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E2D Assoziierung Türkei;Norm
61997CJ0329 Ergat VORAB;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sauberer und die Hofräte Dr. Robl und Dr. Rosenmayr als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Winter, über die Beschwerde des am 10. Februar 1976 geborenen Ö in Salzburg, vertreten durch Rechtsanwaltsgemeinschaft Mory & Schellhorn OEG in 5020 Salzburg, Wolf-Dietrich-Straße 19, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Salzburg vom 21. Jänner 1997, Zl. UVS-5/732/3-1996, betreffend Bestrafung wegen Übertretung des Fremdengesetzes, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Das Land Salzburg hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Straferkenntnis der Bundespolizeidirektion Salzburg vom 5. Juli 1996 wurde der Beschwerdeführer, ein türkischer Staatsbürger, wie folgt bestraft:
"Sie haben
sich seit Dezember 1994 in Salzburg, E-Straße im Bundesgebiet und
sohin über die Dauer der Befristung des Sichtvermerkes aufgehalten.
Sie haben dadurch die Rechtsvorschrift(en) gemäß § 82 Abs. 1 Z 4 iVm § 15 Abs. 3 Z 2 FrG
verletzt und wird gegen Sie wegen dieser Verwaltungsübertretung(en) gemäß § 82 Abs. 1 FrG ...
eine Geldstrafe in der Höhe von: ... S 2.000,--
im Nichteinbringungsfalle eine Ersatzfreiheitsstrafe
von ... 4 (vier) ... Tagen ... verhängt.
Gemäß § 64 Abs. 3 des Verwaltungsstrafgesetzes (VStG) haben Sie
außerdem den in diesem Strafverfahren entstandenen
Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens,
d. s. 10 % der Strafe ... S 200,--
zu ersetzen.
Der zu zahlende Gesamtbetrag (Strafe/Kosten/Barauslagen)
beträgt daher ... S 2.200,--
Außerdem sind die Kosten des Strafvollzuges zu ersetzen (§ 67 VStG 1950)."
Die dagegen vom Beschwerdeführer erhobene Berufung wurde mit dem angefochtenen Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Salzburg (belangte Behörde) vom 21. Jänner 1997 gemäß § 66 Abs. 4 AVG i.V.m. § 24 VStG als unbegründet abgewiesen und der Spruch des angefochtenen Straferkenntnisses
"mit der Maßgabe bestätigt, dass der erste Satz wie folgt zu lauten hat:
'Sie haben sich von Dezember 1994 bis 5.7.1996 in Salzburg, E-Straße, als Fremder nicht rechtmäßig im österreichischen Bundesgebiet aufgehalten, weil sie keinen Sichtvermerk hatten'.
Das Zitat der Strafbestimmung (§82 Abs.1 leg.cit) ist durch die Worte 'zweiter Fall' zu ergänzen.
Der Beschuldigte hat außer dem Kostenbeitrag zum erstinstanzlichen Verfahren gemäß § 64 Abs.1 und 2 VStG einen Beitrag zu den Kosten des Berufungsverfahrens in Höhe von S 400,-
zu leisten."
Der angefochtene Bescheid wurde im Wesentlichen damit begründet, dass der Beschwerdeführer selbst nicht bestreite, weder über eine Aufenthaltsbewilligung noch über einen Sichtvermerk zu verfügen, und dass die ihm zur Last gelegte Verwaltungsübertretung daher als erwiesen festzustellen sei. Wenn der Beschwerdeführer vorbringe, gemäß Art. 6 bzw. Art. 7 des Beschlusses vom 19. September 1980, Nr. 1/80, des durch das Abkommen zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei vom 12. September 1963 zur Gründung einer Assoziation eingerichteten Assoziationsrates (ARB) zum Aufenthalt im Bundesgebiet berechtigt zu sein, so verhelfe dies seiner Berufung deswegen nicht zum Erfolg, weil weder der angeführte Assoziationsratsbeschluss noch das Aufenthaltsgesetz die Anwendbarkeit des Fremdengesetzes, näherhin der in § 5 FrG normierten Sichtvermerkspflicht ausschließe. Aus dem Assoziationsabkommen erfließe kein direktes Aufenthaltsrecht, weshalb nicht darauf einzugehen gewesen sei, ob die Art. 6 und 7 des angeführten Beschlusses tatsächlich auf den Beschwerdeführer zuträfen.
