TE UVS Niederösterreich 2008/01/21 Senat-FR-08-0006

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Veröffentlicht am 21.01.2008
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Spruch

I

 

Der Beschwerde wird Folge gegeben und die Rechtswidrigkeit des Schubhaftbescheides sowie der bisherigen Anhaltung des Beschwerdeführers in Schubhaft festgestellt.

 

Rechtsgrundlagen:

§83 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) iVm §67c Abs3 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 (AVG).

 

II

 

Es wird festgestellt, dass die maßgeblichen Voraussetzungen für die Fortsetzung der Schubhaft

 

NICHT VORLIEGEN.

 

Rechtsgrundlage:

§83 Abs4 1Satz FPG

 

III

 

Die unterliegende Partei (Bezirkshauptmannschaft X, zuzuordnen dem Bund, Bundesminister für Inneres) hat dem Beschwerdeführer zu Handen seines ausgewiesenen Vertreters den Schriftsatzaufwand in der Höhe von ? 660,80 zuzüglich der mit Zustellung dieser Entscheidung gemäß §11 Abs1 Z1 des Gebührengesetzes 1957 fällig werdenden Gebühr in der Höhe von ? 13,20, in Summe somit ? 674,--, innerhalb von zwei  Wochen ab Erlassung dieser Entscheidung bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

 

Rechtsgrundlagen:

§79a AVG iVm §83 Abs2 FPG und der UVS-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl II Nr 334/2003.

Text

Aus dem zur Entscheidung vorgelegten fremdenpolizeilichen Akt der belangten Behörde und den darin enthaltenen Unterlagen ist folgender maßgeblicher Sachverhalt zu entnehmen und für die Entscheidung relevant:

 

Der Beschwerdeführer ist russischer Staatsbürger und gehört der tschetschenischen Minderheit an. Nach dem Akteninhalt ist er am 30.10.19** in Russland geboren. Im November 2007 ist er gemeinsam mit seiner Familie aus seiner Heimat kommend über Weißrussland nach Polen gereist, wo er am 4.11.2007 um Asyl angesucht hat und auch erkennungsdienstlich behandelt worden ist. Am 30.12.2007 ist er gemeinsam mit seiner Frau L**** I******, geb 22.06.19**, seinen beiden minderjährigen Töchtern, M**** I******, geb 16.07.19**, und F***** I******, geb 25.5.19**, seinem Sohn A******* I******, geb 4.05.19**, und seinem Neffen I** D*****, geb 29.06.19**, mit einem Reisebus nach Wien gefahren, wo er am 31.12.2007 gegen 4,00 Uhr bei einer U-Bahn-Haltestelle angekommen ist. Von dort ist er gemeinsam mit der Familie unter mehrmaligem Umsteigen (U-Bahn, B*****-Bahn) nach T*********** gefahren und hat beim dortigen Bundesasylamt einen Asylantrag eingebracht. Die erkennungsdienstliche Behandlung hat einen EURODAC-Treffer ergeben. Der Beschwerdeführer will nach eigenen Angaben nicht nach Polen zurück. Er ist im Besitz eines russischen Inlandsreisepasses sowie eines Führerscheines. Sein Auslandsreisepass ist bei der polnischen Asylbehörde verblieben.

 

Mit Mitteilung gemäß §29 Abs3 Asylgesetz des Bundesasylamtes vom 7.1.2008, dem Beschwerdeführer ausgefolgt am 10.1.2008, wurde ihm Kenntnis gegeben, dass beabsichtigt ist, seinen Antrag auf internationalen Schutz zurückzuweisen, und gleichzeitig das Ausweisungsverfahren eingeleitet.

 

Die Bezirkshauptmannschaft X erließ am 10.01.2008 den Bescheid zur Anordnung der Anhaltung in Schubhaft, um das Verfahren zur Erlassung einer Ausweisung gemäß §10 Asylgesetz 2005 und die Abschiebung zu sichern. Die Bezirksverwaltungsbehörde stützt ihre Entscheidung auf §§76 Abs2 Z2 und Abs3 sowie 113 Abs1 FPG. Der Beschwerdeführer wurde in der Folge in das Polizeianhaltezentrum W**** R******* L**** überstellt.

 

Begründend führt die Bezirkshauptmannschaft X in ihrem Schubhaftbescheid zusammengefasst aus, dass sich der nunmehrige Beschwerdeführer vor seiner illegalen Einreise nach Österreich bereits in Polen aufgehalten habe. Da Polen ein Mitglied der Europäischen Union und Unterzeichner des Dublin-II-Abkommens ist, sei daher davon auszugehen, dass der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz mangels Zuständigkeit Österreichs zurückgewiesen werden wird. Vom Bundesasylamt EAST-WEST sei am 5.1.2008 gemäß §27 AsylG 2005 ein Ausweisungsverfahren eingeleitet worden und würden seit 5.1.2008 Konsultationen mit Polen geführt. Der Beschwerdeführer habe durch sein Verhalten gezeigt, dass er sich nicht an die österreichischen und polnischen Einreise-, Aufenthalts- und Ausreisebestimmungen gehalten habe und aufgrund der Angaben, dass er in Österreich bleiben wolle und im Falle der Abschiebung immer wieder nach Österreich zurückkehren werde, gehe die Behörde davon aus, dass der Beschwerdeführer auch nicht gewillt sei, die österreichischen Gesetze zu respektieren und sei weiters davon auszugehen, dass er im Fall einer negativen Asylentscheidung umgehend sich dem behördlichen Zugriff entziehen werde, um in Österreich bleiben zu können. Da der Beschwerdeführer wisse, dass er aufgrund der Dublin II-Verordnung sich nicht in Österreich niederlassen werde können, sei dieser Schluss zulässig und sei zur Sicherung der Abschiebung und der Ausweisung die Schubhaft zu verhängen, da das gelindere Mittel die Möglichkeit des Untertauchens einräumen würde. Im Falle des Untertauchens könne davon ausgegangen werden, dass der nunmehrige Beschwerdeführer in einen anderen EU-Staat reisen würde und würde er dadurch die Beziehungen zwischen der Republik Österreich und diesem Staat nachhaltig schädigen, da Österreich aufgrund von internationalen Abkommen verpflichtet sei, illegale Ein- und Ausreisen zu unterbinden. Es bestünde daher Grund zu der Annahme, dass er sich dem Asylverfahren in Österreich entziehen werde, um seiner Abschiebung nach Polen zu entgehen. Aus diesen Gründen würde ein dringender Sicherungsbedarf bestehen, um ein geregeltes und ordentliches Asylverfahren durchführen zu können. Der weitere Aufenthalt des Beschwerdeführers in Österreich würde darüber hinaus die öffentliche Ordnung, insbesondere im Hinblick auf ein geordnetes Fremdenwesen, einen geordneten Arbeitsmarkt und das wirtschaftliche Wohl des Landes gefährden. Vor allem sei aber davon auszugehen, dass  sich der Beschwerdeführer dem asylrechtlichen und dem fremdenpolizeilichen Verfahren entziehen werde. Die Anwendung gelinderer Mittel sei in diesem Fall daher auszuschließen gewesen, da er seinen Aufenthalt in Österreich nicht legalisieren könne und die Annahme gerechtfertigt sei, er werde sich dem behördlichen Zugriff entziehen, um die Vollstreckung der fremdenpolizeilichen Maßnahme gegen seine Person zu verhindern.

