TE Vfgh Erkenntnis 1998/12/16 B2624/97

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Veröffentlicht am 16.12.1998
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Index

97 Vergabewesen
97/01 Vergabewesen

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
Bundes-VergabeformularV
BundesvergabeG §90 Abs1 Z1

Leitsatz

Verletzung im Gleichheitsrecht durch willkürliche Außerachtlassung des Sachverhaltes und Abgehen vom Inhalt des Verfahrensaktes bei Stattgabe eines Antrags auf Feststellung der Erteilung des Zuschlags nicht an den Bestbieter; Außerachtlassung des Vorliegens eines Aufrufs zum Wettbewerb

Spruch

Die beschwerdeführende Partei ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten) ist schuldig, der beschwerdeführenden Partei zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit S 20.500,-- bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde eines als öffentlicher Auftraggeber iSd Bundesvergabegesetzes geltenden Energieunternehmens wendet sich gegen einen Bescheid des Bundesvergabeamtes (BVA), mit dem dem Antrag der mitbeteiligten Partei (einem Bieter im Verfahren betreffend die Vergabe eines Bau- und Lieferauftrages zur Fertigung, Lieferung, Montage und Inbetriebsetzung der Heizungs- und Klimaanlage in einer Krafthaushalle und in einem Betriebsgebäude der beschwerdeführenden Gesellschaft) auf Feststellung gemäß §113 Abs3 BVergG 1997 stattgegeben wird.

Die belangte Behörde begründete ihre Entscheidung damit, daß vor der EU-weiten Ausschreibung des Verhandlungsverfahrens für den Auftrag ein Aufruf zum Wettbewerb gemäß §90 BVergG 1997 nicht stattgefunden habe. Die Nichtdurchführung eines Aufrufes zum Wettbewerb gemäß §90 BVergG 1997 stelle eine Verletzung von zwingenden Vergabevorschriften dar, wenn - wie im gegenständlichen Fall - kein Ausnahmetatbestand gemäß §89 Abs3 leg.cit. geltend gemacht werde. Aufgrund der ständigen Judikatur des EuGH sei davon auszugehen, daß eine Verletzung von Publikationsvorschriften, wozu ein Aufruf zum Wettbewerb zähle, einen schwerwiegenden Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht darstelle, der in jedem Fall eine nicht sanierbare Rechtswidrigkeit des gesamten Vergabeverfahrens nach sich ziehe.

2. Die beschwerdeführende Gesellschaft beantragt vor dem Verfassungsgerichtshof die kostenpflichtige Aufhebung dieses Bescheides; sie erachtet sich durch ihn in ihren verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Unverletzlichkeit des Eigentums und auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz insbesondere deshalb verletzt, weil die belangte Behörde ohne ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren in Verbindung mit einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt des auftragsgemäß vorgelegten Aktes oder der Außerachtlassung des konkreten Sachverhaltes, nämlich der entsprechenden Würdigung der Vergabebekanntmachung vom 23. Juli 1996 (und des dafür verwendeten Formulars), willkürlich gehandelt und die Rechtslage gehäuft verkannt habe.

3. a) Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und in ihrer Äußerung hinsichtlich des in der Beschwerde erhobenen Vorwurfs, sie habe nicht erkannt, daß es sich beim Formular Nr. 13 der (zum Zeitpunkt der Vergabebekanntmachung im Supplement zum Amtsblatt der EG vom 23. Juli 1996 geltenden) Bundes-Vergabeformularverordnung, BGBl. 94/1994, um einen Aufruf zum Wettbewerb gemäß §71 Abs1 Z1 BVergG, BGBl. 462/1993, bzw. §90 Abs1 Z1 des mit Kundmachung BGBl. I 56/1997 wiederverlautbarten BVergG 1997 handelt, eingeräumt, daß

"der erkennende Senat bei der kollegialen Beschlußfassung bzw. bei der Bescheiderlassung entgegen der Aktenlage irrtümlich davon ausging, daß die dem vormaligen Anhang VIII - durch ArtI Z80 BGBl 1996/776 nunmehr mit Anhang XV beziffert - entsprechende Bekanntmachung (Aufruf zum Wettbewerb gem. §71 Abs1 Z1 BVergG, BGBl 1993/462, bzw. §90 Abs1 Z1 BVergG, BGBl 1997/56) mittels Formular13 der Bundes-Vergabeformularverordnung, BGBl 1994/94, nicht erfolgt war".

b) Die mitbeteiligte Partei verteidigt in ihrer Äußerung die Verfassungsmäßigkeit des angefochtenen Bescheides.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz kann nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (zB VfSlg. 10413/1985, 11682/1988) nur vorliegen, wenn der angefochtene Bescheid auf einer dem Gleichheitsgebot widersprechenden Rechtsgrundlage beruht, wenn die Behörde der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt oder wenn sie bei Erlassung des Bescheides Willkür geübt hat.

Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt u.a. in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg. 8808/1980 und die dort angeführte Rechtsprechung; VfSlg. 10338/1985, 11213/1987).

2. Der belangten Behörde ist ein - von ihr im verfassungsgerichtlichen Verfahren auch eingestandener - Fehler bei der Würdigung des vorgelegten und einen Aktenbestandteil bildenden Formulars Nr. 13 gemäß der Bundes-Vergabeformularverordnung, BGBl. 94/1994, welches Grundlage für die Veröffentlichung im Supplement zum Amtsblatt der EG war, unterlaufen: Sie hat nämlich nicht erkannt, daß durch Verwendung dieses Formulars ein Aufruf zum Wettbewerb gemäß §90 Abs1 Z1 BVergG 1997 erfolgte. Dieses Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes und leichtfertige Abgehen vom Inhalt des Verfahrensaktes in einer entscheidungswesentlichen Frage belastet das Vorgehen der belangten Behörde mit Willkür.

Der Bescheid war daher aufzuheben.

3. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §88 VerfGG. Im zugesprochenen Betrag ist eine Eingabegebühr gemäß §17a VerfGG in Höhe von S 2.500,-- sowie Umsatzsteuer in Höhe von S 3.000,-- enthalten.

4. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 Z2 VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

Vergabewesen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1998:B2624.1997

Dokumentnummer

JFT_10018784_97B02624_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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