Der Unabhängige Verwaltungssenat in Tirol entscheidet durch sein Mitglied Dr. Sigmund Rosenkranz über die Berufung des Herrn A. G., vertreten durch Mag. N. T., Rechtsanwalt, T., gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Innsbruck vom 07.07.2008, VK-6670-2008, nach öffentlicher mündlicher Verhandlung wie folgt:
Gemäß § 66 Abs 4 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 (AVG) in Verbindung mit den §§ 24, 51, 51c und 51e Verwaltungsstrafgesetz 1991 (VStG) wird der Berufung hinsichtlich Spruchpunkt 1. dahingehend Folge gegeben, als das angefochtene Straferkenntnis in diesem Umfang behoben und das Verfahren gemäß § 45 Abs 1 Z 1 VStG eingestellt wird.
Hinsichtlich des Spruchpunktes 2. wird der Berufung insoferne Folge gegeben, als die Geldstrafe in Höhe von Euro 200,00 (Ersatzfreiheitsstrafe 48 Stunden) auf Euro 100,00 (Ersatzfreiheitsstrafe 24 Stunden) herabgesetzt wird. Dementsprechend wird der Beitrag zu den Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens gemäß § 64 Abs 2 VStG mit Euro 10,00 neu festgesetzt.
Mit dem angefochtenen Straferkenntnis wurde dem Beschuldigten nachfolgender Sachverhalt zur Last gelegt:
?Tatzeit: 31.01.2008 um 18.15 Uhr
Tatort: Gemeine Telfs, in der Weißenbachgasse 2, Parkplatzausfahrt
Fahrzeug: Sonstiges Fahrzeug, XY
1. Sie sind mit einem Verkehrsunfall mit Personenschaden in ursächlichem Zusammenhang gestanden und haben sich nicht vergewissert, ob die verletzte Person Hilfe benötigt, da Sie die Fahrt einfach fortsetzten. Gemäß § 4 Abs 2 erster Satz wären Sie jedoch dazu verpflichtet gewesen.
2. Sie sind mit einem Verkehrsunfall mit Personenschaden in ursächlichem Zusammenhang gestanden und haben nicht sofort die nächste Sicherheitsdienststelle verständigt.
Der Beschuldigte hat dadurch folgende Rechtsvorschriften verletzt:
1.
§ 4 Abs 2 erster Satz StVO iVm § 99 Abs 2 lit a StVO
2.
§ 4 Abs 2 zweiter Satz StVO iVm § 99 Abs 2 lit a StVO
Wegen dieser Verwaltungsübertretung wird über ihn folgende Strafe verhängt:
Geldestrafe von Euro 1. 100,00, 2. 200,00
Falls diese uneinbringlich ist, Ersatzfreiheitsstrafe von 1. 24 Stunden, 2. 48 Stunden Gemäß 1. § 99 Abs 2 lit a StVO, 2. § 99 Abs 2 lit a StVO
Weiters wurde über den Beschuldigten ein Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens verhängt.
Dagegen hat der Beschuldigte fristgerecht Berufung erhoben und darin im Wesentlichen vorgebracht, dass der Berufungswerber eine sonstige Berührung des Fahrzeuges mit anderen Körperteilen als der Hand des Anzeigers, die aggressiv gegen die Scheibe geschlagen wurde, nicht stattgefunden habe bzw er diese nicht wahrgenommen habe. Es sei auch keine sichtbare Berührung am Fahrzeug erkennbar gewesen und sei unbeachtet geblieben, ob die Verletzung zu diesem Zeitpunkt überhaupt bemerkt worden sei und überhaupt Hilfe zu leisten gewesen wäre. Der Anzeiger selbst habe unmittelbar nach dem Vorfall beim Gespräch von einer Verletzung nichts gewusst und kein Wort davon erwähnt und sei eine diesbezügliche Verletzung weder dem Berufungswerber noch der Zeugin P. aufgefallen. Beim Verlassen der Unfallstelle sei für den Beschuldigten kein Anzeichen einer Verletzung erkennbar gewesen und habe der Anzeiger beim Verlassen der Unfallstelle keine Hilfe benötigt. Die Zeugin P. bestätige in ihrer Einvernahme, dass ihr Freund unmittelbar vor Ort keine Schmerzen verspürt habe und habe der Anzeiger auch erst in einer späteren Einvernahme angegeben, seine Fußverletzung sofort bemerkt zu haben. Der Anzeiger habe sich erst ca 1 Stunde später zur Rettung begeben und sei mit Sicherheit davon auszugehen, dass er irgendwelche Daten gefordert oder seine Verletzung geäußert haben würde, hätte er beim Unfallgeschehen eine Verletzung wahrgenommen. Aus seinem Verhalten sei nicht der geringste Hinweis auf eine Verletzung ersichtlich gewesen.
