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001 Verwaltungsrecht allgemein;Norm
AVG §66 Abs2;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fürnsinn und die Hofräte Dr. Bumberger, Dr. Beck, Dr. Hinterwirth und Dr. Enzenhofer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Flendrovsky, über die Beschwerde der H Gesellschaft m.b.H. in W, vertreten durch Dr. Horst Auer, Rechtsanwalt in Wien I, Börseplatz - Börsegasse 10, gegen den Bescheid des Bundesministers für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft vom 24. November 2000, Zl. 31 3572/31- III/1 U/00 - Lo, betreffend Abfallfeststellung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.
Der Bund hat der beschwerdeführenden Partei Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Über Antrag der beschwerdeführenden Partei erließ die Bezirkshauptmannschaft Wiener Neustadt (BH) unter dem Datum des 11. Oktober 2000 einen Bescheid mit folgendem Spruch:
"Die BH Wiener Neustadt stellt fest, dass das von der (beschwerdeführenden Partei) im Standort S, B-Straße 200, zur Erzeugung vorgesehene Produkt "Einblasdämmstoff" gemäß der folgenden Beschreibung und den diesem Bescheid beigeschlossenen Unterlagen kein Abfall ist.
Beschreibung:
Die Dämmstoffe bestehen aus einem Gemisch von ca. 70 % Zellstoff und 30 % Kunststoff, das als einblasfähiges Material zum Einsatz gelangen soll. An Vorbehandlung erfolgt eine Trocknung, Zerkleinerung und biozide Ausstattung mit dem Fungizid BAC 50, welches mit einer Einsatzkonzentration von 0,5 bis 1 % zur Anwendung gelangt.
Folgende Unterlagen und Untersuchungen liegen für das Produkt "Einblasdämmstoff" vor, welche als Bestandteil dieses Bescheides angeschlossen sind: (Es folgt eine Aufzählung dieser Unterlagen)."
Als Rechtsgrundlage dieses Bescheides ist § 4 des Abfallwirtschaftsgesetzes, BGBl. Nr. 325/1990 (AWG), genannt.
In der Begründung werden die eingeholten Stellungnahmen, Gutachten und sonstigen Unterlagen angeführt. In diesem Zusammenhang ist auch erwähnt, dass ein von der BH beigezogener Amtssachverständiger für Abfallchemie in einem Gutachten vom 17. April die vorliegenden Unterlagen als für eine Beurteilung noch nicht ausreichend bezeichnet habe, weshalb von der beschwerdeführenden Partei weitere Unterlagen vorgelegt worden seien. Daraufhin habe der erwähnte Amtssachverständige in einem weiteren Gutachten vom 10. Juli 2000 erklärt, unter Berücksichtigung der ermittelten Eigenschaften des vorbehandelten Kunststoff-Zellstoffgemisches sowie der durchgeführten Behandlungsweisen, die nunmehr ergänzt worden seien, könne festgestellt werden, dass ein Produkt hergestellt werde, welches dämmende Eigenschaften besitze und somit nicht mehr als Abfall zu bezeichnen sei. Die nunmehr vorliegenden Produktangaben seien im Hinblick auf die beabsichtigte Verwendung (Herstellung eines Einblasdämmstoffes) vollständig.
Dieser Bescheid wurde der belangten Behörde vorgelegt. Diese holte eine Stellungnahme eines abfalltechnischen Amtssachverständigen ein. Dieser konstatierte logische Widersprüche in den Stellungnahmen des Amtssachverständigen für Abfallchemie vom 17. April 2000 und vom 10. Juli 2000 sowie prinzipielle Mängel in den vorgelegten Unterlagen und kam zu dem Ergebnis, dass der vom erstinstanzlichen Bescheid erfasste "Einblasdämmstoff" nicht als Produkt, welches die Abfalleigenschaft verloren habe, eingestuft werden könne.
Dieses Gutachten wurde der beschwerdeführenden Partei zur Kenntnis gebracht und ihr Gelegenheit gegeben, hiezu Stellung zu nehmen.