Die belangte Behörde vermöge auch nicht die Rechtsansicht des Beschwerdeführers nachzuvollziehen, geschweige denn zu teilen, dass der Beschwerdeführer auf Grund des Art. 8 Abs. 1 EMRK zum Aufenthalt im Bundesgebiet berechtigt sei. Diese Norm sei für die gemäß § 20 Abs. 1 FrG gebotene Interessenabwägung erforderlich, habe jedoch nichts mit dem gegenständlichen Verwaltungsstrafvorwurf zu tun. Dasselbe gelte für das Vorbringen des Beschwerdeführers hinsichtlich einer asylrelevanten Verfolgung ethnischer Kurden in der Türkei.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit sowie wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, erstattete eine Gegenschrift und beantragte die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Die im Beschwerdefall maßgeblichen Bestimmungen des Fremdengesetzes - FrG, BGBl. Nr. 838/1992, lauten:
"§ 15. (1) Fremde halten sich rechtmäßig im Bundesgebiet auf,
1. wenn sie unter Einhaltung der Bestimmungen des
2. Teiles und ohne die Grenzkontrolle zu umgehen eingereist sind oder
2. wenn ihnen eine Bewilligung gemäß § 1 des
Aufenthaltsgesetzes oder von einer Sicherheitsbehörde ein
Sichtvermerk erteilt wurde oder
3. solange ihnen Aufenthaltsberechtigung nach dem
Asylgesetz 1991, BGBl. Nr. 8/1992, zukommt.
...
§ 82. (1) Wer
1. nach Erlassung eines Aufenthaltsverbotes oder einer
Ausweisung nicht rechtzeitig ausreist oder
2. einem Aufenthaltsverbot zuwider unerlaubt in das
Bundesgebiet zurückkehrt oder
3. sich als passpflichtiger Fremder, ohne im Besitz
eines gültigen Reisedokumentes zu sein, im Bundesgebiet aufhält oder
4. sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält (§ 15), begeht eine Verwaltungsübertretung und ist in den Fällen der
Z 1 und 2 mit Geldstrafe bis zu 10 000 Schilling oder mit Freiheitsstrafe bis zu 14 Tagen, sonst mit Geldstrafe bis zu 10 000 Schilling zu bestrafen. Als Tatort gilt der Ort der Betretung oder des letzten bekannten Aufenthaltes.
(2) Eine Verwaltungsübertretung gemäß Abs. 1 Z 1 liegt nicht vor, wenn die Ausreise nur in ein Land möglich wäre, in das eine Abschiebung unzulässig (§§ 37 und 54 Abs. 4) ist, oder wenn dem Fremden ein Abschiebungsaufschub erteilt worden ist."
Wie bereits im Verwaltungsstrafverfahren weist der Beschwerdeführer auch in der Beschwerde darauf hin, dass er im Alter von 13 Jahren auf Grund einer Genehmigung zu seinem in Österreich dem regulären Arbeitsmarkt angehörenden Vater gezogen sei und daher gemäß Art. 7 ARB, welche Bestimmung unmittelbar wirksam sei, zum Aufenthalt berechtigt sei. Auch wäre er als ethnischer Kurde in der Türkei einer Verfolgung ausgesetzt, insoferne habe er sich hinsichtlich seines Aufenthaltes auf Notstand berufen. Schließlich weist der Beschwerdeführer darauf hin, dass das gegen ihn mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Salzburg vom 6. Juli 1994 erlassene Aufenthaltsverbot auf Grund seiner dagegen gerichteten Berufung mit Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Salzburg vom 14. Juni 1996 mit der Begründung aufgehoben worden sei, dass in Ansehung des § 20 Abs. 1 FrG seine privaten und familiären Interessen das öffentliche Interesse an der Erlassung des Aufenthaltsverbotes überwögen. Der angefochtene Bescheid sei auch angesichts des Art. 8 Abs. 1 EMRK rechtswidrig.
