TE UVS Tirol 2008/04/23 2008/23/0854-3

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 23.04.2008
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Spruch

Der Unabhängige Verwaltungssenat in Tirol entscheidet durch seinen stellvertretenden Vorsitzenden Mag. Albin Larcher über die Berufung von J. B., vertreten durch Rechtsanwalt Dr. P. D., gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Landeck vom 06.02.2008 zur Zahl FP 34 2008, nach öffentlich mündlicher Verhandlung wie folgt:

 

Gemäß § 66 Abs 4 AVG iVm §§ 24, 51, 51c und 51e VStG wird der Berufung Folge gegeben, das gegenständliche Straferkenntnis behoben und das Verwaltungsstrafverfahren gemäß § 45 Abs 1 Z 1 VStG eingestellt.

Text

Mit dem nunmehr angefochtenen Straferkenntnis wurde der Beschuldigten wie folgt vorgeworfen:

?1. Die Beschuldigte hat sich von 01.02.2008 bis 04.02.2008 nicht rechtmäßig im österreichischen Bundesgebiet aufgehalten, da sie zur Ausübung einer Beschäftigung keine von einer österreichischen Behörde erteilte Aufenthaltsberechtigung besessen hat.

 

Die Beschuldigte hat dadurch folgende Rechtsvorschriften verletzt:

1. § 31 Abs 1 iVm § 24 und 87 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG)

 

Wegen dieser Verwaltungsübertretungen wird über sie folgende Strafe verhängt:

 

Geldstrafe von Euro 120,00, falls diese uneinbringlich ist, Ersatzfreiheitsstrafe von 30 Stunden, gemäß § 120 Abs 1 Z 2 FPG.

 

Gegen dieses Straferkenntnis wurde fristgerecht Berufung erhoben und im Wesentlichen vorgebracht, dass die Beschuldigte über einen Aufenthaltstitel für die Bundesrepublik Deutschland verfüge und überdies mit einem Unionsbürger, und zwar Herrn A. F., verheiratet sei. Diese Ehe ist vor dem Standesamt Fügen am 31.08.2005 geschlossen worden. Gemäß § 31 Abs 1 Z 3 FPG würde sich ein Fremder dann rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten, wenn er Inhaber eines von einem Vertragsstaat ausgestellten Aufenthaltstitels sei und verfüge die Beschuldigte über einen derartigen, nämlich einen deutschen, Aufenthaltstitel und sei daher davon auszugehen, dass die Beschuldigte rechtmäßig aufhältig gewesen wäre.

 

Aufgrund dieses Berufungsvorbringens fand am 26.03.2008 eine öffentlich mündliche Verhandlung statt, im Zuge derer die Beschuldigte angehört wurde und von ihr mehrere Urkunden vorgelegt wurden. In weiterer Folge wurde von der I. T. D. B., B. Gastronomiebetriebs GmbH eine Stellungnahme eingeholt und teilte diese mit Schreiben vom 02.04.2008 mit, dass die Beschuldigte im Gastgewerbebetrieb ?XY? in I. als Tänzerin aufgetreten sei.

 

Aufgrund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens ergibt sich für den Unabhängigen Verwaltungssenat in Tirol nachfolgender Sachverhalt:

 

Die Beschuldigte ist russische Staatsangehörige und mit einem deutschen Staatsangehörigen verheiratet und hat ihren Hauptwohnsitz in der Bundesrepublik Deutschland. Sie verfügt auch über einen Daueraufenthaltstitel für die Bundesrepublik Deutschland.

 

Am 01.02.2008 reiste die Beschuldigte mit ihrem Ehegatten nach I. an, da sie von einer Bekannten die Telefonnummer der Diskothek ?XY? erhalten habe und traf dort den Geschäftsführer der Diskothek ?XY? und vereinbarte mit ihm, dass sie in diesem Betrieb als selbstständige Tänzerin, somit als Künstlerin, auftreten würde. Für diese Tätigkeit wurde ihr eine Gage zugesagt und wurde ihr eine Unterkunft in Kappl zur Verfügung gestellt. Nachfolgend trat die Beschuldigte dann am Freitag, den 01.02.2008 nach am selben Abend auf.

 

Am Montag, den 04.02.2008 begab sich die Beschuldigte initiativ von ihr aus zur Bezirkshauptmannschaft Landeck, um sich anzumelden. Bei dieser Gelegenheit wurde das nunmehr anhängige Strafverfahren gegen sie eingeleitet.