Die beschwerdeführende Partei erklärte mit Schreiben vom 16. November 2000 gegenüber der belangten Behörde, da von ihr kein Antrag gemäß § 4 AWG bei der belangten Behörde eingebracht worden und auch sonst kein Verfahren anhängig sei, sei für sie nicht ersichtlich, in welchem Verfahren eine Stellungnahme abgegeben werden solle. Es werde daher um Mitteilung ersucht, in welchem in die Zuständigkeit der belangten Behörde fallenden Verfahren das Parteiengehör gewährt werde und auf welcher Rechtsgrundlage dieses Verfahren bei der belangten Behörde geführt werde. Nach Erhalt dieser Mitteilung werde die beschwerdeführende Partei die Stellungnahme fristgerecht abgeben.
Mit dem nunmehr vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid vom 24. November 2000 hob die belangte Behörde den Bescheid der BH vom 11. Oktober 2000 "als sachlich in Betracht kommende Oberbehörde gemäß § 4 Abs. 3 Z. 1 (unrichtige Feststellung des den Bescheid zugrunde liegenden Sachverhaltes) und Z. 2 AWG (rechtswidriger Inhalt des Bescheides)" auf.
In der Begründung heißt es nach Wiedergabe der im Verfahren vor der BH wie auch im Verfahren vor der belangten Behörde eingeholten Gutachten, Stellungnahmen und sonstigen Unterlagen, die Gutachten des chemisch-technischen Amtssachverständigen und auch des medizinischen Amtssachverständigen, auf denen der Feststellungsbescheid der BH beruhe, seien aus folgenden Gründen unzureichend, nicht schlüssig und daher nicht nachvollziehbar:
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Die den vorliegenden Untersuchungen zugrunde liegenden Proben seien nicht repräsentativ aus jenen auf dem Gelände in S lagernden Abfällen (ca. 40.000 m3) entnommen worden, welche als Ausgangsmaterial für die Erzeugung von "Einblasdämmstoffen" dienen sollten;
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die Probenvorbereitung und -behandlung für die durchgeführten Untersuchungen sei nicht ausreichend dokumentiert;
insbesondere fehlten auch Angaben zur Trocknungstemperatur an den Proben, wobei im Falle einer thermischen Sterilisation die Aussagekraft des hygienischen Gutachtens deutlich gemindert wäre, da eine Reihe von Keimen auch im abgetöteten Zustand als Allergene krankheitsverursachend sein könnten, der Nachweis durch bakteriologische Kulturen in einem solchen Fall aber negativ wäre;
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in jenen Fällen, in denen an den beiden Einzelproben vergleichende Bestimmungen vorgenommen worden seien (betreffend Setzungsdichte und Einblasdichte der Materialien), unterschieden sich die Proben um 50 % und wiesen damit in ihrem physikalischen Verhalten erhebliche Unterschiede auf;
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die Setzungsdichte, welche in der seitens des Österreichischen Kunststoffinstitutes als Maßstab herangezogenen Verordnung der Stadt Wien vom 1. April 1993 über die bis zum 30. Juni 1997 befristete Zulassung von Rockwool-Steinwolle-Einblasdämmsystem, Zl. MA 35-B484/92 mit maximal 15 % festgesetzt sei, sei für die Probe 1 mit 22,6 % bestimmt;
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die dichtere Probe 2, die ein Setzverhalten von 14,4 % aufweise, sei nicht auf ihr Dämmverhalten untersucht worden (die Wärmeleitfähigkeit nehme bei derartigen Stoffen in der Regel mit der Dichte zu); da lediglich ein Einzelmessergebnis vorliege, sei die Bestimmung der baustoffspezifischen Wärmeleitfähigkeit der Materialien nicht möglich;
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eine zusammenfassende Beurteilung des Brandverhaltens, z.B. im Hinblick auf eine normentsprechende zulässige Verwendung dieser Materialien als Einblasdämmstoffe, fehle; ob das Brandverhalten beider Proben untersucht worden sei, welches von der (Schütt)dichte beeinflusst werde, gehe aus den vorliegenden Unterlagen nicht hervor;
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da allergische Reaktionen auf das Biozid BAC 50 aus chemischer Sicht nicht auszuschließen seien, hätte das Abdampfverhalten des Dämm-Materials mit einer fungizidausgerüsteten Probe beurteilt werden müssen. Eine derartige Beurteilung liege dem Feststellungsbescheid der BH jedoch nicht zugrunde.
