Index
40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AVG §46;Beachte
Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden): 98/21/0081Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sauberer und die Hofräte Dr. Robl und Dr. Grünstäudl als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Winter, über die Beschwerden des S in Graz, geboren am 8. November 1968, vertreten durch Dr. Heinz-Dieter Flesch, Rechtsanwalt in 8570 Voitsberg, Bahnhofstraße 9, gegen die Bescheide der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark je vom 19. Dezember 1997, Zl. FR 1554/1997, betreffend Ausweisung und Feststellung gemäß § 54 Abs. 1 Fremdengesetz, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerden werden als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom 19. Dezember 1997 wies die belangte Behörde den Beschwerdeführer, einen Staatsangehörigen von Ghana, gemäß § 17 Abs. 1 in Verbindung mit § 19 des Fremdengesetzes - FrG, BGBl. Nr. 838/1992, aus.
Nach ihren begründenden Ausführungen sei der Beschwerdeführer am 11. August 1997 aus Slowenien kommend in einem Lkw versteckt und ohne Reisedokumente nach Österreich eingereist und habe noch am gleichen Tag einen Asylantrag gestellt. Mit dem im Instanzenzug ergangenen, am 6. Oktober 1997 erlassenen Bescheid des Bundesministers für Inneres sei der Asylantrag des Beschwerdeführers rechtskräftig abgewiesen worden, eine vorläufige Aufenthaltsberechtigung nach dem Asylgesetz sei dem Beschwerdeführer nicht zugekommen. Der Beschwerdeführer halte sich daher seit seiner Einreise unrechtmäßig im Bundesgebiet auf. Daran könne auch der Umstand, dass er gegen den genannten Bescheid des Bundesministers für Inneres Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof erhoben habe, nichts ändern, da ihm selbst für den Fall, dass seiner Beschwerde vom Verwaltungsgerichtshof die aufschiebende Wirkung zuerkannt werde, ein Aufenthaltsrecht nicht zukomme.
Zu § 19 FrG stellte die belangte Behörde fest, dass der Beschwerdeführer weder über verwandtschaftliche Bindungen zu im Bundesgebiet lebenden Personen noch über eine Lebensgemeinschaft mit einer österreichischen Staatsbürgerin verfüge. Auf Grund seiner Mittellosigkeit und seines erst kurzen Aufenthaltes in Österreich sei er weder in wirtschaftlicher noch in sozialer Hinsicht integriert. Da kein relevanter Eingriff in das Privat- und Familienleben des Fremden vorliege, erübrige sich die Prüfung, ob seine Ausweisung im Sinn des § 19 FrG dringend geboten sei. Das Vorbringen des Beschwerdeführers, mit dem er auf eine Bedrohung seines Lebens bei Rückkehr in seinen Heimatstaat Ghana verweise, gehe im Verfahren zur Erlassung einer Ausweisung an der Sache vorbei.
Mit Bescheid vom gleichen Tag stellte die belangte Behörde - gleichfalls im Instanzenzug - gemäß § 54 Abs. 1 FrG fest, es bestünden keine stichhaltigen Gründe für die Annahme, dass der Beschwerdeführer in Ghana gemäß § 37 Abs. 1 oder 2 FrG bedroht sei, weshalb seine Abschiebung in diesen Staat zulässig sei. Der Beschwerdeführer habe zur Begründung seines am 3. November 1997 gestellten Antrages nach § 54 FrG vorgebracht, er werde in seinem Heimatland von Mitgliedern seines Stammes mit dem Tode bedroht. Als ältester Sohn seines verstorbenen Vaters, der in seinem Heimatdorf "König" gewesen wäre, hätte er Thronnachfolger werden sollen. Als er dies wegen seines christlichen Glaubens abgelehnt habe und die Stammesmitglieder deswegen seine Tötung beschlossen hätten, habe er sein Heimatdorf verlassen und sich zunächst in der Stadt Accra aufgehalten. Von dort habe er Ghana mit dem Schiff verlassen. Im Übrigen habe der Beschwerdeführer auf seine Angaben vor dem Bundesasylamt verwiesen.
