Der Unabhängige Verwaltungssenat in Tirol entscheidet durch sein Mitglied Dr. Franz Triendl über die Berufung des Herrn S. L., geb. XY, v.d. Rechtsanwalt Mag. T. F., in XY, gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Kufstein vom 05.09.2007, 4-1/943-1-07, wie folgt:
Gemäß § 66 Abs 4 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 (AVG) in Verbindung mit § 35 Abs 1 Führerscheingesetz wird der Berufung Folge gegeben und der angefochtene Bescheid behoben.
Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Kufstein vom 27.02.2007, Zl VK-13146-2006, wurde dem Berufungswerber unter Spruchpunkt I. die Lenkberechtigung für alle Klassen auf die Dauer von sechs Wochen, gerechnet ab 08.01.2007 entzogen. Unter Spruchpunkt III. wurde gemäß § 24 Abs 3 FSG eine Nachschulung angeordnet, wobei die Nachschulung spruchgemäß binnen vier Monaten (gerechnet ab Zustellung des Bescheides) zu absolvieren sei, widrigenfalls die Lenkberechtigung bis zur Befolgung der Anordnung (neuerlich) entzogen werde. Diesem rechtskräftigen Bescheid lag eine Geschwindigkeitsüberschreitung um mehr als 50 km/h außerhalb des Ortsgebietes zugrunde (vgl § 7 Abs 3 Z 4 FSG bzw § 99 Abs 2c Z 9 StVO), wobei das Strafverfahren in erster Instanz im Sinne des § 26 Abs 4 FSG durch Strafbescheid abgeschlossen wurde. Bei der nunmehrigen Übertretung handelt es sich um die zweite Begehung innerhalb von zwei Jahren ab der ersten Begehung dieser Art. Gegenständlich wurde dem Berufungswerber der Führerschein vorläufig abgenommen und nach Ablauf der Entzugszeit (19.02.2007) wieder ausgefolgt.
Unstrittig hat der Berufungswerber die angeordnete Nachschulung binnen vier Monaten ab Zustellung des Bescheides vom 27.02.2007 nicht durchgeführt. Die Bezirkshauptmannschaft Kufstein entzog ihm daraufhin mit Bescheid vom 05.09.2007, Zl 4-1/943-1-07, die Lenkberechtigung hinsichtlich sämtlicher Klassen bis zur Durchführung der angeordneten Nachschulung (unter Spruchpunkt II. wurde ein Mopedfahrverbot angeordnet und unter III. das Recht, von einer (allfälligen) ausländischen Lenkberechtigung Gebrauch zu machen, aberkannt).
Dagegen erhob der nunmehr rechtsfreundlich vertretene Berufungswerber rechtzeitig Berufung und brachte darin zusammenfassend vor, die Behörde sei zu Unrecht von einem Probeführerschein ausgegangen und sei es überdies dem Berufungswerber nicht möglich gewesen, eine Nachschulung durchzuführen, da keine entsprechenden Termine angeboten worden seien und demzufolge beim Berufungswerber kein Verschulden zu sehen sei.
Der Unabhängige Verwaltungssenat in Tirol hat wie folgt erwogen:
Rechtsgrundlagen:
Im gegenständlichen Fall sind folgende Bestimmungen des Führerscheingesetzes BGBl I 1997/120 idF BGBl I 2006/32 (FSG) maßgebend:
?§ 7
(1) Als verkehrszuverlässig gilt eine Person, wenn nicht auf Grund erwiesener bestimmter Tatsachen (Abs 3) und ihrer Wertung (Abs 4) angenommen werden muss, dass sie wegen ihrer Sinnesart beim Lenken von Kraftfahrzeugen
1. die Verkehrssicherheit insbesondere durch rücksichtsloses Verhalten im Straßenverkehr oder durch Trunkenheit oder einen durch Suchtmittel oder durch Medikamente beeinträchtigten Zustand gefährden wird, oder
2. sich wegen der erleichternden Umstände, die beim Lenken von Kraftfahrzeugen gegeben sind, sonstiger schwerer strafbarer Handlungen schuldig machen wird.