 

In der am 14.01.2008 an den Unabhängigen Verwaltungssenat im Land Niederösterreich per Fax übermittelten Schubhaftbeschwerde wird ausgeführt:

 

?Sachverhalt

Der Beschwerdeführer (folgend nur mehr Bf genannt) kam am 31.12.2007 gemeinsam mit seiner Frau I****** L**** (AIS 0712***) und seinen 4 Kindern nach Österreich. Unverzüglich nach Einreise ins Bundesgebiet begab sich der Bf mit seiner Familie aus freien Stücken nach T***********, wo sie einen Asylantrag stellten. Der Bf wurde im Flüchtlingslager T*********** aufgenommen, wo er sich bis zur Verhängung der Schubhaft aufhielt.

Am 10.1.2008 wurde der Bf in einer ?Schwerpunktaktion? gemeinsam mit seinem Sohn I***** A*******, 04.05.19** geb festgenommen und mit dem bekämpften Bescheid die Schubhaft zur Sicherung der Erlassung einer Ausweisung und der Abschiebung auf Grundlage von §76 Abs2 Z4 und Abs3 und 113 Abs1 Fremdenpolizeigesetz 2005 verhängt.

Nach wie vor kam es zu keiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt.

 

Rechtliche Würdigung

Damit eine Schubhaft verhängt werden kann, müssen materiell-rechtliche und formale Bedingungen erfüllt werden, deren Verletzung zur Rechtswidrigkeit des Schubhaftbescheides aus nachfolgend erläuterten Gründen führen.

 

Unverhältnismäßigkeit der Haft und Verletzung von Art8 EMRK Art1 Abs3 BVG zum Schutz der persönlichen Freiheit statuiert, dass jede Haftverhängung unter der Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit zu prüfen ist. Im konkreten Fall stützt sich die Schubhaft auf §76 Abs2 Z4 FPG. §76 Abs2 FPG spricht von ?kann", dies bedeutet, dass nicht automatisch bei Vorliegen der Voraussetzungen des §76 Abs2 Z4 FPG Schubhaft zu verhängen ist, sondern eine individuelle Prüfung stattzufinden hat. Dies wurde in diesem Fall gänzlich unterlassen.

Der Bf und seine Gattin haben sich aus freien Stücken nach T*********** begeben um dort einen Asylantrag zu stellen. Sie wurden im Lager T*********** aufgenommen und waren dort ständig aufhältig. Ohne jeglichen Hinweis auf eine Absicht sich dem Verfahren zu entziehen, wurde Schubhaft über den Bf verhängt und er wurde dadurch von seiner Familie getrennt. Bezeichnenderweise findet sich im gesamten Schubhaftbescheid kein einziger auf seine Person bezogener Hinweis darauf, dass und warum der Bf und seine Frau sich dem Verfahren entziehen sollten.

Die Behauptung im Schubhaftbescheid, der Bf wäre nicht willens das Bundesgebiet zu verlassen, entbehrt jeglicher Grundlage und stellt lediglich eine Mutmaßung der belangten Behörde dar. Entsprechend der höchstgerichtlichen Rechtsprechung bedürfte es eines positiven Hinweises auf eine mangelnde Ausreisewilligkeit für den Fall einer negativen Entscheidung. Tatsächlich wurde der Bf über seine Ausreisewilligkeit aber nicht einmal befragt.

Der Hinweis der belangten Behörde auf den geordneten Arbeitsmarkt und das wirtschaftliche Wohl ist im Rahmen einer Interessensabwägung bei Asylwerbern verfehlt. Dasselbe gilt für den Hinweis auf den Verstoß gegen das ?Sichtvermerksabkommen", sowie den mangelnden Nachweis der für den Unterhalt notwendigen Mittel. Durch die gesetzliche und EU-rechtliche vorgesehene Grundversorgung für ALLE Asylwerber, muss der Bf, sobald er aus der Schubhaft entlassen wird, von staatlichen Stellen versorgt werden, das ersetzt den Nachweis der notwendigen Mittel. Am 10.1.2008 wurde der Bf gemeinsam mit seinem Sohn I***** A*******, geb 04.05.19** festgenommen. Diese Festnahmen stellten für ihn sowie seine schwerst kriegstraumatisierte Frau ein enormes Schockerlebnis dar. Durch die Strapazen der Flucht geschwächt, ist die Frau mit der Situation im Flüchtlingslager T*********** völlig überfordert und bedarf dringend der Unterstützung ihres Mannes. Durch die Haft ist der Bf nun von seiner Gattin und seinen 4 Kindern getrennt, was angesichts der bereits oben angeführten konkreten Umstände einen unverhältnismäßigen Eingriff in sein Recht auf Familienleben nach Art8 EMRK darstellt.