Die belangte Behörde sprach diesen Angaben des Beschwerdeführers unter Einbeziehung seines im Wesentlichen gleichlautenden Vorbringens im Asylverfahren auf Grund der im angefochtenen Bescheid näher dargelegten Gründe die Glaubwürdigkeit ab. Jedenfalls sei aber auch nach den Angaben des Beschwerdeführers davon auszugehen, dass er in Ghana keiner Bedrohung durch staatliche Behörden ausgesetzt sei oder dass diese eine solche Bedrohung billigen würden. So habe der Beschwerdeführer im Zuge seiner Befragung durch die Asylbehörden nicht nachvollziehbar begründen können, warum er sich trotz seiner angeblichen Verfolgung durch Stammesangehörige nicht an staatliche Behörden um Schutz gewendet habe, sondern dazu lediglich angegeben, dass ihn die Polizei nicht über Jahre ständig beschützen könne. Die von ihm befürchtete unmenschliche Behandlung allein durch seine eigenen Stammesangehörigen sei nicht geeignet, die Annahme im Sinne des § 37 FrG zu begründen. Selbst wenn man allerdings einer vom Staat ausgehenden oder von ihm gebilligten Bedrohung eine von nichtstaatlicher Seite ausgehende Verfolgung, die der Staat nicht zu verhindern in der Lage sei, gleichsetze, sei für den Beschwerdeführer nichts zu gewinnen. Bereits von der Asylbehörde sei ihm nämlich vorgehalten worden, Ghana sei ein moderner Staat mit einer Verfassung und Garantien bürgerlicher Rechte sowie einer geordneten Verwaltung und Gerichtsbarkeit und werde daher keinesfalls ausschließlich von Stammesriten bestimmt. Der Beschwerdeführer habe demgegenüber nicht glaubhaft machen können, dass ihn sein Heimatstaat infolge Fehlens einer funktionierenden Staatsgewalt vor der von ihm geltend gemachten Bedrohung nicht schützen könne. Zudem stünden dem Beschwerdeführer in seinem Heimatland innerstaatliche Fluchtalternativen zur Verfügung. So sei schon von der Asylbehörde als auch im Bescheid der Behörde erster Instanz darauf hingewiesen worden, dass Ghana über eine Fläche von mehr als 200.000 km2 und 15 Mio. Einwohner verfüge, von denen mehr als die Hälfte christlichen Glaubens sei. In Anbetracht dieser Größenverhältnisse sei selbst für den Fall, dass der Beschwerdeführer in seiner Heimatgemeinde einer Bedrohung ausgesetzt sei, davon auszugehen, dass ihm innerstaatlich - so etwa in der Hauptstadt Ghanas mit 1,4 Mio. Einwohnern - die Möglichkeit zukomme, sich Maßnahmen einzelner Mitbürger zu entziehen. Auf das Bestehen innerstaatlicher Fluchtalternativen deute im Fall des Beschwerdeführers auch, dass er sich schon unmittelbar nach der Flucht aus seinem Heimatdorf und vor dem Verlassen Ghanas offensichtlich völlig unbehelligt von seinen Stammesgenossen in der Stadt Accra habe aufhalten können.
Gegen diese Bescheide richten sich die wegen ihres persönlichen Zusammenhanges zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbundenen Beschwerden, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten
Senat erwogen hat:
I. Zur Ausweisung:
Die Beschwerde wendet sich in ihrem überwiegenden Teil gegen die Auffassung der belangten Behörde, auf eine Bedrohung des Lebens des Beschwerdeführers in seinem Heimatstaat sei im Verfahren zur Erlassung einer Ausweisung nicht einzugehen. Dabei verkennt der Beschwerdeführer jedoch, dass mit einer Ausweisung nicht darüber abgesprochen wird, der Fremde habe in ein bestimmtes Land (etwa in seinen Heimatstaat) auszureisen oder er werde allenfalls abgeschoben (vgl. aus der ständigen Rechtsprechung das hg. Erkenntnis vom 2. Oktober 1997, Zl. 95/18/1317, mwN). Schon deshalb ist der belangten Behörde nicht entgegenzutreten, wenn sie auf das Vorbringen über eine für den Beschwerdeführer in Ghana bestehende Todesgefahr im Rahmen des Verfahrens nach § 17 Abs. 1 FrG nicht weiter eingegangen ist, und darauf verwiesen hat, dass der Beschwerdeführer die Unzulässigkeit seiner Zurückweisung, Abschiebung oder Zurückschiebung in einen bestimmten Staat in einem gesonderten Verfahren geltend machen kann, wovon der Beschwerdeführer schließlich auch Gebrauch gemacht hat (vgl. unten Pkt. II.).