Der Beschwerdeführer ist mit allen Beschwerdevorwürfen im Recht:
Art. 7 ARB Nr. 1/80 lautet:
"Die Familienangehörigen eines dem regulären Arbeitsmarkt
eines Mitgliedstaats angehörenden türkischen Arbeitnehmers, die
die Genehmigung erhalten haben, zu ihm zu ziehen,
- haben vorbehaltlich des den Arbeitnehmern aus den
Mitgliedstaaten der Gemeinschaft einzuräumenden Vorrangs das
Recht, sich auf jedes Stellenangebot zu bewerben, wenn sie dort
seit mindestens drei Jahren ihren ordnungsgemäßen Wohnsitz haben;
- haben freien Zugang zu jeder von ihnen gewählten
Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis, wenn sie dort seit mindestens fünf Jahren ihren ordnungsgemäßen Wohnsitz haben."
Der Europäische Gerichtshof hat mit ausführlichen Hinweisen auf seine frühere Rechtsprechung ausgesprochen, dass Art. 7 Satz 1 unmittelbare Wirkung hat. Die unmittelbare Wirkung des Art. 7 Satz 1 ARB Nr. 1/80 bewirkt, dass ein Familienangehöriger eines gemäß Art. 6 Abs. 1 ARB Nr. 1/80 berechtigten türkischen Arbeitnehmers zumindest von dem Zeitpunkt an, zu dem er nach fünfjährigem ordnungsgemäßem Wohnsitz auf Grund der Familienzusammenführung mit dem Arbeitnehmer gemäß dem zweiten Gedankenstrich dieser Bestimmung ein Recht auf freien Zugang zur Beschäftigung im Aufnahmemitgliedstaat erworben hat, hinsichtlich der Beschäftigung ein individuelles Recht aus dem Beschluss Nr. 1/80 herleiten kann. Die praktische Wirksamkeit dieses Rechts setzt zwangsläufig die Existenz eines entsprechenden Aufenthaltsrechts voraus, das ebenfalls auf dem Gemeinschaftsrecht beruht und vom Fortbestehen der Voraussetzungen für den Zugang zu diesen Rechten unabhängig ist. Denn das in Art. 7 Satz 1 zweiter Gedankenstrich des Beschlusses Nr. 1/80 vorgesehene, durch keine Voraussetzungen - nicht einmal durch einen Vorrang der Arbeitnehmer der Mitgliedstaaten - eingeschränkte Recht des Betroffenen, eine frei von ihm gewählte Beschäftigung aufzunehmen, würde ausgehöhlt, wenn die zuständigen nationalen Behörden die Möglichkeit hätten, die Ausübung der dem türkischen Migranten unmittelbar durch den Beschluss Nr. 1/80 verliehenen, genau bestimmten Rechte an Bedingungen zu knüpfen oder in irgendeiner Weise einzuschränken (Urteil vom 16. März 2000 in der Rechtssache C-329/97, Ergat, Slg. Französische Ausgabe 2000, Seite I-1487, RandNr. 34, 40 und 41; vgl. auch die hg. Erkenntnisse vom 25. Juni 1996, Zl. 96/09/0088, Slg. Nr. 14.483/A, vom 2. Oktober 1996, Zl. 96/21/0641, vom 19. Februar 1997, Zl. 95/21/0515, und vom 11. Juni 1997, Zl. 96/21/0100). Bei der mit dem angefochtenen Bescheid erfolgten Bestrafung handelt es sich gerade um eine derartige Einschränkung des vom Beschwerdeführer gemäß Art. 7 erster Satz ARB Nr. 1/80 behaupteten Rechts. Dies hat die belangte Behörde verkannt, indem sie den Beschwerdeführer wegen Nichtvorliegens eines Sichtvermerkes bestrafte und ungeprüft ließ, ob er die Voraussetzungen des Art. 7 erster Satz ARB Nr. 1/80 erfülle.
Hinsichtlich seines Vorbringens, der Beschwerdeführer wäre in der Türkei einer Verfolgung ausgesetzt und sein Aufenthalt im Bundesgebiet sei auch im Grunde des § 6 VStG nicht strafbar, verkannte die belangte Behörde ebenfalls die Rechtslage. Der gesetzliche Rechtfertigungsgrund des § 82 Abs. 2 FrG gilt nämlich nicht nur in einem wegen einer Übertretung nach § 82 Abs. 1 Z. 1 FrG eingeleiteten Strafverfahren, sondern auch in einem solchen nach § 82 Abs. 1 Z. 4 FrG (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 24. März 2000, Zl. 96/21/0247, m.w.N.). Die belangte Behörde hätte somit Feststellungen dahin treffen müssen, ob die Ausreise des Beschwerdeführers nur in die Türkei möglich gewesen wäre und ob seine Abschiebung in diesen Staat im Sinn des § 37 Abs. 1 und 2 FrG zulässig wäre (vgl. das hg. Erkenntnis vom 5. Oktober 2000, Zl. 96/21/0861).