Es sei daher festzuhalten, dass auf Grund der angeführten offensichtlichen Mängel bei der Untersuchung der Materialien und der Widersprüche in den Stellungnahmen des von der BH herangezogenen chemisch-technischen Amtssachverständigen eine ausreichende fachliche Grundlage für die Einstufung der gegenständlichen Materialien als Produkt mit Sicherheit nicht vorliege.
Bei Vorliegen der erforderlichen fachlichen Grundlagen bzw. Nachweise sei im Rahmen eines Feststellungsverfahrens betreffend die Abfalleigenschaft von als Abfall angefallenen und anschließend aufbereiteten Materialien zu beurteilen,
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ob die Sache üblicherweise für diesen Verwendungszweck eingesetzt werde,
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ein Markt dafür existiere,
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Qualitätskriterien, welche die abfallspezifischen Schadstoffe berücksichtigten, insbesondere in Form von technischen oder rechtlichen Normen oder anerkannten Qualitätsrichtlinien vorlägen und
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kein höheres Umweltrisiko von dieser Sache ausgehe als bei einem vergleichbaren Rohstoff oder Primärprodukt.
Nur bei Vorliegen dieser Voraussetzungen, die dem § 2 Abs. 3a AWG entnommen seien, werde nach Setzung entsprechender Aufbereitungsschritte von einer Produkteigenschaft von Materialien auszugehen sein, die als Abfälle angefallen seien und bereits einige Jahre zu einem großen Teil im Freien gelagert würden.
Das Vorliegen dieser Voraussetzungen sei im Rahmen des Feststellungsverfahrens von der BH nicht geprüft worden.
Weiters sei festzuhalten, dass gemäß Art. 4 der Richtlinie 75/442/EWG des Rates vom 15. Juli 1975 über Abfälle die Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen haben, um eine unkontrollierte Ablagerung oder Ableitung von Abfällen und deren unkontrollierte Beseitigung zu verbieten.
Auch unter diesem Aspekt sei die Abfalleigenschaft der gegenständlichen Materialien einer sorgfältigen Prüfung zu unterziehen; auf bestehende Rücknahmeverpflichtungen für illegal grenzüberschreitend verbrachte, nicht als Produkt einsetzbare und daher als Abfall einzustufende Materialien werde ebenfalls hingewiesen.
Ferner sei zu bemerken, dass sich unter den in der Richtlinie über Abfälle angeführten Verwertungsverfahren auch das Verwertungsverfahren R 11 (Verwendung von Abfällen, die bei einem der unter R 1 bis R 10 aufgeführten Verfahren gewonnen werden) finde; es werde daher jedenfalls zu prüfen sein, ob die Abfalleigenschaft der aufbereiteten Materialien erst mit deren tatsächlicher Verwendung als Einblasdämmstoff ende.
Da der Bescheid der BH auf unzureichenden und zum Teil widersprüchlichen fachlichen Grundlagen beruhe und in der rechtlichen Begründung entscheidende Kriterien für die Einstufung als Produkt nicht erörtert worden seien, sei keinesfalls als erwiesen anzunehmen, dass die gegenständlichen Materialien nach erfolgter Aufbereitung (Trocknung, Zerkleinerung und biozide Aufbereitung) nicht mehr Abfall im Sinne von § 2 AWG seien.
Demnach sei der Inhalt des Feststellungsbescheides rechtswidrig. Weiters sei der dem Bescheid zugrunde liegende Sachverhalt unrichtig festgestellt worden.
Gegen diesen Bescheid erhob die beschwerdeführende Partei zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof. Dieser lehnte mit Beschluss vom 26. Februar 2001, B 32/01-3, ihre Behandlung ab und trat sie mit Beschluss vom 9. Mai 2001, B 32/01-5 dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.