Beweis wurde aufgenommen durch Einsichtnahme in den erstinstanzlichen sowie den zweitinstanzlichen Akt und durch Einvernahme der Zeugen U. S. und B. P. sowie des Berufungswerbers.
Nachfolgender Sachverhalt steht aufgrund des durchgeführten Beweisverfahrens fest:
Der Berufungswerber hat am 31.01.2008 um 18.15 Uhr in der Gemeinde T. in der XY, bei der Ausfahrt aus einem Parkplatz, als Lenker des Fahrzeugs mit dem amtlichen Kennzeichen XY mit einem Verkehrsunfall mit Personenschaden in ursächlichem Zusammenhang gestanden, da er beim rückwärts ausparken Herrn U. S. angefahren hat, wodurch dieser in einer Bewegung, um mit einem Schlag mit der flachen Hand auf die Heckscheibe auf sich aufmerksam zu machen, den Fuß überknöchelte. Der Berufungswerber hat in der Folge nicht sofort die nächste Sicherheitsdienststelle verständigt.
Nach dem Schlag des Zeugen S. auf die hintere Windschutzscheibe ging dieser auf der Beifahrerseite zur Tür, öffnete die Beifahrerseite und fragte sinngemäß, ob man nicht stehen bleibe und frage, ob etwas passiert sei, woraufhin der Berufungswerber ebenfalls sinngemäß äußerte, dass ja nichts passiert sei. Daraufhin schloss der Zeuge S. die Türe wieder und ging zur Front des Fahrzeuges, wobei der Berufungswerber in diesem Moment sein Fahrzeug wieder in Bewegung setzte und wegfuhr. Der Zeuge S. spürte sofort beim Verknöcheln einen Schmerz, und äußerte dies auch in weiterer Folge gegenüber seiner damaligen Lebensgefährtin, der Zeugin P., als sie im Weggehen von der Unfallstelle waren.
Diese Feststellungen konnten aufgrund des erstinstanzlichen Akteninhalts und der Angaben des Berufungswerber sowie der Zeugen S. und P. getroffen werden.
Der Berufungswerber hat anlässlich seiner Einvernahme selbst angegeben, dass er auf den Vorhalt durch den Zeugen S. nur geäußert habe, dass ja gar nichts passiert sei und er in weiterer Folge davon ausgegangen sei, dass auch tatsächlich nichts passiert sei, da der Zeuge nicht etwa gehumpelt habe. Der Zeuge S. hat übereinstimmend mit der Zeugin P. angegeben, dass er nach vor zum Fahrzeug gegangen ist, als der Berufungswerber weiter ausparkte und wegfuhr. Auch der Zeuge S. hat angegeben, dass der Berufungswerber lediglich eine für ihn unfreundlich klingende Antwort gegeben habe. Der Zeuge S. hat bereits anlässlich seiner Einvernahme bei der Polizei angegeben, dass er bemerkt hat, dass er durch den Anprall mit dem rechten Fuß umgeknickt war, nachdem er angefahren worden sei und hat er dies auch anlässlich der mündlichen Berufungsverhandlung wiederholt. Auch die Zeugin P. hat angegeben, dass es durch den Anstoß zu einem Umknicken gekommen ist.
Die Zeugin P. und der Zeuge S. haben übereinstimmend angegeben, dass sie nach dem Vorfall zur Mutter des Zeugen S. gegangen sind und dort gegessen haben. Erst in weiterer Folge ist der Zeuge S. sodann zunächst zur Polizei und sodann zur Rettung gegangen, die ihn in die Klinik nach Hall verbracht hat, wo eine Verletzung des rechten Sprunggelenks, ?Dist. OSG re. bei Z.n. Verkehrsunfall?, was der im erstinstanzlichen Akt erliegenden Verletzungsanzeige entnommen werden kann.
Der Unabhängige Verwaltungssenat in Tirol hat erwogen:
Gemäß § 4 Abs 2 StVO haben die im Abs 1 genannten Personen Hilfe zu leisten, wenn bei einem Verkehrsunfall Personen verletzt worden; sind sie dazu nicht fähig, so haben sie unverzüglich für fremde Hilfe zu sorgen. Ferner haben sie die nächste Polizei- oder Gendarmeriedienststelle sofort zu verständigen.
Aus den Feststellungen ergibt sich, dass der Berufungswerber den objektiven Tatbestand der ihm zu Spruchpunkt 2. angelasteten Verwaltungsübertretung verwirklicht hat.
