Der Unabhängige Verwaltungssenat Burgenland hat durch die Kammervorsitzende Mag. Obrist und die Mitglieder Dr.Zechmeister-Stehlik und Dr. Schwarz über die Berufung des Herrn ***, geboren am ***, H-***, vertreten durch Herrn ***, Rechtsanwalt in ***, vom 03.07.2008 gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Oberwart vom 26.06.2008, Zl. 300-2462-2008, wegen Bestrafung nach dem Führerscheingesetz 1997 (FSG), zu Recht erkannt:
Gemäß § 66 Abs. 4 AVG in Verbindung mit § 51 Abs. 1 VStG wird der Berufung Folge gegeben, das angefochtene Straferkenntnis behoben und das Verfahren gemäß § 45 Abs. 1 Z 2 VStG eingestellt.
Mit dem Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Oberwart (im Folgenden BH) vom 26.06.2008, Zl. 300-2462-2008, wurde dem Beschuldigten zur Last gelegt, er habe am 10.05.2008 um 09.50 Uhr im Ortsgebiet ***, Höhe Haus Nr. **, ein nach dem Kennzeichen bestimmtes Kraftfahrzeug auf einer Straße mit öffentlichem Verkehr gelenkt, ohne im Besitz einer von der Behörde erteilten gültigen Lenkberechtigung für die Klasse oder Unterklasse, in die das Kraftfahrzeug fällt, zu sein, da ihm diese von der Behörde entzogen worden sei. Dadurch habe er § 37 Abs. 1 und 4 Z 1 i. V. m. § 1 Abs. 3 FSG verletzt und es wurden gemäß § 37 Abs. 1 und 2 eine Geldstrafe von 2.180 Euro (Ersatzfreiheitsstrafe von 6 Wochen) sowie eine Freiheitsstrafe von 4 Wochen verhängt. Als Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens wurden gemäß § 64 Abs. 2 VStG ? ein Tag Freiheitsstrafe werde gleich 15 Euro angerechnet ? 260 Euro vorgeschrieben.
In der Berufung vom 03.07.2008 wurde im Wesentlichen vorgebracht, dass der Berufungswerber in Ungarn wohnhaft sei und dort eine Lenkberechtigung erworben habe, die ihm am 12.12.2007 von der zuständigen Polizei in *** zu Nr. *** ausgestellt worden sei und zum Lenken von Kraftfahrzeugen der Klasse B berechtige.
Hierüber wurde erwogen:
§ 1 Abs. 3 erster Satz und Abs. 4, § 3 Abs. 2, § 15 Abs. 3 und § 30 Abs. 1 und 3 Führerscheingesetz; i.d.g.F. BGBl. I 2008/31, (11. FSG-Novelle), lauten:
§ 1 Abs. 3 erster Satz und Abs. 4 FSG
(3)Das Lenken eines Kraftfahrzeuges und das Ziehen eines Anhängers ist, ausgenommen in den Fällen des Abs. 5, nur zulässig mit einer von der Behörde erteilten gültigen Lenkberechtigung für die Klasse oder Unterklasse (§ 2), in die das Kraftfahrzeug fällt. [...]
(4) Eine von einer zuständigen Behörde eines EWR-Staates ausgestellte Lenkberechtigung ist einer Lenkberechtigung gemäß Abs. 3 gleichgestellt. Das Lenken von Kraftfahrzeugen mit einer solchen Lenkberechtigung ist jedoch nur zulässig, wenn der Lenker das in § 6 Abs. 1 genannte Mindestalter erreicht hat. Das Lenken eines Kraftfahrzeuges mit einer in einem Nicht-EWR-Staat erteilten Lenkberechtigung ist nur im Rahmen der Bestimmungen des § 23 zulässig.
Personen, denen eine Lenkberechtigung mangels Verkehrszuverlässigkeit entzogen wurde, darf vor Ablauf der Entziehungsdauer keine Lenkberechtigung erteilt werden.
Der Besitzer einer in einem EWR-Staat erteilten Lenkberechtigung kann die Ausstellung eines neuen Führerscheines beantragen, wenn er seinen Wohnsitz (§ 5 Abs. 1 Z 1) nach Österreich verlegt hat. Vor Ausstellung des neuen Führerscheines hat die Behörde im Ausstellungsstaat und in dem Staat, in dem der Antragsteller zuletzt wohnhaft war (Herkunftstaat), anzufragen, ob dort Gründe gegen die Ausstellung vorliegen und allenfalls die Ausstellung zu verweigern, insbesondere dann, wenn keine gültige Lenkberechtigung vorliegt. Wurde der EWR-Führerschein auf Grund einer in einem Nicht-EWR-Staat erteilten Lenkberechtigung ausgestellt, so ist eine Lenkberechtigung nach Maßgabe des § 23 zu erteilen.