 

Die hier relevanten Bestimmungen des Fremdenpolizeigesetzes 2005, BGBl I Nr 100/2005 idF BGBl I Nr 4/2008, lauten wie folgt:

 

§ 24 (1) Die Aufnahme

1.

einer bloß vorübergehenden selbständigen Erwerbstätigkeit (§ 2 Abs 4 Z 16);

2.

einer bloß vorübergehenden unselbständigen Tätigkeit (§ 2 Abs 4 Z 17) oder

3.

einer Tätigkeit, zu deren Ausübung eine Beschäftigungsbewilligung nach § 5 AuslBG Voraussetzung ist, im Bundesgebiet ist nur nach Erteilung eines Aufenthalts Reisevisums möglich. In diesem Fall ist dem Fremden unter Berücksichtigung des § 21 Abs 1 und im Fall der Anwendbarkeit des Ausländerbeschäftigungsgesetzes bei Vorliegen einer Sicherungsbescheinigung nach § 11 AuslBG ein Aufenthalts-Reisevisum bis zu sechsmonatiger Gültigkeitsdauer zu erteilen.

(2) Abs 1 findet auf Fremde, die zur sichtvermerksfreien Einreise berechtigt sind, zur Aufnahme einer Tätigkeit gemäß Abs 1 Z 3 keine Anwendung.

(3) Teilt eine Behörde nach dem Niederlassungs, und Aufenthaltsgesetz der zuständigen Vertretungsbehörde im Ausland mit, dass einem Fremden, der der Sichtvermerkspflicht unterliegt, ein Aufenthaltstitel erteilt werden wird, so ist ihm unter Berücksichtigung des § 21 Abs 1 Z 1, 3 und 4 ein Aufenthaltsvisum mit viermonatiger Gültigkeitsdauer zu erteilen.

 

§ 30. (1) Fremde, die auf Grund allgemein anerkannter Regeln des Völkerrechts, eines Staatsvertrages, eines Bundesgesetzes oder eines unmittelbar anwendbaren Rechtsaktes der Europäischen Union in Österreich Sichtvermerks, und Niederlassungsfreiheit genießen, benötigen zur Einreise in das Bundesgebiet kein Visum.

(2) Sofern die Bundesregierung zum Abschluss von Regierungsübereinkommen gemäß Art 66 Abs 2 B VG ermächtigt ist, kann sie zur Erleichterung des Reiseverkehrs unter der Voraussetzung, dass Gegenseitigkeit gewährt wird, vereinbaren, dass Fremde berechtigt sind, ohne Visum in das Bundesgebiet einzureisen und sich in diesem aufzuhalten.

(3) Wenn es im öffentlichen Interesse zur Erleichterung des Reiseverkehrs liegt, ist der Bundesminister für Inneres im Einvernehmen mit dem Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten ermächtigt, für bestimmte Fremde durch Verordnung Ausnahmen von der Sichtvermerkspflicht zu gewähren. Sofern in einer solchen Verordnung nicht eine kürzere Zeit bestimmt wird, sind solche Fremde berechtigt, sich nach der Einreise drei Monate im Bundesgebiet aufzuhalten.

(4) Kinder, die nicht die österreichische Staatsbürgerschaft besitzen, sind während ihrer ersten sechs Lebensmonate von der Sichtvermerkspflicht befreit, sofern die Mutter oder ein anderer Fremder, dem Pflege und Erziehung des Kindes zukommt, rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen ist; dies gilt, solange der Betreffende rechtmäßig niedergelassen bleibt, bei Ableitung vom Vater überdies nur, wenn diesem das Recht zur Pflege und Erziehung allein zukommt. Außerdem besteht für solche Kinder Sichtvermerksfreiheit während der ersten sechs Lebensmonate, sofern und solange deren Pflege und Erziehung einem österreichischen Staatsbürger mit Hauptwohnsitz im Bundesgebiet allein zukommt.

(5) Fremde, denen in Österreich der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zukommt, benötigen für die Rechtmäßigkeit der Einreise kein Visum.