Im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof hat die beschwerdeführende Partei eine Beschwerdeergänzung erstattet.
Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und in der Gegenschrift die kostenpflichtig Abweisung der Beschwerde beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Die beschwerdeführende Partei bringt vor, die belangte Behörde sei nicht sachlich in Betracht kommende Oberbehörde im Sinne des § 4 Abs. 3 AWG. Im Hinblick darauf habe die beschwerdeführende Partei auch nicht mit einem Aufhebungsverfahrens seitens der belangten Behörde rechnen müssen und habe daher mit dem als Parteiengehör bezeichneten Schreiben der belangten Behörde vom 8. November 2000 nichts anfangen können. Es wäre Sache der belangten Behörde gewesen, nach Erhalt des Schreibens der beschwerdeführenden Partei vom 16. November 2000 diese formell davon in Kenntnis zu setzen, dass sie die Zuständigkeit für ein Aufhebungsverfahren an sich ziehen wolle bzw. an sich gezogen habe. Dem sei die belangte Behörde nicht nachgekommen, sondern habe ohne jeden Zwischenschritt den angefochtenen Bescheid erlassen. Dadurch habe sie die beschwerdeführende Partei in ihrem Recht auf Parteiengehör verletzt.
§ 4 Abs. 3 AWG beruft "die sachlich in Betracht kommende Oberbehörde" zur Abänderung oder Aufhebung von Feststellungsbescheiden im Sinne des § 4 Abs. 1 leg. cit. Unter der "sachlich in Betracht kommenden Oberbehörde" im Sinne des § 4 Abs. 3 AWG ist auch die belangte Behörde zu verstehen (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 4. Juli 2001, 99/07/0177).
Die belangte Behörde war daher zuständig, ein Verfahren zur Aufhebung des Feststellungsbescheides der BH durchzuführen. Diese Zuständigkeit ergibt sich eindeutig aus dem Gesetz. Es musste für die beschwerdeführende Partei daher bei gehöriger Aufmerksamkeit auch klar sein, in welchem Verfahren jenes Schreiben der belangten Behörde erging, mit welchem der beschwerdeführenden Partei zu den Ausführungen des Amtssachverständigen Parteiengehör gewährt wurde. Es war nicht erforderlich, dass die belangte Behörde der beschwerdeführenden Partei dies noch ausdrücklich erklärte. Aus dem Schreiben der belangten Behörde ergab sich zweifelsfrei, dass es sich um ein Verfahren nach § 4 Abs. 3 AWG handelte.
Die beschwerdeführende Partei bringt weiters vor, die belangte Behörde habe zu Unrecht das Vorliegen von Aufhebungsgründen im Sinne des § 4 Abs. 3 Z. 1 und 2 AWG angenommen. Die belangte Behörde habe angenommen, dass die dem Feststellungsbescheid der BH zugrunde liegenden Beweisergebnisse unzureichend seien. Aufhebungsgrund sei daher nach Meinung der Behörde ein mangelhaft gebliebenes Ermittlungsverfahren. Ein solches bedeute aber weder eine unrichtige oder aktenwidrige Sachverhaltsfeststellung noch eine Rechtswidrigkeit. Die unrichtige Sachverhaltsfeststellung könnte nur dann vorliegen, wenn die belangte Behörde ihrerseits Feststellungen darüber getroffen hätte, welcher Sachverhalt richtig sei. Das habe die belangte Behörde nicht getan. Auch ein rechtswidriger Inhalt des Feststellungsbescheides der BH liege nicht vor. Eine Verletzung von Verfahrensvorschriften könne unter einem "rechtswidrigen Inhalt" nicht verstanden werden. Nach Auffassung der beschwerdeführenden Partei genüge es nicht, einzelne dem Feststellungsbescheid zugrunde liegende Gutachten in Zweifel zu ziehen. Vielmehr müsste die Unrichtigkeit des festgestellten Sachverhaltes von der belangten Behörde nachgewiesen und festgestellt werden. Im Übrigen sei die belangte Behörde auch mit ihrer rechtlichen Beurteilung, dass die Voraussetzungen für das Vorliegen eines Produktes dem § 2 Abs. 3a AWG zu entnehmen seien, nicht im Recht.