 

Auch nach der EU-Aufnahmerichtlinie Richtlinie 2003/9/EG des Rates vom 27. Januar 2003 sind Familien gemeinsam unterzubringen, was durch die Schubhaftverhängung und die Aufrechterhaltung der Schubhaft vereitelt wurde. Die Frau des Bf ist nunmehr im Flüchtlingslager T*********** untergebracht. Nach wie vor geht es ihr psychisch nicht gut und sie wäre daher dringend auf die Unterstützung ihres Mannes angewiesen. Auch für den Bf ist die Ungewissheit, was mit seiner Frau passiert und der Umstand ihr nicht helfen zu können, eine unzumutbare Belastung. Die Trennung von seiner Frau verletzt jedenfalls das Grundrecht auf Familieneinheit und der Bf muss daher schnellstmöglich mit seiner Frau zusammengebracht werden. Auf sein durch Art8 EMRK geschütztes Familienleben geht der Schubhaftbescheid überhaupt nicht ein, auch dies führt zur Rechtswidrigkeit der Haft. Eine Schubhaftverhängung war daher nach der eindeutigen und klaren Rechtssprechung der Höchstgerichte nicht notwendig und unverhältnismäßig: Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (VfGH 28.09.2004, B 292/04, sowie jüngst diese Rechtsprechung auch zum FPG aufrechterhaltend VfGH 24.06.2006, B 326/06 und VfGH vom 15.6.2007, B 1330/06) reichen bloß allgemeine Annahmen oder ?Erfahrungswerte" nicht aus, um die Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit einer Freiheitsentziehung im Einzelfall zu begründen. Auch der Umstand, dass ein Asylwerber bereits in einem anderen Land Asyl beantragt hat, rechtfertigt für sich genommen noch nicht den Schluss, dass der Bf sich dem Verfahren entziehen werde. Im vorliegenden Fall beruft sich die schubhaftverhängende Behörde lediglich auf allgemeine Annahmen, nähere Ausführungen, weshalb in diesem Fall eine Notwendigkeit der Schubhaftverhängung gegeben sei, fehlen dem Schubhaftbescheid gänzlich. Der Verfassungsgerichtshof hat erst jüngst im Erkenntnis vom 15.6.2007, B 1330/06 wieder betont, dass die zuständige Fremdenpolizeibehörde stets dazu verpflichtet ist, die einzelnen Schubhafttatbestände verfassungskonform auszulegen und eine einzelfallbezogene Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der Sicherung des Verfahrens und der Schonung der persönlichen Freiheit des Betroffenen vorzunehmen (siehe auch E vom 24.06.06, B 362/06).

Die Schubhaft war nicht notwendig und nicht verhältnismäßig. Weiters erkennt der VwGH in jüngster Entscheidung vom 30.08.2007, GZ 2007/21/0043, dass sämtliche Subhafttatbestände des §76 Abs2 FPG final determiniert sind. Sie rechtfertigen die Verhängung von Schubhaft nur "zum Zwecke der Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer Ausweisung gemäß §10 AsylG 2005 oder zur Sicherung der Abschiebung". Der Verfassungsgerichtshof hat darüber hinaus, zuletzt in seinem Erkenntnis vom 15. Juni 2007, B 1330/06 und B 1331/06, klargestellt, dass die Behörden in allen Fällen des §76 Abs2 FPG unter Bedachtnahme auf das verfassungsrechtliche Gebot der Verhältnismäßigkeit verpflichtet sind, eine einzelfallbezogene Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der Sicherung des Verfahrens und der Schonung der persönlichen Freiheit des Betroffenen vorzunehmen. Im Ergebnis bedeutet das, dass die Schubhaft auch dann, wenn sie auf einen der Tatbestände des §76 Abs2 FPG gestützt werden soll, stets nur ultima ratio sein darf (vgl dazu auch die ErläutRV zum Bundesverfassungsgesetz vom 29. November 1988 über den Schutz der persönlichen Freiheit, 134 BlgNR 17. GP 5).

Zum demnach ergänzend zu prüfenden Sicherungsbedürfnis hat die belangte Behörde ausgeführt, dass die Notwendigkeit der Schubhaft zur Sicherung des asylrechtlichen Verfahrens bzw der Abschiebung gegeben war.

Diese Überlegung widersprechen allerdings der Aktenlage und reichen nicht aus, um eine Anhaltung in Schubhaft zu rechtfertigen. Der Bf begab sich aus freien Stücken nach T*********** und stellte sich den Asylbehörden. Tatsächlich kam er stets allen Verfahrensanordnungen nach und stand den Behörden jederzeit zur Verfügung. Dieses Verhalten zeigt, dass der Beschwerdeführer gewillt war und nach wie vor ist, Aufforderungen der Fremdenbehörde, wie insbesondere der Aufforderung, er möge das Land verlassen, sehr wohl nachkommt.

Die belangte Behörde verkennt, dass die Haft unverhältnismäßig ist bzw führt überhaupt keine Verhältnismäßigkeitsprüfung durch.

Tatsächlich werden derzeit aufgrund einer internen Weisung sämtliche ?Familienoberhäupter? von ihren Familien getrennt und in Schubhaft genommen. Diese Praxis wurzelt in einer medialen Hysterie die mit einem nicht abnormalen minimalen Anstieg der Asylanträge einherging und ist wohl eher auf die bevorstehenden Wahlen in Niederösterreich als mit einem dringend geworden Sicherungsbedürfnis erklärbar. Ohne auf den individuellen Einzelfall einzugehen, ist eine Verhängung der Schubhaft aber jedenfalls unzulässig.

Der VfGH hat im Erkenntnis vom 24.06.2006, B 362/06, festgehalten, dass die in §76 Abs2 FPG festgelegte Ermächtigung im Lichte des aus dem BVGpersFr. erfliessenden unmittelbar anwendbaren Gebots der Verhältnismäßigkeit auszulegen ist. Diese Überlegungen und die dafür im erwähnten Erkenntnis angeführten Gründe gelten nach Ansicht des Beschwerdeführers schon aus der Ratio des Abs2 legcit auch für die im vorliegenden Fall der Schubhaft zugrunde liegende Bestimmung des §76 Abs2 Z4 legcit mit der Folge, dass auch eine zur Sicherung eines asylrechtlichen Ausweisungsverfahrens verhängte Schubhaft unter dem sowohl von der anordnenden Behörde als auch im Haftprüfungsverfahren gemäß §§82f FPG vom Unabhängigen Verwaltungssenat zu beachtenden Gebot der Verhältnismäßigkeit steht.