Nach der Rechtsprechung ist als Verkehrsunfall jedes plötzliche, mit dem Straßenverkehr ursächlich zusammenhängende Ereignis anzusehen, welches sich auf Straßen mit öffentlichem Verkehr zuträgt und einen Personen- oder Sachschaden zur Folge hat (vgl VwGH 20.04.2001, 99/02/0176). Das Zurückfahren mit dem Fahrzeug durch den Berufungswerber hatte einen Personenschaden zur Folge und hat sich auf einer Straße mit öffentlichem Verkehr zugetragen. Dabei ist nicht von Bedeutung, dass die Verletzung nicht unmittelbar durch das Anfahren, sondern erst mit der durch das Anfahren veranlassten Drehbewegung entstanden ist.
Der Tatbestand des § 4 Abs 2 StVO ist schon dann gegeben, wenn dem Täter objektive Umstände zu Bewusstsein gekommen sind oder bei gehöriger Aufmerksamkeit zum Bewusstsein hätten kommen müssen, aus denen er die Möglichkeit eines Unfalls, insbesondere aber auch die Verletzung einer Personen, zu erkennen vermocht hätte (vgl VwGH 11.03.1971, 1867/70). Aufgrund der Tatsache, dass der Berufungswerber einen Schlag auf die Windschutzscheibe vernommen hat, hätte ihm aufgrund dessen schon zu Bewusstsein kommen müssen, dass die Möglichkeit eines Unfalls, allenfalls auch mit Verletzung einer Person bestanden hat. Aus diesem Grund wäre er verpflichtet gewesen, sich näher davon zu überzeugen, ob ein Verkehrsunfall vorgelegen hat und es zu einer Verletzung einer Person gekommen ist, wobei die Hilfeleistungspflicht nach § 4 Abs 2 StVO nur dann von einer Person, die einem Verkehrsunfall verursacht hat, gefordert werden kann, wenn objektiv eine Hilfe notwendig ist. Nach der Rechtsprechung vermag nicht jede Verletzung einer Person schlechthin eine Hilfeleistungspflicht auszulösen, sondern nur eine solche, die objektiv eine Hilfeleistung erfordert (vgl VwGH 27.04.1984, 81/02/0273).
Hinsichtlich der Meldepflicht bei Personenschäden besteht die Verpflichtung unabhängig vom Grad der Schwere der Verletzung. Die Verständigungspflicht besteht auch bei Vorliegen ?nicht nennenswerter? Verletzungen (vgl VwGH 18.06.1964, 423/64 ua). Die Meldepflicht besteht auch unabhängig von einer Hilfeleistungspflicht (vgl VwGH 15.10.1964, 74/63 ua). Stand das Verhalten einer Person in einem ursächlichem Zusammenhang mit einem Unfall mit Personenschaden, ist sie zur Verständigung der nächsten Polizeidienststelle verpflichtet (vgl VwGH 15.10.1964, 2376/63). Dabei ist die Verpflichtung des zweiten Satzes des § 4 Abs 2 StVO streng auszulegen. Ein an einem Unfall Schuld tragender Lenker hat daher von sich aus andere Unfallsbeteiligte nach allfälligen Verletzungen zu befragen und bei Vorliegen solcher unverzüglich die nächste Polizei- oder Gendarmeriedienststelle zu verständigen (VwGH 09.09.1976, 635/75).
Im gegenständlichen Fall war zu bedenken, dass eine objektive Hilfeleistungspflicht nicht bestanden hat, sodass aus diesem Grund das Verfahren in diesem Umfang einzustellen und das Straferkenntnis in diesem Umfang zu beheben war.
Hinsichtlich der Verständigungspflicht ergibt sich aber, dass der Berufungswerber anhand der objektiven Umstände, nämlich dem Schlag mit der flachen Hand auf die Heckscheibe und dem weiteren Verhalten des Zeugen S., nämlich dem Öffnen der Beifahrertüre und der sinngemäßen Frage, ob man nicht stehen bleibe und frage, ob etwas passiert sei, hätte schließen müssen, dass die Möglichkeit eines Verkehrsunfalls bestanden hat. Da insofern § 4 Abs 2 zweiter Satz StVO streng auszulegen ist, hätte der Berufungswerber von sich aus den Zeugen Steiner befragen müssen, ob eine allfällige Verletzung vorliegt. Da er dies nicht getan hat, sondern seinen eigenen Angaben zu Folge nur ausgeführt hat, dass ? eh nichts passiert? sei, ergibt sich, dass er insofern eindeutig gegen § 4 Abs 2 zweiter Satz StVO verstoßen hat.
