TE UVS Steiermark 2008/02/01 20.3-19/2007

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Veröffentlicht am 01.02.2008
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Spruch

Der Unabhängige Verwaltungssenat für die Steiermark hat durch das Senatsmitglied Dr. Erich Kundegraber über die Beschwerde der Mag. I A, gemäß §§ 67 a Abs 1 Z 2, 67 c Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 (AVG), § 88 Sicherheitspolizeigesetz (SPG), § 1 Versammlungsgesetz 1953 (VersammlungsG), Art 12 Staatsgrundsgesetz vom 21. Dezember 1867 über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger (StGG) und Art 11 Europäische Menschenrechtskonvention (MRK), wie folgt entschieden:

Dadurch, dass die Beschwerdeführerin am 09. Oktober 2007 um ca

17.20 Uhr durch Organe der Bundespolizeidirektion Graz als Teilnehmerin einer Demonstration in Graz, im Kreuzungsbereich N/K, in einem Zeitraum von ca 15 Minuten angehalten und anschließend verboten wurde, die Demonstration weiterzuführen, wurde die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit verletzt. Der Bund (Bundesminister für Inneres) hat der Beschwerdeführerin gemäß § 79 a AVG iVm der UVS-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl II 334/2003, einen mit ?

1.510,80 bestimmten Kostenaufwand binnen vier Wochen ab Zustellung des Bescheides bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Text