§ 30 Abs. 1 und 3 FSG
(1) Besitzern von ausländischen Lenkberechtigungen kann das Recht, von ihrem Führerschein in Österreich Gebrauch zu machen, aberkannt werden, wenn Gründe für eine Entziehung der Lenkberechtigung vorliegen. Die Aberkennung des Rechts, vom Führerschein Gebrauch zu machen, ist durch ein Lenkverbot entsprechend § 32 auszusprechen. Für die Aberkennung ist die Behörde zuständig, in deren örtlichem Wirkungsbereich der Führerscheinbesitzer seinen Aufenthalt hat; sie hat den Führerschein abzunehmen und bis zum Ablauf der festgesetzten Frist oder bis zur Ausreise des Besitzers zurückzubehalten, falls nicht gemäß Abs. 2 vorzugehen ist. Hat der betroffene Lenker keinen Wohnsitz (§ 5 Abs. 1 Z 1) in Österreich, ist seiner Wohnsitzbehörde auf Anfrage von der Behörde, die das Verfahren durchgeführt hat, Auskunft über die Maßnahme der Aberkennung zu erteilen.
(2) [...]
(3) Betrifft das Verfahren gemäß Abs. 1 den Besitzer einer in einem EWR-Staat erteilten Lenkberechtigung, der seinen Wohnsitz (§ 5 Abs. 1 Z 1) in Österreich hat, so hat die Behörde eine Entziehung auszusprechen und den Führerschein des Betroffenen einzuziehen und der Ausstellungsbehörde zurückzustellen. Die Behörde hat auch die Entziehung der Lenkberechtigung eines anderen EWR-Staates anzuordnen, wenn eine Person mit Wohnsitz in Österreich eine solche Lenkberechtigung zu einem Zeitpunkt erlangt hat, in dem in Österreich bereits die Lenkberechtigung wegen mangelnder Verkehrszuverlässigkeit entzogen war. In diesem Fall ist die Lenkberechtigung bis zu jenem Zeitpunkt zu entziehen, zu dem die bereits angeordnete Entziehungsdauer endet. Hat eine Person mit Wohnsitz in Österreich, der die Lenkberechtigung in Österreich wegen mangelnder gesundheitlicher Eignung entzogen wurde, trotzdem in einem EWR-Staat eine Lenkberechtigung erworben, so ist diese anzuerkennen, es sei denn, ein gemäß § 24 Abs. 4 eingeholtes amtsärztliches Gutachten bestätigt, dass die gesundheitliche Nichteignung nach wie vor besteht.
Aus dem Verwaltungsakt der BH zur Zl. *** ergibt sich, dass dem Berufungswerber die österreichische Lenkberechtigung mit Bescheid vom 10.11.2006, Zl. ***, wegen mangelnder Verkehrszuverlässigkeit für die Dauer von drei Jahren, ab Zustellung des Bescheides, entzogen wurde. Am 12.12.2007 wurde dem Berufungswerber innerhalb der von der BH ausgesprochenen Entziehungsdauer von der Polizei in *** (Ungarn) ein ungarischer Führerschein mit der Nr. ***, für die Lenkberechtigung der Klasse B ausgestellt.
Nach § 1 Abs. 4 FSG ist eine von einer zuständigen Behörde eines EWR-Staates ausgestellte Lenkberechtigung einer Lenkberechtigung gemäß Abs. 3 gleichgestellt, sodass zu prüfen ist, ob ein Kraftfahrzeug in Österreich auf Grund einer nach der Entziehung der österreichischen Lenkberechtigung in Ungarn innerhalb der Entziehungsdauer neu erworbenen Lenkberechtigung gelenkt werden darf.
