Index
62 ArbeitsmarktverwaltungNorm
B-VG Art144 Abs1 / AnlaßfallLeitsatz
Anlaßfallwirkung der Feststellung der Gesetzwidrigkeit von Bestimmungen zweier Erlässe des Bundesministers für Arbeit und Soziales vom 28.08.96 und vom 31.10.96 sowie des Leitfadens für die Anwendung des Assoziationsratsbeschlusses EWG-Türkei Nr 1/80 mit E v 16.06.98, V6-8/98.Spruch
Die beschwerdeführende Partei ist durch den angefochtenen Bescheid wegen Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung in ihren Rechten verletzt worden.
Der Bescheid wird aufgehoben.
Der Bund (Bundesministerin für Arbeit, Gesundheit und Soziales) ist schuldig, der beschwerdeführenden Partei zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit 27.000 S bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. Der Beschwerdeführer beantragte beim Arbeitsmarktservice Handel - Transport - Landwirtschaft Wien die Feststellung, daß er gemäß Art6 Abs1 dritter Gedankenstrich des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates EWG-Türkei vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation (ARB) freien Zugang zu jeder von ihm gewählten Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis habe.
Mit dem im Instanzenzug ergangenen, nunmehr vor dem Verfassungsgerichtshof gemäß Art144 Abs1 B-VG bekämpften Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien wurde dieser Antrag angesichts einer Unterbrechung der Beschäftigung vom 8.10.1993 bis 2.3.1994 mit der Begründung abgewiesen, daß als Zeiten unverschuldeter Arbeitslosigkeit nur Zeiten gelten könnten, für die Arbeitslosengeld bzw. Notstandshilfe zugesprochen wurde. Anders als die Behörde I. Instanz stellt die belangte Behörde nicht mehr auf den Umstand der Nichtmeldung der Arbeitslosigkeit ab.
Der Beschwerdeführer erachtet sich durch den angefochtenen Bescheid in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten, insbesondere im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander, sowie in sonstigen Rechten wegen Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung verletzt und beantragt dessen kostenpflichtige Aufhebung.
Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor. Auf die Erstattung einer Gegenschrift wurde verzichtet.
II. Die Beschwerde ist im Ergebnis begründet.
1. Der Verfassungsgerichtshof hat aus Anlaß eines anderen Beschwerdeverfahrens mit Erkenntnis vom 16. Juni 1998, V6-8/98, ausgesprochen, daß der letzte Absatz des Punktes 1 und der erste Absatz des Punktes 3 des Erlasses des Bundesministers für Arbeit und Soziales vom 28.8.1996, Z35.402/24-A/96, weiters die Z5 und 6 des Erlasses des Bundesministers für Arbeit und Soziales vom 31.10.1996, Z35.402/36-7/96, sowie der - einen integrierenden Bestandteil des erstgenannten Erlasses bildende - "Leitfaden für die Anwendung" des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrats EWG-Türkei vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation (Stand März 1997) zur Gänze gesetzwidrig waren.
Gemäß Art139 Abs6 B-VG wirkt die Aufhebung einer Verordnung auf den Anlaßfall zurück. Es ist daher hinsichtlich des Anlaßfalles so vorzugehen, als ob die als gesetzwidrig erkannte Norm bereits zum Zeitpunkt der Verwirklichung des dem Bescheid zugrunde liegenden Tatbestands nicht mehr der Rechtsordnung angehört hätte.
Dem in Art139 Abs6 B-VG genannten Anlaßfall (im engeren Sinn), anläßlich dessen das Verordnungsprüfungsverfahren tatsächlich eingeleitet worden ist, sind all jene Fälle gleichzuhalten, die zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung im Verordnungsprüfungsverfahren (bei Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung zu Beginn der nichtöffentlichen Beratung) beim Verfassungsgerichtshof bereits anhängig waren (vgl. VfSlg. 10616/1985, 10736/1985, 10954/1986 und 11748/1987).
Die nichtöffentliche Beratung im Verordnungsprüfungsverfahren V6-8/98 hat am 15. Juni 1998 begonnen. Der Verfahrenshilfeantrag des Beschwerdeführers war bereits am 19. November 1997 beim Verfassungsgerichtshof eingelangt. Die in der Folge (durch einen Rechtsanwalt) eingebrachte Beschwerde gilt den §§73 Abs2 und 464 Abs3 ZPO iVm §35 Abs1 VerfGG zufolge als zum Zeitpunkt der Einbringung des Verfahrenshilfeantrages, somit also noch vor Beginn der nichtöffentlichen Beratung im Verordnungsprüfungsverfahren erhoben und damit beim Verfassungsgerichtshof anhängig. Der ihr zugrunde liegende Fall ist somit einem Anlaßfall gleichzuhalten.
Die belangte Behörde wendete bei Beurteilung der Frage, ob die im Jahr 1993/94 eingetretene Unterbrechung der Beschäftigung als unverschuldete Arbeitslosigkeit zu werten sei, die, wenn sie von den zuständigen Behörden ordnungsgemäß festgestellt worden ist, aufgrund der vorherigen Beschäftigung erworbene Ansprüche nicht berührt (Art6 Abs2 ARB), - wie die Formulierung des Bescheides zeigt (vgl. den 3. Absatz auf Seite 3 des Bescheides iVm Anm. 13 zu Art6 des Leitfadens) - eine Bestimmung der nunmehr als gesetzwidrig aufgehobenen Verordnung an. Es ist nach Lage des Falles nicht von vornherein ausgeschlossen, daß dadurch die Rechtssphäre der beschwerdeführenden Partei nachteilig beeinflußt wurde. Denn die weiteren von der belangten Behörde für ihre Entscheidung ins Treffen geführten Gründe (illegale Beschäftigung nach Ablauf der Gültigkeit eines Befreiungsscheines und Fehlen eines rechtmäßigen Aufenthaltes nach Nichtverlängerung einer Aufenthaltsbewilligung) stehen und fallen anscheinend mit der Beurteilung der Unterbrechung nach Art6 Abs2 ARB. Der Beschwerdeführer wurde somit wegen Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung in seinen Rechten verletzt.
Der Bescheid ist daher aufzuheben.
2. Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung wird gemäß §19 Abs4 Z3 VerfGG abgesehen.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf §88 VerfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von 4.500 S enthalten.
Schlagworte
VfGH / AnlaßfallEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1998:B2766.1997Dokumentnummer
JFT_10018784_97B02766_00