I. 1. In der Beschwerde vom 18. November 2007 wird im Wesentlichen vorgebracht, dass die Beschwerdeführerin Teilnehmerin einer Demonstration am Grazer Hauptplatz war. In der Folge zog sich der Demonstrationszug in Richtung Ä, und wurde an der Ecke N/K in Graz von Organen der Bundespolizeidirektion Graz gestoppt. Dort erfolgte eine Anhaltung in einem Polizeikessel in der Dauer von ca 20 Minuten. Danach wurde ihr von einem Polizisten erklärt, dass sie nach § 21 VStG ermahnt werde und aufgetragen den Demonstrationszug zu verlassen. Der polizeilichen Anordnung wurde von der Beschwerdeführerin nachgekommen und die Demonstration beendet. Die Beschwerdeführerin beantragte, der Unabhängige Verwaltungssenat möge im Einzelnen feststellen, dass sich durch das Einkesseln meiner Person durch die Einsatzeinheit, das Verwehrens des Verlassens des Kessels und die damit verbundene Anhaltung, sowie durch die Androhung der Polizei vor Ort, im Fall der Fortführung der Versammlung Identitätsfeststellungen sämtlicher VersammlungsteilnehmerInnen zum Zweck der Anzeigenerstattung aufzunehmen, rechtswidrig war, da sie im Recht auf persönliche Freiheit und auf Versammlungsfreiheit verletzt worden sei. 2. Die Bundespolizeidirektion Graz legte am 07. Dezember 2007 eine Gegenschrift vor. Im Wesentlichen wurde angeführt, dass es sich hiebei um keine Demonstration (Versammlung) gehandelt hätte und die Beschwerdeführerin eine Übertretung des § 76 StVO begangen habe, aufgrund derer die Anhaltung erfolgt sei. Während des Fußmarsches vom Hauptplatz zur Kreuzung N/K sei eine gemeinsame Manifestation nicht mehr erkennbar gewesen, da sich die Personen nicht mehr als geschlossene Einheit, sondern in einzelnen Gruppen bewegt haben. Zudem seien weder Sprechchöre noch sonstige Merkmale einer Versammlung erkennbar gewesen, die auf eine gemeinsame Manifestation schließen hätten lassen. Die Aufforderung an die Personengruppe, den Gehsteig für den Fußgängerverkehr freizugeben sei nicht nach § 13 VersammlungsG erfolgt, sondern als Maßnahme nach § 97 Straßenverkehrsordnung (StVO). Es wurde der Antrag gestellt, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen und den Kostenersatz der Bundespolizeidirektion Graz zuzusprechen. 3. Mit Schriftsatz vom 23. Jänner 2008 legte die Beschwerdeführerin eine Filmaufnahme (CD-Rom) mit der Beschriftung Demonstration Polizeikessel am 09.10.07 zum Beweis dafür, dass sehr wohl eine Versammlung als auch dass ein Verlassen des Polizeikessels in keiner Richtung möglich war, vor. Zudem wurde ein Kostenantrag gestellt. II. 1. Aufgrund des Akteninhaltes, insbesondere den Beschwerdeausführungen und den Ergebnissen der Verhandlung am 29. Jänner 2008, wobei die Beschwerdeführerin und Obstlt. S S einvernommen wurden, sowie der bei der Verhandlung neu vorgelegte Filmaufnahme (CD-Rom) mit der Beschriftung Demo plus Kessel 09.10.07 10min geht der Unabhängige Verwaltungssenat für die Steiermark von nachfolgendem entscheidungsrelevantem Sachverhalt aus: Am 09. Oktober 2007 wurde ein besetztes Haus von den Organen der Bundespolizeidirektion Graz geräumt. Danach begaben sich ca 40 - 50 Leute, bestehend aus Besetzern und Sympathisanten, zum Rathaus am Hauptplatz, um für ein autonomes Zentrum zu demonstrieren. Daran beteiligte sich auch die Beschwerdeführerin. Bei der Demonstration handelte es sich um eine Spontandemonstration, eine Anzeige im Sinne des § 2 VersammlungsG bei der Bundespolizeidirektion Graz wurde nicht durchgeführt. Da im Rathaus niemand angetroffen wurde, entschlossen sich die Demonstranten ihre Protestkundgebung vor dem Sitz der Ä (Eigentümerin des besetzten Hauses) in der K abzuhalten. Darauf begab sich ein geschlossener Zug von ca 30 Demonstranten in Richtung K. Der Demonstrationszug benutzte hiebei die A (Fußgängerzone) und bog sodann in die N Richtung Süden ein. Ab der Kreuzung N/L wurde auch der in Richtung Süden führende Fahrstreifen der Fahrbahn von den Demonstranten benutzt. Es wurden ständig Sprechchöre gerufen. An der Kreuzung N/K wurde der Demonstrationszug von der Polizei angehalten, wobei ein Großteil der Demonstranten die K in Richtung Osten verließ. Daraufhin forderte die Beschwerdeführerin die übrigen Demonstrationsteilnehmer auf, sich an der Kreuzung K/N vor dem Eingang der GE C B zu versammeln, um zu beobachten, was mit den anderen Demonstrationsteilnehmern, die die K in Richtung Westen verließen und von der Polizei angehalten wurden, passiert. In weiterer Folge wurde die Beschwerdeführerin, und mit ihr ca 25 Personen, von mehreren Polizisten eingekesselt, sodass keine Person die Stelle verlassen konnte. Dies geschah in der Art und Weise, dass die Polizisten großteils dicht gedrängt in Ringform nebeneinander standen. Die Beschwerdeführerin hätte die Polizisten mit Körpergewalt wegdrängen müssen, um den Kessel zu verlassen. Andere Personen wurden unter Anwendung körperlicher Gewalt vom Weggehen gehindert. Dem Argument der Beschwerdeführerin, dass es sich hiebei um eine Demonstration handle und in deren Rahmen sie sehr wohl die Fahrbahn betreten dürfte, wurde von Seiten der Polizisten entgegnet, dass die Demonstration angemeldet werden müsse. Auch wurden zu dem Zeitpunkt Sprechchöre gerufen. Nach einer Zeitspanne von ca 15 Minuten wurde die Beschwerdeführerin namentlich von einem Polizisten angesprochen und eine Ermahnung gemäß § 21 VStG ausgesprochen, wenn die Versammlung aufgelöst würde. Daraufhin diskutierte die Beschwerdeführerin mit den übrigen Demonstranten den Vorschlag und wurde beschlossen, die Demonstration aufzulösen und konnte die Beschwerdeführerin ungehindert den Ort verlassen. Eine Auflösung der Versammlung im Sinne der §§ 13, 14 VersammlungsG fand zu keinem Zeitpunkt statt.