(3) Als bestimmte Tatsache im Sinn des Abs 1 hat insbesondere zu gelten, wenn jemand:
4. die jeweils zulässige Höchstgeschwindigkeit im Ortsgebiet um mehr als 40 km/h oder außerhalb des Ortsgebiets um mehr als 50 km/h oder eine Geschwindigkeit von 180 km/h überschritten hat und diese Überschreitung mit einem technischen Hilfsmittel
festgestellt wurde;
§ 24
(1) Besitzern einer Lenkberechtigung, bei denen die Voraussetzungen für die Erteilung der Lenkberechtigung (§ 3 Abs 1 Z 2 bis 4) nicht mehr gegeben sind, ist von der Behörde entsprechend den Erfordernissen der Verkehrssicherheit
1.
die Lenkberechtigung zu entziehen oder
2.
die Gültigkeit der Lenkberechtigung durch Auflagen, Befristungen oder zeitliche, örtliche oder sachliche Beschränkungen einzuschränken. Diesfalls ist gemäß § 13 Abs 5 ein neuer Führerschein auszustellen.
(3) Bei der Entziehung oder Einschränkung der Lenkberechtigung kann die Behörde begleitende Maßnahmen (Nachschulung und dgl) oder die Beibringung eines amtsärztlichen Gutachtens über die gesundheitliche Eignung anordnen. Die Behörde hat unbeschadet der Bestimmungen des Abs 3a eine Nachschulung anzuordnen:
1.
wenn die Entziehung in der Probezeit (§ 4) erfolgt,
2.
wegen einer zweiten in § 7 Abs 3 Z 4 genannten Übertretung innerhalb von zwei Jahren oder
3. wegen einer Übertretung gemäß § 99 Abs 1 oder 1a StVO 1960. Im Rahmen des amtsärztlichen Gutachtens kann die Beibringung der erforderlichen fachärztlichen oder einer verkehrspsychologischen Stellungnahme aufgetragen werden. Bei einer Übertretung gemäß § 99 Abs 1 StVO 1960 ist unbeschadet der Bestimmungen des Abs 3a zusätzlich die Beibringung eines von einem Amtsarzt erstellten Gutachtens über die gesundheitliche Eignung gemäß § 8 sowie die Beibringung einer verkehrspsychologischen Stellungnahme anzuordnen. Wurde eine dieser Anordnungen innerhalb der festgesetzten Frist nicht befolgt oder wurden die zur Erstellung des ärztlichen Gutachtens erforderlichen Befunde nicht beigebracht oder wurde die Mitarbeit bei Absolvierung der begleitenden Maßnahme unterlassen, so endet die Entziehungsdauer nicht vor Befolgung der Anordnung. Wurde von einem Probeführerscheinbesitzer die Anordnung der Nachschulung nicht befolgt oder die Mitarbeit bei dieser unterlassen, so ist die Lenkberechtigung bis zur Befolgung der Anordnung zu entziehen. Wurde die Anordnung der Absolvierung der fehlenden Stufe(n) gemäß § 4c Abs 2 nicht befolgt oder wurde dabei die Mitarbeit unterlassen, so ist die Lenkberechtigung jener Klasse, für die die angeordnete(n) Stufe(n) nicht absolviert wurde(n), bis zur Befolgung der Anordnung zu entziehen. Eine diesbezügliche Entziehung der Klasse B zieht jedenfalls eine Entziehung der Klassen C, C+E, D, D+E oder der Unterklasse C1 und C1+E nach sich. Die Anordnung der begleitenden Maßnahme oder des ärztlichen Gutachtens hat entweder im Bescheid, mit dem die Entziehung oder Einschränkung ausgesprochen wird, oder in einem gesonderten Bescheid zugleich mit dem Entziehungsbescheid zu erfolgen.
§ 25
(1) Bei der Entziehung ist auch auszusprechen, für welchen Zeitraum die Lenkberechtigung entzogen wird. Dieser ist auf Grund der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens festzusetzen. Endet die Gültigkeit der Lenkberechtigung vor dem Ende der von der Behörde prognostizierten Entziehungsdauer, so hat die Behörde auch auszusprechen, für welche Zeit nach Ablauf der Gültigkeit der Lenkberechtigung keine neue Lenkberechtigung erteilt werden darf.
§ 26
(3) Im Falle der erstmaligen Begehung einer in § 7 Abs 3 Z 4 genannten Übertretung - sofern die Übertretung nicht geeignet war, besonders gefährliche Verhältnisse herbeizuführen oder nicht mit besonderer Rücksichtslosigkeit gegenüber anderen Straßenbenützern begangen wurde (§ 7 Abs 3 Z 3) oder auch eine Übertretung gemäß Abs 1 oder 2 vorliegt - hat die Entziehungsdauer zwei Wochen, bei der zweiten Begehung einer derartigen Übertretung innerhalb von zwei Jahren ab der ersten Begehung sechs Wochen zu betragen.