Darüber hinaus hat der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 25.04.2006, 2006/21/0039, festgehalten, dass zwar auch nach dem FPG davon auszugehen sei, dass die Verhängung der Schubhaft zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung eines Aufenthaltsverbotes nicht die Gewissheit voraussetzt, dass ein Aufenthaltsverbot verhängt werde, sondern dass hiefür bereits die berechtigte Annahme einer solchen Möglichkeit ausreicht (vgl etwa das Erkenntnis vom 21. Dezember 2004, Zl 2004/21/0145), allerdings müssten die im Einzelfall hiefür sprechenden Umstände aber auch jenen Schweregrad erreichen, der einem in §60 Abs2 FPG genannten Tatbestand entspricht. Genau dies kann aber bezogen auf den Beschwerdeführer schon von vornherein nicht der Fall sein, da der Aufenthaltsverbots-Tatbestand der Mittellosigkeit nach §60 Abs2 Z7 FPG in §62 Abs2 FPG explizit nicht als Tatbestand genannt ist, der die Verhängung eines Rückkehrverbotes über einen Asylwerber erlauben würde; auch ist der Verwaltungsgerichtshof in seiner Rechtsprechung zum FrG 1997 ab dem Erkenntnis vom 21.12.2004, 2004/21/0083, davon ausgegangen, dass angesichts des nötigenfalls sogar einklagbaren Anspruchs jedes hilfsbedürftigen Aslywerbers auf Gewährung der Bundesbetreuung allein aus der Mittellosigkeit eines Asylwerbers noch nichts für eine Aufenthaltsbeendigung zu gewinnen ist, was angesichts der insoweit unverändert gebliebenen Anspruchslage nach dem GVG-Bund auch nach wie vor als gültig angesehen werden muss.

 

Der Erlassung einer Ausweisung gemäß §53 Abs2 Z4 FPG gegen einen Asylwerber stünde schließlich auch schon §1 Abs2 FPG entgegen. Der VwGH hat ? im Einklang mit der Judikatur des EuGH ? mehrfach entschieden, dass aufgrund der Tatsache der Einreise unter Umgehung der Grenzkontrolle ohnedies weder eine Ausweisung noch ein Aufenthaltsverbot gegen Asylwerber verfügt werden darf (siehe VwGHE 2000/21/0033 vom 4. Juli 2000 bzw VwGHE 99/21/0266 vom 24. März 2000, VwSlg 15378 A/2000). Aus der schlepperunterstützten Einreise in das Bundesgebiet, kann daher keine Notwendigkeit der Schubhaftverhängung abgeleitet werden.

 

Beweis:     Einvernahme des Bf

Asylakt Zl 07 12***

 

Gelinderes Mittel

Die Behörde verkennt, dass die Anhaltung in Schubhaft nicht notwendig war, zumal gelindere Mittel ausgereicht hätten, um das Verfahren zur Sicherung des Ausweisungsverfahrens bzw der Abschiebung zu sichern. Die die Schubhaft verhängende Behörde hat die Anwendung gelinderer Mittel gar nicht ernsthaft in Erwägung gezogen, sondern vertritt eine nicht nachvollziehbare Rechtsanschauung, die im Endeffekt darauf hinausläuft, dass das Asylverfahren durch Aufrechterhaltung der Schubhaft zu sichern sei. Dass dies nicht der Rechtsordnung entspricht, ist evident.

Tatsächlich bestand zu keiner Zeit Gefahr, dass sich der Bf dem Verfahren entziehen könnte.

 

Beweis: Einvernahme des Bf

 

Widerspruch zur EU-Aufnahmerichtlinie 2003/9/EG

Die Richtlinie 2003/9/EG des Rates vom 27.1.2003 zur Festlegung von Mindestnormen für die Aufnahme von Asylbewerbern in den Mitgliedsstaaten legt in Artikel 14 Abs8 fest, dass die Mitgliedsstaaten in Ausnahmefällen für einen angemessenen Zeitraum, der so kurz wie möglich sein sollte, andere Modalitäten der materiellen Aufnahmebedingungen festlegen (können) als in diesem Artikel vorgesehen, wenn sich der Asylbewerber in Gewahrsam befindet.

Damit wird implizit festgelegt, dass der Gewahrsam ? der nur in Ausnahmefällen verhängt werden darf ? ?so kurz wie möglich? zu sein hat.

Die belangte Behörde kündigt aber in ihrem Bescheid an, sie beabsichtige, den Bf für die gesamte Dauer des Asylverfahrens in Schubhaft zu halten. Schon das ist ein krasser Verstoß gegen die Aufnahmerichtlinie, die für die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union, somit auch für Österreich, rechtsverbindlich ist. Überdies werden in den Erstaufnahmestellen derzeit, wie bereits ausgeführt, grundsätzlich alle männlichen Asylbewerber im Dublin II Verfahren in Schubhaft genommen. Das widerspricht dem in der Aufnahmerichtlinie festgelegten Grundsatz, dass Abweichungen von den generellen Normen der materiellen Aufnahmebedingungen nur in Ausnahmefällen möglich sind.

Die Aufnahme von Familien wird in Artikel 8 wie folgt angeordnet:

 

Artikel 8

Familien

Die Mitgliedsstaaten treffen geeignete Maßnahmen, um die Einheit der Familie, die sich in ihrem Hoheitsgebiet aufhält, so weit wie möglich zu wahren, wenn den Asylbewerbern von dem betreffenden Mitgliedstaat Unterkunft gewährt wird. Diese Maßnahmen kommen mit der Zustimmung der Asylbewerber zur Anwendung.

Die derzeitige Praxis widerspricht eindeutig dieser Richtlinie. Die nationalen Gesetze sind richtlinienkonform zu interpretieren und lassen daher in Wahrheit bei der Unterbringung von Familien keinen Spielraum offen. Familien müssen gemeinsam untergebracht werden. Eine Trennung des ?Familienoberhauptes? von seinen Familienangehörigen ist daher auch aus EU-rechtlichen Vorgaben unzulässig.

