Der Unabhängige Verwaltungssenat in Tirol entscheidet durch sein Mitglied Dr. Rudolf Rieser über die Berufung des türkischen Staatsangehörigen N. G., rechtsfreundlich vertreten durch die Rechtsanwälte Mag. P. M. D. und Dr. S. K., V., gegen den Ausweisungsbescheid der Bezirkshauptmannschaft Innsbruck vom 16.9.2004, Zahl FW-75197, wie folgt:
Gemäß § 66 Abs 4 und 67a Abs 1 Z 1 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 (AVG) in Verbindung mit § 9 Abs 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) wird der Berufung Folge gegeben und der angefochtene Bescheid behoben.
Mit dem angefochtenen Bescheid wurde die Berufungswerberin von der Bezirkshauptmannschaft Innsbruck als zuständige Fremdenpolizeibehörde gemäß den Bestimmungen des seinerzeit gültigen Fremdengesetzes 1997 aus dem Bundesgebiet der Republik Österreich ausgewiesen, da sie aufgrund der Art der Eheschließung und des seinerzeitigen anhängigen Scheidungsverfahrens die Ansicht vertrat, dass die Absicht der Berufungswerberin von Anfang an dahin gerichtet war, keinesfalls ein gemeinsames Familienleben mit dem geehelichten österreichischen Staatsangehörigen zu führen, sondern um diesen Umstand der Angehörigeneigenschaft lediglich für die Erlangung eines Aufenthaltstitels zu nützen und es im Falle der Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung ausschließlich auf die Absicht des Antragstellers ankomme, wie die angestrebte Bewilligung zu nutzen sei.
Gegen diesen Ausweisungsbescheid wurde fristgerecht Berufung erhoben und insbesondere ausgeführt, dass sich die Berufungswerberin völlig zu Recht bei der Antragstellung auf ein Ehe- bzw Familienleben berufen konnte, weil sie auch eine Ehe- und Familienleben führte bzw führe. Weiters wurde auch auf die negativen Auswirkungen des miteingereisten minderjährigen Sohnes der Berufungswerberin hingewiesen, der aufgrund einer Behinderung in Österreich weit bessere Chancen einer Besserung habe.
Die Berufung vom 30.9.2004 wurde mit Berufungsbescheid der seinerzeitig zuständigen Sicherheitsdirektion für das Bundesland Tirol vom 27.1.2005 als unbegründet abgewiesen. Der daraufhin angerufene Verwaltungsgerichtshof hat mit Erkenntnis vom 22.4.2008, Zahl 2005/18/0590-6, den angefochtenen Berufungsbescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Tirol wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben und darauf verwiesen, dass der vorliegende Fall in den entscheidungswesentlichen Punkten eines bereits im Jahre 2005 ergangenen Erkenntnisses gleiche, indem es um die Zuständigkeit bei fremdenrechtlichen Verfahren gegen EU-Bürger oder auch türkische Staatsangehörige, die dem Assoziationsabkommen unterliegen, gegangen ist.
Da mit 1.1.2006 das Fremdenpolizeigesetz 2005 in Kraft getreten ist und damit der Unabhängige Verwaltungssenat für fremdenrechtliche Berufungsverfahren betreffend EU-Bürger aber auch türkische Staatsangehörige, die unter das Assoziationsabkommen fallen, als zuständige Berufungsbehörde eingerichtet wurde, und die Berufungswerberin laut durchgeführten Erhebungen aufgrund der aufscheinenden Versicherungszeiten unter Artikel 6 des zitierten Assoziationsabkommen fällt, wurde das gegenständliche Berufungsverfahren von der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Tirol mit Schreiben vom 9.6.2008 an den Unabhängigen Verwaltungssenat in Tirol gemäß § 6 Abs 1 AVG iVm § 9 Abs 1 Z 1 FPG zuständigkeitshalber weitergeleitet.
Der Unabhängige Verwaltungssenat in Tirol hat wie folgt erwogen:
Zur Sachverhaltsfeststellung wurde in den erstinstanzlichen Verwaltungsakt Einsicht genommen und am 8.7.2008 eine öffentliche mündliche Berufungsverhandlung durchgeführt. Im Anschluss daran erfolgte eine abschließende Stellungnahme mit Schriftsatz vom 28.7.2008.
Aus dem durchgeführten Verfahren ergibt sich, dass die Berufungswerberin am 16.7.2001 in der Türkei den österreichischen Staatsbürger W. G., geb. xx, geheiratet hatte. Nach der Eheschließung folgte die Einreise nach Österreich im November 2001 mit der erforderlichen Niederlassungsbewilligung. Die Berufungswerberin hält sich seither durchgehend im Bundesgebiet auf. Gegen sie scheinen keine gerichtlichen Verurteilungen und keine Verwaltungsvormerkungen auf. Sie geht einer Beschäftigung nach und bestreitet ihren Lebensunterhalt aus dieser. Mit der Berufungswerberin ist auch deren Sohn M. A., geb. xx, eingereist, der eine Sonderschule für körperbehinderte Kinder (Elisabethinum) in A. besucht. Das erforderliche Schulzeugnis für das Schuljahr 2007/2008 wurde vorgelegt. Das zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung durch die Erstbehörde anhängige Scheidungsverfahren wurde ruhend gestellt. Die Ehe wurde daher weder geschieden noch von Amts wegen für nichtig erklärt. Der Ehemann der Berufungswerberin W. G. ist am 31.12.2004 infolge einer Krebserkrankung verstorben. Die Kontaktaufnahme und das Bekannt werden der beiden Eheleute erfolgte zwar nicht alltagsüblich auf eine eher unkonventionelle Art und Weise. Für den Ehemann war die Eheschließung jedoch keine Scheinehe. Dass es für die Berufungswerberin eine solche war, konnte jedenfalls nicht mit Gewissheit nachgewiesen werden, wenn auch nicht ausgeschlossen werden kann, dass für die Berufungswerberin ein Mitgrund für die Eheschließung war, dass ihr und ihrem Sohn dadurch die Einreise und der Aufenthalt in Österreich ermöglicht wurde. Mittlerweile halten sich die Berufungswerberin und deren minderjähriger Sohn bereits sieben Jahre im Bundesgebiet auf, sorgen für ihren Lebensunterhalt und sind nicht negativ in Erscheinung getreten. Der Ausweisungsbescheid der Erstbehörde liegt bereits vier Jahre zurück und würde eine Ausweisung massiv in das Privatleben der Berufungswerberin und deren Sohn eingreifen. Ein im Sinn des Artikel 8 EMRK und § 86 FPG durchgeführte Gesamtabwägung hat ihm gegenständlichen Falle dazu geführt, dass der Eingriff in das Privat- und Familienleben der Berufungswerberin unverhältnismäßig schwerer wiegen als die Erlassung einer Ausweisung. Es konnte auch nicht mehr festgestellt werden, dass das persönliche Verhalten der Berufungswerberin eine tatsächliche gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen würde, die ein Grundinteresse der Gesellschaft in Österreich berührt. (§ 86 Abs 1 FPG)
Aufgrund dieser Gesamtbetrachtung war daher der Berufung stattzugeben und der angefochtene Bescheid zu beheben.