(4) Eine Entziehung gemäß Abs 3 darf erst ausgesprochen werden, wenn das Strafverfahren in erster Instanz durch Strafbescheid abgeschlossen ist. Bei erstmaligen Entziehungen gemäß Abs. 3 darf die Behörde keine begleitenden Maßnahmen anordnen, es sei denn, die Übertretung erfolgte durch einen Probeführerscheinbesitzer.
?
§ 99 Abs 2c Z 9 Straßenverkehrsordnung 1960, BGBl 159, idF BGBl I 2006/152 (StVO) lautet wie folgt:
?Eine Verwaltungsübertretung begeht und ist mit einer Geldstrafe von 72 Euro bis 2 180 Euro, im Fall ihrer Uneinbringlichkeit mit Arrest von 24 Stunden bis sechs Wochen, zu bestrafen, wer als Lenker eines Fahrzeuges die jeweils zulässige Höchstgeschwindigkeit im Ortsgebiet um mehr als 40 km/h oder außerhalb des Ortsgebiets um mehr als 50 km/h überschreitet.?
Rechtliche Würdigung:
Die Behörde I. Instanz ist im angefochtenen Bescheid davon ausgegangen, dass der Berufungswerber Besitzer eines Probeführerscheines ist. Diese Annahme ist unrichtig, wäre aber insoweit unbeachtlich gewesen, als die Berufungsbehörde bei entsprechender gesetzlicher Grundlage diesen Irrtum richtig stellen hätte können. Dem Berufungsvorbringen ist weiters zu entgegnen, dass das in keiner Weise unter Beweis gestellte Vorbringen, es wären ?keine entsprechenden Termine angeboten worden?, angesichts des dem Berufungswerber zur Verfügung gestandenen Zeitraumes, völlig unglaubwürdig erscheint.
Unabhängig davon war jedoch der Berufung aus folgenden Erwägung Folge zu geben: In der gegenständlichen Fallkonstellation endete der Entzug der Lenkberechtigung vor Erlassung des Entzugsbescheides samt Anordnung einer Nachschulung. Die Behörde hat in offenkundiger Anwendung der Rechtsvorschrift des § 29 Abs 4 FSG (?Wurde der Führerschein gemäß § 39 vorläufig abgenommen und nicht wieder ausgefolgt, so ist die Entziehungsdauer ab dem Tag der vorläufigen Abnahme zu berechnen?) den Beginn der Entzugszeit mit 08.01.2007 festgesetzt. Somit endet der sechswöchige Entzug per 19.02.2007. Erst mit Bescheid vom 27.02.2007 wurde der Entzug der Lenkberechtigung bescheidmäßig ausgesprochen und unter Spruchpunkt III. die gemäß § 24 Abs 3 Z 2. FSG in der gegenständlichen Fallkonstellation zwingende Nachschulung angeordnet. § 24 Abs 3 5. Satz FSG sieht für den Fall, dass eine der vorangehenden Anordnungen (zB Nachschulung) innerhalb der festgesetzten Frist nicht befolgt wurde, vor, dass diesfalls die Entziehungsdauer nicht vor Befolgung der Anordnung endet.
§ 24 Abs 3 letzter Satz FSG schreibt korrespondierend vor, dass die Anordnung der begleitenden Maßnahme jedenfalls zugleich mit dem Entziehungsbescheid zu erfolgen hat. Damit soll sichergestellt sein, dass in diesen schwerwiegenden Fällen (schwere Delikte, Wiederholungsdelikte), bei denen die Entzugszeit ?normalerweise? entsprechend lang ist, der Betreffenden realistischerweise die Möglichkeit hat, die geforderten Anordnungen innerhalb der Entzugszeit beizubringen, wodurch ein ?kalter Entzug? für den Betreffenden verhindert wird (so die Erläuterungen zur Regierungsvorlage der 5. FSG-Nov RV 1033, BlgNR 21. GP). Nun hat die Behörde I. Instanz zwar diesem Gebot insofern (formell) Rechnung getragen, als sie mit dem Entzug der Lenkberechtigung zugleich auch die Nachschulung angeordnet hat, dies jedoch mit dem entscheidenden Unterschied, dass dieser Ausspruch im nachhinein, dh nach Ablauf der Entzugszeit der Lenkberechtigung, erfolgte. Damit wurde aber der gesetzlichen Intention, dem Betroffenen die Möglichkeit einer Absolvierung der Nachschulung innerhalb der Entzugszeit einzuräumen, keine Rechnung getragen.