Die in Österreich nicht nur ausnahmsweise, sondern ganz im Gegenteil generelle, kollektive Verhängung der Schubhaft gegen männliche Asylbewerber im ?Dublin-Verfahren? (von der der Bf, wie ausgeführt, konkret betroffen ist) verstößt also auch gegen das für Österreich verbindliche EU-Recht.

 

Widerspruch zu Verordnung (EG) Nr 1560/2003

Artikel 7 der Verordnung (EG) Nr Nr 1560/2003 der Kommission vom 2. September 2003 mit Durchführungsbestimmungen zur Verordnung (EG) Nr 343/2003 des Rates zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist lautet:

 

DURCHFÜHRUNG DER ÜBERSTELLUNG

Artikel 7

Modalitäten der Überstellung

(1) Die Überstellung in den zuständigen Mitgliedstaat kann auf eine der folgenden Weisen erfolgen:

a)

auf Initiative des Asylbewerbers innerhalb einer vorgegebenen Frist;

b)

in Form der kontrollierten Ausreise, wobei der Asylbewerber bis zum Besteigen des Beförderungsmittels von einem Bediensteten des ersuchenden Staates begleitet wird und dem zuständigen Staat Ort, Datum und Uhrzeit seiner Ankunft bis zu einer vereinbarten Frist vor der Ankunft mitgeteilt wurden;

 c) in Begleitung, wobei der Asylbewerber von einem Bediensteten des ersuchenden Staats zu diesem Zweck beauftragten Einrichtung eskortiert und den Behörden des zuständigen Staats überstellt wird.

Aus dieser Bestimmung geht hervor, dass es eine Rangordnung der Überstellungsmodalitäten gibt bzw dass eine freiwillige Ausreise des Asylwerbers in den zuständigen Mitgliedsstaat prioritär ist. Dass es sich bei den einzelnen Ziffern der Bestimmung um eine Rangfolge handelt, ergibt sich auch aus dem im EU-Primärrecht festgeschriebenen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Erst wenn die Anwendung des gelindesten Mittels nicht zum Erfolg führt (Aufforderung zur Ausreise) sind die staatlichen Behörden ermächtigt, ein weniger gelindes Mittel anzuwenden. Auch die österreichische Rechtsordnung geht von der grundsätzlichen Annahme aus, dass Gesetze zwar mit Zwangsandrohung, aber zunächst ohne Zwangsausübung eingehalten werden. Zunächst ist davon auszugehen, dass ein Gesetz bzw eine gesetzlich ergangene Entscheidung von den Rechtsunterworfenen grundsätzlich respektiert und eingehalten wird. Erst, wenn sich herausstellt, dass dies nicht der Fall ist, kann zu Zwangsmaßnahmen gegriffen werden.

Eine automatische Schubhaftverhängung, dh die grundsätzliche Annahme ein Gesetz würde von den Rechtsunterworfenen generell nicht befolgt werden ? wie sie derzeit in der Praxis stattfindet ? findet keine Deckung in der österreichischen Verfassung. Nach Abschluss des Verfahrens über die (Un-)Zuständigkeit Österreichs ist zunächst dem Asylwerber die Möglichkeit der freiwilligen Ausreise zu geben. Erst wenn sich herausstellt, dass der Asylwerber nicht freiwillig ausreist bzw zu verstehen gibt, dass er dies nicht tun wird, ist eine Haftverhängung zulässig.

Wie der Verfassungsgerichtshof judiziert hat, reichen allgemeine Erfahrungswerte nicht aus, die Schubhaft im Einzelfall zu rechtfertigen. Würde von tausenden Asylwerbern auch nur ein einziger freiwillig ausreisen, so ist die Haftverhängung gegenüber diesem ungerechtfertigt und verletzt ihn in seinem Recht auf persönliche Freiheit nach Art 5 EMRK. Die belangte Behörde hat keinen einzigen Anhaltspunkt, dass der Bf das Land nicht freiwillig verlassen würde. Der Bf hat sich freiwillig und im Wissen, dass eine Schubhaftverhängung wahrscheinlich ist, den österreichischen Behörden ?gestellt?. Damit hat der Bf zum Ausdruck gebracht, dass er sich den österreichischen Gesetzen unterwerfen will und diese auch befolgen werde. Die belangte Behörde hätte keine Schubhaft verhängen dürfen, sondern dem Bf- falls das Verfahren tatsächlich mit einer Unzuständigkeit Österreichs endet ? zunächst die Möglichkeit geben müssen, freiwillig auszureisen.

Die Schubhaftverhängung gleich zu Beginn des ?Dublin-Verfahrens? steht daher sowohl in Widerspruch zur EG ? Verordnung, als auch zur österreichischen Verfassung und ist daher rechtswidrig.

 

Widerspruch zu UNHCR ? Richtlinie

Die UNHCR-Richtlinie vom Februar 1999 über anwendbare Kriterien und Standards betreffend die Haft von Asylsuchenden legt folgende Kriterien fest; ?Es sollte die (rechtliche) Vermutung gegen eine Inhaftierung sprechen. Sofern andere Überwachungsmaßnahmen als Alternative zur Haft zur Verfügung stehen (etwa Meldepflicht oder Bürgen [siehe Richtlinie 4]), sollten diese zuerst Anwendung finden, es sei denn, es gibt Anhaltspunkte für die Vermutung, dass eine solche Alternative im betreffenden Fall nicht wirksam wäre.?

In diesem Fall gibt es keinerlei Anhaltspunkte für die Vermutung, dass der Bf sich dem Verfahren entziehen könnte. Der Bf hat bislang allen Anordnungen folge geleistet, ist zu jeder Ladung erschienen und hat sich von sich aus dem Verfahren gestellt. ?Zur Haft sollte es daher erst kommen, wenn alle möglichen Alternativen ausgeschöpft wurden oder wenn sich gezeigt hat, dass Überwachungsmaßnahmen nicht den gesetzmäßigen, legitimen Zweck erreicht haben. Bei der Beurteilung, ob die Inhaftierung eines Asylsuchenden notwendig ist, sollte geprüft werden, ob die Haft angemessen ist und ob sie verhältnismäßig ist gegenüber dem angestrebten Ziel.? ?. ?Angesichts der negativen Auswirkungen der Haft auf die psychische Verfassung der Inhaftierten sollte aktiv nach Alternativen zur Haft gesucht werden, bevor gegen Asylsuchende folgender besonders schutzbedürftiger Personenkategorien ein Haftbefehl erlassen wird: Unbegleitete ältere Personen, Opfer von Folter oder Trauma, Personen mit geistiger oder körperlicher Behinderung.?