2. Die getroffenen Feststellungen gründen sich im Wesentlichen auf die Darstellung der Beschwerdeführerin, als auch den beiden vorgelegten Filmaufnahmen. Bei dem Demonstrationszug handelt es sich ohne Zweifel um eine Versammlung im Sinne des Versammlungsgesetzes, da der geschlossene Zug von ca 30 Demonstrationsteilnehmern unter Äußerung von Sprechchören vom Hauptplatz über die A in die N sich bewegte. Daraus manifestiert sich ein gemeinsames Wirken der teilnehmenden Personen. Auch die Tatsache, dass der Polizeikessel nicht verlassen werden konnte, geht aus der Aussage der Beschwerdeführerin als auch den in der Verhandlung gezeigten Filmaufnahmen eindeutig hervor. Wenn der Zeuge Obstlt. S S als Kommandant der zuständigen Einsatzeinheit Steiermark zur Auffassung gelangte, dass es sich hiebei um keine Demonstration mehr gehandelt habe, da der Zug in die Länge gezogen war, keine gemeinsame Manifestation mehr war, weil keine koordinierten Sprechchöre für ihn wahrnehmbar waren, so mag dies wohl seine subjektive Auffassung gewesen sein, jedoch zeigten die vorgelegten Filmaufnahmen als auch die Darstellung der Beschwerdeführerin ein anderes Bild, nämlich dass es sich um einen Demonstrationszug gehandelt hat. Auch die weitere Wahrnehmung des Zeugen, dass Personen den Polizeikessel verlassen hätten können, nämlich die N in Richtung Norden und die K in Richtung Osten deckt sich weder mit den Filmaufnahmen, noch mit der Aussage der Beschwerdeführerin. Der Zeuge gibt selbst an, dass er eine Person mit Zwangsgewalt gehindert habe, den Kessel zu verlassen, um auf die Fahrbahn der K zu gelangen. Auch die belangte Behörde hat nach Durchführung der Beweisaufnahme (Abspielen der Filme) zu Recht die Beschwerde als berechtigt angesehen. Von der Einvernahme weiterer Zeugen konnte daher abgesehen werden. III. Die Rechtsbeurteilung ergibt Folgendes: 1. Gemäß § 67 a Abs 1 Z 2 AVG entscheiden die Unabhängigen Verwaltungssenate über Beschwerden von Personen, die behaupten, durch die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt in ihren Rechten verletzt zu sein, ausgenommen in Finanzstrafsachen des Bundes. Gemäß § 88 Abs 4 SPG entscheiden die Unabhängigen Verwaltungssenat über Beschwerden gemäß Abs 1 oder 2 durch eines seiner Mitglieder. Im Übrigen gelten die §§ 67 c - 67 g und 79 a AVG. Die Beschwerde langte beim Unabhängigen Verwaltungssenat für die Steiermark am 20. November 2007 (Postaufgabestempel 19. November 2007) ein, wodurch die 6-wöchige Beschwerdefrist gemäß § 67 Abs 1 AVG gewahrt wurde. Auch ist die örtliche Zuständigkeit des Unabhängigen Verwaltungssenates für die Steiermark gegeben, da die von Organen der Bundespolizeidirektion Graz vorgenommene Handlung im Sprengel des Unabhängigen Verwaltungssenates für die Steiermark durchgeführt wurde. 2. Gemäß Art 12 StGG haben die österreichischen Staatsbürger das Recht, sich zu versammeln und Vereine zu bilden. Die Ausübung dieser Rechte wird durch besondere Gesetze geregelt. Art 11 EMRK normiert, dass alle Menschen das Recht haben, sich friedlich zu versammeln und sich frei mit anderen zusammenzuschließen, einschließlich des Rechts, zum Schutze ihrer Interessen Gewerkschaften zu bilden und diesen beizutreten. Gemäß Abs 2 darf die Ausübung dieser Rechte keinen anderen Einschränkungen unterworfen werden, als den vom Gesetz vorgesehenen, die in einer demokratischen Gesellschaft im Interesse der nationalen und öffentlichen Sicherheit, der Aufrechterhaltung der Ordnung und der Verbrechensverhütung, des Schutzes der Gesundheit und der Moral oder des Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer notwendig sind. Dieser Artikel verbietet nicht, dass die Ausübung dieser Rechte durch Mitglieder der Streitkräfte, der Polizei oder der Staatsverwaltung gesetzlichen Einschränkungen unterworfen wird. Gemäß § 1 VersammlungsG sind nach Maßgabe der Bestimmungen dieses Gesetzes Versammlungen gestattet. Bei der zu beurteilenden Versammlung handelt es sich um eine so genannte Spontanversammlung, da sich diese ohne vorherige Einladung oder sonstige Absprache gebildet hat. Hier fallen Entschluss und Durchführung der Versammlung unmittelbar zusammen (Keplinger, Versammlungsrecht, Linde Verlag, Wien, S 74). Die Beschwerdeführerin als auch die übrigen Demonstrationsteilnehmer manifestierten ihr gemeinsames Wirken dadurch, dass sie, da sie im Rathaus keinen Ansprechpartner fanden, ihre nicht angemeldete Demonstration unter Abgabe von Sprechchören in friedlicher Weise in Richtung Sitz der Ä fortführten. Eine Auflösung der Versammlung im Sinne der §§ 13, 14 VersammlungsG fand nicht statt. Die Versammlung wurde zwar gegen die Vorschriften des Versammlungsgesetzes veranstaltet, da sie nicht ordnungsgemäß angezeigt wurde, obwohl im Sinne des § 2 VersammlungsG eine Verpflichtung dazu bestand, jedoch berechtigt dies im Hinblick auf Art 11 Abs 2 MRK ohne Zutreten weiterer Umstände nicht die Untersagung bzw Auflösung der Versammlung. Es müssen konkrete Umstände hinzukommen, die eines der Schutzgüter des Art 11 Abs 2 MRK verletzen könnten. Liegen solche Umstände nicht vor, so ist die Verletzung der Anzeigepflicht durch die im § 19 VersammlungsG vorgesehene Strafe hinreichend sanktioniert (VfSlg 11.132/1986). Dass Gründe im Sinne des Art 11 Abs 2 EMRK vorlagen, wird selbst von der belangten Behörde nicht behauptet. Wenn der Zeuge Obstlt.