Nach dem Gesagten erübrigt es sich daher, auf den Beschwerdeeinwand, die Ausweisung stelle keine verwaltungsrechtliche Maßnahme, sondern eine "Auslieferung zum Vollzug des Todesurteiles" dar, weiter einzugehen.
Die Beschwerde tritt der Ansicht der belangten Behörde, der Beschwerdeführer halte sich seit seiner Einreise unrechtmäßig im Bundesgebiet auf, nicht entgegen. Der Beschwerdeführer bestätigt vielmehr, dass er "sicherlich die Möglichkeit gehabt habe", in Slowenien einen Antrag auf Asylgewährung zu stellen, sodass ihm mangels direkter Einreise und mangels behaupteter Verfolgung im Durchreisestaat eine vorläufige Aufenthaltsberechtigung nach den §§ 6 und 7 Asylgesetz 1991 nicht zukam. Ausgehend vom Fehlen einer vorläufigen Aufenthaltsberechtigung im Asylverfahren kann dahingestellt bleiben, ob der vom Beschwerdeführer gegen den Asylbescheid des Bundesministers erhobenen Beschwerde vom Verwaltungsgerichtshof die aufschiebende Wirkung zuerkannt wurde. Selbst durch die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung an seine Beschwerde konnte er nämlich eine Rechtsstellung, die ihm schon im zugrundeliegenden Verwaltungsverfahren fehlte, nicht erlangen. Daher bestehen keine Bedenken gegen die Auffassung der belangten Behörde, dass im vorliegenden Fall die Tatbestandsvoraussetzungen des § 17 Abs. 1 FrG erfüllt sind.
In Bezug auf sein Privat- und Familienleben bestätigt die Beschwerde das Fehlen verwandtschaftlicher Beziehungen des Beschwerdeführers in Österreich. Vor dem weiteren Hintergrund, dass sich der Beschwerdeführer zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides erst wenige Monate in Österreich aufgehalten hat, ist der Ansicht der belangten Behörde, durch die Ausweisung werde in sein Privat- und Familienleben nicht eingegriffen, nicht entgegenzutreten. Eine Beurteilung, inwieweit die Ausweisung im Sinne des § 19 FrG dringend geboten sei, erübrigt sich daher.
II. Zum Feststellungsbescheid:
Im Verfahren gemäß § 54 Abs. 1 FrG ist nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes vom Antragsteller mit konkreten, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerten Angaben das Bestehen einer aktuellen, also im Fall seiner Abschiebung in den im Antrag genannten Staat dort gegebenen, durch staatliche Stellen zumindest gebilligten oder infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt durch diese nicht abwendbaren Bedrohung im Sinn des § 37 Abs. 1 oder Abs. 2 FrG glaubhaft zu machen und von der Behörde das Vorliegen konkreter Gefahren für jeden einzelnen Fremden für sich zu prüfen. Ebenso wie im Asylverfahren ist auch bei der Beurteilung des Vorliegens einer Gefahr gemäß § 37 Abs. 1 und 2 FrG im Verfahren gemäß § 54 FrG die konkrete Einzelsituation in ihrer Gesamtheit, gegebenenfalls vor dem Hintergrund der allgemeinen Verhältnisse, in Form einer Prognose für den gedachten Fall der Abschiebung des Antragstellers in diesen Staat zu beurteilen. Für diese Beurteilung ist nicht unmaßgeblich, ob etwa gehäufte Verstöße der im § 37 Abs. 1 FrG umschriebenen Art durch den genannten Staat bekannt geworden sind (vgl. das hg. Erkenntnis vom 22. Juni 2001, Zl. 97/21/0831, mwN).