Diese Grundsätze für die strenge Überprüfung eines Haftverhängung über Asylwerber wurden in diesem Fall gänzlich missachtet. Auch aus diesem Grund ist die Haft rechtswidrig.

 

Ich stelle daher den ANTRAG:

Der Unabhängige Verwaltungssenat für das Land Niederösterreich möge nach Durchführung der beantragten Beweise und Durchführung einer mündlichen Verhandlung den bekämpften Verwaltungsakt, und zwar die auf Anordnung der belangen Behörde verhängte Schubhaft und die Anhaltung in Schubhaft ab dem 10.01.2008 für rechtswidrig erklären; sowie der belangten Behörde gemäß §79a AVG den Ersatz der Verfahrenskosten binnen vierzehn Tagen bei sonstigem Zwange zu Handen meines Vertreters auferlegen.?

 

 

In rechtlicher Hinsicht ergibt sich Folgendes:

 

Der Beschwerdeführer besitzt nicht die österreichische Staatsbürgerschaft und ist somit Fremder im Sinne des §2 Abs4 Z1 FPG.

 

Gemäß §1 Abs2 FPG sind auf Asylwerber die §§41 bis 43, 53, 58, 68, 69, 72 und 76 Abs1 nicht anzuwenden.

 

Asylwerber ist ein Fremder ab Einbringung eines Antrages auf internationalen Schutz bis zum rechtskräftigen Abschluss, zur Einstellung oder Gegenstandslosigkeit des Verfahrens (§2 Abs1 Z14 AsylG 2005).

 

Gemäß §76 Abs2 FPG kann die örtlich zuständige Fremdenpolizeibehörde über einen Asylwerber oder einen Fremden, der einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, Schubhaft zum Zwecke der Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer Ausweisung gemäß §10 Asylgesetz 2005 oder zur Sicherung der Abschiebung anordnen, wenn

1. gegen ihn eine durchsetzbare ? wenn auch nicht rechtskräftige ? Ausweisung (§10 Asylgesetz 2005) erlassen wurde;

2. gegen ihn nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 2005 ein Ausweisungsverfahren eingeleitet wurde;

3. gegen ihn vor Stellung des Antrages auf internationalen Schutz eine durchsetzbare Ausweisung (§§53 oder 54) oder ein durchsetzbares Aufenthaltsverbot (§60) verhängt worden ist oder

4. aufgrund des Ergebnisses der Befragung, der Durchführung und der erkennungsdienstlichen Behandlung anzunehmen ist, dass der Antrag des Fremden auf internationalen Schutz mangels Zuständigkeit Österreichs zur Prüfung zurückgewiesen werden wird.

 

Gemäß §76 Abs3 FPG ist die Schubhaft mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß §57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus diesem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Schubhaftbescheide gemäß §57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.

 

Gemäß §77 Abs1 FPG kann die Behörde von der Anordnung der Schubhaft Abstand nehmen, wenn sie Grund zur Annahme hat, dass deren Zweck durch Anwendung gelinderer Mittel erreicht werden kann. Gegen Minderjährige hat die Behörde gelindere Mittel anzuwenden, es sei denn, sie hätte Grund zur Annahme, dass der Zweck der Schubhaft nicht erreicht werden kann.

Als gelinderes Mittel kommt insbesondere die Anordnung in Betracht, in von der Behörde bestimmten Räumen Unterkunft zu nehmen oder sich in periodischen Abständen bei dem dem Fremden bekannt gegebenen Polizeikommando zu melden (§77 Abs3 FPG).

 

§80 Abs1 FPG verpflichtet die Behörde, darauf hinzuwirken, dass die Schubhaft so kurz wie möglich dauert. Sie darf nach Abs2 nur solange aufrecht erhalten werden, bis der Grund für ihre Anordnung weggefallen ist oder ihr Ziel nicht mehr erreicht werden kann. Sie darf (außer in den Fällen des Abs3 und 4) insgesamt aber nicht länger als zwei Monate dauern.

 

§82 FPG bestimmt, dass der Fremde das Recht hat, den Unabhängige Verwaltungssenat mit der Behauptung der Rechtswidrigkeit des Schubhaftbescheides, der Festnahme oder der Anhaltung anzurufen,

1.

wenn er nach diesem Bundesgesetz festgenommen worden ist;

2.

wenn er unter Berufung auf dieses Bundesgesetz oder das Asylgesetz 2005

angehalten wird oder wurde oder

 3. wenn gegen ihn die Schubhaft angeordnet wurde.

 

Gemäß §83 Abs1 FPG ist zur Entscheidung über die Beschwerde der Unabhängige Verwaltungssenat zuständig, in dessen Sprengel der Beschwerdeführer festgenommen wurde.

 

Gemäß Abs2 entscheidet über die Beschwerde der Unabhängige Verwaltungssenat durch eines seiner Mitglieder. Im übrigen gelten die §§67c bis 67g sowie 79a AVG mit der Maßgabe, dass

1. eine mündliche Verhandlung unterbleiben kann, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage iVm der Beschwerde geklärt erscheint und

2. die Entscheidung des Unabhängigen Verwaltungssenates für die Fortsetzung der Schubhaft binnen einer Woche zu ergehen hat, es sei denn, die Anhaltung des Fremden hätte vorher geendet.

 

Nach Abs 4 dieser Bestimmung hat der Unabhängige Verwaltungssenat, sofern die Anhaltung noch andauert, jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen. Im Übrigen hat er im Rahmen der geltend gemachten Beschwerdepunkte zu entscheiden.

 

Die Art 1, 2 und 3 des Bundesverfassungsgesetzes vom 29. November 1988 über den Schutz der persönlichen Freiheit, BGBl Nr 684/1988, lauten:

10.

Jedermann hat das Recht auf Freiheit und Sicherheit (persönliche Freiheit).

11.