Der Gesetzgeber geht also in der Konzeption des § 24 FSG beim Standartlenker (anders dagegen beim Probeführerscheinbesitzer ? siehe § 24 Abs 3 6. Satz FSG: ?Wurde von einem Probeführerscheinbesitzer die Anordnung der Nachschulung nicht befolgt oder die Mitarbeit bei dieser unterlassen, so ist die Lenkberechtigung bis zur Befolgung der Anordnung zu entziehen? und § 4 Abs 8 2. Satz FSG: ?Kommt der Besitzer der Lenkberechtigung der Anordnung zur Nachschulung nicht innerhalb von vier Monaten nach, so ist gemäß § 24 Abs 3 sechster Satz vorzugehen.?) offenkundig davon aus, dass in diesen (schwerwiegenden) Fällen (mit Anordnung ua einer Nachschulung) die Entzugszeit bei Anordnung der Nachschulung noch nicht abgelaufen ist und sieht folgerichtig für die gegenständliche Fallkonstellation auch keine gesetzliche Grundlage dafür vor, die allfällige Nichteinhaltung einer nach Ende des Entzuges der Lenkberechtigung vorgeschriebenen Nachschulung mit einem Entzug der Lenkberechtigung zu sanktionieren.
Ist es in der Praxis schon sehr schwierig, für verkehrsauffällige Lenker (§ 3 Nachschulungsverordnung) im Vergleich zu alkoholauffälligen Lenkern aufgrund des bekannt geringerem Kursangebotes eine Nachschulung innerhalb von sechs Wochen durchführen zu können, ist es für die Berufungsbehörde augenfällig, dass in der gegenständlichen Fallkonstellation für die Verwaltungspraxis überdies die Problematik besteht, dass es unter Beachtung der gesetzlichen Vorgabe, den Ausgang des Strafverfahrens in erster Instanz abzuwarten (§ 26 Abs 4 FSG), bei einer vorläufigen Abnahme des Führerscheines und Nichtausfolgung dieses Führerscheines (§ 39 Abs 3 und § 29 Abs 4 FSG) kaum möglich sein wird, den gesetzlichen Intentionen Rechnung zu tragen, zumal diesfalls der Beginn der Entzugsfrist der Lenkberechtigung mit der vorläufigen Abnahme des Führerscheines feststeht (und nicht etwa von der Entzugsbehörde mit der Zustellung des Entzugsbescheides festgelegt werden kann) und die Behörde (nach Abwarten des Ausganges des erstinstanzlichen Strafverfahrens) innerhalb der 6 Wochen Entzugsdauer noch so zeitig den Entzug und die Nachschulung bescheidmäßig aussprechen müsste, dass für den Betroffenen noch die Möglichkeit besteht, eine Nachschulung innerhalb der verbleibenden Entzugszeit durchzuführen. Dies wird in der Praxis kaum der Fall sein. Soweit für den Gefertigten ersichtlich, könnte das gegenständliche Problem derzeit nur dadurch gelöst werden, dass der Führerschein innerhalb der drei Tage nach § 39 Abs 3 FSG dem Betroffenen ausgefolgt wird und so keine Bindung der Behörde bei der Festlegung des Beginns der Entziehungszeit mit dem Tag der Abnahme gegeben wäre. Die Behörde könnte diesfalls den Beginn der Entziehungszeit selbst wählen (etwa mit der Zustellung des Entziehungsbescheides) und im Entzugsbescheid die Nachschulung anordnen. Dem Betroffenen verblieben somit zumindest volle sechs Wochen, um die Nachschulung zu absolvieren.
Die führerscheinrechtlichen Bestimmungen zum Kurzzeitentzug nach § 36 Abs 3 und 4 FSG scheinen in Bezug auf die Anordnung einer zwingenden Nachschulung nach § 24 Abs 3 Z 2 FSG insgesamt unstimmig zu sein. Ungeachtet dessen findet die von der Erstbehörde gewählte Vorgangsweise in der derzeitigen Gesetzeslage keine Deckung. Es war daher spruchgemäß zu entscheiden. Auf die Bestimmung des § 5 VVG, wonach die Verpflichtung u.a. zu einer unvertretbaren Handlung durch die Verhängung von Zwangstrafen vollstreckt werden kann, wird hingewiesen.
HINWEIS:
Für die Vergebührung des Berufungsantrages (samt Beilagen) sind Euro 13,00 zu entrichten. Dieser Betrag ist binnen zwei Wochen nach Erhalt des Zahlscheines einzuzahlen.