 

§ 31. (1) Fremde halten sich rechtmäßig im Bundesgebiet auf,

1.

wenn sie rechtmäßig eingereist sind und während des Aufenthalts im Bundesgebiet die Befristungen oder Bedingungen des Einreisetitels oder die durch zwischenstaatliche Vereinbarungen, Bundesgesetz oder Verordnung bestimmte Aufenthaltsdauer nicht überschritten haben;

2.

wenn sie auf Grund einer Aufenthaltsberechtigung oder einer Dokumentation des Aufenthaltsrechtes nach dem Niederlassungs, und Aufenthaltsgesetz zur Niederlassung oder zum Aufenthalt oder auf Grund einer Verordnung für Vertriebene zum Aufenthalt berechtigt sind;

3.

wenn sie Inhaber eines von einem Vertragsstaat ausgestellten Aufenthaltstitels sind;

4.

solange ihnen ein Aufenthaltsrecht nach asylrechtlichen Bestimmungen zukommt;

5.

soweit sie nicht auf Grund eines Rückübernahmeabkommens (§ 19 Abs 4) oder internationaler Gepflogenheiten rückgenommen werden mussten oder nicht auf Grund einer Durchbeförderungserklärung, sonstiger zwischenstaatlicher Abkommen oder auf Ersuchen eines Mitgliedstaates der Europäischen Union um Durchbeförderung (§ 48 Abs 1) oder aufgrund einer Durchlieferungsbewilligung gemäß § 67 ARHG eingereist sind;

6.

wenn sie eine Beschäftigungsbewilligung nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz mit einer Gültigkeitsdauer bis zu sechs Monaten, eine Entsendebewilligung, eine EU Entsendebestätigung, eine Anzeigebestätigung gemäß § 3 Abs 5 AuslBG oder eine Anzeigebestätigung gemäß § 18 Abs 3 AuslBG mit einer Gültigkeitsdauer bis zu sechs Monaten, innehaben oder

7.

soweit sich dies aus anderen bundesgesetzlichen Vorschriften ergibt.

(2) Beabsichtigt ein Arbeitgeber einen Fremden, der zur sichtvermerksfreien Einreise berechtigt ist und dem kein gemeinschaftsrechtliches Aufenthalts, und Niederlassungsrecht zukommt, gemäß § 5 AuslBG zu beschäftigen, so ist ihm auf Antrag mit Zustimmung des Fremden eine Unbedenklichkeitsbescheinigung auszustellen, wenn keine fremdenpolizeilichen Einwände gegen den Aufenthalt des Fremden bestehen. Die Unbedenklichkeitsbescheinigung ist vier Wochen gültig. Im Fall der Versagung der Ausstellung der Unbedenklichkeitsbescheinigung ist gemäß § 57 AVG vorzugehen.

(3) Fremdenpolizeiliche Einwände im Sinne des Abs 2 liegen vor, wenn

1.

gegen ihn ein aufrechtes Aufenthaltsverbot gemäß § 60 besteht;

2.

ein Vertragsstaat einen Zurückweisungsgrund mitgeteilt hat;

3.

gegen ihn in den letzten zwölf Monaten eine Ausweisung gemäß § 54 oder § 10 AsylG 2005 rechtskräftig erlassen wurde;

4.

der Aufenthalt des Fremden die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährden würde oder

5.

er in den letzten zwölf Monaten wegen Umgehung der Grenzkontrolle oder nicht rechtmäßiger Einreise in das Bundesgebiet rechtskräftig bestraft wurde.

 

Artikel 23 der Richtlinie 2004/38/EG des europäischen Parlamentes und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten lautet wie folgt:

 

Die Familienangehörigen eines Unionsbürgers, die das Recht auf Aufenthalt oder das Recht auf Daueraufenthalt in einem Mitgliedstaat genießen, sind ungeachtet ihrer Staatsangehörigkeit berechtigt, dort eine Erwerbstätigkeit als Arbeitnehmer oder Selbstständiger aufzunehmen.

 

Unter Zugrundelegung der oben wiedergegebenen rechtlichen Bestimmungen wurde die Aufenthaltsrichtlinie in Österreich sowohl durch das Niederlassungs, und Aufenthaltsgesetz als auch durch das Fremdenpolizeigesetz 2005 umgesetzt. Die Umsetzung erfolgte der Gestalt, dass bis zu einem Aufenthalt von drei Monaten die Regelungen des FPG anzuwenden sind ,und erst bei einem länger dauernden Aufenthalt die Bestimmungen des Niederlassungs, und Aufenthaltsgesetzes greifen.

 

Beim vorliegenden Sachverhalt ist davon auszugehen, dass die Berufungswerberin lediglich kurzzeitig in Österreich aufhältig war und ist so auf die Bestimmung des Fremdenpolizeigesetzes 2005 Rücksicht zu nehmen.