Im vorliegenden Fall kann dahingestellt bleiben, ob sich die Beweiswürdigung der belangten Behörde in Bezug auf die vom Beschwerdeführer vorgebrachte Bedrohung durch eigene Stammesangehörige, wie die Beschwerde einwendet, als schlüssig erweist. Im angefochtenen Bescheid wird das Bestehen einer Bedrohung des Beschwerdeführers im Sinne des § 37 Abs. 1 oder Abs. 2 FrG nämlich auch deshalb verneint, weil dem Beschwerdeführer in seinem Heimatland nicht nur die Inanspruchnahme staatlichen Schutzes, sondern - im Hinblick auf die Größe Ghanas und den Umstand, dass die Mehrheit der Bevölkerung (so wie der Beschwerdeführer) christlichen Glaubens ist - auch innerstaatliche Fluchtalternativen offen stehen. Der Verwaltungsgerichtshof hat schon in zahlreichen Erkenntnissen ausgesprochen, dass es für einen positiven Ausspruch über den Antrag nach § 54 Abs. 1 FrG darauf ankommt, dass der Fremde im gesamten Gebiet des von seinem Antrag erfassten Staates für den gedachten Fall seiner Abschiebung einer Gefährdung und/oder Bedrohung im Sinne des § 37 Abs. 1 und/oder Abs. 2 FrG ausgesetzt wäre (vgl. das hg. Erkenntnis vom 27. November 1998, Zl. 97/21/0568, mwN).
Wenn die Beschwerde dazu einwendet, die belangte Behörde habe sich bei ihren Feststellungen zur innerstaatlichen Fluchtalternative nur auf den Asylakt gestützt, so vermag sie damit noch keine Rechtswidrigkeit aufzuzeigen. Auf Grund des im § 46 AVG verankerten Grundsatzes der Unbeschränktheit der Beweismittel war der belangten Behörde nämlich nicht verwehrt, die Ergebnisse eines denselben Fremden betreffenden Asylverfahrens zu berücksichtigen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 5. August 1998, Zl. 98/21/0198).
Es ist aber auch nicht ersichtlich, dass die belangte Behörde zu anderen Verfahrensergebnissen hätte gelangen können, wenn sie die in der Beschwerde verlangte neuerliche Befragung des Beschwerdeführers und weitere Erhebungen über die Situation in Ghana vorgenommen hätte. Soweit der Beschwerdeführer in diesem Zusammenhang nämlich auf historische - bis zum Jahre 1970 reichende - Ereignisse in Ghana hinweist und aus diesen Vorfällen die fehlende Möglichkeit der Inanspruchnahme staatlicher Hilfe ableitet, ist darauf hinzuweisen, dass die von ihm geschilderten Ereignisse schon mangels Aktualität die Richtigkeit der von der belangten Behörde dargestellten Situation nicht in Zweifel ziehen können. Im Gegensatz zu den Ereignissen aus den Jahren 1970 und davor stützt die belangte Behörde ihre Feststellungen über das Bestehen einer geordneten Verwaltung und Gerichtsbarkeit auf die Verfassung Ghanas, die, worauf auch die Beschwerde ausdrücklich hinweist, (erst) aus dem Jahre 1992 stammt. Da die Beschwerde den Feststellungen im angefochtenen Bescheid somit nicht mit Fakten zumindest gleicher Aktualität entgegen tritt, bestehen beim Verwaltungsgerichtshof keine Bedenken gegen die Ansicht der belangten Behörde, der Beschwerdeführer könne in seinem Heimatstaat gegen die ihm von Seiten seiner Stammesangehörigen drohenden Maßnahmen staatlichen Schutz in Anspruch nehmen.
Nach dem Gesagten waren die Beschwerden daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen. Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 416/1994. Das Mehrbegehren der belangten Behörde für Vorlageaufwand war abzuweisen, weil die Verwaltungsakten zu beiden Verfahren nur einmal vorgelegt wurden.
Wien, am 8. November 2001
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2001:1998210080.X00Im RIS seit
06.02.2002