Auch mit dem Hinweis darauf, seine Bestrafung wegen rechtswidrigen Aufenthaltes im Bundesgebiet sei angesichts des Art. 8 Abs. 1 EMRK unzulässig, zeigt der Beschwerdeführer im Ergebnis eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auf. Der Verwaltungsgerichtshof hat nämlich ausgesprochen, dass dann, wenn die (hypothetische) Ausweisung eines Fremden aus dem Grund des § 19 FrG nicht gerechtfertigt ist, sich dies im Ergebnis auch auf die Strafbarkeit des inländischen Aufenthaltes des betroffenen Fremden unter dem Gesichtspunkt des § 82 Abs. 1 Z. 4 FrG auswirken muss. Wären nämlich auch Fremde, die derartig intensive private und familiäre Bindungen in Österreich haben, dass ihr Interesse an deren Aufrechterhaltung die entgegen stehenden öffentlichen Interessen an einer Ausweisung überwiegt, von der Strafdrohung des § 82 Abs. 1 Z. 4 FrG erfasst, so läge darin ein dem Gesetzgeber nicht zusinnbarer Wertungswiderspruch, weshalb für den Tatbestand des § 82 Abs. 1 Z. 4 FrG das Vorliegen eines gesetzlichen Strafausschließungsgrundes nach § 6 VStG angenommen werden muss, wenn einer Ausweisung des Fremden eine zu seinen Gunsten ausfallende Interessenabwägung nach § 19 FrG im Weg steht (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom 6. November 1998, Zl. 97/21/0085, und vom 24. März 2000, Zl. 97/21/0858). Auch dies hat die belangte Behörde im vorliegenden Fall verkannt.
Die belangte Behörde belastete den angefochtenen Bescheid aber noch in weiterer Weise mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit. Gemäß § 44a Z. 1 VStG hat der Spruch eines Straferkenntnisses, wenn er nicht auf Einstellung lautet, u.a. die als erwiesen angenommene Tat zu enthalten. Diese muss also im Spruch so eindeutig umschrieben sein, dass kein Zweifel darüber besteht, wofür der Täter bestraft worden ist. Dabei ist die Tat hinsichtlich des Täters und der Tatumstände so genau zu umschreiben, dass die Zuordnung des Tatverhaltens zur Verwaltungsvorschrift, die durch die Tat verletzt ist, in Ansehung aller Tatbestandsmerkmale ermöglicht wird, und die Identität der Tat unverwechselbar feststeht (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 24. März 2000, Zl. 96/21/0919, m.w.N.).
Eine Bestrafung wegen unrechtmäßigen Aufenthalts nach § 82 Abs. 1 Z. 4 FrG kommt rechtens nur in Betracht, wenn keine der in § 15 Abs. 1 (Z. 1 bis 3) leg. cit. angeführten Voraussetzungen eines rechtmäßigen Aufenthalts gegeben ist. Die Annahme der Unrechtmäßigkeit eines inländischen Aufenthalts aus der Verneinung bloß eines Teils der in § 15 Abs. 1 FrG genannten drei alternativen Voraussetzungen für eine Rechtmäßigkeit des Aufenthalts steht mit dem Gesetz nicht in Einklang (vgl. auch dazu das hg. Erkenntnis Zl. 96/21/0919). Nach dem Spruch des angefochtenen Bescheides lautet die umschriebene Tat, dass sich der Beschwerdeführer als Fremder nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalte, weil er keinen Sichtvermerk hatte. Damit werden aber die oben genannten drei alternativen Voraussetzungen für eine Rechtmäßigkeit des Aufenthalts von Fremden im Inland nur zum Teil verneint, weshalb aus dieser Tatumschreibung eine Subsumtion unter den zur Last gelegten Tatbestand nicht zulässig ist und der Spruch gegen § 44a Z. 1 VStG verstößt.
Aus den genannten Gründen war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 8. November 2001
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2001:1997210111.X00Im RIS seit
07.02.2002Zuletzt aktualisiert am
11.11.2011