Niemand darf aus anderen als den in diesem Bundesverfassungsgesetz

genannten Gründen oder auf eine andere als die gesetzlich vorgeschriebene Weise festgenommen oder angehalten werden.

 12. Der Entzug der persönlichen Freiheit darf nur gesetzlich vorgesehen werden, wenn dies nach dem Zweck der Maßnahme notwendig ist; die persönliche Freiheit darf jedenfalls nur entzogen werden, wenn und soweit dies nicht zum Zweck der Maßnahme außer Verhältnis steht.

 

Der Anhaltung in Schubhaft lag ein vollstreckbarer Schubhaftbescheid der Bezirkshauptmannschaft X zugrunde, wodurch die formellen Voraussetzungen für die Anhaltung in Schubhaft vorlagen.

 

Inwieweit jedoch auch die materiellen Voraussetzungen für die Anhaltung in Schubhaft gegeben waren, ist nun im konkreten (Einzel-)Fall zu prüfen.

 

Voraussetzung für die Anordnung der Schubhaft ist, dass im Entscheidungszeitpunkt mit Recht angenommen werden kann, der Fremde werde sich dem behördlichen Zugriff entziehen oder diesen zumindest wesentlich erschweren (vgl VwGH vom 08.09.2005, Zl 2005/21/0100).

 

Wenn auch im gegenständlichen Fall zum Zeitpunkt der Verhängung der Schubhaft die Tatbestandsvoraussetzung nach §76 Abs2 Z2 FPG insoweit vorlag, als nach Vorliegen eines Eurodac-Treffers eine Mitteilung gemäß §29 Abs3 Asylgesetz (vom 5.1.2008) gegenüber dem Beschwerdeführer ergangen war, dass sein Antrag auf internationalen Schutz zurückzuweisen sein wird, da Dublin-Konsultationen mit Polen seit 5.1.2008 geführt werden und gleichzeitig die Einleitung des Ausweisungsverfahrens verfügt wurde, war im Rahmen der geltend gemachten Beschwerdepunkte im Lichte der erst jüngst dazu ergangenen höchstgerichtlichen Judikatur festzustellen, dass sich aus dem zur Entscheidung über die Beschwerde vorgelegten Akt konkrete Hinweise für eine Vereitelung oder eine Vereitelungsabsicht in Bezug auf die von der Fremdenpolizeibehörde erster Instanz angestrebte Maßnahme, deren Besicherung wegen seitens der Fremdenpolizeibehörde erster Rechtstufe ? offenbar als ultima ratio ? zur Schubhaftverhängung gegriffen worden war, sich nicht entnehmen lassen.

 

Bei der jeder Schubhaftverhängung vorauszugehen habenden Rechtschutzgutabwägung zwischen den jedem Menschen zustehenden, Verfassungsrang genießenden, Grund- und Freiheitsrechten, im gegenständlichen Fall des Rechtes auf persönliche Freiheit sowie des Rechtes auf Familienleben nach Art8 EMRK, und dem staatlichen Interesse zur Absicherung von im voraus zu prognostizierenden notwendigen fremdenpolizeilichen Maßnahmen durch Eingriff in diese Rechte ist im vorliegenden Fall maßgeblich, dass sich der Beschwerdeführer nach der illegalen Einreise in das österreichische Bundesgebiet sofort freiwillig den österreichischen Behörden gestellt hat, somit von sich aus freiwillig mit diesen in Kontakt getreten ist (vgl VwGH vom 22.11.2007, Zl 2006/21/0387, ua) und offenbar wahrheitsgetreue Angaben hinsichtlich seiner  Identität gemacht hat.

 

Weiters war im Lichte der jüngsten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes festzustellen, dass aus dem Verhalten des Beschwerdeführer, sich trotz der Anhängigkeit eines Asylverfahrens in einem anderen Dublin-Staat aus diesem entfernt zu haben, mangels exakt nachvollziehbaren Standes des dortigen Asylverfahrens eine Schlussfolgerung hinsichtlich einer allfälligen Nichtakzeptanz negativer asylrechtlicher Entscheidungen nicht zulässig ist. Dem Umstand, sich trotz tristester persönlicher Verhältnisse illegal von einem Staat der EU in einen anderen (Österreich) begeben zu haben, ist nach dieser Judikatur offenbar (vgl geltende VwGH ?Judikatur sogar bei Verwendung gefälschter Reisedokumente) keine erhöhte Bedeutung bei der Rechtschutzgutabwägung beizumessen.

 

Die Schubhafttatbestände des §76 Abs2 FPG sind, wie der Beschwerdeführer in seinem Schriftsatz das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 30.08.2007, Zl 2007/21/0043, richtig zitiert, final determiniert. Sie rechtfertigen die Verhängung einer Schubhaft nur ?zum Zweck der Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer Ausweisung gemäß §10 Asylgesetz 2005 oder zur Sicherung zur Abschiebung?.

 

Der Verfassungsgerichtshof hat darüber hinaus klar gestellt (vgl Erkenntnis vom 15.06.2007, B1330/06 und B1331/06), dass die Behörden in allen Fällen des §76 Abs2 FPG unter Bedachtnahme auf das verfassungsrechtliche Gebot der Verhältnismäßigkeit verpflichtet sind, eine auf den Einzelfall bezogene Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der Sicherheit des Verfahrens und der Schonung der persönlichen Freiheit des Betroffenen vorzunehmen. Im Ergebnis bedeutet dies, dass die Schubhaft auch dann, wenn sie auf einen der Tatbestände des §76 Abs2 FPG gestützt werden soll, stets nur ?ultima ratio? sein darf.

 

In seinem Erkenntnis vom 28.9.2004, Zl B292/04, hat der Verfassungsgerichtshof auch festgestellt, dass der Umstand, dass ein Asylwerber bereits in einem anderen Land aufhältig war, nicht den Schluss rechtfertigt, er werde sich dem Verfahren entziehen.

Darüber hinaus führt der VfGH in diesem Erkenntnis wörtlich noch Folgendes aus:

?Mit der konkreten Situation des Beschwerdeführers hat sich der UVS in seinem Bescheid aber nicht auseinandergesetzt. Der bekämpfte Bescheid lässt auch eine nachvollziehbare Begründung dahingehend vermissen, weshalb eine Trennung des Beschwerdeführers von seiner Familie erforderlich war.