S S die Befürchtung hatte, dass Personen bzw Fahrzeuglenker zu Schaden kommen, da der Demonstrationszug in der N auf dem in südliche Richtung führenden Fahrstreifen sich bewegte, so ist hier wohl bedenken, dass dies in friedlicher und geordneter Weise geschah und ohnedies nur auf einer relativ kurzen Strecke (ca 200 m) und es auch im Hinblick auf das Ziel des Demonstrationszuges von der Kreuzung N/K ohnehin nur mehr ca 100 m waren. Es wäre bei den zur Verfügung stehenden Einsatzkräften (siehe Filmaufnahmen) durchaus möglich gewesen, den Demonstrationszug ohne Gefährdung des Verkehrs zum Zielpunkt zu lenken. Jede Verletzung des VersammlungsG, die unmittelbar die Ausübung des Versammlungsrechtes betrifft, und damit in die Versammlungsfreiheit eingreift, ist als Verletzung des durch Art 12 StGG und Art 11 MRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes zu werten (VfSlg 15.170/1998; 15.362/1988; 15.680/1999 u. a.; VwSlg 1776A/1950; VwGH 21.09.1964, 94/01/0060). Der Umfang des Grundrechtes auf Versammlungsfreiheit gewährleistet das Recht, versammelt bleiben zu dürfen, also nicht auseinander gehen zu müssen und das Recht, nicht zur Teilnahme an einer Versammlung verhalten werden zu dürfen (siehe Keplinger, Versammlungsrecht, Linde Verlag, Wien, S 35). Durch das Anhalten der Beschwerdeführerin in einem Polizeikessel während eines Demonstrationszuges in der Dauer von ca 15 Minuten, als auch die Untersagung der Weiterführung der Demonstration unter Drohung einer erneuten Einkesselung durch Organe der Bundespolizeidirektion Graz, wurde die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit verletzt. 3. Als Kosten wurden gemäß § 79 a AVG iVm der UVS-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl II 334/2003, der Beschwerdeführerin ein Betrag von ? 1.510,80 zugesprochen. Der Beschwerdeführerin werden ? 660,80 als Schriftsatzaufwand, ? 826,-- als Verhandlungsaufwand und ? 24,-- als Stempelgebührenersatz zuerkannt.

Schlagworte
Versammlung Nichtanzeige Spontanversammlung Demonstration friedlich Einkesselung Grundrechte Versammlungsfreiheit
Zuletzt aktualisiert am
21.08.2008
Quelle: Unabhängige Verwaltungssenate UVS, http://www.wien.gv.at/uvs/index.html
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