In einem ähnlichen Fall hat der Verwaltungsgerichtshof unter Bezugnahme auf die Richtlinie Nr. 91/439/EWG des Rates vom 29.07.1991 (FS-Richtlinie) im Erkenntnis vom 28.03.2007, Zl. 2006/02/0291, ausgeführt:
Die FS-Richtlinie bezweckt die Verhinderung der mehrfachen Erteilung von Lenkberechtigungen und die Vermeidung des Besitzes von mehreren Führerscheinen im Gebiet des EWR. Dem Ziel der FS-Richtlinie, die Sicherheit im Straßenverkehr zu verbessern, dient auch deren Art. 8 Abs. 4. Das FSG bezweckt die Umsetzung der FS-Richtlinie (vgl. RV 714 BlgNR 20. GP, insbesondere die Kapitel Problem und Ziel). Eine Zusammenschau der §§ 1 Abs. 4 und 3 Abs. 2 FSG führt zum Ergebnis, dass die eingangs gestellte Frage, ob eine nach vollstreckbar ausgesprochener Entziehung der inländischen Lenkberechtigung während des Entziehungszeitraumes neu erworbene Lenkberechtigung eines anderen EWR-Staates das Lenken von Kraftfahrzeugen in Österreich zulässt, zu verneinen ist, weil Österreich von der in Art. 8 Abs. 4 erster Satz der FS-Richtlinie enthaltenen Möglichkeit Gebrauch gemacht hat, die Gültigkeit der während der Dauer des Entzuges der inländischen Lenkberechtigung neu erteilten (ausländischen) Lenkberechtigung nicht anzuerkennen:
In § 3 Abs. 2 FSG wird ein Verbot ausgesprochen, während der Entziehungsdauer einer inländischen Lenkberechtigung eine solche zu erteilen. Durch die in § 1 Abs. 4 FSG normierte Gleichstellung der in einem anderen EWR-Staat ausgestellten Lenkberechtigung mit einer inländischen ist dem Gesetzgeber des FSG aber - zumal ihm Art. 8 Abs. 4 der FS-Richtlinie die Möglichkeit hiezu einräumt - zu unterstellen, dass er auch die Ausstellung einer Lenkberechtigung in einem anderen EWR-Staat während der Dauer des Entzuges einer inländischen Lenkberechtigung nicht billigt, mit anderen Worten: die Gültigkeit der in einem anderen EWR-Staat ausgestellten Lenkberechtigung nicht anerkennt, was somit deren Ungültigkeit in diesem zeitlichen Rahmen bewirkt.
Dieser Entscheidung des VwGH liegt jedoch ein Sachverhalt zugrunde, wonach einem Lenker nach Entzug der österreichischen Lenkberechtigung auch die danach erworbene slowakische Lenkberechtigung von österreichischen Behörden entzogen wurde. Schon insofern ist dieser Fall mit dem Anlassfall nicht vergleichbar. Außerdem war damals die Rechtslage vor BGBl. I 2008/31 anzuwenden. Mit der 11. Führerscheingesetz-Novelle wurde § 30 Abs. 3 FSG geändert und im zweiten Satz eine ausdrückliche gesetzliche Regelung betreffend die Erteilung einer Lenkberechtigung in einem anderen EWR-Staat während der Dauer des Entzuges einer inländischen Lenkberechtigung getroffen. In den erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage ist hiezu ausgeführt, dass ausdrücklich die nochmalige Entziehung der (in anderen EWR-Staaten erteilten) Lenkberechtigung für zulässig erklärt wird, wenn zum (ausländischen) Erteilungszeitpunkt die Lenkberechtigung in Österreich wegen mangelnder Verkehrszuverlässigkeit entzogen war.
Das mit dem Entzug einer Lenkberechtigung mangels Verkehrszuverlässigkeit verbundene Verbot nach § 3 Abs. 2 Führerscheingesetz kann sich infolge des Territorialitätsprinzips nur auf die Erteilung einer inländischen Lenkberechtigung beziehen. Ebenso bindet der in der Begründung des angefochtenen Straferkenntnisses angeführte § 15 Abs. 3 FSG die österreichischen Behörden und nicht die Behörde im Ausstellungsstaat. Dies ergibt sich schon aus dem Wortlaut und widerspräche eine andere Auslegung ebenfalls dem Territorialitätsprinzip. Demnach hat eine österreichische Behörde im Ausstellungsstaat betreffend die Gültigkeit eines Führerscheines nachzufragen, wenn ein Umtausch in einen österreichischen Führerschein beantragt wird. Um derartiges geht es hier nicht.
Bis zum vorgehaltenen Tatzeitpunkt hat die BH bezüglich der ungarischen Lenkberechtigung des Berufungswerbers weder ein Lenkverbot in Anwendung des § 30 Abs. 1 FSG noch (falls der Berufungswerber seinen Wohnsitz in Österreich hat) eine Entziehung dieser Lenkberechtigung nach § 30 Abs. 3 leg. cit. ausgesprochen. Die in Ungarn ausgestellte Lenkberechtigung vom 12.12.2007 war daher zur angeführten Tatzeit gültig und es lag keine Übertretung nach § 1 Abs. 3 i.V.m. § 37 Abs. 1 und Abs. 4 Z 1 FSG vor. Das Verfahren war daher spruchgemäß einzustellen.