Dadurch, dass der UVS die im Lichte des Art2 Abs1 Z7 des BVG über den Schutz der persönlichen Freiheit gebotene Verhältnismäßigkeitsprüfung unterlassen hat, hat er die Rechtslage grob verkannt und den Beschwerdeführer in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Freiheit und Sicherheit (persönliche Freiheit) verletzt.?

 

Isoliert betrachtet könnte man ein die Verhängung der Schubhaft erforderndes Sicherungsinteresse darin erblicken, dass der Beschwerdeführer in Österreich nicht sozial integriert ist. Allerdings ist der Fremde mit seiner engsten Familien nach Österreich gekommen, darunter zwei minderjährige Töchter. Er wurde, obwohl er sich mit seiner Familie in Bundesbetreuung befunden hat, in Schubhaft genommen; seine Frau, die Töchter und der Neffe befinden sich nach wie vor in Bundesbetreuung. Betrachtet man diese Familiensituation, dann ist wohl eher nicht anzunehmen, dass der Beschwerdeführer bei einer gemeinsamen Unterbringung in der Grundversorgung mit seiner Familie diese verlassen und ?untertauchen? wird.

 

Hinzu kommt, dass der Beschwerdeführer als Asylwerber im Zulassungsverfahren gemäß §2 Abs1 Grundversorgungsgesetz ? Bund 2005 ? grundsätzlich Anspruch auf Versorgung in einer Betreuungseinrichtung des Bundes hat und er diese auch seit seiner Einreise am 31.12.2007 bis zum Datum der Inschubhaftnahme am 10.1.2008 in Anspruch genommen hat, weshalb sich die ? im bekämpften Bescheid nicht beantwortete ? Frage stellt, weshalb er, wäre er nicht in Schubhaft genommen worden und wäre ihm diese Versorgung gewährt worden ? diese Unterstützung aufgeben und in die ?Anonymität? untertauchen hätte sollen, dies unbeschadet der weiters zu berücksichtigenden Tatsache, dass der Beschwerdeführer Hinweise auf Familienangehörige im Bundesgebiet erstattet hat und im Übrigen gemeinsam mit seiner Frau und seinen Kindern in das österreichische Bundesgebiet eingereist war.

 

Darüber hinaus hat der Beschwerdeführer im konkreten Fall offenkundig wahrheitsgemäße Angaben über seine Identität, seine Reise nach Österreich, aber auch über seine bereits davor in Polen erfolgte asylrechtliche Behandlung, gemacht. Seine Aussagen dazu stehen mit dem EURODAC- Treffer im Einklang. Er hat sich gegenüber der belangten Behörde durchaus kooperativ gezeigt und alle Fragen umfassend beantwortet.

 

Aus dem Umstand, dass der Beschwerdeführer unter Umgehung fremdenrechtlicher Bestimmungen und ohne gültige Reisedokumente nach Österreich eingereist ist, den Besitz von Mitteln zur Sicherung seines Unterhalts nicht nachweisen kann und nicht im Besitz arbeitsmarkt- oder aufenthaltsrechtlicher Bewilligungen ist, kann, wie es die Behörde erster Rechtsstufe tut, nicht zwingend geschlossen werden, sein weiterer Aufenthalt werde die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährden, trifft diese Einschätzung bei Asylwerbern in dieser Situation doch regelmäßig zu. Der Beschwerdeführer ist in Österreich jedenfalls nicht in die Illegalität abgetaucht, sondern hat sich ganz im Gegenteil umgehend dem behördlichen Verfahren gestellt und, soweit aus der Aktenlage ersichtlich, an der Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes angemessen mitgewirkt.

 

Der von der Behörde erster Rechtsstufe gezogene Schluss, der Beschwerdeführer werde sich der Vollstreckung fremdenpolizeilicher Maßnahmen entziehen, kann insoweit nicht nachvollzogen werden, als sich auch dessen Frau sowie seine Kinder als Asylwerber im Bundesgebiet aufhalten. Der Umstand alleine, dass ein Asylwerber bereits in einem anderen EU-Land die Gewährung von Asyl beantragt hat, rechtfertigt nicht automatisch den Schluss, es würden in dem betreffenden ?Dublin-Fall? in einem erhöhten Grad Gründe für das Untertauchen des Beschwerdeführers vorliegen (vgl dazu das Erkenntnis des VwGH vom 30.08.2007, Zl 2007/21/0043, wonach dem Gesetzgeber vor dem Hintergrund des verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes jedenfalls nicht zugesonnen werden kann, er sei davon ausgegangen, alle potenziellen ?Dublin-Fälle? seien statt in Grundversorgung in Schubhaft zu nehmen).

 

Nach Ansicht des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich wären hier jedenfalls verschiedene Möglichkeiten für die Anwendung gelinderer Mittel (von der Anordnung, mit der Familie in bestimmten Räumen gemeinsam Unterkunft zu nehmen oder sich bei einem vorher festgelegten Polizeikommando regelmäßig zu melden) in Betracht zu ziehen gewesen.

 

Im Lichte der oben wiedergegebenen höchstgerichtlichen Judikatur und unter Berücksichtigung der Sachlage ist davon auszugehen, dass die Anhaltung des Beschwerdeführers in Schubhaft in ihrer gesamten Dauer rechtswidrig war.

 

Die Abhaltung einer öffentlichen Verhandlung konnte gemäß §83 Abs2 Z1 FPG unterbleiben, da der Sachverhalt aufgrund der Aktenlage, der Angaben des Beschwerdeführers und des Inhaltes der Beschwerde geklärt war, Widersprüchlichkeiten in Bezug auf die maßgeblichen Sachverhaltselemente nicht vorlagen und eine initiative Darlegung von für die Entscheidungsfindung relevanten Umständen, die durch weitere Hinterfragung zu klären gewesen wäre, nicht erforderlich war.

 

Die Kostenentscheidung gründen sich auf die bezogenen Gesetzesstellen.

Zuletzt aktualisiert am
31.12.2008
Quelle: Unabhängige Verwaltungssenate UVS, http://www.wien.gv.at/uvs/index.html
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