Was die innere Tatseite anlangt, ist festzuhalten, dass die gegenständliche Tat auch fahrlässig begangen werden kann und genügt gemäß § 5 Abs 1 VStG, wenn eine Verwaltungsvorschrift über das Verschulden nichts anderes bestimmt, zur Strafbarkeit fahrlässiges Verhalten. Fahrlässigkeit ist im gegenständlichen Fall anzunehmen, da der Berufungswerber aufgrund der Außerachtlassung der gebotenen Sorgfalt verkannt hat, dass er ein tatbildmäßiges Verhalten verwirklicht hat.
Die Bestrafung ist sohin dem Grunde nach zu Recht erfolgt.
Gemäß § 99 Abs 2 lit a StvO begeht eine Verwaltungsübertretung und ist mit einer Geldstrafe von Euro 36,00 bis Euro 2.180,00, im Falle ihrer Uneinbringlichkeit mit Arrest von 24 Stunden bis 6 Wochen zu bestrafen, wer als Lenker eines Fahrzeugs, dessen Verhalten am Unfallsort mit einem Verkehrsunfall in ursächlichem Zusammenhang steht, sofern er den Bestimmungen des § 4 Abs 1 und 2 zuwiderhandelt, insbesondere nicht anhält, nicht Hilfe leistet oder herbeiholt oder nicht die nächste Polizei- oder Gendarmeriedienstelle verständigt.
Nach § 19 Abs 1 VStG ist Grundlage für die Bemessung der Strafe stets das Ausmaß der mit der Tat verbundenen Schädigung oder Gefährdung derjenigen Interessen, deren Schutz die Strafdrohung dient und der Umstand, inwieweit die Tat sonst nachteilige Folgen nach sich gezogen hat.
Nach § 19 Abs 2 VStG sind im ordentlichen Verfahren überdies die nach dem Zweck der Strafdrohung in Betracht kommenden Erschwerungs- und Milderungsgründe, soweit sie nicht schon die Strafdrohung bestimmen, gegeneinander abzuwägen. Auf das Ausmaß des Verschuldens ist besonders Bedacht zu nehmen. Unter Berücksichtigung der Eigenart des Verwaltungsstrafrechtes sind die §§ 32 bis 35 des Strafgesetzbuches sinngemäß anzuwenden. Die Einkommens-, Vermögens- und Familienverhältnisse des Beschuldigten sind bei der Bemessung von Geldstrafen zu berücksichtigen.
Der Unrechtsgehalt der dem Berufungswerber angelasteten Verwaltungsübertretungen ist durchaus erheblich. Die Einhaltung der diesbezüglichen Verständigungspflicht dient der Feststellung von durch Verkehrsunfällen verursachten Verletzungen. Diesem Schutzzweck hat der Berufungswerber erkennbar zuwider gehandelt.
Hinsichtlich des Verschuldens war Fahrlässigkeit anzunehmen. Mildernd war nichts zu berücksichtigen, erschwerend hingegen ebenso nichts. Im Hinblick auf das vom Berufungswerber angegebene Einkommen war jedoch die verhängte Geldstrafe angemessen herabzusetzen, wobei die nunmehr verhängte Geldstrafe nicht als überhöht angesehen werden kann, zumal der gesetzliche Strafrahmen lediglich im untersten Bereich ausgeschöpft worden ist. Eine Bestrafung in der gegenständlichen Höhe war jedoch jedenfalls geboten, um den Unrechts- und Schuldgehalt der Übertretung hinreichend Rechnung zu tragen und dem Berufungswerber künftig in seiner sorgfältigen Beachtung der verkehrsrechtlichen Bestimmungen zu veranlassen. Auch aus generalpräventiven Gründen war eine Bestrafung in der gegenständlichen Höhe jedenfalls geboten.
Die Voraussetzungen für ein Vorgehen nach §§ 20 und 21 Abs 1 VStG lagen nicht vor. Die Anwendung des § 20 VStG ist bereits deshalb ausgeschieden, da eine Überwiegen von Milderungsgründen über Erschwerungsgründe nicht festgestellt werden konnte. Hinsichtlich dieses § 21 VStG fehlt es an dem hier geforderten geringfügigen Verschulden. Ein solches liegt nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nur dann vor, wenn das tatbildmäßige Verhalten hinter dem in der betreffenden Strafdrohung typisierten Unrechts- und Schuldgehalt erheblich zurückbleibt. Dass dies der Fall wäre, ist im Verfahren nicht hervorgekommen. Gegen die Annahme eines geringfügigen Verschuldens spricht schon die Tatsache, dass sich der Berufungswerber nicht selbständig erkundigt hat, ob eine Verletzung vorgekommen ist.
Es war sohin spruchgemäß zu entscheiden.