Nach § 4 Abs. 3 AWG kann ein Feststellungsbescheid im Sinne des § 4 Abs. 1 leg. cit. von der sachlich in Betracht kommenden Oberbehörde innerhalb von sechs Wochen nach Erlassung abgeändert oder aufgehoben werden, wenn
1. der dem Bescheid zugrunde liegende Sachverhalt unrichtig festgestellt oder aktenwidrig angenommen wurde oder
2. der Inhalt des Bescheides rechtswidrig ist.
Den Aufhebungstatbestand der unrichtigen Sachverhaltsfeststellung kennt auch § 299 Abs. 1 BAO. Diese Bestimmung lautet:
"In Ausübung des Aufsichtsrechtes kann ein Bescheid von der Oberbehörde aufgehoben werden,
a) wenn er von einer unzuständigen Behörde, von einem hiezu berufenen Organ oder von einem nicht richtig zusammen gesetzten Kollegialorgan einer Behörde erlassen wurde, oder
b) wenn der dem Bescheid zugrunde liegende Sachverhalt in einem wesentlichen Punkt unrichtig festgestellt oder aktenwidrig angenommen wurde, oder
c) wenn Verfahrensvorschriften außer Acht gelassen wurden, bei deren Einhaltung ein anders lautender Bescheid hätte erlassen werden oder eine Bescheiderteilung hätte unterbleiben können."
Zum Aufhebungstatbestand der unrichtigen Sachverhaltsdarstellung nach § 299 Abs. 1 lit. b BAO führt Stoll (BAO-Kommentar, Band 3, 2.882) aus:
"Soll dem Aufhebungsgrund der unrichtigen Sachverhaltsfeststellung neben dem Behebungsgrund des Abs. 1 lit. c eine eigenständige Bedeutung zukommen, so kann es nur die sein, dass die Aufsichtsbehörde auf Grund eigener Feststellungen, eigener oder angeordneter ergänzender Ermittlungen oder bereits auf Grund der Aktenlage erkennt, dass die behördliche Sachverhaltsfeststellung unrichtig ist, dass also Sachverhalte als erwiesen, Lebensvorgänge und Tatsachen als existent angenommen worden sind, die der realen Wirklichkeit nicht entsprechen. Dieser Aufhebungsgrund begnügt sich somit nicht mit der aus der Verletzung von Verfahrensvorschriften erfließenden Möglichkeit von andersartigen Sacherkenntnissen, sondern verlangt die erwiesene Feststellung der Inkongruenz des von der Behörde angenommenen Sachbildes und der Lebenswirklichkeit. Die Sachverhaltsermittlung, die zu dem im Verfahren nach § 299 verfangenen Bescheid geführt hat, muss somit erwiesenermaßen, also tatsächlich unvollständig, lückenhaft sein, der Sachverhalt sohin in seiner Gegebenheit oder seinen Merkmalen nach unzutreffend, in seinen tatsächlichen Dimensionen fehlerhaft angenommen sein. Die Voraussetzung für die Anwendung der Behebungsnorm ist der Nachweis der Disparität von Wirklichkeit und Annahme, die erwiesene Feststellung, dass das vom angenommenen Realen fein gezeichnete (dem Bescheid zugrunde gelegte) Bild mit den tatsächlichen Lebensvorgängen und Sachgegebenheiten nicht in Deckung zu bringen ist (vgl. VwGH 27.1.1978, 992/77; und Stoll, JBl. 1985, 1, 9)."
In dem von Stoll zitierten Erkenntnis vom 27. Jänner 1978, 992/77, hat der Verwaltungsgerichtshof Folgendes ausgeführt:
"Eine unrichtige Feststellung des Sachverhaltes ist dann gegeben, wenn der Sachverhalt unvollständig, also lückenhaft ermittelt wurde oder der angenommene Sachverhalt mit den Tatsachen nicht übereinstimmt, wenn also die Feststellung jener tatsächlichen Umstände unrichtig ist, die für den Spruch des Bescheides ausschlaggebend sind."
