Tierschutz- und Tierhaltegesetzes darauf abzielt, Gefährdungen und Verletzungen von Menschen durch unzureichend verwahrte Tiere hintanzuhalten. Mit der Bestätigung des gegenständlich angefochtenen Straferkenntnisses würde daher für ein- und dasselbe Verhalten der Beschuldigten ein Unrechts- und Schuldgehalt abgegolten, der bereits durch die rechtskräftig erfolgte Bestrafung der Berufungswerberin wegen des Vergehens nach § 88 Abs 1 StGB abgegolten wurde.
Die kumulative Bestrafung der Berufungswerberin wegen Übertretung des § 3 Z 1 Tierhaltegesetz stünde somit in Anbetracht der bereits erfolgten Bestrafung gemäß § 88 Abs 1 StGB wegen desselben Verhaltens (unzureichende Verwahrung des Hundes, wodurch es zur Bissverletzung einer Passantin kam) in Widerspruch zu der in Verfassungsrang stehenden Bestimmung des Art. 4 des 7. ZPMRK.
Obwohl im Wiener Tierhaltegesetz die Subsidiarität von Verwaltungsstrafen gegenüber gerichtlichen Strafen nicht mehr ausdrücklich angeordnet ist (die Rechtsvorschrift des § 28 Abs 5 Wiener Tierschutz- und Tierhaltegesetz in der Fassung LGBl. für Wien, Nr. 13/2002, wurde in das nunmehr als Wiener Tierhaltegesetz bezeichnete Gesetz in der Fassung LGBl für Wien Nr. 4/2005 nicht übernommen) und daher der bloße Wortlaut des genannten Gesetzes eine Doppelbestrafung nach § 88 Abs 1 StGB einerseits und § 3 Z 1 Wiener Tierhaltegesetz andererseits zulassen würde, ist - nicht zuletzt im Hinblick auf die zu anderen, vergleichbaren Rechtsmaterien ergangene Judikatur des Verfassungsgerichtshofes (vgl. insbesondere VfGH vom 19.6.1998, Zl. G 275/96) - das Wiener Tierhaltegesetz verfassungskonform dahingehend zu interpretieren, dass die Verhängung einer Verwaltungsstrafe wegen Übertretung des § 3 Z 1 iVm § 13 Abs 2 leg. cit. dann nicht in Betracht kommt, wenn der Beschuldigte nach § 88 Abs 1 StGB bereits gerichtlich bestraft worden ist und mit der vom Gericht verhängten Strafe dasselbe Verhalten geahndet wird, durch welches auch der Tatbestand des § 13 Abs 2 Wiener Tierhaltegesetz verwirklicht wurde.
Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.