 

Grundsätzlich bedarf die Berufungswerberin, die russische Staatsangehörige ist, gemäß § 24 Abs 1 Z 1 für eine bloß vorübergehende selbstständige Erwerbstätigkeit eines Aufenthalts, und Reisevisums.

 

Die Berufungswerberin ist jedoch mit einem deutschen Staatsangehörigen verheiratet und nahm dieser sein Recht auf Freizügigkeit in Anspruch. Insofern findet für die Berufungswerberin die Ausnahmebestimmung des § 30 Abs 1 FPG Anwendung, derzufolge Fremde zur Einreise in das Bundesgebiet kein Visum benötigen, die aufgrund eines unmittelbar anwendbaren Rechtsaktes der Europäischen Union in Österreich Sichtsvermerks, und Niederlassungsfreiheit genießen. Eine derartige Voraussetzung für den rechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet ergibt sich aus der Verbindung des § 31 Z 3 FPG mit dem vom Landesratsamt Ostallgäu ausgestellten Aufenthaltstitel ?Aufenthaltserlaubnis gemäß § 28 Abs 1 Satz 1 Nr 1 Aufenthaltsgesetz?, gültig bis 31.08.2008.

 

Insofern der Aufenthalt der Beschuldigten damit in Österreich rechtmäßig war, ergibt sich die Frage, ob die Beschuldigte nur zum Aufenthalt oder auch zu einer Erwerbstätigkeit berechtigt ist.

 

Die Republik Österreich versuchte durch das Fremdenpolizeigesetz die Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.04.2004 (Aufenthaltsrichtlinie) umzusetzen. Diese Umsetzung erfolgte teilweise im Fremdenpolizeigesetz und teilweise im Niederlassungs, und Aufenthaltsgesetz. Insofern hier lediglich von einem kurzen Aufenthalt (unter drei Monaten) die Rede ist, erfolgte , wie bereits oben aufgezeigt, die Umsetzung lediglich im Fremdenpolizeigesetz. Bei allfälligen Unklarheiten oder Umsetzungsdefiziten ist daher über das Fremdenpolizeigesetz hinausgehend direkt auf die vorab zitierte Richtlinie zurückzugreifen. In Artikel 23 dieser Richtlinie werden die verbundenen Rechte von Familienangehörigen eines Unionsbürgers definiert. Demzufolge dürfen diese Personen ungeachtet ihrer Staatsangehörigkeit einer Erwerbstätigkeit als Arbeitnehmer oder Selbstständiger nachgehen.

 

Die Bestimmung des § 85 Abs 1 FPG 1. Satz ist dorthin zu interpretieren, dass begünstigte Drittstaatsangehörige für den Fall, dass sie nicht einen Unionsbürger, der sein Recht auf Freizügigkeit in Anspruch nimmt, nachziehen bzw folgen, der dort zitierten Beschränkung unterliegen. Anders ist eine richtlinienkonforme Interpretation dieser Bestimmung nicht möglich und würde hier der Grundsatz vom Vorzug des Unionsrechtes vor innerstaatlichen Normen verletzt werden.

 

Aus diesem Grund war spruchgemäß zu entscheiden, das angefochtene Straferkenntnis zu beheben und das vorliegende Strafverfahren einzustellen.

Schlagworte
Die, Berufungswerberin, ist, jedoch, mit, einem, deutschen, Staatsangehörigen, verheiratet, und, nahm, dieser, sein, Recht, auf, Freizügigkeit, in, Anspruch, Insofern, findet, für, die, Berufungswerberin, die, Ausnahmebestimmung, des, § 30, Abs 1, FPG, Anwendung, derzufolge, Fremde, zur, Einreise, in, das, Bundesgebiet, kein, Visum, benötigen, die, aufgrund, eines, unmittelbar, anwendbaren, Rechtsaktes, der, Europäischen, Union, in, Österreich, Sichtsvermerks, und, Niederlassungsfreiheit, genießen, Eine, derartige, Voraussetzung, für, den, rechtmäßigen, Aufenthalt, im, Bundesgebiet, ergibt, sich, aus, der, Verbindung, des, § 31, Z 3, FPG, mit, dem, vom, Landesratsamt, Ostallgäu, ausgestellten, Aufenthaltstitel, ?Aufenthaltserlaubnis, gemäß, § 28, Abs 1, Satz 1, Nr 1, Aufenthaltsgesetz?, gültig, bis, 31.08.2008
Zuletzt aktualisiert am
21.10.2008
Quelle: Unabhängige Verwaltungssenate UVS, http://www.wien.gv.at/uvs/index.html
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