§ 299 Abs. 1 BAO unterscheidet sich allerdings von § 4 Abs. 3 AWG dadurch, dass in der erstgenannten Bestimmung neben dem Aufhebungstatbestand der unrichtigen Sachverhaltsfeststellung auch noch ein gesonderter Aufhebungstatbestand der Außerachtlassung von Verfahrensvorschriften enthalten ist.
Das Fehlen eines Aufhebungstatbestandes der Außerachtlassung von Verfahrensvorschriften im § 4 Abs. 3 AWG lässt zwei Deutungen zu. Zum einen könnte der Gesetzgeber davon ausgegangen sein, dass der Aufhebungstatbestand der unrichtigen Sachverhaltsfeststellung so umfassend zu verstehen ist, dass es eines eigenen Aufhebungstatbestandes der Verletzung von Verfahrensvorschriften nicht bedarf. Zum anderen aber könnte das Fehlen eines Aufhebungstatbestandes der Verletzung von Verfahrensvorschriften den Willen des Gesetzgebers zum Ausdruck bringen, dass bloße Verfahrensvorschriftenverletzungen, die zwar möglicherweise auch Auswirkungen auf den Sachverhalt haben können, ohne dass dies aber mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit feststeht, nicht zur Aufhebung berechtigen. Für die letzt genannte Auffassung spricht, dass der Gesetzgeber dann, wenn er einen umfassend verstandenen Aufhebungstatbestand hätte schaffen wollen, sich damit hätte begnügen können, generell die Aufhebung rechtswidriger Bescheide anzuordnen. Gerade das hat der Gesetzgeber aber nicht getan, sondern die Aufhebungsmöglichkeiten auf die inhaltliche Rechtswidrigkeit des Bescheides und auf die unrichtige Sachverhaltsermittlung bzw. die aktenwidrige Sachverhaltsermittlung eingeschränkt. Es ist daher davon auszugehen, dass der Aufhebungstatbestand der unrichtigen Sachverhaltsfeststellung denselben Restriktionen unterliegt wie der gleichartige Tatbestand im § 299 Abs. 1 lit. b BAO.
Eine unrichtige Feststellung des Sachverhaltes im Sinne des § 4 Abs. 3 AWG ist daher dann gegeben, wenn der Sachverhalt unvollständig, also lückenhaft ermittelt wurde oder der angenommene Sachverhalt mit den Tatsachen nicht übereinstimmt, wenn also die Feststellung jener tatsächlichen Umstände unrichtig ist, die für den Spruch des Bescheides ausschlaggebend sind.
Die belangte Behörde ist davon ausgegangen, dass die Gutachten des chemisch-technischen Amtssachverständigen wie auch des medizinischen Amtssachverständigen, auf denen die Feststellung der BH beruht, dass der "Einblasdämmstoff" nicht Abfall, sondern ein Produkt sei, unzureichend, nicht schlüssig und daher nicht nachvollziehbar sind, weil sie unvollständig, in sich widersprüchlich und mit sonstigen Mängeln behaftet seien. Die beschwerdeführende Partei ist dieser Annahme nicht entgegengetreten. Eine Sachverhaltsfeststellung aber, die sich auf mit solchen Mängeln behaftete Gutachten stützt, ist unrichtig.
Die belangte Behörde hat den angefochtenen Bescheid auch auf den Aufhebungstatbestand der inhaltlichen Rechtswidrigkeit des Bescheides der BH gestützt.
Inhaltliche Rechtswidrigkeit eines Bescheides ist anzunehmen, wenn die dem Bescheidinhalt zugrunde liegenden Rechtsnormen falsch angewendet wurden (vgl. Oberndorfer, Die österreichische Verwaltungsgerichtsbarkeit, 168, und die dort angeführte Rechtsprechung). Eine falsche Anwendung von dem Bescheid zugrunde liegenden Normen liegt auch vor, wenn Normen, die anzuwenden gewesen wären, nicht angewendet wurden.
