TE Vwgh Erkenntnis 2001/11/8 99/21/0113

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Veröffentlicht am 08.11.2001
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AVG §38;
FrG 1993 §15 Abs1 Z2;
FrG 1993 §15 Abs1;
FrG 1993 §2 Abs1;
FrG 1993 §37 Abs1;
FrG 1993 §37 Abs2;
FrG 1993 §54 Abs4;
FrG 1993 §54;
FrG 1993 §57 Abs1;
FrG 1993 §57 Abs2;
FrG 1993 §82 Abs1 Z1;
FrG 1993 §82 Abs1 Z4;
FrG 1993 §82 Abs2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sauberer und die Hofräte Dr. Sulzbacher und Dr. Grünstäudl als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Winter, über die Beschwerde des am 5. November 1975 geborenen M in Wien, vertreten durch Dr. Leopold Riess, Rechtsanwalt in 1080 Wien, Zeltgasse 3/12, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 10. August 1998, UVS-03/P/26/02064/97, betreffend Bestrafung wegen Übertretung des Fremdengesetzes, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Wien hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Straferkenntnis der Bundespolizeidirektion Wien vom 6. Mai 1997 wurde über den Beschwerdeführer, einen liberianischen Staatsangehörigen, infolge seines unrechtmäßigen Aufenthaltes in der Zeit vom 22. September 1996 bis 21. März 1997 wegen Übertretung der §§ 15 Abs. 1 iVm 82 Abs. 1 Z 4 des Fremdengesetzes 1992 - FrG, BGBl. Nr. 838, eine Geldstrafe in der Höhe von S 1.200,-- verhängt. Die dagegen erhobene Berufung wurde mit dem angefochtenen Bescheid abgewiesen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Der Beschwerdeführer hatte im Verwaltungsverfahren vorgebracht, in Liberia "auf Grund der Bürgerkriegssituation von Verfolgung, Zwangsrekrutierung und (mit) dem Umbringen bedroht" zu sein. Er sei seines Lebens nicht mehr sicher gewesen. Wie er im Asylverfahren und in einer Stellungnahme gegenüber der Fremdenpolizei ausgeführt habe, werde er in Liberia vom Rebellenführer Charles Taylor gesucht und müsse "Schlimmstes" befürchten.

Die belangte Behörde hat zwar den Inhalt der Berufung im angefochtenen Bescheid wiedergegeben, ist jedoch auf das erwähnte Vorbringen in seinen folgenden Ausführungen nicht mehr eingegangen. Offenbar erachtete sie es nicht für notwendig, diese Behauptungen des Beschwerdeführers weiter zu prüfen, wenn sie in diesem Zusammenhang feststellte, der Asylantrag des Beschwerdeführers sei mit dem im Instanzenzug ergangenen, seit 21. September 1996 rechtskräftigen Bescheid des Bundesministers für Inneres abgewiesen worden und es sei - entgegen den Behauptungen des Beschwerdeführers - nicht erwiesen, dass er einen Feststellungsantrag nach § 54 FrG eingebracht habe.

Sinngemäß spricht der Beschwerdeführer durch den Hinweis auf eine Gefährdung bzw. Bedrohung in seinem Heimatland im Falle einer Abschiebung dorthin den gesetzlichen Rechtfertigungsgrund des § 82 Abs. 2 FrG an. Danach liegt eine Verwaltungsübertretung gemäß § 82 Abs. 1 Z 1 nicht vor, wenn die Ausreise nur in ein Land möglich wäre, in das eine Abschiebung unzulässig (§§ 37 und 54 Abs. 4 FrG) ist, oder wenn dem Fremden ein Abschiebungsaufschub erteilt wurde. Dieser gesetzliche Rechtfertigungsgrund gilt allerdings nicht nur in einem wegen einer Übertretung nach § 82 Abs. 1 Z 1 FrG eingeleiteten Strafverfahren, sondern auch in einem Strafverfahren - wie hier vorliegend - nach § 82 Abs. 1 Z 4 FrG. Das hat die belangte Behörde nicht erkannt und es deshalb unterlassen, Feststellungen dahin zu treffen, ob - bezogen auf den angelasteten Tatzeitraum - die Ausreise des Beschwerdeführers nur nach Liberia möglich und ob seine Abschiebung in diesen Staat im Sinne des § 37 Abs. 1 und 2 FrG zulässig gewesen wäre (vgl. das hg. Erkenntnis vom 5. Oktober 2000, Zl. 96/21/0861, uva; zur behaupteten Verfolgungsgefahr in Liberia vgl. die hg. Erkenntnisse vom 11. November 1999, Zl. 99/20/0117, und vom 21. Oktober 1999, Zl. 98/20/0566, je mwN, sowie zur sogenannten "extremen Gefahrenlage" etwa die Erkenntnisse vom 26. Juni 1997, Zl. 95/21/0294, mwN, und zuletzt beispielsweise auch die Erkenntnisse vom 30. Mai 2001, Zl. 97/21/0560, und vom 22. Juni 2001, Zl. 97/21/0831).

Sollte die belangte Behörde - deren rechtliche "Beurteilung" erschöpft sich (neben Ausführungen zur Strafbemessung) in der Wiedergabe der §§ 15 Abs. 1 und 82 Abs. 1 Z 4 FrG, sodass insoweit nur Vermutungen angestellt werden können - tatsächlich der Meinung gewesen sein, dass sich schon wegen der Abweisung des Asylantrages das Vorliegen einer Verfolgungsgefahr im Sinne des § 57 Abs. 1 und/oder Abs. 2 FrG verneinen lässt und es diesbezüglich keiner Begründung bedarf, wird insoweit gemäß § 43 Abs. 2 VwGG auf das hg. Erkenntnis vom 17. Dezember 1997, Zl. 97/21/0576, verwiesen. Die Frage, ob die behauptete Verfolgungsgefahr für den Beschwerdeführer gegeben war und damit der geltend gemachte Rechtfertigungsgrund vorlag, ist von der belangten Behörde als Vorfrage iSd § 38 AVG zu beurteilen, weshalb es im übrigen auch ohne Bedeutung ist, dass der Beschwerdeführer nach der (von der belangten Behörde ermittelten) Aktenlage einen Feststellungsantrag nach § 54 FrG nicht gestellt hatte.

Wie bereits im Verwaltungsstrafverfahren weist der Beschwerdeführer aber auch in der Beschwerde darauf hin, er besitze kein Reisedokument und die liberianische Botschaft stelle ein solches nicht aus. Er könne sich daher weder um einen Sichtvermerk bemühen, noch könne er ausreisen.

Wäre dem Beschwerdeführer - wie er behauptet - aber ohne sein Verschulden mangels eines Reisedokumentes die Ausreise überhaupt unmöglich gewesen (vgl. § 2 Abs. 1 FrG), so hätte ihm der Vorwurf, gegen § 82 Abs. 1 Z 4 iVm § 15 Abs. 1 FrG verstoßen zu haben, wegen Unmöglichkeit der Herstellung eines gesetzmäßigen Zustandes ebenfalls nicht gemacht werden dürfen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 24. März 2000, Zl. 96/21/0247). Auch das wird die belangte Behörde bei Erlassung des Ersatzbescheides zu beachten haben.

Der angefochtene Bescheid war daher aus den dargestellten Gründen wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Wien, am 8. Novembe 2001

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2001:1999210113.X00

Im RIS seit

18.02.2002
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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