Worin die belangte Behörde die inhaltliche Rechtswidrigkeit des Bescheides der BH erblickt, ist unklar, da sie nach Aufzählung der ihrer Meinung nach diesem Bescheid anhaftenden Mängel sowohl dessen inhaltliche Rechtswidrigkeit als auch eine ihm anhaftende unrichtige Sachverhaltsfeststellung konstatiert, ohne anzugeben, welche Mängel sie welchem Aufhebungstatbestand zuordnet. Da aber der angenommene Aufhebungsgrund der unzureichenden und zum Teil widersprüchlichen fachlichen Grundlagen des Bescheides der BH offenkundig dem Aufhebungstatbestand der unrichtigen Sachverhaltsfeststellung zuzuordnen ist, ist davon auszugehen, dass die belangte Behörde die inhaltliche Rechtswidrigkeit darin erblickt, dass "in der rechtlichen Begründung entscheidende Kriterien für die Einstufung als Produkt nicht erörtert wurden". Damit meint sie offenbar, dass die Produkteigenschaft des "Einblasdämmstoffes" nicht an Hand der Kriterien des § 2 Abs. 3a AWG geprüft worden sei. Mit diesem Begründungselement aber hat die belangte Behörde den angefochtenen Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet.
Die in der Begründung eines auf § 4 Abs. 3 AWG gestützten Bescheides enthaltenen, für die Aufhebung tragenden Gründe binden in einem allfälligen fortgesetzten Verfahren die Unterbehörde (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 18. Oktober 2001, 2000/07/0003). Entspricht ein solches tragendes Begründungselement nicht dem Gesetz, dann hat das dieselbe Konsequenz wie bei Bescheiden, die auf § 66 Abs. 2 AVG gestützt sind, nämlich die Rechtswidrigkeit des Behebungsbescheides.
Im Beschwerdefall hat die belangte Behörde in der Begründung ihres Bescheides die Auffassung vertreten, die BH hätte die Frage der Produkteigenschaft der Einblasdämmstoffe an Hand der Kriterien des § 2 Abs. 3a AWG zu prüfen gehabt; nur bei Vorliegen dieser Kriterien liege ein Produkt und kein Abfall vor.
Diese Auffassung ist unzutreffend.
Im Beschwerdefall ist fraglich, ob der Gegenstand "Einblasdämmstoffe" Abfall ist oder nicht. Ausgangsstoff für diesen Gegenstand bilden unbestritten Abfälle. Eine Sache, die einmal zum Abfall geworden ist, kann nach dem AWG die Abfalleigenschaft auch wieder verlieren.
§ 2 Abs. 3 AWG bestimmt:
"(3) Ist eine Sache Abfall und wird sie sodann einer Verwertung zugeführt (Altstoff), gilt sie so lange als Abfall, bis sie oder die aus ihr gewonnenen Stoffe einer zulässigen Verwendung oder Verwertung zugeführt werden. Auf Altstoffe sind die §§ 16 und 28 nicht anzuwenden. Der Bundesminister für Umwelt, Jugend und Familie (nunmehr: Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft) kann, soweit dies zur Erleichterung der Verwertung ähnlich ist und mit den öffentlichen Interessen (§ 1 Abs. 3) vereinbar ist, mit Verordnung jene Stoffe bestimmen, welche jedenfalls als Altstoffe in Betracht kommen."
§ 2 Abs. 3a AWG lautet:
"(3a) Unbeschadet des Abs. 3 und soweit dies mit den Zielen und Grundsätzen (§ 1) vereinbar ist, kann der Bundesminister für Umwelt, Jugend und Familie (nunmehr: Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft) mit Verordnung festlegen, unter welchen Voraussetzungen und für welchen Verwendungszweck bei bestimmten Abfällen die Abfalleigenschaft endet, einschließlich Art, Aufbau und Führung der dafür erforderlichen Aufzeichnungs- und Meldepflichten (Abs. 3c und 3d). Eine derartige Verordnung kann nach Anhörung des Bundesministers für Land- und Forstwirtschaft, des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten, der Länder, des österreichischen Städtebundes, des österreichischen Gemeindebundes, der Wirtschaftskammer Österreichs, der Vereinigung der Österreichischen Industrie, der Bundesarbeitskammer, des Österreichischen Gewerkschaftsbundes und der Präsidentenkonferenz der Landwirtschaftskammern nur erlassen werden, wenn
1. die Sache üblicherweise für diesen Verwendungszweck eingesetzt wird,
2.
ein Markt dafür existiert,
3.
Qualitätskriterien, welche die abfallspezifischen Schadstoffe berücksichtigen, insbesondere in Form von technischen oder rechtlichen Normen oder anerkannten Qualitätsrichtlinien vorliegen und
4. kein höheres Umweltrisiko von dieser Sache ausgeht als bei einem vergleichbaren Rohstoff oder Primärprodukt."
Diese Bestimmung wurde durch die Novelle BGBl. I Nr. 151/1998 in das AWG eingefügt. Wie sich aus der Einleitung des § 2 Abs. 3a ("unbeschadet des Abs. 3") ergibt, sollten mit dieser Bestimmung vom Abs. 3 abweichende, den Abs. 3 unberührt lassende Regelungen über das Ende der Abfalleigenschaft für bestimmte Fälle getroffen werden. In den Erläuterungen zur Regierungsvorlage zur AWG-Novelle 1998 (1201 Blg. NR XX. GP) heißt es, wenn Sachen entgegen einer Verordnung nach § 2 Abs. 3a nicht für den vorgesehenen Verwendungszweck eingesetzt würden, ende die Abfalleigenschaft nur unter der Voraussetzung des § 2 Abs. 3. Auch dies zeigt, dass die Kriterien für das Enden der Abfalleigenschaft im § 2 Abs. 3 AWG nicht gleich gesetzt werden können mit jenen des § 2 Abs. 3a. Es kann daher nicht davon ausgegangen werden, dass ein Ende der Abfalleigenschaft nach § 2 Abs. 3 AWG nur dann in Frage kommt, wenn die Kriterien des § 2 Abs. 3a Z. 1 bis 4 leg. cit. erfüllt sind. Wohl aber kann das Vorliegen aller oder einzelner dieser Kriterien ein Indiz für das Ende der Abfalleigenschaft sein. Weiters lässt sich aus § 2 Abs. 3a Z. 4 AWG entnehmen, dass der Umstand, dass von einer aus Abfall gewonnenen Sache ein Umweltrisiko ausgeht, für sich allein noch nicht das Vorliegen eines nicht mehr Abfalleigenschaft aufweisenden Produktes verhindert. Maßgeblich ist vielmehr ein Vergleich mit den Gefahren, die von einem vergleichbaren Rohstoff oder Primärprodukt ausgehen. Diese Wertung des Gesetzgebers ist auch auf das Enden der Abfalleigenschaft nach § 2 Abs. 3 AWG übertragbar (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 4. Juli 2001, 99/07/0177).
Dadurch, dass die belangte Behörde in der Begründung des angefochtenen Bescheides der BH die Auffassung überbunden hat, der in Rede stehende Einblasdämmstoff sei nur dann kein Abfall, sondern ein Produkt, wenn er die Kriterien des § 2 Abs. 3a AWG erfülle, hat sie ihren Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet, weshalb dieser gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.
Von der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG abgesehen werden.
Der Ausspruch über den Kostenersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 15. November 2001
Schlagworte
Definition von Begriffen mit allgemeiner Bedeutung VwRallg7Anzuwendendes Recht Maßgebende Rechtslage VwRallg2Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Verhältnis der wörtlichen Auslegung zur teleologischen und historischen Auslegung Bedeutung der Gesetzesmaterialien VwRallg3/2/2Rechtskraft Umfang der Rechtskraftwirkung Allgemein Bindung der BehördeIndividuelle Normen und Parteienrechte Rechtswirkungen von Bescheiden Rechtskraft VwRallg9/3European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2001:2001070067.X00Im RIS seit
11.03.2002Zuletzt aktualisiert am
20.03.2013